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Ausgabe:

1970

Spalte:

274-275

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pesch, Rudolf

Titel/Untertitel:

Naherwartungen 1970

Rezensent:

Strecker, Georg

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

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ten (154; vgl. auch 187. 189). Aber schließlich wird apekdysis tou
sömatos tes sarkos doch wieder (oder auch) als ein Ausdruck des
Vf.s verstanden (155. 197).

In 2,14.15 erkennt L. mit Recht »ein in hymnischen Wendungen
gehaltenes Bekenntnisfragment"; nur die Wendung tois dog-
masin habe der Vf. eingefügt (160).

Die Irrlehrer bieten „eine aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte
Lehre, die ihrer Betonung der Erkenntnis sowie
ihres die Welt verneinenden Charakters wegen als gnostisch oder
— wenn man vorsichtiger urteilen will — vorgnostisch bezeichnet
werden kann" (189). Ihre Lehre und Praxis sei geprägt von dualistischem
(191) und gnostischem Weltverständnis (189). Und von
dem Sinn der stoicheia-Verehrung in diesem Rahmen heißt es:
„Nur dadurch, daß der Mensch sich in huldigender Verehrung zu
ihnen in das rechte Verhältnis setzt, kann er Zugang zum pleröma
(2, 9) gewinnen und göttlicher Erfüllung teilhaftig werden (2,10).
Wie die Beziehung der stoicheia tou kosmou zum pleröma gedacht
ist, wird freilich nicht recht deutlich — ob die Mächte als Repräsentanten
der göttlichen Fülle angesehen werden oder aber als gefährliche
Gewalten, die den Weg zum pleröma versperren und erst
freigeben, wenn ihnen die gebührende Achtung bezeigt wird" (187).
Im zweiten Falle sind die stoicheia tou kosmou praktisch als die
Archonten der Gnosis verstanden. Warum also heißt es unten
(Anm. 2): „Keinesfalls können . . . die stoicheia tou kosmou mit
den Archonten der Gnosis gleichgesetzt werden"? Schließlich kann
ja eine Häresie, die ganz Kleinasien so bedroht, daß der Kol als
Manifest dagegen geschrieben werden mußte, wie ja L. mit Recht
die Sachlage beurteilt, nicht irgendein dörflicher Aberglaube, sondern
eigentlich doch nur d i e Gnosis sein.

Ist nicht der Wunsch der Vater des Gedankens bzw. die
Alternative zweckgebunden gewählt, wenn man über 3,3 sagt:
„Damit ist die schwärmerische Vorstellung, als wäre das Heil in
ungebrochener Fülle sichtbar vorhanden, der Tod bereits verschwunden
und die Auferstehung der Toten schon geschehen
(2 Tim 2,18), entschieden abgewehrt" (194)?

Von der Haustafel 3,18—4,1 heißt es: „Ist der Inhalt der Weisungen
weithin aus der Umwelt übernommen worden, so bedeutet
doch das als Begründung hinzugefügte en kyriö nicht lediglich eine
formelhafte Wendung, die nur zur Verchristlichung des überlieferten
Gutes dient. Sondern alles Leben, Denken und Handeln der
Glaubenden wird der Herrschaft des Kyrios unterstellt. Mit den
Worten en kyriö ist zugleich ein kritisches Prinzip gegeben, um
darüber befinden zu können, welche ethischen Weisungen für die
Gemeinde als verbindlich anzusehen sind" (223). Hier ist m. E. ein
schwieriges sachliches Problem mit Worten zugedeckt worden.
Das en kyriö kann ja auch dazu dienen, einfach die bürgerliche
Moral der Spätantike als Gottes Willen auszugeben. „Galt damals
das ypotassesthai der Frauen als durch Sitte und Herkommen geboten
, so kann doch diese Weisung, die die Gesellschaftsordnung
der Antike voraussetzt, ebensowenig wie das Verhältnis von
Sklaven und Herren als zeitlos gültiges Gesetz betrachtet werden".
(Selbstverständlich! Aber dann geht es weiter:) „Es ist vielmehr
zu beachten, wie sich jeweils die Ordnung menschlichen Zusammenlebens
wandelt, und aufs neue zu prüfen, in welcher Weise der
Christ den Gehorsam gegenüber dem Kyrios in den Ordnungen
der Welt zu vollziehen hat" (2252). Das hieße m. E., daß der Christ
immer der Entwicklung hinterher zu laufen habe. Muß der Christ
nicht auch Ordnungen mit ändern und die neuen Ordnungen mitzubestimmen
trachten? Auch daß mit 4, 1 „das Verhältnis von Herren
und Sklaven eine grundlegende Wandlung erfahren" habe
(231), kann man m. E. so einfach doch heute nicht mehr sagen.

Dagegen ist die Erklärung der Zeichnung des Pls als des Gefangenen
und Leidenden im Kol und im sonstigen deuteropaulini-
schen Schrifttum m. E. vorzüglich (236 f.).

Schließlich noch ein Wort zu Kolossae als Adresse des Phlm.
Die Frage, auf die diese Hypothese L.s die Antwort ist (Warum ist
die kleinasiatische antignostische Streitschrift, die unser Kol ist,
eigentlich als Brief ausgerechnet nach Kolossae aufgemacht?), erscheint
mir als sehr richtig und wichtig. Aber L.s Antwort ist nicht
die einzig mögliche. Ich selber stelle mir doch lieber den Phlm in
Rom geschrieben vor und suche Philemon entsprechend irgendwo
in der Nähe von Rom. Zunächst einmal gilt ja: wenn Kol nicht echt
ist, dann ist die Frage nach dem Wohnort des Philemon völlig
offen. Und unsere Streitschrift könnte auch zum Kol geworden

sein, weil der Vf. gemeint hat, seine Vorlage, der Phlm, sei nach
Kolossae gerichtet gewesen, und zwar einfach weil, wie man in
Ephesus gewußt hatte, (ein) Epaphras (vgl. Phlm 23), ein Pls-
Schüler aus Kolossae, vielleicht zusammen mit Tychikus, der Missionar
der Städte des Lykos-Tales war.

Berlin Hans-Martin Schenke

Pesch, Rudolf: Naherwartungen. Tradition und Redaktion in Mk 13.
Düsseldorf: Patmos-Verlag 1968. 275 S„ 1 Beilage, gr. 8° = Kommentare
und Beiträge zum Alten und Neuen Testament. Lw. DM
32.-.

Diese Dissertation aus der katholisch-theologischen Fakultät
in Freiberg i. Br. enthält nicht nur — wie der Untertitel mißverstanden
werden könnte — eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung
der Markusapokalypse, sondern den anregenden Versuch
einer Neuinterpretation des Markusevangeliums, der ein spezifisches
, im einzelnen begründetes Verständnis der Redaktion von
Mk 13 zur Grundlage hat.

Vf. stellt an den Anfang seines Werkes einen Forschungsbericht
über die Geschichte der Exegese von Mk 13 in der Neuzeit,
der zugleich die Geschichte der Markusauslegung im ganzen beleuchtet
(c. I: Zur Forschungsgeschichte seit 1954, S. 19—47), und
diskutiert anschließend die verschiedenen Vorschläge, den Aufriß
des Markusevangeliums zu gliedern (c. II: Kapitel 13 im Aufbau
des Markusevangeliums, S. 48—73). Den vorgetragenen Dispositionen
wird ein eigener Vorschlag gegenübergestellt, wonach dem
Evangelium ursprünglich ein sechsteiliger Aufriß zugrundeliegt:
1, 2-3, 6; 3, 7-6, 29; 6, 30-8, 26; 8, 27-10, 52; 11, 1—12, 44; 14, 1—
16, 8. Dies wird durch stichometrische Überlegungen zu begründen
versucht. Das Mittelstück eines jeden Hauptabschnittes besteht
danach aus zwei oder drei Perikopen; als umfangreicher gelten
demgegenüber jeweils der erste und dritte Unterabschnitt, die
meistens je sechs Perikopen umfassen, also „annähernd gleichlang"
sind; der formale und sachliche Schwerpunkt liegt im Mittelstück
(S. 67 u. ö.). Auffallend ist nun, daß Mk 13 in dieses kunstvolle
Schema nicht einzupassen ist. Trotz seiner dreiteiligen Struktur ist
dieses Kapitel offensichtlich „nicht mit Rücksicht auf symmetrische
Gesichtspunkte gebaut" (S. 65). Was ist der Grund für die genannte
Abweichung? Vf. vermutet ihn in der „hochaktuellen Tendenz von
Mk 13", die auch die zeitlich späte Einarbeitung des Kapitels verständlich
macht; „der Evangelist hat Kapitel 13 erst gegen Ende
seiner Arbeit, kurz vor der Veröffentlichung seines Evangeliums
aus aktuellem Anlaß eingefügt" (S. 67 f.).

Durch einen Überblick über „Die Struktur von Mk 13" (c. III,
S.74—82) möchte Vf. sodann die apokalyptische Rede als ein „kunst-
und wirkungsvoll komponiertes Gebilde" (S. 82) erweisen. Der
häufig wiederkehrende Imperativ ßXeicete (Vv. 5b. 9. 23. 33) wie
auch die ötov-Konstruktion (Vv. 4. 7. 14. 28 f.) setzen deutliche
Akzente, die zur Annahme von drei Haupttcilen, von denen der
erste und der dritte in drei Abschnitte zu unterteilen sind, ausgewertet
werden: 13, 5b-23. 24-27. 28-37 (vgl. S. 78 f.). Eine eingehende
„Analyse von Mk 13" (c. IV, S. 83—202), die eine Kommentierung
der einzelnen Verse des Kapitels gibt, versucht die erkannte
Struktur zu bestätigen und zugleich die im folgenden ausgeführte
Scheidung von Tradition und Redaktion zu begründen.
Für „Die vormarkinische Tradition in Mk 13" (c. V, S. 203—223)
kommen danach in Betracht: „Zusammengehörige Verfolgungs-
logicn" (Vv. 9. 11. 13a), zwei Gleichnisse (Vv. 28b. 34), zwei Einzel-
logicn (Vv. 31. 32) und das bekannte, mit G. Hölscher und W.
Grundmann auf das Jahr 40 datierte apokalyptische Flugblatt, das
nach Ansicht des Vf.s in den Vv. 6. 22. 7b. 8. 12. 13b 14-17. 18? 19-
20a. 24—27 nachgewiesen werden kann; es bürgerte sich in christlichen
Gemeinden Palästinas ein und erhielt im jüdischen Krieg
neue Aktualität; denn „die Naherwartung christlicher Kreise konnte
mit einem solchen Flugblatt . . . heißer entfacht und vielleicht auf
einen Siedepunkt gebracht werden"; so läßt es „die polemisch-
apologetische Redaktion des Evangelisten wohl noch deutlich genug
erkennen" (S. 218).

Nach der Erhebung der vormarkinischen Traditionsstücke ist
„Die Redaktion in Mk 13" (c. VI, S. 224—243) in den Grundzügen
schon gekennzeichnet. Sie wird als „anti-apokalyptisch" charakterisiert
; denn Markus habe die apokalyptisch-schwärmerische Auslegung
des überlieferten Flugblattes in den Gemeinden durch