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Ausgabe:

1970

Spalte:

197-199

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Jürgen

Titel/Untertitel:

Das Heil Gottes 1970

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

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Becker, Jürgen: Da« Heil Gottes. Heils- und Sündenbegriffe in
den Qumrantexten und im Neuen Testament. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1964]. 301 8. gr. 8° = Studien z.
Umwelt d. Neues Testaments, hrsg. v. K.G.Kuhn, Bd.3.
DM 32,-.

Diese 1961 von der Heidelberger Theol. Fakultät angenommene
Dissertation möchte „anhand einer Begriffsbestimmung
der Leitbegriffe, die in der Qumranliteratur bei Heils- und Unheilsaussagen
auftreten, die Struktur dieser Begriffe und der zu
ihnen gehörigen Vorstellungskreise erörtern, um dann einzelne
Begriffe und Vorstellungskreise mit ausgewählten neutesta-
mentlichen Schriften vergleichen zu können" (11). Um dieses
Ziel zu erreichen, geht B. so vor, daß er nach einer „Voruntersuchung
", in der „wesentliche Grundzüge der Heilsaussagen im
AT und Judentum, abgesehen von Qumran" (13-36) behandelt
werden, in einem 1. Hauptteil auf „die Heilsaussagen beim
Stamm sdk und bei verwandten Begriffen in der Qumranliteratur
unter Berücksichtigung der Unheilsaussagen" zu
sprechen kommt (37-189), wobei die einzelnen Qumranschriften
zunächst einer ausführlichen literarkritischen und gattungsgeschichtlichen
Betrachtung unterzogen werden. Der 2. Hauptteil
befaßt sich mit den „neutestamentlichen Heilsaussagen in
ihrem Verhältnis zu den Vorstellungen in der Qumranliteratur"
(190-279) und berücksichtigt dabei die Verkündigung Jesu
(190-217), den johanneischen Dualismus (217-237) und die pauli-
nische Gerechtigkeitsvorstellung (238-279). Ein Abkürzungsund
ein Literaturverzeichnis (280-301) beschließen das Werk.

B. nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Dissertation von
K.Koch: sdk im Alten Testament (1953), wonach „die Heilsund
Unheilsbegriffe" im AT „keine abstrakten Urteile über ein
Verhalten, keine juristischen Termini oder Eigenschaften sind,
... sondern jeweils ,schicksalswirkende Tatsphären' bezeichnen"
(14). Heils- und Unheilsbegriffe weisen somit „eine ganz bestimmte
Struktur" auf: „Heilstat oder Freveltat schlagen auf
den Täter als innerweltlich.v ,jaumhafte', aber nicht lokal
fixierbare, als dingähnliche, selbstwirkende Machtsphären
zurück" (ebd.). und r«K werden als „die treue, zuverlässige,

heilschaffende Tat" und zugleich als „die durch die Tat in
Umlauf gesetzte Folge" (15) definiert. Nach B. wurde diese alt-
testamentliche „synthetische Lebensauffassung" vom hellenistischen
und rabbinischen Judentum nicht mehr verstanden,
so daß dann eine Vergeltungslehre entwickelt wurde, in der „das
Wesen der Gerechtigkeit des Menschen in dem verdienstlichen
Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen bestand" (19).

Die Qumrantexte stehen nun nach B. in größerer Nähe zum
alttestamentlichen als zum pharisäisch-rabbinischen Gerechtigkeitsverständnis
. Den Beweis dafür versucht er durch eine
sorgfältige Exegese der Heils- und Unheilsaussagen in den folgenden
, mit Hilfe der Literarkritik und Gattungsforschung
herausgearbeiteten Stücken zu erbringen: Psalmen des Lehrers
der Gerechtigkeit, Kriegsrolle, 1QS III, 13-1V, 26; 1QS X,9 -
XI, 22; Gemeindepsalmen; lQpH und CD. Mit Kuhn, G.Jeremias
u.a. führt er einen Teil der Hodajot auf den Lehrer der
Gerechtigkeit zurück, wobei er als Kriterium für diese Aufteilung
„die Struktur des Ichs der Psalmen" sowie die „Aussagen
über Feinde und Nöte, die auf eine einmalige historische Situation
schließen lassen" (51), angibt und als Abfassungszeit
150-120 annimmt. Diese Psalmen stehen trotz der hier vertretenen
Scheidung zwischen Heilsgemeinde und Frevelgemeinde,
die nach B. als Folge des Restgedankens anzusehen ist, noch
insofern „im Rahmen der allgemeinen jüdischen Aussagen,
als dualistische und prädestinatianische Gedanken fehlen" (74).
Ein weiteres Entwicklungsstadium liegt in dem in seiner jetzigen
Form „das Endprodukt eines umfangreichen Kompilationsund
Traditionsprozesses" (49/50) darstellenden 1QM vor. Indem
hier nach Huppenbauer >v'>3 nomen proprium ist und die
Rolle eines aktiven Gegners Gottes spielt, ergibt sich ein völkischnational
bestimmter Dualismus. Die schärfste Ausprägung hat
der Dualismus in 1QS III, 13-IV, 26 erhalten, weshalb B. mit
Kuhn und Dupont-Sommer annimmt, „daß diese essenische
theologische Konzeption parsistischem Einfluß unterliegt" (97).
Aber auch hier erkennt B. noch die alttcstamentliche Struktur
der Begriffe Wahrheit, Gerechtigkeit, Licht, Frevel und Finsternis
, obwohl diese nun in einen prädestinatianischen Dualismus
eingebaut wurden.

Eine Verlagerung dieses kosmisch ausgerichteten Dualismus
in die menschliche Existenz liegt nach B. in 1QS X, 9 - XI,23
vor, wo statt der Belialsherrschaft von der na -Machtsphäre und
statt der Herrschaft Michaels bzw. Gottes von der (rOpii als
der Heilssphäre gesprochen wird. Die „Gerechtigkeit" ist hier
als „Gottesgabe" „grundsätzlich die siegende Macht", die den
duroh das „Fleisch" strauchelnden Erwählten aus dieser Machtsphäre
errettet und ihm einen vollkommenen Wandel ermöglicht
. Das bedeutet, daß Gottes Heilstun nicht von der Tora,
sondern zu der Tora befreit, wie es H.Braun vor B. bereits klar
formuliert hat (vgl. ZThK 56, 1959, 15).

In den „Gemeindepsalmen", die ihren Sitz im Leben im Kult
haben sollen (vgl. 167), lassen sich nach B. alle Aussagen „im
alttestamentlichen Sinn als Heils- und Unheilssphären verstehen
" (146), da nach Huppenbauer Vv>3 hier kein nomen
proprium ist und deshalb keine dualistische Ausprägung vorliegt
. Immerhin gibt er zu, daß „ein neues Verständnis dessen,
was Leben und Tod bedeuten, festzustellen ist", insofern als die
„Heilssphäre nicht darum Heil (ist), weil sie zum irdischen ...
Glück führt, sondern weil sie mit der göttlichen Welt verbindet"
(148). Merkwürdigerweise unterläßt er es aber, über diese keinesfalls
unwesentliche Änderung genauer nachzudenken und daraus
Schlußfolgerungen in religionsgeschichtlicher Hinsicht zu ziehen.
Ebenso unbefriedigend sind seine Bemerkungen zu 1QH IX,
14ff., wo er zwar zugibt, daß es sich bei P">*' um ein „forensisches
Urteil" handelt, jedoch ablehnt, daß die (n)pnx „nur (!)
ein Urteil Gottes ist": „Die (n)PTjc, durch die Gott den Sünder
reinigt, kann (!) das nicht sein, hier muß(!) es sich angesichts
der Sündenmacht um eine Heilssphäre handeln" (153) - wodurch
die Sphärenharmonie mit dem AT wieder erreicht ist!

Auch in 1 QpH erblickt B. die „alttestamentliche Vorstellung
der ,Tat-Folge-Sphäre', nur daß die Folge der Tat sich erst am
Tage des Endgerichts einstellt" (169). Im übrigen schließt sich
B. in diesem Abschnitt ganz J.Jeremias an.

Dagegen soll in CD eine Veränderung gegenüber dem alttestamentlichen
Denken vorliegen, indem in 3,4 ein „juristischrechnerisches
Strafprinzip" zutage tritt, „das mit dem Tat-
Folge-Denken nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist"
(183).

Im Blick auf die Verkündigung Jesu bemerkt B., daß Jesus
„traditionsgeschichtlich mit seiner Vorstellung zweier sich bekämpfender
Machtblöcke große Nähe zu den Qumrantexten und
dualistisch orientierten Pseudepigraphen aufweist" (215). Eine
direkte Beeinflussung Jesu durch Qumran lehnt er jedoch ab.

Hinsichtlich des johanneischen Dualismus bemüht sich B. um
eine direkte Ableitung aus Qumran. Unter Absehung von der
Christologie werden die johanneischen Heils- und Unheilsbegriffe
mit den qumranischen verglichen, um ihre Strukturgleichheit
zu erweisen. Typisch ist folgende Formulierung: „Der
Begriff der Wahrheit bei Johannes (entspricht) dem essenischen
nach Struktur und Inhalt, abgesehen von der Christologie"
(!236). Allerdings muß B. zugeben, daß der bei Joh.vorhandene
Gegensatz „oben - unten" in Qumran nicht zu belegen ist, aber
das wiegt für ihn nicht schwer, da „solche Gegenüberstellung
bei Johannes eigentlich selten" sei (1223). Da Johannes ,,nur(!)
in der Christologie sich von der essenischen Literatur unterscheidet
" (226), bekennt sich B. zur These seines Lehrers Kuhn:
„Wir bekommen in diesen neuen Texten den Mutterboden des
Johannesevangeliums zu fassen" (in: ZThK 47, 1950, 210).

Etwas vorsichtiger im Urteil ist B. bei seinem Vergleich Pau-
lus-Qumran. Allerdings sollen auch hier die paulinische Teufelsvorstellung
, die Gemeindebezeichnungen „Erwählte Gottes"
und „Heilige", die Begriffe „Licht und Finsternis" und die
Struktur des Sündenbegriffs auf essenische Beeinflussung zurückgehen
, aber er differenziert bei der paulinischen 6 tttcaocrGvTj-Vorstellung
, indem er ausführt, daß Paulus nur dort, „wo er von
der Gerechtigkeit als Lebensmacht spricht, den Begriff strukturgleich
mit dem essenischen Schrifttum verwendet" (276).

Diese an guten literarkritischen und exegetischen Beobachtungen
reiche Arbeit leidet einmal darunter, daß Vf. nicht
von seiner Sphärenvorstellung loskommt („Sphäre" kommt
über 100X vor!), und zum anderen, daß die religionsgeschicht-