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Ausgabe:

1970

Spalte:

311-312

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Burger, Christoph

Titel/Untertitel:

Jesus als Davidssohn 1970

Rezensent:

Burger, Christoph

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311

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

312

REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN UND HABIL.-SCHRIFTEN

IN MASCHINENSCHRIFT

Burger, Christoph: Jesus als Davidssohn. Eine traditionsgeschichtliche
Untersuchung. Diss. Tübingen 1968. X, 247 S.

Die Arbeit sucht nicht die oft verhandelte Frage wiederaufzurollen
, ob Jesus von Nazareth tatsächlich ein Nachkomme Davids
war. Titel und Thema gehen zurück auf William Wrede, der in
seinem gleichnamigen Vortrag vom Jahre 1904 erklärte: „Ebenso
interessant, wenn nicht interessanter als das behandelte Problem, ob
Jesus wirklich aus dem Geschlechte Davids war, ist jedenfalls die
Geschichte der Davidssohnschaft Jesu in der ältesten Christenheit.
Daß sie eine Geschichte gehabt hat, ist gewiß" (W. Wrede, Vorträge
und Studien, Tübingen 1907, S. 166).

Nach einer knappen Skizze des religionsgeschichtlichen Hintergrundes
werden zunächst die ältesten christlichen Bekenntnis-
formulierungen, danach die einschlägigen Texte der Evangelien,
der Apostelgeschichte und der Apokalypse untersucht. In einem
Schlußkapitel sind die Ergebnisse zusammengefaßt. Für die Geschichte
der Davidssohnschaft Jesu in der frühen Christenheit ergibt
sich: Der älteste Beleg für die Überlieferung von Jesus als
Davidssohn ist im Präskript des Römerbriefes erhalten. Paulus
zitiert in Rom 1,3 f. ein Bekenntnis aus hellenistisch-judenchristlichen
Kreisen, das Jesu Herkunft aus dem Samen Davids bereits
seiner Würde als Gottessohn unterordnet. Im Kontext der paulini-
schen Präexistenzchristologie verliert das .vorläufige" Hoheitsprädikat
noch weiter an Bedeutung und dient schließlich bei Ignatius
von Antiochien, dem das Bekenntnis ebenfalls geläufig ist, zur
Darstellung der Erniedrigung und wahren Menschwerdung des
Gottessohnes.

Fast die gesamte synoptische Überlieferung von Jesus als
Davidssohn läßt sich auf drei Stellen im Markusevangelium zurückführen
(Mk 10, 46-52; 11,1-10; 12, 35-37). Das Motiv findet sich
nicht in der Logienquelle, und Sondergut besitzen Matthäus und
Lukas nur für Jesu Ahnentafel und Kindheitsgeschichte. Der Evangelist
Markus teilt das Bekenntnis zur Davidssohnschaft Jesu, hat
aber nur wenig Überlieferungsstoff zur Verfügung, um in seinem
Evangelium eine entsprechende Darstellung zu geben. Der traditionellen
.Davidssohnfrage' (12, 35—37) ging es ursprünglich um
die Zurückweisung des jüdischen Postulates. Die legendenhaft ausgestaltete
Erzählung vom Einzug in Jerusalem (11,1—10) enthielt
zwar einen Hinweis auf die „kommende Herrschaft unseres Vaters
David", doch wurde Jesus nicht eindeutig als der „Sohn Davids"
ausgerufen. Markus hilft diesem Mangel ab, indem er die Blinden-
heilung von Jericho (10,46—52) um den Anruf „Sohn Davids .. ."
erweitert, darauf ein Schweigegebot folgen läfjt, die Anrede wiederholt
und den ganzen Komplex so plaziert, daß in den folgenden
Kapiteln 11 und 12 die Stücke seiner Überlieferung unmißverständlich
von Jesus als Davidssohn handeln. Dank dieser Anordnung
büßt die ,Davidssohnfrage' ihre polemische Schärfe ein und bringt
nunmehr zum Ausdruck: Jesus ist nicht nur Davidssohn! Das ganze
Evangelium und besonders die folgende Passionsgeschichte lehrt:
Er ist mehr! Er ist der Gottessohn! Mit dieser Anschauung steht
Markus in auffallender Nähe zu jenem Bekenntnis, das Paulus
und Ignatius vertreten.

Das Bild, das der älteste Evangelist von Jesus als Davidssohn
gezeichnet hat, wird von Matthäus und Lukas übernommen und
weiter ausgeführt. Dabei ist den Seitenreferenten nicht das Mittelstück
dieses Triptychons, sondern jeweils eines der beiden Seitenstücke
besonders wichtig. Matthäus hält sich an die Blindenheilung
von Jericho: Der Davidssohn tut Wunder. Elemente dieser Erzählung
(Mt 20, 29—34) arbeitet er in andere Zusammenhänge ein (9,
27-31; 12,22-24; 15,21-28) und übermalt mit den Farben der
Wundergeschichte sogar den Einzug in Jerusalem (21,1—16). Gegen
die jüdische Anschauung kennzeichnet der Titel .Davidssohn' den
barmherzigen Wunderheiland. Das Prädikat gilt dem irdischen
Jesus, den die Gemeinde jedoch als Kyrios zur Rechten Gottes erhöht
weiß (22, 41—46).

In die Vorgeschichte seines Evangeliums nimmt Matthäus einen
Stammbaum Jesu auf (1,1—17), um auch das genealogische Recht
des Würdetitels darzutun. Es handelt sich dabei um das Werk eines
christlichen LXX-Lesers, das von Abraham in drei Etappen bis zu

Jesus führt und ursprünglich nicht als davidische Ahnentafel Jesu,
vielmehr in der Gestalt einer Genealogie als Abriß der Geschichte
Israels konzipiert war.

Ebenfalls dem Markusevangelium verpflichtet ist der dritte
Evangelist. Den Angelpunkt seiner Auffassung von Jesus als
Davidssohn gibt jedoch die markinische Interpretation der ,Davids-
sohnfrage' ab. Die Blindenheilung bildet in seiner Darstellung
nicht mehr den Auftakt zum Einzug in Jerusalem, sondern wird
innerhalb des Reiseberichtes wieder zu einer Wundergeschichte
unter anderen (Lk 18, 35—43). Beim Einzug in Jerusalem ist jede
Reminiszenz an David getilgt, um politische Mißverständnisse
auszuschließen (19,28—40). Die traditionelle Streitfrage dagegen
(20, 41—44) greift Lukas in der Apostelgeschichte ein zweites Mal
auf und läßt Petrus in der Pfingstrede die Antwort geben: Der
Davidsohn ist Davids Herr, da er auferweckt und zur Rechten
Gottes erhöht wurde (Apg 2, 25—36). Ebenfalls die lukanische Anschauung
vertreten Paulus in Antiochien (13, 23. 32—37) und Jakobus
auf dem Apostelkonzil (15,16—18). Für Lukas stehen die Weissagungen
von Ps 132 (2 Sam 7) und Ps 110,1 nicht mehr im Widerspruch
zueinander, sondern interpretieren sich gegenseitig: Der
Erbe Davids ist dazu prädestiniert, den Thron zur Rechten Gottes
einzunehmen. Die alttestamentliche Verheißung findet ihre Erfüllung
noch nicht im Auftreten des irdischen Jesus, sondern erst in
seiner Auferweckung und Erhöhung. Dem entspricht, daß auch
Lukas einen Stammbaum Jesu bietet (Lk 3, 23—38) und in der Vorgeschichte
seines Evangeliums (1,26—38 ; 2,1—4. 11 aus eigenen
Stücken, 1, 68—79 mit Hilfe täuferischer Überlieferung) die davidische
Herkunft des Kindes unterstreicht, dagegen bei der Darstellung
von Jesu irdischer Wirksamkeit an der Anrede .Davidssohn
' kein Interesse zeigt.

Im Johannesevangelium gilt Jesus als der Mann aus Nazareth
in Galiläa und wird nicht als Nachkomme Davids vorgestellt. Das
jüdische Postulat, der Messias müsse aus Davids Samen und aus
Bethlehem kommen (Joh 7, 40—44), wird als eine Auffassung abgetan
, die dem Wesen des Christus nicht gerecht wird.

In der Apokalypse schließlich begegnen bildhafte Wendungen,
die auf die Verheißung des davidischen Messias anspielen, die
jüdische Erwartung jedoch weit hinter sich gelassen haben. Die
Anspielungen (Apk 3, 7; 5, 5; 21,16) sind unmittelbar dem AT und
der jüdischen Eschatologie entlehnt, doch unterstreichen sie die
Würde des erhöhten Gekreuzigten vor Gottes Thron. Da er der
Herr der Zukunft ist, gewinnen die davidischen Prädikate neuerdings
einen futurischen Aspekt.

Zusammenfassend läßt sich behaupten: Die Vorstellung vom
Davidssohn findet in der Christologie der frühen Gemeinde ungewöhnlich
mannigfaltige Verwendung. In einem frühen Stadium
abgewiesen, dient sie späterhin der Aussage der Inkarnation wie
der Erhöhung Christi, sie charakterisiert die Hoheit des Irdischen
wie des Kommenden und wird nicht zuletzt dem johanneischen
Christusbild entgegengesetzt.

Gaffron, Hans-Georg: Studien zum koptischen Philippusevangelium
, unter besonderer Berücksichtigung der Sakramente. Diss.
Bonn 1969. 443 S.

Im Jahre 1966 schrieb R. McL. Wilson, dem die neuere Gnosis-
forschung u. a. den ersten Kommentar zum koptischen Philippusevangelium
(= EvPh) verdankt: „The Gospel of Philip is still some-
thing of an enigma" (ET 78, 1966 S. 39). Diesem „Rätsel" ein wenig
auf die Spur zu kommen, ist das Ziel der vorliegenden Untersuchung
. Ihr besonderes Interesse gilt der sakramentalen Praxis,
die das EvPh voraussetzt, und deren spekulativer Interpretation,
die es entfaltet.

Teil I („Einleitungsfragen") beschäftigt sich mit dem in der
Forschung umstrittenen literarischen Charakter und der Struktur
des EvPh, dem Problem der Originalsprache, der Vorstellungswelt
und Herkunft sowie den Abfassungsverhältnissen der Schrift. In
einem ausführlichen Exkurs werden die ntl. Zitate und Anspielungen
samt Einführungsformeln auf ihre Textgestalt hin kritisch
untersucht. Ergebnis: Das EvPh ist eine valentinianische, vermut-