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Ausgabe:

1970

Spalte:

192-193

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brown, Schuyler

Titel/Untertitel:

Apostasy and perseverance in the theology of Luke 1970

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

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höhten, lebendigen Herrn zurück. Dadurch seien die von der
Gemeinde gebildeten Worte den Worten des geschichtlichen
Jesus gleichgestellt worden. Aber das ist mehr johanneisch gedacht
(Paraklet), als daß es eine dem Markus odor der vor ihm
liegenden Überlieferung eigene Vorstellung gewesen sein dürfte.
Der Ausdruck „Gemeindebildung" istdoch ein recht unbestimmter
, vager und leicht mißverständlicher Begriff, denn die Gemeinde
als solches bringt keine neuen Traditionen hervor. Das
können nur einzelne, charismatisch-schöpferische, durch den
Geist inspirierte Persönlichkeiten. Aber hat es diese in den
„hellenistischen" Gemeinden in reichem Maße gegeben? Wir
wissen es nicht. Darum ist die Rede von der „Gemeindebildung"
eine recht problematische Sache. Gewiß waren neben den
Aposteln, Propheten, Evangelisten und Lehrer am Werk, deren
Namen uns nur zu einem sehr goringen Teil bekannt sind; meist
bleiben sie im Dunkel der Anonymität. So wird man sich fragen
müssen, ob sich auf dieser unsicheren Grundlage wirklich eine
überzeugende Theorie der Gemeindebildung aufbauen läßt.
Dazu kommt, daß viele Jesusworte, die aus der Situation der
Gemeinde stammen sollen, ebenso gut auf Jesus selbst zurückgehen
können. 4. Für die Annahme, daß der Verfasser des
Evangeliums nicht der mehrfach im NT erwähnte Markus ist,
sondern ein uns unbekannter Mann gleichen Namens, läßt sich
kein zwingender und wirklich überzeugender Beweis erbringen.
Wenn Schw. feststellt, daß es sich im MkEv nicht nur um „theologische
Gedanken der Gemeinde oder des Evangelisten" handelt
, sondern „in der Tat" um das, was sich „in den paar Monaten
oder Jahren zwischen der Taufe im Jordan und der Entdeckung
des leeren Grabes zugetragen hat", dann liegt es doch
näher, au einen Mann zu denken, der mit den Anfängen der urchristlichen
Verkündigung und Tradition vertraut war und in
Jerusalem zum mindesten einige Augen- und Ohrenzeugen des
Wirkens Jesu gekannt hat. Die Papias-Notiz, die Petrus als
Gewährsmann des Markus bezeichnet, ist gewiß „nicht allzu
sicher", dürfte aber ein Wahrheitsmoment enthalten, da sie auf
die Kontinuität der Überlieferung hinweist. Dagegen dürfte der
Satz, daß Markus ein Geschichtsbuch geschrieben habe, das nur
das für die Verkündigung Wesentliche enthält (S.ll) richtig
sein. 5. Daß Schw. an die Auslegung der einzelnen Textstücke
einen Abschnitt anschließt, den er „theologische Aussage"
nennt, ist deshalb zu begrüßen, weil hier eine Anleitung zur
praktischen Auswertung der Texte für die Gegenwartsverkündigung
gegeben wird; es geht Schw. um das „Verkündigungsanliegen
der Gemeinde heute". Daß damit dem Prediger,
Religionslehrer und Katecheten unserer Zeit ein wichtiger Dienst
erwiesen wird, steht außer Prag,;. Schw. weist immer wieder
darauf hin, daß die überlieferten Texte die in Jesus offenbare
und wirksame Macht Gottes zeigen, zur persönlichen Begegnung
mit Jesus führen und in seine Nachfolge rufen wollen. Die
„theologische Aussage" beschränkt sich meist auf allgemeine,
wenn auch grundlegende Formulierungen. Aber man wird doch
fragen müssen, ob man damit der Christusbotschaft des Markus
und ihrer Bezeugung in der Gegenwart voll gerecht wird. Soll
denn nur der theologische Gehalt der Texte Gegenstand des
Kerygmas sein? Das würde leicht zu einer Verkürzung der Heilsbotschaft
führen. Der Exkurs über die Wundertaten Jesu wird
von Schw. mit den Worten abgeschlossen: Entscheidend ist, daß
in diesen Ereignissen „Gott Menschen anspricht und ihren Glauben
sucht, und dies auch noch heute" (S.61). Natürlich weiß
Schw. in der Exegese von den Vollmachtstaten Jesu mehr zu
sagen, aber in der „theologischen Aussage" tritt das faktische
Geschehen, das den Glauben auslöst, das aber „im einzelnen
historisch nicht mehr sicher festzustellen ist" (S. 60) ungebührlich
in den Hintergrund. Aber für Markus und „die Gemeinde
vor ihm" stehen die berichteten Ereignisse im Zeichen der göttlichen
Heilsoffenbarung. Darum müssen sie auch in der gegenwärtigen
Verkündigung eine zentrale Stellung einnehmen. Man
kann das Historische nicht von dem „theologischen Befund"
trennen; denn die Bezeugung des göttlichen Handelns in den
Vollmachtstaten des geschichtlichen Jesus bildet damals wie
heute Voraussetzung und Grund des Glaubens (Cullmann).

Diese kritischen Überlegungen, die noch durch andere ergänzt
werden könnten, sollen in keiner Weise die Bedeutung des
Kommentars beeinträchtigen. Es ist Schw. zu danken für die

vielen neuen Gesichtspunkte, die er beigebracht hat und für die
Konsequenz, mit der er sein Grundanliegen, die Vorgeschichte
des MkTextes zu erhellen, durchgeführt hat.

Be Hn Johannes Schneider

Brown, Schuyler, S. J.: Apostasy and Perseverance in the
Theology of Luke. Rom: Pontifical Biblical Institute 1969.
XVI, 166 S. gr. 8° = Analecta Biblica. Investigationes
Scientificae in Res Biblicas, 36. Lire 2.700,-.

Die Arbeit von Brown, eine katholische Dissertation, die in
Münster unter J. Gnilka gearbeitet worden ist, geht aus von einer
Kritik au Conzelmanns Behauptung, nach Lukas sei die Zeit
zwischen der Versuchung und der Passion Jesu eine satanslose
Zeit gewesen. B. untersucht zunächst den lukanischen Gebrauch
von Ttetpaouöc ödt dem Ergebnis, daß Lukas das Wort entscheidend
anders versteht als die meisten übrigen neutesta-
mentlichen Autoren (deren Verständnis Conzelmann nach B.
ungeprüft auch auf Lk überträgt). Die Passion Jesu wird von
Lk nicht als „Versuchung" verstanden, der Satan nicht als der
„Versucher" und das Leben der Christen nicht als wesenhaft
bestimmt durch „Versuchung", die der Glaubensbowährung
dient. Vielmehr ist bei Lk neupoouög eindeutig negativ bestimmt
, das Wort überhaupt kein Bestandteil seines eigenen
theologischen Vokabulars; die „Versuchung" hat mit Blick auf
die Christen einen negativen Ausgang, mit Blick auf Jesus einen
negativen Ursprung.

Zur Absicherung dieses Ergebnisses faßt B. auch den lukanischen
Gebrauch der Begriffe in den Blick, die im NT sonst in
irgendeiner Weise mit „Versuchung" verbunden sind. Da für
Lk die „Versuchung" kein Mittel der Bewährung ist und auch
keinen inneren Vorgang im Christen beschreibt, sondern unlöslich
mit der Sünde des Abfalls verbunden ist, kann das „typische
Versuchungs-Vokabular" keinen Platz im lukanischen
Schrifttum haben. Schon in diesem Teil der Untersuchung zeigt
sich, wie Lk die übernommenen Begriffe für das Glaubensleben
verobjektiviert, d.h. verkirchlicht.

Das wird vollends deutlich in dem dritten und eigentlichen
Hauptteil der Arbeit, in dem die lukanische Konzeption von
Abfall und Standhaftigkeit dargestellt wird. Die Jünger, näher-
hin die „Apostel" sind niemals, auch nicht während der Passion,
von Jesus abgefallen (auch die Verleugnung des Petrus ist
nach B. im Verständnis des Lk kein Abfall, sondern einfach ein
Akt menschlichen Versagens; „Peter's faith has not failed,
because although he has denied knowing Jesus, he has not denied
that Jesus is the Messiah" [S.7I]). Deshalb sind die Oster-
erscheinungeu keine Neubegründung eines zerbrochenen Glaubans
, sondern dienen der Vertiefung der Glaubenserkenntnis bei
den Zeugen. Die ungebrochene Kontinuität des Zeugnisses und
des Glaubens der Apostel garantieren für Lk die Kontinuität
der Zeit Jesu mit der Zeit der Kirche.

Entsprechend ist das Beharren beim Zeugnis der Apostel das
entscheidende Kriterium für den Christen. Daher rührt die
lukanische Fassung des Begriffes „Glauben"; er ist die fides,
quae praedicatur. Die Paränese ist nicht darauf gerichtet, diesen
Glauben zu gewinnen, sondern auf seine Bewährung in der
moralischen Tat. Der Geist ist zwar auch Gabe an den Einzelnen,
aber nicht als die Kraft, die sein Leben im Glauben immer erst
ermöglicht, er ist vielmehr Folge und Zeichen der Zugehörigkeit
zur apostolischen Gemeinde, durch deren Leiter er wirkt. „The
difference between Luke and Paul does not consist therefore in
a Substitution of human authority for the authority of the spirit
but rather in an ecclesialization of the spirit in its role as the
principle of perseverance" (S. 131). Der Geist tritt in der Zeit
der Kirche an die Stelle des irdischen Jesus als der „bringer of
salvation"; deshalb ist jetzt nicht mehr die räumliche Verbindung
mit den Aposteln (heils)notwendig, wie es in der Zeit Jesu
die räumliche Verbindung mit Jesus war, wohl aber das unverrückte
Festhalten der fides apostolica.

Der Vf. hat versucht, von seinem zunächst recht begrenzten
Thema her wichtige Grundlagen der lukanischen Theologie aufzuarbeiten
. Er legt einen durchaus interessanten Versuch vor,
der dazu anregt, in der eingeschlagenen Richtung weiter-