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Ausgabe:

1970

Spalte:

289-291

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schellong, Dieter

Titel/Untertitel:

Calvins Auslegung der synoptischen Evangelien 1970

Rezensent:

Koch, Ernst

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289

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

290

Beobachtungen sowohl in der Entwicklung der Auslegungen Calvins
wie im Vergleich mit Luther mitzuteilen.

Ein tiefer Einblick in Calvins eigenes Beten wird mit dem Anfang
des dritten Teils gewährt: Die Praxis. Er beginnt mit dem
Abriß einer Geschichte von Calvins Beten in seiner vorreformatori-
schen Zeit über die Bekehrung bis zu seinem Todestag. Daran fügt
sich ein Abschnitt, der die Bedeutung der im vorausgehenden gewonnenen
Ergebnisse für das Calvinbild im ganzen beschreibt:
„Calvin ist ein sehr empfindsamer Mensch. Das ist die Korrektur,
die mit dem Bedenken des Dienstes des Gebetes am Calvinbild
nötig wird" (209). Hier sind auch wichtige Bemerkungen zum
Gottesbild Calvins und zu Calvins prophetischer Fürbitte zu lesen.
Der dritte Abschnitt befaßt sich ferner mit der ekklesiologischen
und ökumenischen Dimension des Gebets sowie mit einer Entfaltung
der Bedeutung der christologischen Ämterlehre für die Gebetspraxis
. Hier wird nochmals hervorgehoben, daß für Calvin die
Mitte der Gebetspraxis in der vom priesterlichen Amt Christi getragenen
Fürbitte liegt. Wichtig ist ein Abschnitt über Calvins vier
Gebetsregeln, die als sein spezifischer Beitrag zur Gebetspraxis
verstanden werden. Den Schluß des dritten Teils bilden kurze Ausführungen
über das angefochtene Gebet und Hilfen zur Perseve-
ranz.

Der Inhalt des Buches wäre seiner Bedeutung nach nur unvollständig
beschrieben, wenn ein Hinweis auf den gewichtigen Anhang
fehlte: Calvins freie Gebete zur Hosea-Vorlesung 1557 Lateinisch-
Deutsch. Diese Gebete fehlen im CR. Sie finden sich in der Genfer
Ausgabe der Vorlesung von 1581 und sind nicht nur der Vollständigkeit
halber wichtig, sondern auch nach ihrer Stellung, ihrer
Form und ihrem Inhalt. Weist Sch. doch wiederholt darauf hin, da5
sich zu ihnen keine Parallelen in der Theologiegeschichte finden.
Sie müßten also den, der sich mit der Geschichte des Gebets befafjt,
zu einer Untersuchung reizen. Wenn in diesem Zusammenhang sogleich
ein Desiderat geäußert werden darf: Vielleicht wäre es für
die Untersuchung befruchtend und belebend gewesen, häufiger als
geschehen auf sichere oder vermutliche Quellen von Calvins Gebetslehre
hinzuweisen. Daß sie vielfach bei Augustin zu suchen sind,
liegt auf der Hand. Aber es ist beispielsweise auch zu fragen ob
nicht Calvin in der starken Betonung des Mittleramtes Christi bereits
in der Züricher Reformation seine Vorgänger gehabt und vielleicht
von dort gelernt hat, wie überhaupt die Bedeutung der Theologie
des Hebräerbriefes für die frühere Reformation einmal einer
besonderen Untersuchung wert wäre. Interessant wäre natürlich
auch ein Vergleich mit Luther und seiner Lehre vom Gebet.

Mit Sch.s Buch liegt eine gründliche Untersuchung vor, die
den Leser wahrhaftig nicht nur mit der Erkenntnis entläfjt, daß
Calvin eben auch ein großer Beter war. Man bedauert lediglich,
daß — sicherlich mit stichhaltiger Begründung — der ganze Komplex
der Liturgik Calvins ausgeklammert ist. Erst nach seiner Einbeziehung
wird man ein einigermaßen vollständiges Bild vom
Dienst des Gebetes nach Johannes Calvin gewinnen. Einige weitere
Fragen, Korrekturen und Ergänzungen zu Einzelfragen wiegen
nicht schwer, so etwa, ob es eben nicht doch Parallelen zu Calvins
Vorlesungsgebeten als »auf die Schrift förmlich geschmiedete Gebete
" (S. 238) gibt, etwa in Veit Dietrichs Summarienkollekten, oder
daß W. Krusche: Das Wirken des Heiligen Geistes nach Calvin,
Berlin 1957, S. 151 ff. und 277 ff., durchaus eine Menge zum Thema
Geist — Amt Jesu Christi zu sagen hat (gegen S. 223 Anm. 180) oder
daß es nicht zutrifft, daß Krusche das Gebet .mit keinem Wort"
erwähnt (S. 77 Anm. 4; dagegen Krusche S. 318 und 324).

Es verdient noch bemerkt zu werden, daß das Buch neben
einem Literaturverzeichnis ein (nicht ganz vollständiges) Namensregister
enthält.

Körner/Thür. Ernst Kodi

Schellong, Dieter i Calvins Auslegung der synoptischen Evangelien.

München: Kaiser 1969. 343 S. gr. 8° = Forschungen zurGeschichte
und Lehre des Protestantismus, hrsg. v. E. Wolf, X, 38. DM 35.—.
Diese Dissertation aus Münster ist eine Untersuchung zu Calvins
Kommentar zur Evangelienharmonie von 1555. Sie enthält
aber mehr als ihr Titel verrät. Vielmehr stellt sie eine gewichtige
Untersuchung zur Theologie Calvins dar. Sorgfältig werden das
Kommentarwerk Calvins in das exegetische Wirken der vor- und
nebenealvinischen Reformation eingeordnet und die Prinzipien

von Calvins Schriftauslegung herausgearbeitet, bevor sich die Arbeit
ihrem eigentlichen Thema zuwendet. Im Blick auf die Calvinforschung
, deren Gang knapp und mit treffsicher wirkenden Urteilen
versehen vorgeführt wird, betont sie die Aufgabe, daß man
nach den vielen Gesamtdarstellungen theologischer Problemkreise
nunmehr werde in die Einzelheiten einsteigen müssen, um den verschiedenen
Calvindeutungen einen höheren Grad von Gewißheit
zukommen lassen zu können. Auch sei es nun an der Zeit, einmal
dem Schriftausleger Calvin bei seiner Arbeit zuzuschauen. Die
Untersuchung geht weiterhin so vor, daß sie Calvins Behandlung
des synoptischen Problems nachgeht, sodann die Methode der Auslegung
darstellt und schließlich Calvins hauptsächlichen sachlichen
Anliegen im Kommentar folgt

Vorgänger in der Behandlung des synoptischen Problems hat
Calvin im wesentlichen in Augustin, Andreas Osiander und Bucer.
Calvin selbst folgt Bucer in der Ausklammerung von Joh. und
kommt damit als erster zur Erstellung einer Synopse. Die sich ergebenden
Schwierigkeiten überwindet er mittels zweier Grundthesen
: Die Evangelien können sich nicht widersprechen, und: Die
Evangelisten legen keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Die Verbalinspiration
wurde jedoch trotz immer wiederholter Behauptungen
(die durch W. Krusche am gründlichsten widerlegt wurden) nicht
zuerst durch Calvin, sondern durch Osiander vertreten, auf den
Calvin reagiert. Kennzeichnend für ihn ist, daß er die ganze Frage
unter dem Aspekt der göttlichen Autorisierung und des menschlichen
Gehorsams sieht (Sch. untersucht das Inspirationsproblem
dankenswerterweise sehr ausführlich).

Ähnlich sieht Sch. bei Calvin die Spannungen zwischen dem
geschriebenen Wort und dem darin bezeugten Heil. Das geschriebene
Wort ist Instrument in der Hand Gottes. Hier prägt sich ein
gewisser Theozentrismus in Calvins Theologie aus. So kann die
evangelische Geschichte maßgeblich unter dem Gesichtspunkt des
Nutzens betrachtet werden. — Auch in seiner Methodik knüpft
Calvin an Bucer an, der sich scharf mit der allegorischen Deutung
auseinandergesetzt hatte. So wird die biblische Geschichte in erster
Linie zum Exempel, und die Auslegung sieht in ihr typische Geschichte
, die energisch auf den Wortsinn hin zu befragen ist. Calvins
Interesse am historischen Jesus läßt ihn im Gegensatz zum Karfreitag
wenig eigene und überzeugende Aussagen für das Ostergeschehen
finden. Auch die Wunder sind typische Geschichten —
Gott handelt immer so (der Unterschied zur allegorischen Auslegung
tritt deutlich bei einem Vergleich mit der altkirchlichen
Exegese zutage). Im exegetischen Verständnis der evangelischen
Geschichte finden sich natürlich auch Anspielungen und Bezugnahmen
auf die Zeitgeschichte.

Zu den theologischen Hauptthemen von Calvins Kommentar
gehören nach Sch. die Bundeslehre, die Christologie und der Reichsgedanke
. Für die Bundestheologie hat Calvin nach Sch. viel von
Zürich gelernt. Sie wirkt sich in der Synoptikerauslegung vor allem
auf die Auffassung vom Alten Testament als Wortzeugnis und als
Autorisierung des Evangeliums aus sowie auf das Verständnis
Johannes des Täufers und der Sakramente, was von Sch. ausführ
lieh belegt wird. Aber auch das Gesetzesverständnis wird durch die
Bundestheologie bestimmt. „Calvin erklärt die Weisungen Jesu
nicht christologisch, sondern umgekehrt Christus vom Gesetz aus"
(S. 258). In der Darstellung der Ämterlehre stellt sich Sch. auf die
Seite der Interpreten, die bei Calvin eine Zweiämterlehre vertreten
sehen. Die Zweinaturenlehre prägt sich im Kommentar so aus, daß
Calvin die Lebensäußerungen Jesu auf je eine der beiden Naturen
verteilt. Kennzeichnend für Calvins Kommentar ist auch der ständige
Ausblick auf das Ziel des Weges der Gemeinde, das ihr auch in der
Anfechtung Friede, Freude und Geduld verleiht. Sch. schließt die
Untersuchung ab mit einer Übersicht über Calvins Auslegung des
Herrengebetes.

Es liegt gewiß in der Natur der Sache, daß in diesem Buch
irgendwann so gut wie alle großen Themen der Theologie Calvins
in der Sicht seiner Synoptikerexegese zur Sprache kommen. Was
die Ausführungen Sch.s, abgesehen von dem gut lesbaren Stil, so
lebendig macht, ist der ständige Rückbezug auf die zeitgenössische
Theologie, die übrigen Schriften Calvins und das ständige Gespräch
mit der Sekundärliteratur. Hier und da findet sich auch ein Vergleich
mit der modernen Exegese (S. 252 ff.) und die Auseinander
Setzung mit der modernen Hermeneutik (Ebeling, S. 111 f.). Es ist
gut und fruchtbar, den Denker Calvin einmal auf einem begrenz-