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Ausgabe:

1970

Spalte:

354-355

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Baumann, Rolf

Titel/Untertitel:

Mitte und Norm des Christlichen 1970

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Theologische Literaturzettung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

364

Ehefrauen nichtehristlicher Männer (3,1 f.) sowie die Aufforderung
zum rechten Antworten (3,15f.). Daß hinter diesen Texten
das Bewußtsein davon steht, daß „das Verhalten der Christen
Rückwirkungen auf die Einschätzung der Gemeinde und des
Glaubens selbst bei den Heiden habe" (S.59), ist ohne weiteres
deutlich; hingegen lassen sich ihnen Aussagen über das Wesen
dieser Rückwirkungen nur indirekt abgewinnen. Vorwiegend
scheint die Rücksichtnahme auf die Heiden defensiv motiviert
zu sein: Es geht darum, durch untadeligen Lebenswandel der
Umwelt keinen Anstoß zu geben und das Unberechtigte aller
gegen die Gemeinde erhobenen Anschuldigungen zu erweisen.
Wenn Lippert jedoch IPetr 2,llf. als eine über diese defensivapologetische
Motivierung hinausführende eindeutig missionarische
Aussage deuten will, so ist das m.E. schwerlich berechtigt
. Denn die hemera episkopes ist keinesfalls der Tag der
Bekehrung der Heiden, der sich als Resultat des geduldigen Tatzeugnisses
der Christen schließlich einstellt. Es dürfte damit vielmehr
der Tag gemeint sein, an dem das eschatologische Handeln
Gottes in Gericht und Heil sich an den Heiden erweist (vgl.
Jes 10,3; Sap 3,7; Lk 1,68; 19,44) und sie von der Schuldlosigkeit
der Christen überführt. Eine kausale Beziehung zwischen
den „guten Werken" der Christen und der kommenden Bekehrung
der Heiden wird in lPetr2,llf. gerade nicht hergestellt;
vielmehr wird die Möglichkeit der rechten Einschätzung des
christlichen Wandels durch die Heiden streng an das eschatologische
Handeln Gottes gebunden. So bleibt als einzige Stelle
die im Sinne einer direkten missionarischen Motivation verstanden
werden könnte, IPetr 3,1 f., - zweifellos eine zu schmale
Basis für die weitreichende Folgerung, wir hätten es hier mit
einer kohärenten Gedankenlinie innerhalb des Neuen Testamentes
zu tun.

Eben diese Folgerung impliziert jedoch Lippert, wenn er in
einem eigenen religionsgeschichtlichen Kapitel (B/1) nach Analogien
zum Gedanken von der werbenden Lebensführung in der
Umwelt des Neuen Testamentes fragt. Hier verweist er einerseits
auf das Spätjudentum, das dem ethisch vorbildlichen Verhalten
eine die Heiden überzeugende Kraft zuschrieb, andererseits
auf hellenistisch-stoische Wanderprediger, die ihre Lehren
durch ihre Lebensführung bekräftigen. Mit der Begründung, daß
in diesen beiden Bereichen weder von „einer als wesentlich
betrachteten Missionstheologie ... gesprochen werden" könne,
noch der Gedanke einer Gemeindebildung vorliege (S. 125), wird
jede motivliche Verbindung zwischen ihnen und dem Urchristentum
verneint. Aber bedeutet die Einführung solcher Kriterien
nicht ein Messen mit zweierlei Maß? Und ob die Frage nach
religionsgeschichtlichen Analogien und Herleitungsmöglich-
keiten hier weiterhilft, ist erst recht zu bezweifeln. Der neu-
testamentliche Sachverhalt nötigt m.E. viel eher zu dem Urteil,
daß das Motiv der werbenden Lebensführung und des propagandistischen
Effektes der Ethik im Urchristentum keine
eigenständige missionstheologische Gedankenlinie repräsentiert,
sondern da, wo es erscheint, durchweg im Dienste anderer theologischer
und ekklesiologischer Motivationen steht. Nur so läßt
sich seine untergeordnete Stellung im Neuen Testament erklären
. Das Urchristentum verstand sich nämlich weder als
neue Lebensphilosophie, noch als Träger in sich evidenter gesellschaftlicher
und politischer Leitbilder. Deshalb unterscheidet
sich das sittliche Verhalten der Christen in seinen äußeren Formen
grundsätzlich nicht von sittlichem Verhalten, das auch
Heiden möglich ist (Phil 4,8). Seine missionarische Wirkung
kann darum nur darin bestehen, daß es Vorurteil und Ärgernis
vermeiden hilft, und so dem missionarischen Wort den Raum
nicht verbaut.

Die weitere Klärung dieser Zusammenhänge wäre nur auf
dem Wege einer eingehenden Analyse der verschiedenen Motivationen
neutestamentlicher Ethik und ihrer gegenseitigen Zuordnung
möglich. Lippert bietet hierzu einige Ansätze (Kapitel
B/III), die jedoch nicht mit der nötigen exegetischen Konsequenz
durchgehalten werden. Überhaupt wird in den letzten
Kapiteln dieses Buches die exegetische Betrachtungsweise
zugunsten der dogmatisch-apologetischen verdrängt. Lippert
macht hier im wesentlichen zeitbedingte soziologische Gründe
dafür verantwortlich, daß der pastoralpsychologisch unerläss-
liche Gedanke der werbenden Lebensführung „in der neu-

testamentlichen Briefliteratur ... nicht die Rolle spielt, die man
erwarten würde" (S.127). So läuft denn schließlich alles auf ein
Sammeln von Enfcschuldigungsgründen dafür hinaus, daß das
Neue Testament noch hinter dem klassischen katholischen Zweistufenschema
von natürlicher Ethik und Gnade, Schöpfung und
Wort zurückbleiben mußte (S.158!).

Leider muß gesagt werden, daß diese Arbeit in ihrer methodischen
Unbestimmtheit und ihrer tendenziösen Gebundenheit
insgesamt unter dem Niveau heutiger katholischer Exegese
bleibt. Trotzdem gebührt ihr das Verdienst, zum Nachdenken
über eine oft allzu beiläufig behandelte Frage angeregt zu
haben.

Hamburg Jürgen Roloff

Baumann, Rolf: Mitte und Norm des Christlichen. Eine Auslegung
von 1.Korinther 1,1-3,4. Münster/W.: Aschendorff
[1968]. V, 319 S. gr. 8° = Neutestamentliche Abhandlgn, hrsg.
v. J.Gnilka, N.F. 5. Kart. DM 44,-; Lw. DM 48,-.

Der Vf. legt hier seine Dissertation vor, die er unter der Leitung
von Prof. K.H. Schelkle angefertigt und der Katholisch-
Theologischen Fakultät Tübingen im Winter 1966/67 vorgelegt
hat. Ziel der Arbeit ist, die Mitte des Glaubens zu erfragen, die
Paulus in dem hier analysierten Text „mehr zur Geltung als zur
Darstellung bringt" (6). Der Hauptteil der Arbeit besteht in
einer detaillierten Analyse von IKor 1,1-3,4 (S. 20-279), vorangestellt
ist eine Einführung in die hauptsächlichsten Tendenzen
und Ergebnisse der Erforschung des 1 Kor (S.7ff.), der Schlußabschnitt
stellt die Ergebnisse der Arbeit systematisch dar
(S. 280-304).

Eine kritische Bemerkung zum exegetischen Teil sei vorausgeschickt
: Leider erschöpft sich die Exegese auf weite Strecken
darin, festzustellen, was andere früher schon zum Thema gesagt
haben. Der Anmerkungsteil besteht fast ausschließlich aus Aufzählung
von Sekundärliteratur, der Text der Arbeit zu einem
schönen Teil aus Zitaten. Wer sich über den Bestand von Sekundärliteratur
zum Text informieren will, der wird bei Baumann
vollständig auf seine Rechnung kommen. Dagegen fehlt anderes:
Baumann arbeitet kaum selbständig religions- oder traditionsgeschichtlich
. Eigene Thesen bringt er oft nur noch in Frageform
in Anschluß an die Sekundärliteratur, ohne sie methodisch
sauber zu untermauern. Was Baumann an eigenen Gesichtspunkten
zum Text beiträgt, hätte auf wenigen Seiten gesagt
werden können, und es genügt eigentlich völlig, die Seiten 54f.,
75-78, 192-198, 204-209 und 280ff. zu lesen. Ob das nun übergroße
Bescheidenheit eines Anfängers oder mangelnde Selbständigkeit
sei, eine Tugend ist es jedenfalls nicht.
Die wichtigsten Thesen der Arbeit sind folgende:

1. In Korinth gibt es keine festen Parteien, sondern alle vier
Losungen von 1,12 sind von Paulus selbst formuliert. Mit diesen
ironischen Parolen wendet sich der Apostel gegen negative
Urteile, die in Korinth, vielleicht vor allem unter Berufung auf
Apollos, gegen ihn selbst laut geworden sind (49ff.).

2. Das eigentliche Problem, mit dem sich Paulus beschäftigt,
erhebt Baumann nicht aus V. 12, sondern aus V. 17: Die Korin-
ther, die als Enthusiasten, nicht als Gnostiker zu charakterisieren
sind, schätzen die Gnadengabc der Weisheitsrede (IKor
12,8) zu hoch ein. Paulus „radikalisiert" bzw. „vergrundsätzlichf'
ihre Position und zeigt der Gemeinde die christologischen
Konsequenzen ihres Standpunktes auf.

Zur Kritik: Das Paulus beschäftigende konkrete Problem aus
1,17 und nicht aus 1,12 erheben zu wollen, scheint problematisch.
Baumann hat leider eine Analyse von Kap.3 und 4 unterlassen;
von dorther zeigte sich, daß 1,18-2,16 doch wohl als Grundsatzerklärung
zu dem Paulus in l,12ff. und 3,5ff. beschäftigenden
konkreten Problem zu betrachten ist. Ob aus der paulinischen
Sophiatheologic überhaupt eine korinthische Position rekonstruiert
werden darf, ist m.E. sehr fraglich. Ferner: Paulus bewertet
1,5 (und vielleicht auch 2,4) die Charismen positiv und
geht (erst!) 12,1 ff. auf «las Thema ein, aufgrund einer Anfrage
der Gemeinde und anders als 1,18ff.

3. 2.6ff. ist formal eine Weisheitsrede, die aber nicht bisher