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Ausgabe:

1970

Spalte:

214

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hahn, Viktor

Titel/Untertitel:

Das wahre Gesetz 1970

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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213

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

214

Hinführende ist der hl. Geist (der auch die Funktion der ad-
monitio, des Anrufs zur Rückkehr hat, welche später den
Schöpfungswerken, der Predigt, dem inkarnierten Christus zugeschrieben
wird), die veritas der Sohn, der modus der Vater.
Dieses Trinitätsschema ist anagogisch: es bezeichnet die Stufen
des geistigen Aufstiegs zu Gott, und es ist linear: vom Vater ausgehend
dringt das göttliche Licht über die Wahrheit und den
hl. Geist bis zu uns. Weniger überzeugend finde ich die vom Vf.
behauptete Identität des hl. Geistes mit der Ratio. Die Stellen,
welche für die ratio als göttliche Hypostase angeführt werden,
auch De immort. an. 6,10, lassen sich alle auf die ratio als
Tätigkeit des menschlichen Geistes oder auf die Tätigkeit der
veritas im menschlichen Geiste deuten. Die ratio als ipsum
verum quod contemplatur ist der Akt der Aufnahme des verum,
es ist aspectus animi. Insbesondere in De ord. 2,11,30-18,48, wo
vom progressus der ratio ins Sinnliche und ihrer ordnenden
und kulturschöpferischen Tätigkeit gesprochen wird, ist eindeutig
die menschliche ratio (vis mea, CSEL 63, S. 180, 23) gemeint
und nicht die den Kosmos ordnende Weltvernunft, die
dritte Hypostase Plotins (so d. Vf.z. B. S. 133). Ich kann deshalb
auch De ord. 2,9,26 (CSEL 63, S.165, 20-25) nicht als trini-
tarische Formei, sondern nur als Beschreibung des Aufstiegs
von der Einsicht in das Wesen der menschlichen ratio zum Nus
und zum höchsten Prinzip betrachten.

Eine neue Entwicklung setze nun mit De immortalitate ani-
mae ein: es tauche eine Ontologie auf, deren Pole Sein und Nichtsein
auf Einfluß des Porphyrius deuten. Die Beziehung der Seele
zu Gott wird als Seinsabhängigkeit gesehen, das Sein der Seele
wird konstituiert durch ihre Hinkehr (conversio) zu Gott. Diese
Ontologie entwickelt sich zu einer Metaphysik der Schöpfung
uud mündet schließlich in der Schrift De genesi c. Manichaeos
in die Erkenntnis der trinitarischen Struktur der Schöpfung ein.
Die anagogische Perspektive dauert daneben fort. A. versucht,
sie trinitarisch zu „strukturieren", indem er den hl. Geist mit
der Caritas verbindet, die uns zu Gott hinführt, die aber auch das
Einheitsband zwischen Vater und Sohn, ihre wechselseitige
Liebe ist. Damit wandelt sich das lineare Trinitätsschema in ein
zyklisches.

Augustin strebt danach, Anagogie und Ontologie, trinitarische
Anagogie und trinitarische Schöpfungslehre miteinander zu
verbinden. So in De vera religione. Der Vater ist das unum, das
höchste Maß unserer Erkenntnis, die er durch die Norm seiner
Wahrheit ordnet. Der Geist gleicht uns dieser Wahrheit durch
die Liebe an(anagogisch). Aber diese Veritas, die dem Unum
vollkommen gleicht, ist auch die Form, welche dem Seienden
Teilhabe am Bein verleiht. Dieses Seiende ist trinitarisch strukturiert
in esse, species, ordo.

Erst von diesen beiden Linien in A.s trinitarischem Denken
her: trinitarischer Anagogie und trinitarischer Metaphysik der
Schöpfung, wird das Werk De trinitate verständlich. So geht der
Vf. in einem Schlußabschnitt der Entstehung der sog. „psychologischen
Trinitätslehre" von De trin. nach.

Die trinitarische Schöpfungslehre, d.h. die Entdeckung der
trinitarischen Struktur des Geschaffenen, ist die Brücke zur
Auffindung des trinitarischen cogito, der Dreieinheit von esse,
vivere, intelligere, bzw. von esse, nosse, velle. Dieses cogito wird
als Bild der Trinität im menschlichen Geiste, als Analogie zur
göttlichen Trinität, interpretiert. Die Entwicklung der Trinitätslehre
A.s geht also von der Anagogie über die Ontologie zur
Analogie.

Das Buch von du Roy zeichnet ein reiches und differenziertes
Bild der Entwicklung A.s, mit dem die Augustinforschung von
nun an rechnen muß. Charakteristisch ist die entschiedene Rück-
wendung zur neuplatonischen Interpretation des jungen Augustin
, die sich u.a. in einer gerechteren Würdigung des lange verschrieenen
Buches von P.Alfaric, l'Evolution intellectuelle de
». Augustin I, Paris 1918, ausspricht. Daß dabei die Gefahr neuplatonischer
Überinterpretationen nicht ausgeschlossen ist, habe
ich am Beispiel des Begriffes ratio angedeutet. Auch daß A.
ursprünglich Schöpfung und Fall miteinander vermischt habe,
erscheint mir zweifelhaft. In dem Bestreben, die Entwicklung
A.s möglichst deutlich zu zeichnen, neigt der Vf. dazu, das Auftauchen
neuer Gedankenkomplexe (Augustin konnte ja nicht
gleichzeitig über alles schreiben) wie des Sohöpfungsgedankens

und ontologiacher Erwägungen als neue Phase antithetisch vom
Vorhergehenden abzuheben. Dabei zeigen jedoch die Problemkataloge
in_De ord. 2,16,44 und 2,17,46, daß von Anfang an viel
mehr Fragen, auch ontologischer Art, in A. lebendig waren, als
er tatsächlich behandelt. Der Rez. ist mit Ch. Boyer (der offenbar
in Gefahr ist, seinerseits das bisherige Schicksal Alfarics
zu erleiden) der Meinung, daß A.s Denken bei allen Wandlungen
doch von einer hohen Kontinuität getragen ist. Du Roy kommt
bei der Herausarbeitung seiner Entwicklungslinien zuweilen
nicht ohne literakritische Hypothesen aus (z.B. späterer Hinzufügung
des Eingangsgebetes der Soliloquia). Die Erwägungen
zur Komposition von De libero arbitrio sind philologisch am
besten begründet. Aus der richtigen Beobachtung eines anti-
manichäischen und eines antiporphyrischen Komplexes in De
vera religione auf zwei Redaktionsschichten zu schließen, halte
ich für gewagt. Daß die Behauptung einer Entwicklung zuweilen
mit Vorsicht aufgenommen werden muß, zeigt S.273: Augustin
spreche zuerst in De gen. c. Manichaeos von materia informis.
Der Begriff findet sich aber bereits De ord. 2,16,44 (CSEL 63,
S.177, 18f.).

Abschließend sei nochmals hervorgehoben, daß es sich bei der
Arbeit von du Roy um ein wertvolles und die Augustinforschung
befruchtendes Werk handelt.

Mainz Rudoll Lorenz

Hahn, Viktor: Das wahre Gesetz. Eine Untersuchung der Auffassung
des Ambrosius von Mailand vom Verhältnis der beiden
Testamente. Münster/W.: Aschendorff [1969]. XX, 547 S.
gr. 8° = Münsterische Beiträge zur Theologie, hrsg. v. B.Köt-
ting u. J.Ratzinger, 33. Kart. DM 88,-; Lw. DM 92,-.

Die Darstellung legt in ermüdender Breite die allegorischen
und typologischen Auslegungen des Mailänder Bischofs vor, die
man unter der vom Vf. gewählten Themastellung betrachten
kann, und das ist naturgemäß unendlich viel. Das Material ist
sorgfältig gegliedert in Abschnitte, Kapitel und Paragraphen.
Fleiß und Mühe sind genug aufgewandt; das Ergebnis ist dennoch
enttäuschend dünn. Es liegt das an der kompilatorischen
Arbeitsweise, die beobachtet worden ist. Für Ambrosius ist die
Allegorese zweifellos „die höhere und eigentlich theologische
Form der Schriftauslegung, deren Ergebnisse er besonders ernst
nimmt"1. Aber man muß die Schriften des Mannes in ihrem Zusammenhang
lesen, darf sie nicht in ihre Einzelheiten zerlegen
und diese wiederum neu unter bestimmte Themen ordnen. Dann
wird nur deutlicher, was man ohnehin sieht, daß nämlich Ambrosius
' Auslegungen „weder besonders originell noch besonders
geistreich" sind 2, doch das eigentümlich ambrosianische Element
geht verloren: die Einschmelzung der durch Studium angeeigneten
Auslegungen vornehmlich griechischer Autoren in die
eigene asketische Frömmigkeit, die doch sehr sachlich und
männlich entgegentritt. Verfährt man so, wie es in diesem Buch
geschieht, so erhält man wohl eine Sammlung verschiedener
Exegesen des Ambrosius und der von ihm herangezogenen Tradition
, vernimmt aber die leise Stimme des großen Bischofs
schwächer, als wenn man selbst die Schriften liest.

Die Betrachtungen, die Vf. zu den Texten vorträgt, sind im
allgemeinen ganz richtig, bleiben aber durchweg im Bereich der
Paraphrase.

Tübingen Hans-Dietrich Altendorf

1 H.v.Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, Stuttgart 1960
(Urban-Bücher, 50) S.83.

2 A.a.O., S.79.