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Ausgabe:

1970

Spalte:

349-351

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Neotestamentica et semitica 1970

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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349

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

350

[Black, Matthew:] Neotestamentica et Semitica. Studies in
Honour of Matthew Black, ed. by E. Earle Ellis and M. Wilcox.
Edinburgh: Clark [1969]. XXI, 297 S. 8°. Kldr. 55 s.

Gelungene Festschriften geben nicht nur der Wertschätzung
Ausdruck, deren sich der Jubilar erfreut, sondern lassen auch die
Weite und Vielfalt der Anregungen erkennen, die von seiner
Lebensarbeit ausgehen. So zeigt die Festgabe für den sechzigjährigen
Matthew Black, wie seine Arbeit am NT, ohne Schule
zu bilden bei Forschern verschiedener Richtung Widerhall
gefunden hat. Der weltweite Mitarbeiterkreis (nur 11 von 22 Beiträgen
stammen von britischen bzw. amerikanischen Forschern)
macht deutlich, daß die Wirkung dieses Lebenswerkes weit über
den angelsächsischen Bereich hinausgeht. In schöner Entsprechung
zu den Hauptarbeitsgebieten des Jubilars gliedern
sich die ihm dargebrachten Studien in Arbeiten zur neutesta-
mentlichen Exegese im engeren Sinne, zur Textforschung und
zu Fragen der Semitistik.

Die Beiträge zur neutestamentlich-exegetisclien Forschung,
der Black mit seinen zuerst 1946 erschienenen Standardwerk
„An Aramaic Approach to the Gospels and Acts" (2. Aufl. 1954,
3. Aufl. 1967) bedeutsame Anstöße gab, lassen gewisse gemeinsame
Grundlinien erkennen: das Bemühen, das Neue Testament
von Alten her zu verstehen, das jüdische Schriftverständnis in
orthodoxer (rabbinischer) und heterodoxer (qumranischer) Ausprägung
besonders zu beachten, der vorwiegend analytischen
Arbeit konstruktive Gegenentwürfe entgegenzustellen.

C.K.Barrett, der in seinem Aufsatz über Titus (S.l-14) auch
die literarischen Probleme des 2Kor behandelt, sieht in cap. 1-9
ein Empfehlungsschreiben für dessen erneuten Besuch in
Korinth, während er den „Vier-Kapitel-Brief" entgegen einer
weit verbreiteten Ansicht einer späteren Phase des Konfliktes
zwischen Paulus und den Korinthern zuweist. N.A.Dahl geht
der bisher wenig beachteten Isaak-Typologie bei Paulus nach
und erblickt in Gen 22,16-17 und dem darauf bezogenen Akeda-
Gebet der jüdischen Liturgie den Hintergrund von Rom 8,32
sowie auch von Gal 3,13-14 und Rom 3,25f. (S. 15-29). W.D.
Davies will einen biblisch-theologischen Beitrag zur gegenwärtigen
ethischen Diskussion geben (S. 30-49). Der Begriff des
„messianischen Gesetzes" erscheint ihm sowohl neutestament-
lich legitimiert als auch geeignet, dem absoluten Aspekt und
dem Bedürfnis nach konkreten Weisungen gleichermaßen Rechnung
zu tragen. Auf ein methodologisches Problem, das durch
das Hauptwerk des Jubilars aufgeworfen wird, die Interpretation
synoptischer Logien mit Hilfe von Rückübersetzungen, weist
Jacques Dupont hin. Indem er Mt 18,3 (gegen Joachim Jeremias
) als abgewandelte Form von Mk 10,15 zu verstehen sucht,
betont er die Bedeutung, die nach wie vor dem synoptischen
Vergleich zukommt (S.53-60). Earle Ellis untersucht die Zitierung
des AT im NT auf dem Hintergrund der am jüdischen
Schrifttum gewonnenen Unterscheidung von explizitem und implizitem
Midrasch und kommt dabei in der Frage des christlichen
Midrasch zu einem sehr zurückhaltenden Urteil (S. 61 bis
68). A. J.B.Higgins referiert über die Menschensohndebatte
in der angelsächsischen Forschung anhand der Arbeiten von
Füller, Hooker und Perrin und weist abschließend auf die Bedeutung
der Zitierung von Ps 82,1 in 11Q Melch hin. Sie erscheint
ihm als Beleg für die Vertrautheit des Judentums der
Zeit Jesu mit der individuellen Menschensohnvorstellung
(S.76-87). C.F.D.Moule bestreitet in seiner Untersuchung von
Mk 4,1-20 zwei seit Jülicher weithin anerkannte Deutungen: den
prädestinatianischen Sinn des Geheimnismotives v. 10-12 und
den allegorischen Charakter der Auslegung v. 13-20 (S. 95-113).
W.C. van Unnik zeigt an naiQonuQmhioi (IPetr 1,18) wie ein
in der Antike positiv verwendetes Wort im christlichen Sprachgebrauch
mit negativen Vorzeichen erscheint und so den Bruch
mit heidnischer und jüdischer Vätertradition anzeigt (S. 129 bis
142). Als einen Versuch, die analytische Arbeit am Johannesevangelium
durch einen konstruktiven Entwurf zu überholen,
wird man Max Wilcox' Untersuchungen zur Komposition
von Joh 13,21-30 ansehen können (S. 143-156). Er versucht drei
Schichten aufzuzeigen: die Motivbasis (Nacht, Mahl, Verräter),
eine den Synoptikern nahestehende Schicht von Logien und das
damit verbundene frei umlaufende bzw. neu geformte Material.

Von dem Bestreben, ein Korrektiv gegenüber verbreiteten
Lehrmeinungen aufzurichten, sind auch die in diese Gruppe
gehörenden Aufsätze der Mitarbeiter aus dem deutschsprachigen
Raum bestimmt. Eduard Schweizer wendet sich unter
dem Titel „Eschatology in Mark's Gospel" (S. 114-118) gegen
Marxsens Versuch, dem MkEv die Vorstellung einer in Galiläa
zu erwartenden Parusie in ganz naher Zukunft zuzuschreiben
und besonders gegen dessen Deutung von Mk 16,7. Joachim
Jeremias zeigt in „Paulus als Hillelit" (S.88-94), daß die oft
gering geachtete Notiz Apg 22,3 durch Untersuchung der Paulusbriefe
bestätigt wird. Dort zeigt sich Paulus nicht nur mit der
rabbinischen exegetischen Methodik vertraut, sondern auch der
der hillelitischen Tradition verpflichtet. Die Anwendung von 5,
der 7 hermeneutischen Hauptregeln des Hillel, der sog. Middoth,
läßt sich in den Paulusbriefen nachweisen. Ethelbert Stauffer,
der seinen Aufsatz „ Jeschu ben Mirjam" als kontroversgeschichtliche
Untersuchung zu Mk 6,3 (S. 119-128) präsentiert, will
auf einen in der bisherigen Forschung vernachlässigten „Sitz im
Leben" aufmerksam machen: die Kontroverse (zwischen der
Gemeinde und ihren jüdischen Gegnern). Er glaubt den textkritischen
und literarischen Befund in Mk 6,3 so deuten zu
können, daß es sich bei Jeschu ben Mirjam um eine (bald unterdrückte
) jüdische Kampfformel handelt, deren weitere Geschichte
sich bei den Mandäern, im Koran, in den außerkanonischen
Agrapha verfolgen läßt. Das Geheimnis der Herkunft Jesu
erscheint hier gleichsam im Negativbild. Hier ist auch der an
späterer Stelle eingefügte Aufsatz von Bo Reicke „Da'at and
Gnosis in intertestamental literature" (S. 245-255) einzuordnen.
In deutlicher Abgrenzung gegen die unkritische Annahme eines
gnostischen Hintergrundes des frühen Christentums zeigt er die
Verwendung dieser Begriffe im Schrifttum von Qumran, in der
rabbinischen Literatur und im Gebrauch der LXX mit dem Ergebnis
, daß in allen diesen Bereichen die Wortgruppe niemals
theoretisch-spekulative Erkenntnis bezeichnet.

Auf einen anderen Ausschnitt der Lebensarbeit des Jubilars,
die Mitarbeit an der großen kritischen Ausgabe des Neuen
Testamentes (The Greek New Testament, edited by K.Aland,
M.Black, B.M.Metzger, A.Wikgren, Stuttgart 1967) verweisen
die in diesem Band enthaltenen Studien zu Problemen des neu-
testamentlichen Textes. Von besonderem Interesse ist hier
K.Alands Aufsatz über den Schluß des Markus-Evangeliums
(S. 157-180). Er ist zu der Überzeugung gelangt, daß der „kürzere
" Markusschluß (k), den man bislang meist dem 4. Jahrhundert
zuwies, spätestens um die Mitte des 2. Jahrhunderts
entstanden ist, wegen seiner Kürze und Unbeholfenheit jedoch
von dem bald darauf in Umlauf gebrachten „langen" Schluß
verdrängt wurde. Bruce M.Metzger nimmt die Frage nach dem
Text des Palästinisch-Syrischen Lektionars wieder auf und
kommt zu dem Ergebnis, daß dieses unmittelbar aus einem
griechischen Lektionar übersetzt wurde (S.209-220). G.D.Kil-
patrick legt eine Liste von Stellen vor, an denen der heutige
Receptus nach Textgestalt oder Interpunktion verbesserungsbedürftig
erscheint (S. 198-208). Tj.Baarda, der sich der oft
diskutierten Ortsangabe in Mk 5,1 annimmt, leitet die syrische
Form Gadarener aus einem originalen Mk-Text ab, sieht in
Gergesener eine cäsareanische Nebenform, während Gerasener
eine westliche Harmonisierung darstellt (S. 181-197).

Eine dritte Folge von Abhandlungen wendet sich Spezial-
themen der jüdischen Umwelt des Urchristentums zu. Unmittelbar
durch die Forschung des Jubilars angeregt ist der Beitrag
von Geza Vermes, der sich mit dem Targum Neofiti I beschäftigt
, auf dessen Bedeutung für die Neutestamentliche
Forschung M. Black bald nach seiner Erschließung hingewiesen
hatte (vgl. ThLZ 82,1967 Sp. 662ff.). Er ordnet die dort gegebene
Deutung des Manna Ex 16,15, in dem Mose, der Gesetzgeber
selbst, mit dem Brot gleichgesetzt wird, in die Auslegungsgeschichte
dieser Stelle ein. Sie erweist sich als Verbindung der
geläufigen rabbinischen Interpretation, die Manna und Thora
identifiziert und Pbilos Deutung der Gestalt des Mose als der
inkarnierten Thora (S.256-263). F.F.Bruce beantwortet die
Frage, ob Daniel in Qumran kanonische Geltung hatte, positiv
(S.221-235). David Daube vergleicht Dt24,lff. mit dem
römischen Rechtsinstitut des repudium (S. 236-239). R.McL.
Wilson versucht eine sachgerechte Würdigung eines jüngst