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1970

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Praktische Theologie

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

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Dissertation ist eigentlich ein Buch der praktischen Theologie.
Rordorf geht davon aus, daß die christliche Kirche die Grundlage
ihrer Sonntagsfeiern neu überprüfen mufj, weil die Industrialisierung
und die Technisierung des gesamten Wirtschaftsapparates
eine Revision der herkömmlichen Arbeits- und Freizeitordnung
verlangt (S. 5). Da Glaubensentscheidungen nicht aus der jeweiligen
Situation getroffen werden können, sondern in der Kontinuität
mit der Tradition der Kirche und in Konfrontation mit der Bibel
vollzogen werden müssen (S. 289), untersucht Rordorf die Fragen
von Sabbat und Sonntag im Alten Testament, im Judentum, im
Neuen Testament und in der Geschichte der Alten Kirche bis zur
Zeit Konstantins. Mit Hilfe der historischen Untersuchung will er
einen aktuellen Beitrag zum heutigen Gespräch über den Sonntag
liefern.

Der Ursprung der siebentägigen Woche ist unbestimmt. Die
erste greifbare Gestalt liegt im Alten Testament vor, während die
Planeten-Woche sich erst zu Beginn der neuen Zeitrechnung findet,
so daß man vermuten kann, sie sei erst im Anschluß an die jüdische
Woche entstanden (S. 11, 31 u. 35).

Der Sabbat ist im Alten Testament ursprünglich eine soziale
Einrichtung: Nach dem Bundesbuch soll Tieren, Sklaven und Tagelöhnern
am 7. Tag ein Ruhetag gewährt werden. Ex 23,12 (S. 14).
Dann aber werden die Israeliten mit eingeschlossen. Da der Sabbat
ein Jahwe heiliger Tag ist, sollen sie ihn heiligen, Dt 5, 12; Ex 20, 8
(S. 19). In nachexilischer Zeit wurde der Sabbat mit seiner Einsetzung
durch Gott beim Schöpfungswerk die für alle Menschen und
alle Zeiten geltende Schöpfungs- und Heilsordnung (S. 47).

Jesus verwarf die jüdische Sabbat-Lehre und übertrat, wie die
Sabbat-Heilungen zeigen, auf Grund seines Sendungsbewufjtseins
die Gebote der Sabbatruhe. Gott habe den Sabbat für die Menschen
nicht zur Last, sondern zu ihrem Wohl eingesetzt (S. 55—87).

Die Haltung Jesu dem Sabbat gegenüber hatte zur Folge, daß
auch für die Christen sich die Bedeutung des Sabbats änderte (S.87).
Man nahm die jüdische Erwartung vom endzeitlichen Sabbat auf
und erklärte, in Christus sei dieser verheißene Sabbat schon angebrochen
(S. 88—89). Der Christ soll nicht nur den 7. Tag, sondern
alle Tage als Sabbat feiern und sie Gott weihen (S. 99—107). Diese
Aufforderung ist praktizierbar, weil Christus einen „sabbatlichen"
Wandel möglich gemacht hat (S. 107—116).

Die palästinensische Urgemeinde hat den Sabbat noch weiter
gehalten (Mt 24, 20). Auch in den heiden-christlichen Gemeinden
kam das Problem auf, wie man sich am Sabbat verhalten soll. Der
Gal-Brief zeigt, daß Heiden-Christen den jüdischen Festkalender
übernehmen wollten. Aber im großen und ganzen scheint sich die
jüdische Sabbatfeier in den christlichen Gemeinden nicht durchgesetzt
zu haben.

Im dritten und vierten Jahrhundert beginnt in der Christenheit
eine ganz neue Wertschätzung des Sabbats, die aber mit
Judaismus nichts zu tun hat. Man feierte ihn nicht als Ruhetag,
sondern durch Gottesdienste als Erinnerung an die Schöpfung und
ehrte diesen Tag christologisch, weil Christus der Mittler der
Schöpfung war (S. 145).

In der Homilie De semente von Ps. Athanasius MPG 28,144
heifit es: „Am Sabbattag haben wir uns versammelt, nicht, weil wir
an der Krankheit des Judaismus litten — wir lassen uns nämlich
nicht mit dem falschen Sabbat ein —, sondern wir sind am Sabbat
zusammengekommen, um den Herrn des Sabbats, Jesus, zu verehren
" (S. 149 A 128). Der Sabbat wurde als Gedenktag der ersten
durch den präexistenten Christus herbeigeführten Schöpfung und
der Sonntag als der zweiten durch den menschgewordenen und
auferstandenen Christus gewirkten Schöpfung gefeiert. Nach dem
fünften Jahrhundert hörte der Sabbat-Gottesdienst in der Christenkirche
wieder auf (S. 151), wahrscheinlich, weil er in Gefahr stand,
jüdisch begangen zu werden.

Der Sonntag als Festtag ist eine Schöpfung der christlichen
Kirche. Zwar spielte im Mithras-Kult der Sonntag eine gewisse
Rolle, und vielleicht fanden an diesem Helios-Tag auch gewisse
gottesdienstliche Veranstaltungen statt, aber die christliche Sonn-
tagsfeier verdankt ihre Entstehung nicht dem Mithras-Kult (S. 178).
Auch hat sie nichts mit dem vieldiskutierten Sonnenjahr-Kalender
von Qumran zu tun (S. 180—187). Dort gab man dem Mittwoch,
Freitag und Sonntag vor den anderen Wochentagen wohl einen
Vorzug, aber wir hören nirgendwo, daß dieser Tag liturgisch ausgezeichnet
wurde und am Sonntag besondere Gottesdienste gehalten
oder Gebete gesprochen wurden. Die Aussagen über den Sonntag
bei den Mandäern stammen alle aus späterer Zeit (S. 188).

Im Neuen Testament ist der Sonntag 1 Kor 16,1 ff.; Apg 20, 7
und Apk 1,10 bezeugt. Aus Apg 20, 7 erfahren wir, daß die Gemeinde
am Sonntagabend das Brot gebrochen hat — Rordorf mißt
dieser Stelle trotz ihres legendären Charakters hohe historische Bedeutung
zu, weil sie im sogenannten Wir-Bericht steht (S. 193 f.) —,
und Apk 1,10 wird vom „Herrn-Tag" gesprochen. Dieser Ausdruck
erinnert an die Bezeichnung „Herren-Mahl" 1 Kor 11, 20, die offensichtlich
älter ist. Rordorf vermutet, daß der Sonntag „Herren-Tag"
genannt wurde, weil an ihm das „Herren-Mahl" gehalten wurde
(S. 218). Das Brotbrechen habe nicht täglich in der Urgemeinde
stattgefunden, wie man aus Apg 2, 46 geschlossen hat, sondern jeweils
am Sonntagabend, und man kam zu diesem Zeitpunkt zusammen
, weil der Auferstandene seinen Jüngern gerade an diesem
Tag wiederholt erschienen war, als diese eine Mahlzeit einnahmen,
Mk 16,14, Lk 24, 30 f., Joh 20,19 ff. 26 vgl. Apg 10, 41. Diese Erscheinungen
des Auferstandenen waren geradezu eine zweite Einsetzung
des Abendmahls. Daher ist es zu verstehen, daß man nicht
am Donnerstagabend, sondern am Sonntagabend das Herrn-Mahl
gefeiert hat. Urdatum des christlichen Sonntags ist nicht primär die
Auferweckung Jesu, sondern den verschiedenen Mahlzeiten des
Auferstandenen mit seinen Jüngern kommt diese Bedeutung zu.
Rordorf ist sich des Hypothetischen seiner Beweisführung bewußt.
Darum bemerkt er am Schluß dieses Abschnittes: „Der Ursprung
der Sonntagsfeier läßt sich nach dem bisherigen Stand unserer
Kenntnis nicht sicher ermitteln" (S. 233).

Der Sonntag hatte ursprünglich einen rein gottesdienstlichen
Charakter und hatte mit dem jüdischen Ruhetag nichts gemeinsam.
Im Gegenteil, im 13. Kapitel der syrischen Didaskalie wird direkt
zur Arbeit aufgefordert: „All ihr Gläubigen sollt an jedem Tag und
zur jeden Zeit, so oft ihr nicht in der Kirche seid, fleißig bei eurer
Arbeit sein" (S. 159). Erst durch Konstantin wurde der Sonntag zum
gesetzlichen Ruhetag. Bei dieser Gesetzgebung leiteten den Kaiser
nicht primär christliche Überlegungen, sondern er ging aus von der
Planeten-Woche und der Sonnenverehrung des Mithras-Kultes bei
seinen Soldaten (S. 161). Durch die vom Staat angeordnete Arbeitsruhe
erhielt der Sonntag für die Christen den Charakter des alt-
testamentlichen Sabbats.

Auf Grund der historischen Untersuchung kommt Rordorf zu
einer dreifachen Forderung für die Praxis der Gegenwart:

1. Die Kirche soll nicht hinter Jesus zurückgehen. Darum darf sie
die Sonntagsheiligung nicht mit dem Sabbatgebot begründen
(S. 293).

2. Der Sonntag kann nicht, wie es Luther in seinem Großen Katechismus
ausgeführt hat, durch einen anderen Tag ausgewechselt
werden, weil Jesus diese Zeit gestiftet hat (S. 297).

3. Das Abendmahl gehört zum vollständigen Gottesdienst. „Es gibt
keinen Sonntag ohne Abendmahl" (S. 297), er ist ohne Herrn-
Mahl kein Herrn-Tag (S. 300).

Umgekehrt vertritt Rordorf auch die fragliche These: „Es gibt kein
Abendmahl ohne Sonntag" (S. 297).

Die Arbeit von Rordorf ist eine umfassende Darstellung der
Probleme. Mit viel Fleiß hat er die entsprechenden Quellen gelesen
und die einschlägige Literatur durchforscht und das Ganze geschickt
dargestellt. Auf Grund selbständigen Urteils bietet er beachtenswerte
Resultate, wenn man auch nicht jeder Einzelheit zustimmen
kann. Sympathisch ist, daß der Vf. sich des hypothetischen Charakters
mancher Behauptung bewußt bleibt und nicht als sicheres
Ergebnis der Forschung ausgibt, was er auf Grund von Schlußverfahren
gefolgert hat.

Kiel Gerhard Friedrich

Angermeyer, Helmut: Mit Kindern sachgemäß vor Gott reden (Der
Evangelische Erzieher 21, 1969 S. 389—395).

Beer, Ulrich: Alter — Leben ohne Sinn? (Wege zum Menschen 21,
1969 S. 321-334).

Dantine, Wilhelm: Die Praktische Theologie in der Sicht des Systematikers
(Theologia Practica 4, 1969 S. 329—345).

Demmer, Klaus: Kirchlicher Gehorsam zwischen Autorität und
Gewissen (ThGl 59, 1969 S. 403-421).

Dörger, Hans Joachim, Hauptmann, Andreas, und Jürgen Lott:
Thesen zum Problem des Erzählens im Religionsunterricht
(Theologia Practica 3, 1968 S. 169-174).