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Ausgabe:

1970

Spalte:

271-274

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohse, Eduard

Titel/Untertitel:

Die Briefe an die Kolosser und an Philemon 1970

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

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des Kerygmas als Anspruch weiter bezeugt werden" kann (S. 153).
Die ältesten Traditionen sind somit »Bekenntnisse, die Jesus ausgelöst
hat, die dann aber die Zeugen formulierten" (S. 261). Insofern
unser Glaube .immer ein Mitglauben mit den unmittelbaren
Zeugen" ist, gilt es, .an Jesus festzuhalten" (S. 261). Die von den
Zeugen verwendeten Vorstellungen sind austauschbar, sie stellen
nur .Interpretamente" dar (vgl. S. 192 f.), entscheidend ist die
Richtung (vgl. S. 34. 71. 230 f.) bzw. .das, was mit ihrer Hilfe ausgesagt
wird" (S. 262). Darauf den Finger zu legen, ist das besondere
Anliegen von M.; denn .die Frage nach der Aussagerichtung
hat man bisher so gut wie noch nie gesehen" (S. 230). Indem M. die
.Interpretamente" als .Einkleidungen" bezeichnet und ihnen die
.Substanz" gegenüberstellt (S. 192 f.), kommt er in die bedenkliche
Nähe zu einem aufgeklärten Kern-Schale-Denken, das die Historie
entwertet, wobei die Problematik dieses Denkens besonders bei
seinem Osterverständnis in Erscheinung tritt. Zu fragen ist auch,
ob die nach chronologischen Gesichtspunkten erfolgte Zusammenstellung
dieser Vorträge zu einem Band günstig ist; denn es ergeben
sich sehr viele Wiederholungen, wodurch allerdings die
theologische Intention des Autors klar erkennbar wird. Da M. die
Gabe hat, auch die schwierigsten theologischen Probleme in allgemeinverständlicher
Form anschaulich und anregend darzubieten,
ist dieser Aufsatzsammlung eine weite Verbreitung innerhalb der
Gemeinden zu wünschen.

Berlin Günther Baumbach

Lohse, Eduard i Die Briefe an die Kolosser und an Philemon übers,
u. erklärt. Göttingen i Vandenhoeck & Ruprecht 1968. 291 S. gr. 8°
= Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament,
begründet v. H. A. W. Meyer, 9. Abt., 2. Bd., 14. Aufl. Lw. DM
19.80.

Lohse's Kommentar ist sorgfältig gearbeitet, auf der Höhe der
Forschung stehend und aus wohltuend kritischer Haltung heraus
entworfen und geschrieben. Für L. stammt der Kol, besonders
wegen seiner Theologie, nicht von Pls, sondern von einem Vertreter
der Pls-Schule, nach des Pls Tod. Als Abfassungsort wird
Ephesus, das mutmaßliche Zentrum dieser Pls-Schule, angenommen.
Die Adressaten sind nicht nur die Gemeinden des Lykos-Tales,
sondern die ganze kleinasiatische Christenheit, die insgesamt von
der in der Epistel bekämpften Irrlehre bedroht wird. Als Rahmen
der Streitschrift werde der des (echten) Phlm benutzt. Damit hänge
auch die fiktive Adresse .Kolossae" zusammen. Denn der Phlm sei,
und zwar aus der ephesinischen Gefangenschaft des Pls, nach
Kolossae geschrieben worden. Das ist eine eindrucksvolle Konzeption
! Ich selber sehe die Sache ganz ähnlich und freue mich der
Übereinstimmung. Nur wird der Kommentar nicht von dieser Konzeption
bestimmt; vielmehr erscheint sie erst am Schluß (249—257)
und soll eine Art Folgerung aus ihm sein, wirkt indessen wie nachträglich
aufgesetzt. Der Anfang ist nämlich ganz anders als das
Ende! Die Einleitung ist so gehalten, als gehe es um einen Brief,
den der Apostel Pls selber wirklich nach Kolossae geschrieben
habe. Und der Faden, der die Einleitung mit dem Ergebnis zusammenhalten
soll, sieht so aus: die Exegese, d. h. der Kommentar
, selber mufj zeigen, ob die Einleitung stimmt bzw. wie die Sicht
zu modifizieren ist. .Wird bei diesen Analysen und in der Exegese
des Kol vom Vf. bzw. Apostel gesprochen, so ist damit noch keine
Entscheidung über die paulinische oder nachpaulinische Entstehung
des Kol getroffen. Diese Frage soll vielmehr offengehalten und
erst nach Abwägen aller Gesichtspunkte, die bedacht sein wollen,
beantwortet werden" (31). Nun finden sich im Kommentar —besonders
in den Exkursen über Sprache und Stil (133—140) und
über die Gefangenschaft des Pls (234—237) — durchaus auch derartige
Erwägungen, aber im großen und ganzen paßt diese Ankündigung
gar nicht zu dem Stil von L.s Kommentierung. Diese Kommentierung
wird beherrscht von der Frage nach der Bedeutung der
Wörter und sprachlichen Wendungen und nach deren Funktion im
größeren Kontext der Paulinen bzw. des NT überhaupt. So liegt der
Akzent notwendig auf dem Allgemeinen und nicht auf dem Besonderen
des Kol, d. h., das besondere Profil des Kol kommt in der
Einzelexegese L.s infolge seiner Methode notwendig zu kurz. Damit
in Zusammenhang steht auch, daß die religionsgeschichtliche
Methode und Fragestellung — wiewohl alles, was gesagt werden
mufj, auch gesagt wird — keine große Bedeutung zuerkannt bekommt
, daß L. in dieser Hinsicht kaum neues Material und neue
Gesichtspunkte einbringt. Nun sieht es auf den ersten Blick aller
dings anders aus, denn ein Kennzeichen von L.s Kommentar ist ja
gerade die Auf- und Einarbeitung der Qumran-Parallelen zum
Kol und Phlm. Aber die betreffen eben, wie L. selber gelegentlich
zugeben muß, nur Sprache und Wendungen der Briefe und nicht
die Sache des für Kol Typischen, das ja auf hellenistischen Einwirkungen
beruht. Wie übrigens L. sich die Qumran-Einflüsse auf
Kol/Phlm durch die hellenistische Synagoge vermittelt vorstellt
(751), so kann er sich, wie es scheint, direkte Einwirkungen aus
dem hellenistischen Bereich — ohne Umweg über die hellenistische
Synagoge — überhaupt nicht denken.

Was die Sache, um die es im Kol geht, anbelangt, so habe ich
L. so verstanden, daß es auf die Vergebung der Sünden (77. 158.
160) und den Gehorsam des Menschen vor Gott ankomme (204 f.
206. 210) und daß im Wissen darum die christliche Weisheit bestehe
, die als der Weisheit der Gegner überlegen aufgewiesen
werde (237). Bei den Begriffen .Erkenntnis" usw. geht das nach
dem Kanon: Weil an bestimmten Stellen „Erkenntnis" sich auf den
Willen Gottes richtet, müsse das an allen anderen Stellen auch so
sein. D i e apostolische Verkündigung wird gegen die .Philosophie"
der Gegner ins Feld geführt und verteidigt. Daß diese (die schon
vorher keine feste Größe war) dabei, in dieser Konfrontation, verändert
wird, bleibt ungesehen und unberücksichtigt. Ob die kosmische
Christologie des Kol legitim oder illegitim, zu bejahen
oder zu bedauern ist, und wie sie in diesem oder jenem Fall sachlich
zu interpretieren wäre, kommt nicht zur Sprache. Es steht für
L. von vornherein fest, daß die Lehre der Gegner Metaphysik ist
und die des Kol deswegen keine. Vgl. einen Satz wie diesen: „Dem
dualistischen Weltverständnis der philosophia wird nicht mit einer
christlichen Metaphysik geantwortet, sondern der geschichtlich begründete
Gegensatz entgegengestellt: Der gekreuzigte, auferstandene
und erhöhte Christus ist der Kyrios, neben dem es keine
anderen Herren mehr geben kann" (191). Das sind m. E. nur Worte!
Auf die Frage, die im Kol selbst offen gelassen wird, wie sich denn
Christi Funktionen als Haupt der Welt und Haupt der Kirche zueinander
verhalten, antwortet L., ohne sie gestellt zu haben, stereotyp
mit einer Formel, etwa: „Seine Herrschaft aber übt er gegenwärtig
aus als das Haupt seines Leibes, der ekklesia" (191; vgl.
96. 179 f. 215). Auch sonst spricht L. im Kommentar all die merkwürdigen
und brisanten Aussagen des Kol direkt oder in Paraphrase
nach, aber eben ohne zu sagen, was sie seiner Meinung
nach bedeuten. M. E. müßte man oder könnte man doch fragen, ob
etwa das im Kol extensiv ausgedrückte Herrentum Jesu von uns
intensiv zu interpretieren sei.

Im einzelnen tritt das Profil von L.s Kommentar weiter heraus,
wenn wir seine Meinung zu einigen Standardproblemen Revue
passieren lassen.

Der Hymnus 1,15—20 ist christlich. (So weit, so gut! Aber
nun:) Er ist den angeredeten Christen (von Kolossae bzw. Kleinasien
), von ihrem Christwerden an, bestens bekannt; mit V. 12
werden sie aufgefordert, ihn anzustimmen. Interpretamente des
Vf.s sind nur tes ekklesias (V. 18) und dia tou aimatos tou staurou
autou (V. 20), und zwar werde durch den zweiten Zusatz eine
theologia gloriae (in der die Adressaten nach L. allerdings zu
Hause wären) durch die theologia crucis korrigiert (102). Der
religionsgeschichtliche Hintergrund der im Hymnus benutzten
Vorstellungen sei im hellenistischen Judentum zu suchen.

1, 24 wird erst rein apokalyptisch erklärt; doch dann heißt es:
„Im Zusammenhang des Kol sind die Trübsale Christi nicht mehr
im Sinne gespannter Naherwartung verstanden" (116). Wie das
zusammenpaßt, ist mir unerfindlich.

2, 9 versteht L. nicht vom präexistenten und erhöhten Christus,
sondern vom Irdischen, und zwar als Interpretation von 1,19. Und
dann heißt es dennoch: .Wenn der Vf. das Wort sömatikös wählt,
um diesen Gedanken auszudrücken, so soll dabei zweifellos ein
Zusammenhang mit den Aussagen über das söma angedeutet werden
. Weil in Christus die ganze Fülle der Gottheit sömatikös
wohnt, darum ist er die kephale pases arches kai exousias (2,10),
die kephale tou somatos (1,18)" (151 f.).

Mit Recht schließt L. aus 2,11, .daß der Begriff peritome dem
Vf. des Kol durch die philosophia vorgegeben war" (153). Doch
liest man mit Verwunderung, daß die Gegner die peritome als
; pekdysis tou sömatos tes sarkos verstanden und praktiziert hat-