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Ausgabe:

1970

Spalte:

335-336

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lys, Daniel

Titel/Untertitel:

La chair dans l'Ancien Testament "bâsâr" 1970

Rezensent:

Schunck, Klaus-Dietrich

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Seite 1

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335

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 5

33«

oftmals erheblich ab; die textkritische Analyse ist das eigentliche
Ziel der Arbeit. Durchgehend zeigt sie das Bemühen, alle
dafür nur irgend in Frage kommenden Begriffe mythisch zu verstehen
und danach den Text, mit vor allem aus Ugarit gewonnenen
Maßstäben, weitgehend neuzuinterpretieren. Statt
der eines Randthemas wird dadurch den Todesvorstellungen
eine zentrale Rolle, vor allem in den Psalmen, zugewiesen (vgl.
211); die Unterwelt erscheint als die große Kehrseite der Welt
(„a negative counterpart of the earth", 212), die zugleich mit
dem Ort der Chaosmächte identisch ist (deshalb die Hineinnahme
der tehöm-Vorstellungen, 59-66). Der Tod wird als
Person verstanden („Sir Death", 99-128; 160ff.) als der allerdings
unterlegene große Gegenspieler Jahwes (196ff.). Der
Mythos, zwar gebrochen (196), behält in dem ganzen Themenkreis
eine beherrschende Stellung für das Verständnis des alt-
testamentlichen Textes.

Ein Rez. von Dahoods Psalmen-Kommentar4 hat diesen sehr
treffend charakterisiert, indem er ihn als einen Versuch bezeichnet
, die Reinterpretation des hebräischen Textes von der
Nordwest-Semitischen Kultur, speziell von der ugaritischen
Grammatik und Literatur her so weit wie nur irgend möglich
zu treiben. Er erinnert demgegenüber an die Verantwortung des
Exegeten „for probable rather than possible explanations".
Möglich ist manches von dem hier Gebotenen: das kanaa-
näische Weltbild hat gewiß Spuren in den alttestamentlichen
Vorstellungen von Tod und Jenseits hinterlassen. Ihre noch voll
mythische Lebendigkeit wird jedoch vielfach weit übertrieben,
und auch bei bestimmten Einzelthemen muß man das Recht der
vorgenommenen Einordnung ernsthaft bestreiten: Daß das
Wort 'eres als solches „Unterwelt" bedeuten kann (23-46), wird
nicht überzeugend erwiesen (129ff. wird im dreigestockten
Weltbild aufgezeigt: „The abode of the dead is under the earth",
135), und vor allem verkennt z.B. die Identifikation des „Feindes
" ('oyeb) in den Psalmen mit dem „Erzfeind Tod" (llOff.)
die Gattung des „Gebetes des Angeklagten" und damit den
kultrechtlichen Aspekt vieler Psalmen. Auch viele offensichtlich
rein bildliche Ausdrücke („verschlungen werden", „in den Staub
werfen" u.ä.) werden wenig begründet remythisiert (ist z.B.
der „Staub" wirklich in diesen Wendungen der „miry bog" der
Unterwelt, 56?). Zu fragen ist auch, wieweit die vielfach in Übersetzung
und Deutung noch ganz unsicheren ugaritischen Textbelege
den ihnen abverlangten Dienst als überzeugende Parallelen
leisten können.

Wo der Bereich des Mythus für in Wirklichkeit recht verschieden
beheimatete Vorstellungen pauschal in Anspruch genommen
wird, verläßt die Arbeit den Boden einer nüchternen
Exegese. Als Materialsammlung für den behandelten Vorstellungskreis
behält sie ihren Wert, kann als solche jedoch nur
mit kritischen Vorbehalten benutzt werden.

Zahlreiche Druckfehler und Ungenauigkeiten, besonders in den
deutschsprachigen Zitaten. Sinnentstellend vor allem: „Das wirkt
(str.: sich) bis in die Sprache der alttestamentlichen und babylonischen
Psalmen (nicht Sprachen) hinein ..." (136). - „Entgegengesetzte
Räume" (nicht: „gegensätzte") (137). - „Beides
(nicht: Beide) ist naturgemäß ..." (140, A. 48). - „The Interchange
of the Prepositions be (nicht: beth) and min..." (146, A. 84). -
„Moran" (181, A. 27). - 2Kön5,17 (nicht: 15,27) (208, A. 160).

Bochum Henning Graf Reventlow

1 Vgl. ZAW 81, 1969 S.435.

2 M.Dahood, Psalms I. The Anchor Bible 16. Garden City, N.Y.
1966.

3 M.Pope, Job. The Anchor Bible 15. Garden City, N.Y. 1965.
« David A.Robertson, JBL 85, 1966 S.484-86, 484.

Lyg, Daniel: La chair dans l'Ancien Testament „Basar". Paris:
Editions Universitaires [1967]. 176 S. gr. 8° = Encyclopedie
Universitaire. ffr. 24,70.

Nach den gründlichen Studien über „Nephesh" (1959; besprochen
in ThLZ 84, 1959 Sp.908f.) und „Rüach" (1962)

rundet D.Lys, Professeur d'hebreu et d'Ancien Testament ä la
faculte de th£ologie protestante de Montpellier et au Chicago
Theological Seminary, mit der vorliegenden Untersuchung den
Kreis seiner sehr förderlichen Beiträge zur Anthropologie des
Alten Testaments ab. Dem inneren Zusammenhang dieser drei
Arbeiten entsprechend, folgt auch diese Studie dem bereits in
den Parallelarbeiten angewandten Aufriß. Das heißt, grundlegend
für den Gang der Untersuchung ist ein chronologischer
Rahmen, der von den ältesten Texten, also der vorprophetischen
Zeit, bis zur Zeit des frühen Judentums hinunterreicht (Kap.
III-VII = S. 27-107). Dieses Schema wird ergänzt durch eine
Analyse der einschlägigen Texte in der lyrischen Literatur
(Kap. VIII = S. 109-116) sowie der Weisheitsliteratur (Kap. IX =
S. 117-129) und von einer statistischen Übersicht über das Vorkommen
der Vokabel (Kap.I = S. 15-21) sowie einer kurzen
etymologischen Erörterung (Kap. II = S. 23-25) eingeleitet.
Sowohl die statistischen Angaben als auch die chronologisch
angelegten Kapitel sind dann wiederum nach historischen, prophetischen
und rechtlichen Texten aufgeteilt.

Zweifellos liegt bereits in dieser Anordnung ein großer Vorzug
der Arbeit, die so nicht nur gute Übersichtlichkeit (die durch
vier Indices noch erhöht wird) bietet, sondern vor allem auch eine
eventuelle Entwicklung bzw. einen Bedeutungswandel des behandelten
Begriffs leicht erkennbar werden läßt. Dennoch ist der
Vf. gerade in dieser Hinsicht - und das macht seine gründliche
wie umsichtige Arbeitsweise bereits deutlich - mit Schlußfolgerungen
sehr zurückhaltend. Vielmehr liegt das eigentliche
Ergebnis der Arbeit, das in einem abschließenden Abschnitt
„Bilan" (S. 131-149) noch einmal zusammengefaßt wird, in
einer theologischen Gesamtschau und Wertung des Begriffes
basar. Ausgehend von der Feststellung, daß das 273 Mal belegte
hebräische Wort basar bzw. seine aramäische Entsprechung
besär sich an 104 Stellen auf eine tierische Fleischsubstanz bezieht
, an 169 Stellen jedoch einem Menschen gilt, kommt Lys
zunächst zu der Aussage, daß der Begriff basar im AT in gleicher
Weise das .Fleisch' des Tieres, das vom Menschen als Nahrung
verzehrt wird, wie auch den , Körper' des Menschen bezeichnet.
Hinsichtlich des oft gebrauchten Ausdrucks .alles Fleisch', der
in Parallele zu Jede Seele' (vgl. Josl0,28ff.) steht und sich auf
die Tiere ebenso wie auf den Menschen bezieht, wird sodann die
Auffassung vertreten, daß damit die Einheit des Lebewesens,
also der lebendigen Kreatur, im Unterschied zu der in anderen
Kulturen üblichen Dichotomie in zwei Elemente, ein körperliches
und ein geistiges Element, bezeichnet werden solle.
.Alles Fleisch' läßt sich somit am besten mit ,tout etre', .jedes
Lebewesen', .jedermann' wiedergeben.

Das vom Vf. herausgearbeitete Ergebnis gipfelt in den Feststellungen
, die das Verhältnis von Gott zu den fleischlichen
Lebewesen betreffen. Die genaue Analyse aller einschlägigen
Stellen ergibt hier eindeutig, daß der Ausdruck basar niemals
auf Gott angewendet wird, - ein Ergebnis, das nicht nur für die
,imago-Dei'-Frage von Nutzen sein kann, sondern rückwirkend
nun auch den Menschen als sterblich und schwach erscheinen
lassen muß (vgl. Gen6,3; Jerl7,5 u.a.).

So ist auch diese dritte anthropologische Studie von Lys eine
Arbeit, die man mit viel Gewinn liest. Die scharfsinnigen Analysen
und die unter exakter Beachtung der zeitlichen Ansetzung
der einzelnen Belegstellen daraus abgeleiteten Folgerungen -
immer unter Rückbeziehung auch auf die Begriffe naepaeä und
rüah, deren enge Zusammengehörigkeit dann auch in einer die
drei Begriffe vergleichenden Tabelle am Ende der Untersuchung
noch einmal anschaulich deutlich wird - vermitteln zahlreiche
Anregungen für ein eigenes Durchdenken der anthropologischen
Begriffe im AT. Auch dann, wenn man dem Vf. nicht in jeder
Deutung folgen wird, bleibt die theologische Gesamtschau sehr
nützlich und in ihren Ergebnissen überzeugend, so daß die vorliegende
Studie als die z.Zt. beste Grundlage für jeden, der sich
über den Begriff basar im AT informieren will, gelten darf.
Vielleicht sollte man deshalb auch eine Übersetzung ins Deutsche
erwägen, um so diese Arbeit - natürlich in Verbindung mit
ihren Schwestern über naepaeä und rftah - einem noch größeren
Kreis von Lesern, vor allem auch unter den im Pfarramt
stehenden Theologen, leichter zugänglich zu machen.

Rostock Klaus-Dietrich Schunck