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Ausgabe:

1970

Spalte:

264-265

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Werner, Herbert

Titel/Untertitel:

Amos 1970

Rezensent:

Schmidt, Werner H.

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263

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 4

264

Datierung, die Entstehungsgeschichte, das Verhältnis zu der zeitgenössischen
Literatur und die Theologie des Werkes. In Übereinstimmung
mit dem heutigen Interesse werden die Theologie
und das Verhältnis zu ähnlichen Werken besonders nachdrücklich
behandelt. Das bedeutet jedoch nicht, daß die anderen Themata
vernachlässigt worden sind. Wir möchten sagen, daß einige dieser
Themata in geistreicher Weise zur Sprache kommen. Bogaert hat
z. B. die Datierung des Werkes festgestellt mit Hilfe der Zwölf
Drangsale, die in Kap. 27 aufgeführt werden. Diese Drangsale
sollen sich auf historische Begebenheiten beziehen. Er nimmt an,
die neunte Drangsal („Das Fallen von Feuer") weise auf den Ausbruch
des Vesuvius, die zehnte Drangsal („Vergewaltigung und
große Gewalttätigkeiten") auf die Lage Palästinas in der Römerzeit
und die elfte („Unrecht und Ausschweifung") auf die Situation
zur Zeit, da das Werk dargestellt wurde (etwa 96, siehe S. 292—
293). Bogaert nimmt an, das Werk sei geschrieben worden in der
Umgebung der Stadt Jabne (S. 334). Dies hängt zusammen mit der
allgemein angenommenen Ansicht, daß das Werk schriftgelehrten
Kreisen entstammt. Wie es schien, waren die Untersuchungen nach
der ursprünglichen Sprache endgültig abgeschlossen mit der Annahme
, daß es in hebräischer Sprache geschrieben worden sei.
Bogaert hält es nicht für unmöglich, daß das Werk in griechischer
Sprache geschrieben worden sei, und zwar in einer griechischen
Sprache mit starken hebräischen Einflüssen.

Mit dem Text hat Bogaert es sich nicht schwer gemacht. Außer
dem Text des Werkes, wie er in Ambrosianus B. 21 Inf. begegnet,
sind nur einige Papyrusfragmente mit einem griechischen Text
und einige Stellen in einem syrischen Lektionar bekannt. Wir
kennen hingegen neununddreißig Texte mit dem Brief, der dem
Werk angehängt worden ist. Es ist bekannt, daß ein bestimmter
Unterschied aufzuweisen ist zwischen dem Text, wie er als Teil
des ganzen Werkes (Charles: c) und wie er separat in Bibelhandschriften
begegnet. Dieser letzterwähnte Text verzweigt sich in
zwei Gruppen. Es genügt Bogaert, nur drei der neuentdeckten
Handschriften, die je einer der zwei Gruppen zugewiesen werden
können, zu kollationieren. Schließlich stellt er fest: „Les editions
de Charles et de Kmoskö sont satisfaisantes" (S. 55). Wir dürfen
aber sagen, daß Kmoskö in mehr als fünfzig Stellen einen von
Charles abweichenden Text aufweist. Kmoskö neigt dazu, dem
Text c zu folgen. Im allgemeinen würden wir in einer Ausgabe
des ganzen Werkes den Text c bevorzugen. Dieser könnte an
einigen Stellen mit dem in den anderen Handschriften gefundenen
„kirchlichen" Text korrigiert werden.

Bogaert hat das Werk aufgegliedert mit Hilfe einiger Stellen,
in denen gesagt wird, daß Baruch sich zurückzieht, meistens um
zu fasten und zu beten. Es ist deshalb nicht ganz deutlich, warum
er den Teil 1,1 — 12, 4 zusammen nimmt, weil 9, 2 sagt, daß Baruch
und seine Freunde sieben Tage lang fasten. Der sechste Teil fängt
mit 53,1 an, was wieder eine willkürliche Einteilung ist.

Besonders interessant sind die Untersuchungen über das Verhältnis
des Werkes zu der zeitgenössischen Literatur. Separat wird
gesprochen über das Thema der Klage in Jerusalem in der jüdischen
Literatur, über das Verhältnis zu den Restworten Jeremias
und der Pesiqta Rabbati und über die Legenden, die sich auf
Manasse beziehen. In der Auseinandersetzung mit der Theologie
des Werkes werden solche Themata besprochen wie die Wiederherstellung
des Tempels und das messianische Reich. Wir möchten
sagen, daß, wenn das Problem der Quellen eingehender zur Sprache
gekommen wäre, Bogaert gesehen hätte, daß der Autor dieses
Werkes an diesen Sachen nicht interessiert ist und sie darum in
seiner Theologie keine Bedeutung haben.

Die Übersetzung des Werkes ist im allgemeinen gut. Weil
das Werk nur in einer Handschrift vorliegt, sind stellenweise Konjekturen
notwendig. Außerdem erlaubt die syrische Sprache alternative
Übersetzungen. Im zweiten Band findet man Anmerkungen,
die auf diese Schwierigkeiten hinweisen. Darüber hinaus findet
man viele einleuchtende Hinweise auf zeitgenössische und moderne
Literatur.

Nach einer Zeit, in der dieses Werk besonders historischkritisch
untersucht wurde, bedeutet diese Herausgabe in bestimmter
Hinsicht einen neuen Anfang. Bogaert hat gezeigt, wie eine
moderne Ausgabe derartiger Schriften aussehen könnte.

Haren/Niederlande p' A. F. J. Klijn

Werner, Herbert: Arnos. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
(1969). 203 S. 8" - Exempla Biblica, 4. Kart. DM 12.80.

Daß ein Exeget ein für den Unterricht bestimmtes Buch bespricht
, erscheint nur sinnvoll, wenn es auch stark Textauslegung
sein will. Das ist bei diesem Bändchen der Fall. Es informiert gut
und eingehend, indem es bei den Texten, die es exemplarisch
herausgreift, die Amosverkündigung als ganze mitklingen läßt.
Im Literaturverzeichnis vermißt man eigentlich nur die pointierte
Stellungnahme von R. S m e n d, Das Nein des Arnos, EvTh 23,
1963, 404^423. W. betont die Situationsgebundenheit des Prophetenwortes
, stellt darum die zeitgeschichtliche Lage dar und erörtert
mehrfach auch Echtheitsfragen. Die Auslegung ist, soweit möglich,
sehr stark an den Ausführungen von H. W. W o 1 f f orientiert, ja
kann ihm sogar das zuschreiben, was der Exegese schon vor Wolffs
Neuansätzen vertraut war. Aber W. referiert auch sonst häufiger,
so nach A. Alt über das apodiktische Recht, im Anschluß an
Am 1, 2 über J. Jeremias, Theophanie (1965), oder in anderem
Zusammenhang über C. Westermann, Grundformen prophetischer
Rede (-1962). Dabei ist allerdings kritisch zu bemerken, daß
es formgeschichtlich im strengen Sinne einen Botenspruch mit bestimmten
, regelmäßig wiederkehrenden Merkmalen nicht gibt;
deshalb verliert dieser Begriff auch bei W. die präzise Kontur (z. B.
S. 117). Eindeutiges Gattungselement ist nur die Boten (sprach) -
formel „So spricht Jahwe"; ein weiteres, aber nicht notwendiges
Kennzeichen ist höchstens noch das göttliche Ich im Mund des Propheten
(vgl. R. Rendtorff, ZAW 74, 1962, 165-177). - Wäre es nicht
überhaupt angebracht, solche zusammenfassenden Referate in Exkursen
gegenüber der Einzelauslegung abzugrenzen? Dem allzu
kargen Inhaltsverzeichnis läßt sich der Inhalt des Buches wirklich
nicht entnehmen; es gibt nicht einmal Auskunft über die Texte,
die über die engere Auswahl hinaus herangezogen und z. T. besprochen
werden (z.B. S. 83 ff.). Da außerdem ein Register fehlt,
bietet der Band also weit mehr, als man ihm ansehen kann.

Einige m. E. fragwürdige Einzelheiten seien aus der Vielfalt
des Gebotenen herausgegriffen. Da die Vision Am 9,1 ff. formal
ganz anders aufgebaut ist als die beiden Visionspaare Am 7,1—8, 2
(3), ist es wenig wahrscheinlich, daß alle fünf Visionsschilderungen
„einen ebenso einheitlichen Zyklus dargestellt haben wie die
Strophen des Völkerstrophenzyklus" (S. 130. 142). Da Am 3,8
gegenüber den anders gearteten Fragen von Am 3, 3—6 eine neue
Antwort verlangt, bilden auch diese Worte keine ursprüngliche
Einheit (vgl. ZAW 77, 1965, 183 ff.; anders H. W. W o 1 f f, BK
XIV/2, 217ff.). Mit Recht stellt W. z w e i Zielpunkte heraus (S. 148)
und bestätigt damit, daß die Textgruppe keine vorgegebene, sondern
eine nachträglich komponierte Einheit ist, die durch den
deuteronomistischen Zusatz Am 3, 7 zusammengehalten wird. Wie
bei diesem Wort 3,7 so vermißt man auch bei dem Mahnwort
5,14 f., das W. im Anschluß an Wolff ebenfalls für unecht hält
(S. 128), eine Auslegung. Die Allgemeinheit „das Gute" wäre Arnos
ohne weiteres zuzutrauen (vgl. Am 3,10 „das Rechte"), und das
Angebot des Lebens (Am 5, 4) wird in 5,14 f. (6) so stark im Sinne
der Gerichtsdrohung eingeschränkt — die Gnade gilt nur einem
„Rest" und selbst diesem „vielleicht" —, daß die Worte, auch wenn
sie von einem Schüler stammen, zweifellos die Intention des Meisters
wiedergeben. Vor allem dürfte es im Alten Testament einmalig
sein, daß die Gottesrede „Suchet mich!" durch die Aufforderung
„Suchet das Gute!" konkretisiert wird.

Diese Einzelbemerkungen wollen aber keineswegs leugnen,
daß das Buch ein anerkennenswerter Versuch ist, Wissenschaft mit
Intensität und Akribie, aber ohne Simplifizierungen für die Praxis
fruchtbar zu machen — leider ein seltenes Unterfangen! Das
Bändchen hilft dazu, mit den Schülern das Alte Testament aufzuschlagen
; und diese Ermutigung geschieht auf vorteilhafte, sachgerechte
Weise. Als Gesamturteil gilt darum zweifellos: Gut, wer
beim Unterricht so mit dem alttestamentlichen Text vertraut ist,
wie es diese Anleitung ermöglicht! Ob heute allerdings noch ein
Religionsunterricht von Texten her verlockend und möglich ist,
wenn man allgemein den krassen Schwund an Verständnis für
Geschichte und Interesse für „alte" Literatur beklagt? Daß etwa
der Völkerstrophenzyklus Am 1—2 einschließlich der geographischen
und historischen Einzelheiten dem Schüler nahegebracht
werden kann, wie Werner es erstrebt, muß wohl vielfach Hoffnung
bleiben. Er schließt mit einigen Bemerkungen zur Unterrichts-