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Ausgabe:

1970

Spalte:

193-195

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sanders, Joseph N.

Titel/Untertitel:

A commentary on the Gospel according to St John 1970

Rezensent:

Holtz, Traugott

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193

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

J94

zugehen. Um völlig zu überzeugen ist freilich die Basis dieses
Buches noch zu schmal. Das gilt vor allem hinsichtlich des
Themas „Abfall in der Zeit der Kirche". Lukas umgeht es doch
offenbar nach Möglichkeit, dieses Phänomen überhaupt in den
Blick kommen zu lassen. Es fragt sich dann aber, ob es möglich
ist, die geringen Zeugnisse dafür systematisierend auszuwerten,
jedenfalls ohne nachdrücklich die vermutlichen Gründe für das
lukanische Verfahren in Ansatz zu bringen, die Entwicklung der
christlichen Gemeinde als gradlinige und ungestörte Geschichte
darzustellen. Da das lukanische Verständnis des Geistes eine
wichtige Rolle in der Arbeit spielt, hätte dieser Gegenstand
doch wohl auch einer ausgeführteren thematischen Behandlung
bedurft. Ein wenig macht das ganze Buch - schon von seinem
Einsatz her - einen gleichsam zufälligen Eindruck.

Gleichwohl dürfte der Vf. einen Grundzug der lukanischen
Theologie, die Tendenz zur „Verkirchlichung", man könnte
wohl auch sagen „Verchristlichung", des Glaubens richtig erfaßt
haben. Es fragt sich nur, ob eine breiter angelegte Analyse
der einschlägigen Aussagen nicht zeigen würde, daß das weniger
konsequent und theologisch durchreflektiert geschieht, als es
nach B. erscheint. Für erfreulich halte ich, daß B. nicht gleich
jeden theologischen Gedanken des Lukas als bewußte programmatische
Aussage zur Durchsetzung einer eigenen Theologie
interpretiert. Es dürfte notwendig sein, in weiteren Arbeiten
die innere Struktur des theologischen Denkens des Lukas zu
klären.

Greifswald Traugott Holtz

Sanders, J.N.: A Commentary on the Gospel according to
St.John, ed. by B.A.Mastin. London: A. and Ch.Black
[1968]. X, 480 S. 8° = Black's New Testament Commen-
taries, ed. by H.Chadwick. Lw. 55 s.

J.N.Sanders hat den Johanneskommentar in Black's New
Testament Commentaries nicht mehr zum Abschluß bringen
können. Bei seinem Tode hinterließ er die fertige Ausarbeitung
der Einleitung und des Kommentars zu Joh 1-15. Ein junger
Schüler von Sanders, B.A.Mastin, hat den Kommentar zu
Joh 16-21 (unter voller Berücksichtigung der für diesen Teil
bereits vorhandenen Notizen von Sanders) erarbeitet und das
ganze Werk herausgegeben. Es ist einigermaßen erstaunlich und
wohl auch für die ganze Art des Kommentars bezeichnend, wie
glatt sich die beiden Teile zusammenfügen, obwohl sie in allerlei
fiinzelfragen durchaus voneinander differieren.

In der Einleitung behandelt Sanders 1. Inhalt und Aufbau des
Evglms, 2. das Verhältnis zu den synoptischen Evgln, 3. die
Theologie des Evglms und ihre Quellen (auf nicht ganz 6 Seiten
), 4. Ursprung, Absicht und Wert des Evglms.

Der Aufbau des Evglms in seiner jetzigen Gestalt (einschließlich
Kap.21!) ist theologisch bedingt. Das Evglm bildet eine
unauflösliche theologische und dramatische Einheit, in der jede
Einzelszene so eingeordnet ist, daß dadurch die vom Vf. beabsichtigte
Entfaltung seiner theologischen Aussage vorangetrieben
wird. Gleichwohl bedeutet das nicht, daß die Darstellung
der Wirksamkeit Jesu im Ganzen wie im Einzelnen unhistorisch
wäre. Das theologische Interesse des Evangelisten ist zugleich ein
historisches. „Iiis fundamental theological principle, that ,the
Logos becamc flesh', guarantees his concern for historicity"
(S.6).

Die Frage, ob Joh von einem der Synoptiker literarisch abhängig
sei, wird negativ beantwortet; freilich rechnet S. damit,
daß Joh das Markus-Ev. kannte. Die Berührungen mit Lukas
erklären sich vermutlich daher, daß beide Quellen benutzen, die
sich z.T. überschneiden (wobei im Falle des Lazarus und seiner
Schwestern die joh. Quelle der lukanischen überlegen war). Die
Unterschiede in der inhaltlichen Darstellung des Wirkens Jesu
zwischen den Synoptikern und Joh werden von S. zwar gesehen
, aber im wesentlichen auf die Form und die besondere Betonung
bestimmter, aber auch schon in der syn. Darstellung
vorhandener Thcmenkreise eingeschränkt. In der Substanz
jedenfalls sind die Jesusreden des 4.Evglms der historischen
Verkündigung Jesu näher als gemeinhin angenommen wird.
Insgesamt kann das Evglm dazu helfen, ein genaueres Bild von

Jesu Wirken und Lehre zu gewinnen als es das von den Synoptikern
allein her möglich wäre. Zwar durchdringt Joh stärker
als die Synoptiker die Jesus-Darstellung mit seinem Geist, „but
it is probably also true that his insight into the meaning of
Jesus' teaching and ministry is greater than theirs" (S. 18).

Die entscheidende religionsgeschichtliche Voraussetzung und
Quelle für Joh ist die Verkündigung Jesu. Die Quelle für die
spezifisch joh. Ausformung dieser Verkündigung ist die alt-
testamentlich-jüdische Weisheitsliteratur. Die Gnosis hingegen
hat keinen Einfluß ausgeübt. Allerdings gebraucht Joh die
Sprache seiner Zeit, aber Qumran zeigt, daß er deshalb nicht
von hellenistisch-gnostischen Voraussetzungen her verstanden
werden muß, sondern sehr wohl ein Palästinenser sein kann, der
am Anfang des 1. Jh.s geboren ist.

Das Evglm, die Joh-Briefe und die Apc gehen auf den gleichen
Vf. zurück. Die Unterschiede zwischen Evglm und Joh-Briefen
einerseits und Apc andererseits erklären sich daraus, daß der Vf.
die Apc selbst niederschrieb, das Evglm und die Briefe aber
(später) einem Sekretär diktierte, dem er einige Freiheit in der
Formulierung einräumte; die Unterschiede zwischen den Briefen
und dem Evglm versteht S. daher, daß im Evglm Charakteristika
der benutzten Quellen bewahrt sind. Die Kenntnis der
Jesus-Geschichte verdankt der Evglst einesteils eigener Erinnerung
, andernteils verschiedenen Quellen, die näher zu bestimmen
sich S. nur in einem Falle in der Lage sieht. Es handelt
sich dabei um das Zeugnis des Lieblingsjüngers, den S. bekanntlich
mit Lazarus identifiziert. Die Erinnerungen des Lazarus
haben dem Vf. des Evglms schriftlich vorgelegen, aber er hat
sie ebenso wie seine anderen Quellen gänzlich eingehen lassen in
die literarische Einheit seines Evglms. Freilich hat die letztgenannte
Ansicht S. nicht davon abgehalten, zuvor den Unterschied
zwischen den Joh-Briefen und dem Evglm auf die Benutzung
der doch gänzlich assimilierten Quellen zurückzuführen
; und noch auffälliger wird er hernach im Kommentar wiederholt
Schwierigkeiten, die der vorliegende Aufbau des Evglms
dem Verständnis bereitet, auf die Benutzung von Quellen
zurückführen, die eine andere Einordnung der Berichte enthielten
.

Dem Vf. des Evglms begegnen wir nach S. in 18,15. Zwar hat
die spätere kirchliche Tradition darin unrecht, daß sie ihn mit
dem Zebedaiden Johannes identifiziert, richtig aber ist, daß ein
ehemaliger Herrenjünger Johannes in Kleinasien, näherhin in
Ephesus, das Evglm veröffentlichte. Dieser Johannes ist Johannes
Markus. (,,It involves the assumption that, if the Second
Gospel ist the work of a man called Mark who was also an asso-
ciate of Peter's, there were two men called Mark who were
associated with him at different periods", S.49.) Er ist etwa im
Jahre 15 post geboren, gehörte zur priesterlichen Aristokratie in
Jerusalem, kam durch seine Mutter mit Jesus und dessen Jüngern
in Berührung, begleitete vielleicht Petrus nach Samarien
(Apg 8,14), arbeitete dann zunächst eine Zeit mit Paulus zusammen
und war wieder mit Paulus gemeinsam in Rom, wo er
sich wahrscheinlich - nach dem Tode des Paulus - zu Petrus
gesellte. Dann ging er nach Jerusalem zurück und wurde (von
dort?) nach Patmos exiliert. Dort entstand die Apc und die
Grundlage des JohEv durch Meditationen und Predigten über
Leben und Lehre Jesu. Im Jahre 96 kommt er nach Ephesus
und diktiert dort auf Drängen seiner Freude das Evglm einem
Amanuensis („Papias, if the Anti-Marcionite Prologue is to be
trusted", S.51). Uoh ist eine Einführung zum Evglm, 2 u.
3Joh sind Briefe, die der Evglst von Ephesus aus schrieb. Das
Evglm machte zunächst wenig Eindruck und geriet gänzlich
in die Hände der Gnostiker; erst von ihnen holte es sich die
Großkirche zurück, darüber aber war die wirkliche Entstehungsgeschichte
vergessen.

Ich habe die Behandlung der Vf.frage durch S. deshalb ausführlicher
referiert, damit deutlich wird, wie unbekümmert S.
historisch konstruiert, welches Gewicht aber auch solche
historischen Konstruktionen für sein Verständnis des Evglms
haben. Beides tritt dann auch im Kommentar zum Text sehr
stark hervor.

Das Evglm richtet sich in erster Linie an Christen und hat eine
antidoketische Tendenz; zugleich will es aber auch die Juden
ansprechen und für den Glauben an Christus gewinnen; und