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Ausgabe:

1970

Spalte:

216-218

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Staats, Reinhart

Titel/Untertitel:

Gregor von Nyssa und die Messalianer 1970

Rezensent:

Kemmer, Alfons

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

216

Cantalamessa, Raniero, OFMCAP: L'Omelia „In S.Pascha"
dello Pseudo-Ippolito di Koma. Rioerche sulla teologia dell'
Asia minore nella seconda nieta del II sccolo. Milano: Vita
e Pensiero: [1967]. X, 513 S. gr. 8° = Pubblicazioni dell'
Universita Cattolica del Sacro Cuore, Contributi, Serie tcrza,
Scienze filologiehe e Letteratura, 16. L. 11000.

Zu den sog. „kleinen Trompeten", einer Gruppe von sechs
Homilien, die unter dem Namen des Johannes Chrysostomus
überliefert sind, zählt als sechste die Predigt, um deren Datierung
und Lokalisierung sich das vorliegende Buch bemüht
(MPG 59, 735-746). Die Homilie wird auch als Eigentum des
Hippolyt von Rom angeführt. Ks gehört zu den Verdiensten von
Ch. Martin, auf die Homilie aufmerksam gemacht zu haben, die
bis 1926 im mare magnum der spuria Chrysostomi ein kaum beachtetes
Dasein fristete. Martin hielt die Homilie für ein Werk
Hippolyts. Im Jahre 1950 gab P.Nautin die Homilie neu heraus1
. Nautin hielt die Homilie für ein Erzeugnis des vierten
Jahrhunderts; Hippolyts verloren gegangener Traktat über das
Osterfest sei benutzt; sein Gedankengang könne aus der Predigt
erschlossen werden. Nautius Edition und Kommentar regten an,
sich mit der Homilie zu beschäftigen. Christine Mohrmann war
geneigt, der Datierung Nautins zuzustimmen. M. Richard widersprach
: der Verfasser sei ein Monarchianer, der möglicherweise
in der Umgebung des römischen Bischofs Kallist zu suchen sei;
jedenfalls gehöre die Homilie in die erste Hälfte des dritten
Jahrhunderts 2.

Der Untertitel von Cantalamessas Buch deutet an, wie Vf.
sich die Lösung der Frage denkt: die Homilie ist nach Cantala-
messa eine quartodezimatiische Predigt, die in der zweiten Hälfte
des zweiten Jahrhunderts in Kleinasieu verfaßt worden ist; dio
Predigt kommt damit neben Melitos berühmte Osterpredigt zu
stehen.

Von den nach Nautins Edition bekannt gewordenen beiden
Handschriften ist eine für die Textgestaltung von Bedeutung:
Die Chrysostomushandschrift Vatican. gr. 1803 (11. Jh.) erweist
sich als die Vorlage des ßaroccian. gr. 212, mit dem Nautin
vorlieb nehmen mußte. Der Text des Vaticanus ist nicht besonders
gut; dennoch können mit seiner Hilfe einige Stellen verbessert
werden; die vorgeschlagenen Änderungen an Nautins
Text leuchten in den meisten Fällen ein (S.406ff.).

Anders steht es mit der These, die Vf. vorträgt: sie ist nicht
bewiesen. Cantalamessa hat recht, wenn er die angebliche Benutzung
voii Hippolyts Passahschrift als reine Behauptung hinstellt
; er hat auefl recht, wenn er die Beweisführung von Nautin
und anderen Autoren angreift, sofern bestimmte Namen (Apollinaris
, Kallist) ins Spiel gebracht werden. Seine eigene Deutung
ist nicht besser begründet. Vf. verfährt so, daß er verwandte
Texte zusammenträgt, welche die Osterfrömmigkeit der Homilie
beleuchten sollen; die Texte stammen aus dem zweiten, dritten
vierten, gelegentlich auch aus dem fünften Jahrhundert. Die
Homilie des unbekannten Predigers ist eindrucksvoll; sie ragt
in der homiletischen Literatur der Griechen als eine durchdachte
und wohlgebildete christliche Rede hervor. Die Homilie ist
nicht das Werk eines Schultheologen. Daher der „monarehia-
nisehe" oder „apollinaristische" Ton, den man hat hören wollen:
der Gemeinglaube der griechischen Christenheit des vierten oder
b3gtauenden fünften Jahrhunderts spricht hier in einer würdigen
Gestalt. Der Fehler des Vf.s liegt m.E. darin, daß er die „Archaismen
" der Predigt nicht als solche erkennt, sondern sich
genötigt fühlt, die Predigt in die Anfangszeit der uns bekannten
Entwicklung zu setzen, und dann bietet sich Kleinasien an, weil
die Chterfrömmigkeit Kleinasiens uns am besten bekannt ist.
Mm darf sich durch die verhältnismäßig reich fließende kleinasiatische
Überlieferung zu einem solchen Sehritt nicht verleiten
lassen: die Predigt kann gewiß auch an einem anderen Ort
entstanden sein. Ihre Datierung kann auf dem vom Vf. ein-
gasjhlazenen Weg nicht gewonnen werden: das vorgelegte
reiche M i : -'ri il zur Oiterfrömmigkeit zeigt, daß die in der Homilie
erklingenden Themen der griechischen und zum Teil auch der
lateinischen Osterpredigt lange ein fester Besitz geblieben sind.
Datieren kann man solche Reden nur, wenn man nicht nur zu
einzelnen Gedankenführungen die Parallelen sammelt, sondern
wenn man Aufbau, Gedankengut und Form im ganzen betrachtet
. Der belesene und gelehrte Vf. hätte statt der Material -
darbietung, die des Guten zuviel tut, die Predigt kommentieren
und als Einheit mit anderen Predigten vergleichen sollen. Er
hätte den tiefen Unterschied zu Melitos Predigt - oder auch zum
sog. zweiten Clemensbrief - dann bald bemerkt und die Nähe
zu den Ausführungen aus späterer Zeit (Gregor von Elvira,
Gaudentius von Brescia, Gregor von Nyssa, Gregor von Na-
zianz) wäre ihm wohl eindrucksvoller bewußt geworden. Die
Predigt weist in das theologische Milieu des vierten Jahrhunderts.
Ausführungen wie die über das Kreuz (§ 35, S.159; § 56, S. 185:
oraupwatt)sagen genug: sie setzen eine ausgebildete und ausgeführte
Deutung voraus, die nicht am Anfang der Entwicklung
stehen kann; Sprache und Form unterstützen die späte Datierung
. Nur weil der Prediger die zeitgenössischen theologischen
Klisohees verschmäht, ist man versucht, ihn in eine frühere Zeit
zu setzen. Das geht nicht, eben weil genug Anzeichen vorhanden
sind, welche die Zeit der Homilie verraten (leider nicht den Ort).
Es gibt unter den spuria Chrysostomi noch andere Predigten,
die eine ähnliche Haltung einnehmen. Das macht dem Chronologen
wenig Freude, sollte uns aber reizen, der Predigtliteratur
mehr Aufmerksamkeit zu widmen: die Frömmigkeit der alten
Kirche sieht noch anders aus, als die theologischen Traktate und
der Streit der Hierarchen erahnen lassen3.

Tdblngeu Hans-Dlotrich Altondorf

1 Hotu61ies pascales I. Une homölie inspiree du traitö sur la Paque
d'Hippolyte. Paris 1950 (Sources chretiennes, 27).

2 One hom61ie monarohionne sur la Päquo, Studia Patristica III,
Berlin 1981 S. 273-289 (Texte u. Untersuchungen 78).

s Dio Vermutung, Hippolyts Ostortraktat könne aus zwei Büchern
bestanden haben, wird den Angaben Eusebs (Kirohengcsch. 6,22) und
der Ostorohronik (Dindorf, S.13) gerecht (S.33). - Das in § 17, S.145
vom Homileten erwähnte « y a X i oc muß doch wohl der Mensch
sein: t o v t o zielt auf das folgende 6t*. Vf. denkt an die Welt
(S.340). Dann versteht man dio Ausdrücke xtjs htCocuc
tö npüTov £ v © o s und toC höoiiov t ö
* a X o 5 schwer. Die Vorstellung vom ersten Menschen als einer
Statue ist jüdisch (L.Troje, a a AM und Z a H. Eine Szene der
altchristliehen Kunst in ihrem religionsgeschichtlichen Zusammenhango
, Heidelberg 1916, (Sitzgsber. d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl.
1916, 17.Abb., S.70). Man findet den Gedanken auch in anderen
christlichen Texten; der Prediger hat kurz zuvor auf die geheime
jüdische L3hre hingewiesen, aus der seine Kunde stammt; man darf
an Pailo, De sp3c. leg. II, 151 f. denken (H.Rahuer, österliche
Fi'ünlüigslyrik bei Kyrillos von Alexandreia, Pasohatis Solomnia,
Freibarg 1959 [Festschrift f. J.A. Jungmann] S.72).

Staats, Reinhart: Gregor von Nyssa und die Messalianer. Die

Frage der Priorität zweier altkirchlicher Schriften. Berlin:
de Gruyter 1968. VII, 144 S. gr. 8° = Patristische Texte u.
Studien, hrsg. v. K.Aland u. W.Schneemelcher, 8. Lw.
DM 34,-.

Die Entdeckung des vollständigen Textes der Schrift Gregors
von Nyssa „De instituto christiano" durch Werner Jaeger 1952
war ohne Zweifel einer der wichtigsten und glücklichsten Funde
der letzten Jahrzehnte auf patristischem Gebiet. Bis zur Edition
dos Traktats in Band VIII,1 der Gesamtausgabe der Werke des
Nysseners (Leiden 1952) war er nur in einem schlechten Auszug
bekannt (abgedruckt: MPG 46,287-305). Zwei Jahre später besorgte
Jaeger eine vorläufige Ausgabe des Großen Briefs des
Ps.Mikarius1, wobei er zugleich dessen Verhältnis zu Gregors
Schrift dahin bestimmte, daß der Makariusbrief eine vollständige
Paraphrase von „De instituto christiano" sei; die
Unterschiede zwischen den beiden Werken seien nicht theologischer
, sondern rein stilistischer Natur. In seiner Besprechung
des Jaegerschen Werkes in dieser Zeitschrift2 stellte H.Dörries
fest, daß der Makariusbrief eine deutliche Umbildung des gregorianischen
Traktats im messalianischen Sinn darstelle. Der
These Jaegers von der Priorität Gregors gegenüber der Epi-
stula Magna stimmte Dörries aber zu. Auf dem Patristiker-
kongreß in Oxford 1959 hat J. Gribomont erstmals das umgekehrte
Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden AVerken