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Ausgabe:

1970

Spalte:

307-309

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Küng, Hans

Titel/Untertitel:

Wahrhaftigkeit 1970

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

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Zurückhaltung. Auf jeden Fall wird die relativ spärliche Literatur
zur Liturgiegeschichte der alten und frühmittelalterlichen Kirche
durch die Veröffentlichung dieser Hamburger Dissertation (1964)
um eine gewichtige Monographie bereichert. Auch für die Kirchenmusikgeschichte
(speziell die Vorgeschichte der Orgel im Gottesdienst
sowie die beginnende Mehrstimmigkeit) wird eine Fülle
von Quellen erschlossen. Schließlich ist diese Studie ein wertvoller
Beitrag zur Byzantinistik.

Dresden Christoph Albrecht

Dienst, Karl: „Umfunktionierung" des Gottesdienstes (MuK 39,

1969 S. 252-264).
Ehmann, Wilhelm i Wort und Weise im Kirchenlied (MuK 39, 1969

S. 271-277).

Grotz, H.: Streit um eine liturgische Neuerung. Die Einführung
der altslawischen Liturgie (ZKTh 91, 1969 S. 395-410).

Haberecht, Hans-Georg i Gesprächsgottesdienst — Experiment einer
Gemeinde von heute (ZdZ 23, 1969 S. 425-426).

Harjunpaa, Toivo: An Historical Outline of Hymnody in Finland
(StTh 23, 1969 S. 156-172).

Herbst, Wolfgang: Musik in einer politisch engagierten Kirche
(MuK 39, 1969 S. 264—270).

Jenny, Markus: Ergänzungen zur Liste der Zürcher Gesangbuchdrucke
im Reformationsjahrhundert (Zwingliana XIII, 1969
S. 132-143).

— Das Zwingli-Lied in Königsberg (Zwingliana XIII, 1969 S. 144—
146).

Kamiah, Wilhelm: Der Anfang der Schützbewegung und der musikalische
Progressismus (MuK 39, 1969 S. 207-213).

Neunheuser, Burkhard: Der Beitrag der Liturgie zur theologischen
Erneuerung (Gr 50, 1969 S. 589—615).

Nocent, Adrien: L'acte penitentiel du nouvel „Ordo Missiae":
Sacrament ou sacramental? (NRTh 91, 1969 S. 956-976).

Pouilly, Alfredo: La liturgia domestica (Teologia y vida 10, 1969
S. 218-231).

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Küng, Hans: Wahrhaftigkeit. Zur Zukunft der Kirche. Freiburg-
Basel-Wien: Herder [1968). 240 S. 8° = Ökumenische Forschungen
, hrsg. von H. Küng u. J. Ratzinger. Ergänzende Abt. Kleine
ökumenische Schriften, 1.
Baum, Gregory: Glaubwürdigkeit. Zum Selbstverständnis der
Kirche, übers, von J. Fischer u. F. Schmalz. Freiburg-Basel-Wien:
Herder [1969]. 280 S. 8° = Ökumenische Forschungen. Kleine
ökumenische Schriften, 2.

Beide Bücher gehören eng zusammen, nicht nur, weil sich die
Autoren nahestehen und aufeinander verweisen, sondern hinsichtlich
der Thematik und des Motivs eben diese aufnehmen. Die
Autoren gehören zu den führenden katholischen Reformtheologen,
beide stehen im Kreuzfeuer zwischen den restaurativen Kräften,
die das Konzil möglichst ungeschehen machen möchten, und den
revolutionären Katholiken, die weit über das Vaticanum II hinausgehen
; beide sind angefochten und zugleich provoziert durch die
Absage des ihnen nahestehenden Engländers Charles Davis an die
römisch-katholische Kirche als Institution; beide setzen sich mit
ihm hier auseinander.

Der Amerikaner holt weiter aus. Gregory Baum versucht zum
Selbstverständnis der Kirche dadurch beizutragen, daß er der unzureichenden
„Apologetik von gestern" (3. Kap. 129—152) eine erneuerte
„Glaubwürdigkeit der Kirche heute" (4. Kap. 153—225) entgegensetzt
. Wichtigstes ekklesiologisches Theologumenon ist die
.offene Kirche' (1. Kap. 30—69), die er abschließend als „Die Kirche
von morgen" (5. Kap. 226—268) unter dem Stichwort der ,Unruhe'
und dem soziologischen Modell der .Bewegung' schildert. Der Autor
sieht in der .offenen' Kirche das eigentlich Neue an der durch das
Konzil eingeleiteten kirchengeschichtlichen Wende, da diese nicht
durch eine homogene Entwicklung entstanden sein kann, sondern
als eine .Schwerpunktverlagerung des Evangeliums', als ,ein Sprung
nach vorne' zu beurteilen sei (192/93). Durch diese .neue Antwort
auf Gottes Wort in einer neuen Zeit' sei die Kirche wieder .glaubwürdig
' geworden, bzw. läßt sich ihre Glaubwürdigkeit mit guten
Gründen erweisen, so daß das Mißtrauen ihr gegenüber, das Davis

aus dem Kirchendienst trieb, trotz allen noch verbleibenden unerfreulichen
und .alten' Phänomenen unberechtigt wird. Fragt man
nach dem Grund solcher Zuversicht, dann stößt man auf eine christo-
logisch-pneumatologisch fundierte Lehre vom Worte Gottes, die
sich ekklesiologisch auswirkt. Das Wort Gottes spricht einerseits
durch das Evangelium (Schrift und Tradition!), andererseits aber
ist es (.darüber hinaus'!) „auch in der menschlichen Gegenwartsgeschichte
präsent" (205). Denn „das menschliche Leben, wo immer
es sich vollzieht, ist die Verwirklichung des Heilsdialoges mit
Gott".

Baum betont an dieser Stelle, daß die Pastoralkonstitution „Die
Kirche in der Welt von heute" das erste kirchliche Dokument sei,
das „die Präsenz des Wortes Gottes in der Weltgeschichte und die
Pflicht der Kirche, darauf zu hören, ausgesprochen hat". Er selbst
bringt dies mit dem Gedanken einer .inklusiven' Ekklesiologie (41)
in Zusammenhang, die universalistisch so ausgeweitet werden
kann, daß sie die ganze Menschheit umfaßt und diese repräsentiert
(38)! Bestechend ist an dieser kühnen Neuinterpretation der
alten Inkarnationstheologie, daß mit ihr zwei Desiderien erfüllt zu
werden scheinen: menschliche Selbstverwirklichung in der Geschichte
wird als Weltengagement des göttlichen Geistes gedeutet
und damit die autonome Freiheit des Menschen in das .Heilsgeheimnis
' integriert, um zugleich wieder als .ekklesiales' Geheimnis
(58/59) verstanden zu werden. „Humanisierung" und „ekkle-
siale" Beschlagnahme aller Mitmenschlichkeit ebenso wie aller
„Gnade" (60/61) ergänzen sich komplementär, und eben dies wiederholt
sich dann in der Ökumenismus-Ekklesiologie vermittels
der Konzilsaussagen über die „ekklesialen Elemente" (64 ff.), denen
Baum schon früher besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die
.offene' Kirche ist dann auch dadurch gekennzeichnet, daß sie zwar
die Institution im Zentrum und gemeinsam im Rücken behält,
andererseits aber als .Bewegung' einen neuen Typus des katholischen
Christen gebiert, der als ,dritter Mann' (256 ff. j der Begriff
stammt von Francois Roustand), von der Kirche selbst in ungegän-
gelte und unbedingte Freiheit gesetzt, im Weltdienst des Evangeliums
steht und dadurch der Kirche wieder Glaubwürdigkeit erringt
.

Genau an dieser Stelle baut H. Küng seine .Wahrhaftigkeit'
ein, obwohl er diese schärfer und eindringlicher noch als Baum
der auch von ihm bejahten Institution der Kirche zumutet. Der
Autor sieht sich hinsichtlich seiner prinzipiellen Bestimmung von
Wahrheit und Wahrhaftigkeit in ihrer gegenseitigen Relation in
die Nähe eines protestantischen Verständnisses versetzt, akzentuiert
wohl deshalb auch energisch das Gefahrenmoment eines
einseitigen Wahrhaftigkeitsrigorismus, den er im ganzen dem Protestantismus
anlastet, nicht ohne beachtliche Gegenpositionen zu
zitieren (Küng 103—120). Er begründet seine mit Modellen eines
Verwirklichungsprozesses gekoppelten Forderungen an die Kirche
mit ihrer Zukunftsmächtigkeit (198 ff.). So sehr es ihm dabei um
die Wahrheit des Evangeliums selbst geht (45 ff.), fühlt er sich
dem .Pathos der Wahrhaftigkeit im 20. Jahrhundert' (27 ff.) verbunden
, ja verpflichtet. Küng orientiert sich dabei am modernen
,Tugendwandel' in der Sicht von O. F. Bollnow (92 ff.) und sieht
in der .Wahrhaftigkeit', sofern sie .Offenheit' und .Echtheit' bewußt
anzielt, die unumgängliche Weise eines Sichverhaltens des Menschen
von heute, ohne die dieser sich nicht mehr verstehen kann und mag.
Hier tritt uns, ohne daß dies näher ausgeführt würde, wieder die
Auffassung von G. Baum entgegen, nach welcher sich im menschlichen
Leben, in derGeschichte selbst, die .Verwirklichung'des Heilsdialoges
mit Gotf vollzieht. Der Versuch einer Fruchtbarmachung
des allgemeinen menschlichen Verwirklichungsprozesses in der
Geschichte für die Verkündigung und den Gestaltwandel der Kirche
ist bei beiden Theologen evident.

Dem protestantischen Betrachter will dieses Konzept nicht ganz
so neu erscheinen. Er mag unschwer erkennen, wie sich hier alte,
typisch katholische Denkmodelle erneuern; er wird die Rede von
einem doppelten Wort Gottes nur kritisch aufnehmen und etwa
einem so wahren Satz wie diesem „Die Kirche braucht die Welt,
um wahrhaft Kirche werden zu können" (Baum 206), zwar positiv,
ja dankbar zustimmen, hinsichtlich seiner näheren Bestimmung
jedoch den Dialog mit der Welt strenger als Streit-Gespräch definieren
müssen und die Spannung zwischen Wortgeschehen und
menschlichem Selbstverständnis unter diesem und als Folge desselben
betonen. Zugleich wird die evangelische Theologie aber