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Ausgabe:

1970

Spalte:

222-223

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Vossberg, Herbert

Titel/Untertitel:

Luther rät Reißenbusch zur Heirat 1970

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

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einer kirchlichen Mitgliedschaft zu tun haben müsse. Der Weg
zur kirchlichen Einheit könne aber deshalb nicht an irgend einer
Form von Anerkennung der großen Bedeutung des Mönchswesens
für die Kirche als Schule in der Nachfolge Christi vorbeiführen
.

Pelikan schließlich zeigt im Zusammenhang mit dem selben
Thema Luthers Teilnahme am Aufbau der böhmischen reformierten
Kirche. Luthers Teilnahme besteht in seiner Auslegung
des kirchlichen Amtes, dessen Fundament nicht die apostolische
Sukzession sei, sondern das allgemeine Priestertum.

Gustaf Wingren und Gerhard Ebeling behandeln beide das
Problem des Natürlichen bei Luther.

Die zwei Beiträge stellen ein deutliches Beispiel dar, wie verschieden
man sich einem theologischen Problem auf dem Kontinent
und im Norden nähern kann. Wingren schreibt einfach und
pädagogisch ohne Umschweife über Luthers Auffassung des
natürlichen Lebens, das in der mächtigen Hand Gottes ruht.
Ebeling zielt weiter. Er will die Bedeutung des Naturbegriffes
Luthers philosophisch bestimmen. Luther wird den Scholastikern
gegenübergestellt, bei welchen der Naturbegriff aristotelisch-
philosophisch bestimmt sei und eine so große Eolle gespielt
habe, daß das Einfache und Weltliche nicht mehr als Gottes
eigenes Handeln aufgefaßt werde, als sein eigenes Dasein, sondern
eher als etwas Selbständiges gegenüber Gott. Ebeling
findet aber auch in einer Auseinandersetzung mit Kjell-Ove
Nilsson, daß der Naturbegriff der aristotelischen Metaphysik und
Ontologie keineswegs statisch sei. Außerdem werde er von der
Auffassung der Gnade in der Scholastik balanciert. Luthers
Naturbegriff dagegen sei ziemlich unphilosophisch und werde
von seinem dialektischen Wort-Begriff in den Hintergrund gestellt
. Der Naturbegriff Luthers komme in einem Zusammenhang
vor, wo er eigentlich nicht hingehöre: An der Natur des
Menschen wird das wichtig, worauf er hört und wonach er
urteilt bzw. welches Urteil ihm zutf'il wird. Deshalb hat Luther
nicht am Naturbegriff, sondern am Personenbegriff angesetzt,
weil sich hier die Möglichkeit bot, den altkirchlichen und
scholastischen Personenbegriff vorn biblischen Sprachgebrauch
her auf die Relevanz des Wortes hin zu korrigieren.

Ebeling schließt seinen Vortrag ab mit der Feststellung, Win-
grens Forderung einer Synopsis der Schöpfung und des menschlichen
Handelns in der Welt sei in der jetzigen Zeit schwerer
durchzuführen als zu Luthers Zeiten. Auf jeden Fall müsse man
dann immer Luthers Erfahrung vom deus absconditus mit in
Rechnung stellen, eine Erfahrung, die nicht in einem Naturbegriff
festgehalten werden könne, sondern nur im verbum Dei.

In seiner Behandlung von Luthers Auffassung des natürlichen
Gesetzes knüpft William Lazareth an Ebeling an und
sucht in dieser Auffassung Anweisungen für eine aktuelle
lutherische Ethik. Die jetzige Situation sei aber doch verschieden
von der des 16. Jahrhunderts. Luthers Gegenüber sei der
Klerikalismus, unserer der Säkularismus.

Die lutherische Ethik bedürfe deshalb eines Gegenstücks zur
Lehre vom allgemeinen Priestertum. einer Ethik, die in Liebe
die Welt zu bejahen weiß und im Gehorsam zu Gott alle Ungerechtigkeiten
abwehrt. Mit dieser These nähert sich aber
Lazareth Wingren, und zwar durch seine starke Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium.

Der letzte Abschnitt des Buches behandelt das Problem der
Heiligung in der Auseinandersetzung mit den Schwärmern und
enthält zwei einführende Beiträge jenes Collegiums über dieses
Thema, welches während des Kongresses zusammentrat.

Wilfried Joest und G.H.Williams geben hier einen sehr konzentrierten
, aber inhaltsreichen Uberblick teils über Luthers
eigene Gedanken, teils über die verschiedenen Gruppierungen
der sogenannten Schwärmer und deren Gedanken.

Joest versucht zu zeigen, daß das Problem der Heiligung
keineswegs irrelevant in Luthers Gedankenwelt sei. Die Hauptthese
des Reformators sei, daß die Schwärmer die göttliche
Ordnung umdrehten: ..Was Gott vom äußerlichen Wort und
Zeichen und Werken ordnet, da machen sie einen inneren Geist
daraus" (WA 18, 139, 4f.). Und was Gott vom Glauben und Geist
verordnet hat, daraus machen sie „eine äußerliche Ordnung,
davon Gott weder geboten noch verboten hat" (WA 18, 136,
9ff.).

Luther hat aber mit Unrecht Karlstadt und Müntzer zusammengestellt
. Williams zeigt in überzeugender Weise, daß das,
was Luther Schwärmer nannte, eine ziemlich heterogene Gruppe
war. In dieser waren viele, die auf jeden Fall den Gedanken des
jungen Luther ziemlich nahe standen, wenigstens was die
Hauptfragen betrifft. Was wirklich trennte, wurde offenbar,
als Luther später den Unterschied zwischen dem Leiden Christi
und dem Leiden des Christen betonte. Die Imputationslehre
wurde hier als Schutz gegenüber einer imitatio-Frömmigkeit
gesetzt, die unter dem Zeichen des Gesetzes steht.

Die Schwärmer waren dazu geneigt den Versuch zu machen,
eine soziale Verwandlung zu verwirklichen. Luther dagegen sei
ein nur theologischer und religiöser Revolutionär gewesen, der
die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verteidigt habe
sofern sie nicht dem Evangelium widersprachen. Luthers
Gebundenheit an die iustitia Dei habe ihn daran gehindert, das
Unternehmen der Schwärmer zu bejahen, als sie sich vornahmen
die soziale Gerechtigkeit mit Gewalt zu verwirklichen.

Williams Urteil ist in diesem Falle dasselbe wie Lazareths.
In Williams Vortrag liegt - unausgesprochen - die gleiche Forderung
an die jetzige lutherische Kirche, eine Forderung die wir
ausdrücklich bei Lazareth antreffen und die von Luthers Standpunkt
aus gesehen eine legitime Forderung ist - gerade weil die
jetzige Situation so anders ist als die zur Zeit Luthers.

Jtybro/Schweden David Löfgren

Voßberg, Herbert: Luther rät Reißenbusch zur Heirat. Aufstieg
und Untergang der Antoniter in Deutschland. Ein reformationsgeschichtlicher
Beitrag. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
[1968]. 220 S., 13 Abb. auf Taf., 1 Kte 8°. Lw. M 7,30.

Ende März 1525 schreibt Luther eine „Christliche schrifft an
Herrn Wolfgang Reyssenbusch, ... sich in den Eelichen stand
zubegeben" (WA 18, 275-278). Sie hat zwar prinzipielle Bedeutung
, weil sie ein seit Jahren verhandeltes Thema des Reformators
aufnimmt, wendet sich jedoch besonders an einen Anto-
nitermönch. Der Präzeptor der Ordensniederlassung Lichten-
burg und Kanzler der Universität Wittenberg Dr. Wolfgang Reißenbusch
ist der Adressat. Vorgeschichte, Geschichte und Konsequenzen
des seelsorgerlichcn Rates Luthers, die Voßberg zu
seinem Schrifttitel geführt haben, sind Gegenstand des kleinen
wohlausgestatteten Buches. Allerdings bietet es sehr viel mehr
als sein sich recht speziell ausnehmender Haupttitel erkennen
läßt. Der Vf. stellt seinem Leser, wie der Untertitel andeutet,
große Teile der Geschichte des Antoniterordens in Deutschland
vor und will, in erster Linie mit der Darstellung der letzten Phase
des Krankenpflegeordens, einen Beitrag zur Reformationsgeschichte
bieten.

Der Vf. entledigt sich der selbstgestellten Aufgabe in verständlicher
, volkstümlicher Art, die sich Leser nicht nur unter
den theologisch oder gar kirchengeschichtlich Versierten sucht.
Fachausdrücke werden erklärt, Zitate übersetzt, registerartige
Anhänge schaffen einen leichten Eingang in das Buch. Eine ganze
Reihe von illustrierenden Abbildungen beziehen sich auf die in
erzählendem Ton gebotene Darstellung.

Im Vorwort bringt es Voßberg selbst zum Ausdruck, daß er
aber auch „den wissenschaftlichen Ansprüchen genügen" will.
Dem trägt Rechnung, daß er bis zur Stunde literarisch nicht
verwertete Archivalien, vornehmlich aus dem Staatsarchiv
Weimar, heranzieht. Er spricht die Hoffnung aus, „daß sich
einmal ein Bearbeiter findet, der die Urkunden der Antoniter-
präzeptorei Lichtenburg, die dieser Arbeit zu Grunde liegen,
womöglich noch durch weitere Funde vermehrt und in einem
Urkundenbuch publiziert" (S.7).

Voßberg möchte vor allem einen Komplex bekanntmachen,
dessen Zueinanderordnung ihm bisher nicht sachgerecht genug
gesehen zu sein scheint: „Antoniter - Grünewald - Wittenberg -
Luther" (S.6). In der Tat zeigt der Vf. Beziehungslinien, die
noch nicht der Quellenlage entsprechend beachtet worden sind.

Wer meint, hier und da seien erzählerische Freiheiten für eine
historische Darbietung zu ausgiebig in Anspruch genommen, hat
in vielen Punkten Gelegenheit zur Kontrolle. Ein ausführlicher
Anmerkungsapparat und zahlreiche in den Text eingestreute