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Ausgabe:

1970

Spalte:

346-347

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grunebaum-Ballin, Paul

Titel/Untertitel:

Joseph Naci duc de Naxos 1970

Rezensent:

Mayer, Reinhold

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

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wegs Vollständigkeit hinsichtlich der Quellen angestrebt; ihm
kommt es vielmehr darauf an, „das innere Gefälle des jüdischpalästinischen
Denkens in der Spannung zwischen Rezeption
und Abwehr des hellenistischen Zeitgeistes darzustellen" (S.6)
Im einzelnen werden die „Entwicklungslinien des jüdischen
Denkens" an folgenden Quellen-und Sachkomplexen aufgewiese
an Qohelet und Ben-Sira, an der jüdischen „Weisheitsspekulation
", an den „Chasidim" und dem „ersten Höhepunkt jüdischer
Apokalyptik" sowie endlich am „frühen Essenismus", wobei
sich der Vf. - nach Meinung des Rez. mit Recht - den Einfluß
spezifisch hellenistischen Denkens auf das palästinische
Judentum weniger durch direkte (literarische) Abhängigkeit
vermittelt denkt als vielmehr durch den für das gesamte hellenistische
Zeitalter charakteristischen „Zeitgeist" (vgl. bereits
S. 199). Im Rahmen dieser Darstellung dürften in der gegenwärtigen
Forschungssituation vor allem die beiden letzten Teilabschnitte
des Kapitels - „Die Chasidim und der erste Höhepunkt
jüdischer Apokalyptik" sowie „Der frühe Essenismus" - besonderes
Interesse beanspruchen, nicht zuletzt im Hinblick auf
die Fragestellung „Die Religiousgeschichte and das Urchristentum
". - Im Kapitel IV (S. 465-564) mit der Überschrift „Die
.Interpretation Graeca' des Judentums und der Reform versuch
der Hellenisten in Jerusalem" will der Vf. das „ Selbstvers tänd-
uis jener jüdischen Hellenisten" herausarbeiten, „die zwischen
175 und 164v.Chr. versuchten, das Judentum völüg in der
hellenistischen Zivilisation aufgehen zu lassen, jedoch an ihrer
eigenen Uneinigkeit und der politischen Instinktlosigkeit Antio-
chos' IV. scheiterten" (S.464). In Anknüpfung (und eigenständiger
Begründung) an eine These von E.Bickermann ist der Vf.
der Meinung, daß man in bezug auf die Ereignisse in Palästina
in den Jahren 175 bis 164v.Chr. nicht von einer bewußten
„Hellenisierungspolitik" der Seleukiden sprechen könne (S.505),
daß vielmehr der „Anstoß zur äußersten Eskalation der Ereignisse
in Judäa von den extremen Hellenisten in Jerusalem selbst
ausging" (S.525 und ff.). Besonders hinzuweisen ist in diesem
Zusammenhang auf diejenigen Ausführungen (S.555ff.), in
denen der Vf. „die weitreichenden Folgen der jüdischen Gegen-
reaktion" deutlich macht - „weitreichend" nicht nur für die
Konstituierung einer ganz bestimmten „Gesetzesfrömnhgkeit"
im palästinischen Judentum (der Vf. spricht in diesem Zusammenhang
von der Herausbildung einer „Tora-Ontologie":
S. 557ff. und S. 567ff. sowie bereits S.307ff.), „weitreichend"
vielmehr auch und gerade im Hinblick auf den „Hintergrund"
für die Verkündigung Jesu wie auch für die „eschatologisch-
revolutionäre Bewegung" des Urchristentums.

Der Rez. ist sich bewußt, mit dem allen nur einen sehr ungefähren
Eindruck von Anlage und Absicht dieses auch und gerade
für ein sachgemäßes Verständnis des Neuen Testaments grundlegenden
Werkes vermittelt zu haben. Kritische Bemerkungen
zu Einzelproblemen vorzutragen, verbietet sich an dieser Stelle
und ist auch angesichts der Fülle des Gebotenen mißlich. Daß
das Buch mancherlei Angriffsflächen bietet (vor allem im Kapitel
III), ist nur natürlich. Immerhin soll abschließend wenigstens
auf ein Grundproblem hingewiesen werden: Der Vf. versteht
am Ende seines Buches die „aus dem Judentum herausgewachsene
Urkirche" als eine „von prophetischem Geist getragene
Reaktion" gegenüber der das Judentum jener Zeit
beherrschenden „Gesetzesfrömmigkeit" (S.569f. sowie S.563f.).
Es scheint so, als käme auf solche Weise - d. Ii. auf Grund solcher
Gegenüberstellung „prophetischer Geist" einerseits - „Gesetzesfrömmigkeit
" andererseits - auch im vorliegenden Buch eine in
der gegenwärtigen Forschungssituation gewiß verständliche,
nichtsdestoweniger jedoch die tatsächliche Probieniii tik vereinfachende
Tendenz zum Ausdruck, demzufolge sich die Frage
nach dein ITrsprungszusaramenhang Judentum - Urchristentum
im Rahmen der Alternative „Apokalyptik" einerseits -
„Gesetzesfröinmigkeit" (bzw. „Tora-Ontologie") andererseits
beantworten ließe. Vor solcher Sicht der Dingo sollte aber bereits
die Feststellung bewahren, daß eine ganze Reihe jener Prädikationen
, die im Bereich jüdischer „Tora-Ontologie" eben auf
die Tora angewandt worden sind, im Urchristentum sodann auf
Christus „übertragen" worden sind (vgl. immerhin S.291f.!).
Solche kritische Bemerkung sei hier jedoch wirklich nur als
Aufraffe an den Vf. formuliert, zumal sie den grundlegende

Charakter seines Buches keineswegs mindert, und es im übrigen
gerade zu den Vorzügen dieses Buches gehört, daß es nicht endgültige
und tradierbare „Ergebnisse" und Lehrsätze vermittelt,
die in der gegenwärtigen Forschungssituation ohnehin nicht zu
erwarten sind, sondern vor allem die sachgemäßen Fragestellungen
bzw. die Richtung und das „Gefälle" anzeigt, in denen das
Neue Testament bzw. das Urchristentum zu verstehen ist.
Gerade in diesem Sinne ist das vorliegende Werk - nicht zuletzt
durch die vorzüglichen Register - ein geradezu unentbehrliches
Arbeitsinstrument, das gleichermaßen dem Judaisten wie auch
dem Neutestamentier nicht dringlich genug empfohlen werden
kann. Es bleibt nur zu hoffen und zu wünschen, daß der Vf. in
nicht allzu ferner Zeit die von ihm selbst (S.2) in Aussicht gestellte
Fortführung seiner Studien bis zum ersten nachchristlichen
Jahrhundert vorlegen kann.

Jena Hans-Friedrich Weiß

Gruuebaum-Ballin, P.: Joseph Naci duc de Naxos. Paris-La
Haye: Mouton 1968. 173 S. gr. 8° = Ecole Pratique des Hau-
tes fitudes, Sorbonne. 6eSection: Sciences ficonomiques et
Sociales. Stüdes Juives XIII. ffr. 36,-.

Iu diesem Buch tut sich ein Kapitel Geschichte am Rande der
spanisch-portugiesischen Inquisition auf. Die Hauptpersonen
werden zwar nicht von ihr verschlungen, aber doch umhergetrieben
und bedroht: in Lissabon, Antwerpen und Venedig
zeigt sich das bunte Leben der reichen Kaufleute des 16. Jahrhunderts
, unter ihnen besonders das der Mammen, die immer
wieder versuchen, trotz der Zwangstaufe ihr jüdisches Leben zu
retten, ständig in Gefahr, daß ihr Geheimnis entdeckt werde, auf
der Suche nach einem halbwegs sicheren Ort, bis auch dort der
christliche Fanatismus ausbricht und sie vertreibt.

Einen Platz der Sicherheit und Freiheit erreichte endlich ein
Teil der Familie Mendez nach abenteuerlichen Reisen und längeren
Stationen in den genannten Städten. Donna Grazia Mendez
mit ihrer Tochter Reyna und dem Neffen Juan Micas flüchteten
mit einem Teil ihres Vermögens nach Konstantinopel (1552). Der
letztere bekannte sich dort offen zum Judentum, nahm den
hebräischen Namen Joseph Nassi an und heiratete Reyna. Seine
ausgedehnten Beziehungen zu europäischen Handelshäusern
und zu diplomatischen Kreisen sowie seine Gewandtheit und
sein einnehmendes Wesen verschafften ihm am Hofe des Sultans
Suleiman des Prächtigen einen Einfluß, der sich noch steigerte,
als den Thron dessen Sohn Selim bestieg, mit dem Joseph eine
feste Freundschaft verband. Selim setzte seinen Freund als
Herzog auf der Insel Naxos und dem umliegenden Archipel ein
(1566). Joseph betraute mit der Verwaltung seines Herzogtums
den aus Spanien stammenden Franz Coronello, den auch ein
marranisches Schicksal bis dahin umhergetrieben hatte. Zwar
soll Joseph Nassi nie selbst auf seinen Inseln gewesen sein, bezog
aber reiche Steuern und Abgaben von dort, die hart eingetrieben
wurden. Mit seinem Reichtum übte er, und besonders auch die
beiden Frauen, eine ausgedehnte Wohltätigkeit aus. Donna
Grazia war bekannt für die Hilfe, die sie den in katholischen
Ländern verfolgten Marranen zukommen ließ. Joseph Nassi erhielt
vom Sultan die Erlaubnis, die Stadt Tiberias am See
Genezareth wieder aufzubauen. Er leitete eine große Besiede-
lung ein, pflanzte Maulbeerbäume für eine Seidenraupenzucht
und rüstete ein Schiff aus, das zahlreiche Verfolgte aus Europa
brachte (1564). Der Widerstand der Araber ließ den Plan jedoch
bald scheitern und Josephs Aufmerksamkeit wurde durch die
zahlreichen Geschäfte in der Nähe in Anspruch genommen.
Neben Handels- und Verwaltungsaufgaben betätigte er sich
auch diplomatisch. Er verhandelte mit Kaiser Maximilian II.
und dem polnischen König Sigismund August und hatte einen
starken Anteil am Zustandekommen des Krieges gegen Zypern
(1570). Dem Streit Nassis mit dem französischen Königshof
sind zwei ganze Kapitel gewidmet, wobei ein ausgedehnter
Briefwechsel mit all seinen Floskeln, zum Teil wörtlich, in altertümlichem
Französisch zitiert wird. Joseph versuchte vergeblich
, eine Schuld von 150000 Talern einzutreiben. Endlich
erreichte er vom Sultan das Recht, zum Ersatz französische