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1970

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

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von Bec auf Grund der Lehrvorträge des Meisters und zum Teil
wohl auch noch unter dessen Aufsicht niedergeschrieben worden,
erhielt aber seine endgültige Gestalt erst nach Anselms Tod. Den
Editoren gelang der Beweis, daß die verschiedenen als „De mori-
bus" oder „De similitudinibus" auftauchenden Fassungen nichts
anderes als zwei Rezensionen ein- und desselben Werkes sind.
Die frühere „De moribus" kann auf die Zeit vor 1109 und nach
Bec datiert werden, während die spätere „De similitudinibus"
nach Canterbury gehört und circa 1115 entstand. Die Edition (p.
39 —104) folgt der bisher ungedruckten Erstfassung. — Sodann
werden der anonyme „Liber ex dictis beati Anselmi" und die ihm
beigegebenen „Mircula" ediert (p. 107 — 270). Als Verfasser konnte
der Mönch Alexander von Canterbury identifiziert werden, der
seinen Erzbischof aus England ins Exil begleitet hatte. Auf die
Exilszeit verweisen manche Stellen. Das dann 1109 bereits fertige
Werk wurde in überarbeiteter Form 1115 dem Papstlegaten
Anselm von St. Sabas in Rom gewidmet, einem Neffen des Erz-
bischofs. Aber noch 1123 erfolgte ein Nachtrag. Abgesehen von
ihrem Zeugniswert für die Aufnahme anselmischer Gedanken
durch einen Schüler ist die Gesamtschrift für den Kirchenhistoriker
gerade wegen der Wundererzählungen von hohem Interesse. Sie
beziehen sich größtenteils auf zeitgenössische Ereignisse und Persönlichkeiten
, etwa auf Papst Gregor VII., worüber Schmitt schon
1950 in den „Studi Gregoriani" berichtet hat. Als Berichterstatter
und Quelle des Autors erscheint, wenigstens in der zweiten Rezension
, zumeist Abt Hugo der Große von Cluny, nicht Anselm.
Offensichtlich ging es um eine gewisse Entlastung des Erzbischofs
gerade in einer durch zahlreiche Ausschmückungen erweiterten
Fassung. Die Edition bietet die überarbeitete Form der „Dicta"
mit den Varianten der Recensio prior im Anmerkungsapparat,
während man sich wegen der großen Textverschiedenheit bei den
„Miracula" zum parallelen Abdruck beider Fassungen entschließen
mußte. — Als dritte Schrift findet sich ein von Anselm während
seines Exils den Mönchen von Cluny gehaltener Sermo „De beati-
tudine perennis vitae" ediert (p. 273 — 291), den Eadmer aus dem
Gedächtnis aufgezeichnet hat. Laut den Darlegungen der Editoren
muß die Predigt in die Jahre 1097 oder 1100 datiert werden. Die
schriftliche Ausarbeitung der dem Mönch Wilhelm von Cluny gewidmeten
Erstfassung dürfte bald später erfolgt sein, doch kamen
noch zwischen 1115 und 1124 Nachträge hinzu. — Den Band abschließend
werden (p. 295 — 360) aus verschiedenen Handschriften
unter dem Titel „Miscellanea Anselmiana" kürzere Texte und
Fragmente angeblicher Schriften, Aussprüche und Reden sowie
Dialoge Anselms über diverse Gegenstände zusammengetragen,
besprochen und ediert.

Was die Art der Edition anlangt, so erfordert sie von dem an
die Editionstechnik der Monumenta Germania Historica gewöhnten
Benützer eine gewisse Umstellung und läßt die Frage aufkommen,
wieso nicht einmal in derlei äußeren Dingen eine internationale
Übereinkunft zu erzielen ist. Eine Kontrolle der Textwiedergabe
könnte natürlich nur auf Grund der Handschriften erfolgen, will
man sich nicht auf die Monierung einiger offensichtlicher Druckfehler
beschränken. Facsmilia wurden der Edition nicht beigegeben,
wohl weil keine der benützten Handschriften sich eindeutig als Auto-
graph erweisen ließ. Die für den Historiker interessanten Einleitungskapitel
bringen alles, was dem Benützer des Bandes zu
wissen nötig ist. Drei Indices (codicum; locorum et scriptorum;
rerum et verborum) schlüsseln das Werk auf.

Daß mit einer im ganzen wohlgelungenen Edition zugleich
eine neue mediävistische Editionsreihe vorgestellt wird, ist gewiß
erfreulich, wenn man sich auch fragt, ob nicht in altbekannten
Reihen auch noch Platz und die Begründung einer neuen nicht
vermeidbar gewesen wäre, ist doch der Überblick ohnedies schon
schwer genug zu halten.

Saarbrücken Harald Zimmermann

Congar, Yves: Zwei Faktoren der Sakralisierung des gesellschaftlichen
Lebens im europäischen Mittelalter (Concilium 5, 1969
S. 520-526).

Denzler, Georg: Zur Geschichte des Zölibats. Ehe und Ehelosigkeit
der Priester bis zur Einführung des Zölibatsgesetzes im Jahre
1139 (StZ 183, 94. Jg. 1969 S. 383-401).

Durand, Guy: Les notions de fin intermediaire et de fin secondaire
dans la Tradition thomiste (science et esprit 21, 1969 S. 371—402).

Kottje, Raymund: Klosterbibliotheken und monastische Kultur in
der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts (ZKG 80, 1969 S. 145—
162).

Kunzelmann, A.: Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten
III (Augustiniana 19, 1969 S. 384-486).

Macek, Josef: Der Konziliarismus in der böhmischen Reformation
— besonders in der Politik Georgs von Podiebrad (ZKG 80,
1969 S. 312-330).

Mähl, Sibylle: Quadriga Virtutum. Die Kardinaltugenden in der
Geistesgeschichte der Karolingerzeit. Köln-Wien: Böhlau 1969.
IX. 190 S., 5 Taf. gr. 8° = Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte
, hrsg. v. H. Grundmann u. F. Wagner, 9. Lw. DM 28.—.

Molnär, Amedeo: Per un dialogo di contestazione — Pagine di
storia valdese (Protestantesimo XIII, 1968 S. 147—156).

Murphy, Thomas: The Date and Purpose of the Contra Gentiles
(The Heythrop Journal 10, 1969 S. 405—415).

Smits van Waesberge, M.: Liturgie und mystische Gottesbegegnung
im altniederländischen Traktat „Den Tempel onser sielen"
(ZKTh 91, 1969 S. 501-506).

Valentini, Eugenio: Nuove scoperte sul vero autore dell'Imitazione
di Cristo (Salesianum 31, 1969 S. 265-332).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Lortz, Joseph, und Erwin Iserloh: Kleine Reformationsgeschichte.

Ursachen — Verlauf — Wirkung. Freiburg-Basel-Wien: Herder
[1969]. 360 S. kl. 8° = Herder-Bücherei Band 342/343.
Eines zuvor: Diesem Buch kann man nur hohe Anerkennung
zollen! Es gibt sich dem Titel nach (vielleicht in Anlehnung an H.
Jedin: Kleine Konziliengeschichte, auch Herder-Bücherei, Bd. 51,
19591, inzwischen eine Reihe von Auflagen) als „Kleine Reformationsgeschichte
". Was sich dem Leser hier aber präsentiert, ist weder
dem Umfang noch dem sachlichen Wert nach klein. Nicht alle
Taschenbücher informieren zuverlässig und tiefgründig, die vorliegende
Originalausgabe verbindet jedoch glänzende Darstellung
mit einem gediegenen Stoffangebot.

Viele Fachleute sind — nach den Erfahrungen oft zu Recht —
skeptisch, wenn bedeutende Gelehrte ihre größeren Werke mit dem
dazugehörigen wissenschaftlichen Apparat zugunsten leichterer
Faßlichkeit für ,breitere Kreise' popularisieren und damit notwendig
umfang- und wertmäßig reduzieren. Der Rez. kann nicht verhehlen
, daß er mit Vorbehalten in der genannten Richtung auch an
die Lektüre des anzuzeigenden Taschenbuches herangegangen ist.
Immerhin haben sich beide Autoren zur gleichen Sache bereits
auf vielbeachtete Weise geäußert: Joseph Lortz: Die Reformation
in Deutschland, Bde I u. II, 19655, und Erwin Iserloh: Reformation,
in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. von H.Jedin, Bd. IV, 1967
(beide Werke sind im gleichen Verlag erschienen wie der hier anzuzeigende
Band). Was durfte man also über das bereits Vorgelegte
hinaus erwarten? Sollte man angesichts der Namen der Verfasser
schon gezolltes Lob wiederholen oder hier und da Streichungen
aus den genannten Werken bedauern? Beiden Möglichkeiten soll
hier kein Raum gegeben werden. Die „Kleine Reformationsgeschichte
" kann für sich bestehen; sie ist in sich verständlich und
weist weder unverantwortliche Reduktionen noch für den Leser
ohne Kenntnis der größeren Werke unzumutbare Verdichtungen
auf.

Es ist ein großes Glück, daß sich die beiden römisch-katholischen
Kirchenhistoriker, durch die in hervorragendem Maße ein
Wandel im römisch-katholischen Bild über die Reformation eingetreten
ist, entschlossen haben, ihre Ergebnisse einem unkompliziert
geschriebenen Buch anzuvertrauen. Unkompliziert' meint
nicht, daß die Komplikationen der Reformationsgeschichte ungut
geglättet oder simplifiziert sind, sondern will besagen, daß geschickt
an die entscheidenden Fragestellungen herangeführt worden
ist.

Die Literatur der „Überblicke" und „Einführungen" wuchert
maßlos. Details, die für die Entstehung von Spannungen und Differenzen
konstitutiv waren, gehen dabei oft verloren. Auch das wird
man der „Kleinen Reformationsgeschichte" nicht anlasten dürfen.
Man kann sie schnell, aber auch sehr langsam und bedächtig