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Ausgabe:

1970

Spalte:

183-184

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Harnisch, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Verhängnis und Verheißung der Geschichte 1970

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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183

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

184

betrachtet als eine fortlaufende Reihe von Befreiungen von
Feinden. Das war ohne Zweifel eine Ausdehnung der Befreiung
aus Ägypten, wie sie in dem Exodus-Drama gefeiert wurde.
Wurden die Ausdehnungen, d.h. die anderen Befreiungen, ebenfalls
im Kultus dramatisiert? Es ist schwierig, eine eindeutige
Antwort darauf zu geben, aber es fehlt nicht an Anzeichen solcher
kultischen Rituale. Die hauptsächliche literarische Äußerung
dieser Konzeption der Heilsgeschichte findet sich in dem
gigantischen .Geschichtsbuch', das von den Gilgalitischen
[deuteronomischen] Geschichtsschreibern komponiert worden
ist".

Ualle/Saale Otto Elßfeldt

Harnisch, Wolfgang: Verhängnis und Verheißung der Geschichte.

Untersuchungen zum Zeit- und Geschichtsverständnis im
4.Buch Esra und in der syr. Baruchapokalypse. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1969. 362 S. gr. 8 = Forschungen
zur Religion u. Literatur d. Alten u. Neuen Testaments,
hrsg. v. E.Käsemann u. E.Würthwein, 97. DM 44,-; Lw.
DM 48,-.

„Vorerwägungen", die „I. Die Aufgabe" (S.9-15) und „II.
Zur Quellenfrage" (S. 15-18) zum Inhalt haben, eröffnen das
vorliegende Buch. Als die Aufgabe wird dabei die Erfassung der
hinter 4 Esr und ApkBar (syr) stehenden Fragestellung und die
Darstellung des von diesen beiden Apokalypsen vorausgesetzten
Geschichtsentwurfes genannt, während ,,Zur Quellenfrage" die
sehr komplizierte Text-Überlieferung des Buches 4 Esr und die
verhältnismäßig einfache des ApkBar (syr) beschreibt. An diese
Vorerwägungen schließt sich zunächst an der in ,,I. Die Problemstellung
in 4Esr" und „II. Die Problemstellung in sBar"
gegliederte Abschnitt ,,A. Die Aporie der Verheißung als Grundproblem
der Apokalyptik" (S. 19-87) und dann der Abschnitt
„B. Der apokalyptische Geschichtsentwurf" (S. 89-321), der
in zwei Hauptteile, „Die Zwei-Äonen-Lehre (Der apokalyptische
Dualismus)" und „Die Lehre von der Nezessität des geschichtlichen
Ablaufs (Der apokalyptische Determinismus)" zerfällt.
„C. Schlußbetrachtung" (S.323-327) faßt die Ergebnisse der
Untersuchung zusammen, und „Abkürzungsverzeichnis"
(S. 329-330), das - namentlich bei den für die Textformen verwendeten
Zeichen und Abkürzungen - die Benutzung des
Buches wesentlich erleichtert, „Literaturverzeichnis" (S.331 bis
347) sowie „Stellenregister" (S.349-362) bilden den Schluß.
Harnischs Buch, das von gründlicher Vertrautheit seines Vf.s
mit den hier in Betracht kommenden Quellen und der wissenschaftlichen
Literatur über sie, auch der neuesten, zeugt, stellt
einen wesentlichen Beitrag zu besserem Verständnis nicht nur
der Bücher 4Esr und ApkBar (syr), sondern auch anderer Apokalypsen
, etwa der ApkMos und VitAd, denen Exkurs II: „Der
Verhängnisgedanke in ApkMos und VitAd" (S. 68-72) gilt, und
des PsPhilo, dem l1/« Spalten des Stellenregisters gewidmet
sind (S.352). Am besten vermag wohl eine unter gelegentlicher
Änderung ihres Wortlautes auf ihr Viertel gekürzte Fassung der
Schlußbetrachtung eine zutreffende Vorstellung von den Ergebnissen
des vorliegenden Buches zu vermitteln: „Der Zweifel
an der Wahrheit und Verläßlichkeit des göttlichen Verheißungswortes
, wie er in 4 Esr und ApkBar (syr) zum Ausdruck kommt,
ist durch die dort vertretene Zeit- und Geschichtsauffassung veranlaßt
. Dabei lebt die apokalyptische Theologie, wie sie in 4Esr
und ApkBar (syr) greifbar wird, selbst nicht im ,Element' der
Skepsis, sondern sucht deren Einfluß im Gegenteil gerade einzudämmen
und die durch sie heraufbeschworene Gefahr abzuwenden
. Der Verfasser der Esraapokalypse läßt durch den
Seher ein bestimmtes Seinsverständnis zu Wort kommen, das
unverkennbar die Züge der Skepsis trägt, um demselben die
eigene, durch den Mund des Offenbarungsengels wahrgenommene
Position entgegenzusetzen. Spuren einer ähnlichen Auseinandersetzung
lassen sich auch noch in ApkBar (syr) feststellen
, so daß man wohl bei beiden Schriften mit einer ähnlich
gelagerten Frontstellung rechnen darf. Die in beiden Apokalypsen
geltend gemachte Zwei-Äonen-Lehre soll die Position
der Skepsis, die den Untergang Jerusalems (70 n.Chr.) als den
deutlichsten Beweis für die Niederlage des göttlichen Wortes

ausgibt, das Faktum der Leiden Israels als Argument einer
Gottes Ohnmacht entlarvenden Anklage aufbietet und unter
Berufung auf ein angeblich durch Adam verschuldetes Sündenverhängnis
Sinn und Wert des Gesetzes in Frage stellt, erschüttern
und ins Unrecht setzen. Auf der Menschheit lastet
tatsächlich ein Verhängnis, das durch die Tat des Protoplasten
in Gang gesetzt wurde. Die Verheißung ist aber keineswegs für
immer und endgültig außer Kraft gesetzt und aufgehoben; sie
erfüllt sich erst im künftigen Äon, der das von Gott in Aussicht
gestellte Heil bereithält. Die Zugehörigkeit zu diesem Heil entscheidet
sich an der Stellung zum Gesetz, die der einzelne in
diesem Äon einnimmt. Hier gilt das 'ius talionis'. Denn trotz
seiner Gebundenheit an die schicksalhaften Zusammenhänge
dieses Äons ist der Mensch in der Lage, das Leben im Sinne des
eschatologischen Heils zu gewinnen. Beide Apokalyptiker
suchen die .Geschichte' einerseits als die in sich geschlossene,
als Übel definierte Zeit des njn cfriy zu begreifen, deren Wesensmerkmal
die Heilsferne darstellt. Anderseits sehen sie in ihr jedoch
auch die dem Endgericht vorausgehende Zeit der Entscheidung
, die allen Gesetzeskundigen die Möglichkeit eröffnet,
das Anrecht auf den Besitz der eschatologischen Heilsgaben zu
erwerben. Als Vertreter einer theozentrischen Zeitaui'fassung
haben 4 Esr und ApkBar (syr) die Möglichkeit, die eschatolo-
gische Terminspekulation zu entlasten, die herausfordernd gestellte
Wann-Frage als unbillig und unzulässig zu verwerfen und
zugleich die Hoffnung auf das zur bestimmten Zeit mit Sicherheit
eintreffende Ende zu stärken. Es fragt sich freilich, ob diese
eine theologische Apologie der Verheißung darstellende Theodi-
zee nicht zu einer abstrakten Geschichtskonstruktion zu werden
droht, die das durch die Katastrophe von 70 n.Chr. entstandene
religiöse Vakuum ausfüllen soll. Die Verfasser von 4 Esr und von
ApkBar (syr) hatten indes ungleich schwierigere Probleme zu
bewältigen, als dies in den vorangegangenen Generationen der
Fall war. Was beide Schriften in Wahrheit legitimiert, ist nicht
das in Anspruch genommene Pseudonym, sondern die Kraft der
hier wie dort zur Geltung gebrachten Aussagen". Zum Schluß
noch eine an Dr. Harnisch gerichtete Frage und Bitte! Das vorliegende
Buch bringt aus 4 Esr und aus ApkBar (syr) so viel
Zitate, daß fast vollständige Übersetzungen der beiden Bücher
geboten werden. Dazu benötigt das Stellenregister für 4Esr
14 Kolumnen (S. 352-357) und für ApkBar (syr) etwa ebensoviel
(S. 357-361), was das Aufsuchen der Stellen in 4Esr und ApkBar
(syr), die von Harnisch übersetzt oder (und) behandelt werden,
sehr leicht macht. Aber Ersatz für vollständige deutsche Ausgaben
der beiden Apokalypsen sind diese über das ganze Buch
Harnischs verstreuten Zitate oder (und) Erklärungen doch nicht,
schon darum nicht, weil sie eine Würdigung der beiden Bücher
als literarische Kunstwerke ausschließen. Wie wäre es, wenn
Dr. Harnisch sich entschlösse, eine für weitere Kreise bestimmte
Ausgabe unserer beiden Apokalypsen vorzulegen? Das Zeug
dazu hat er.

Halle/Saale Otto Elßfeldt

Schmitt, Armin: Stammt der sogenannte „©'"-Text bei Daniel
wirklich von Theodotion? Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1966]. 114 S. gr. 8° = Nachrichten der Akademie der
Wissenschaften in Göttingen. I. Philol.-hist. Klasse, 1966, 8.

Ausgangspunkt der hier zu besprechenden Abhandlung ist der
Tatbestand, daß „Zitationen des theodotianischen Danieltextes
bereits in Büchern auffindbar sind, die zeitlich vor
Theodotion liegen" (S.14 sowie S.llf.l2f.). Der Vf. bespricht
zunächst die verschiedenen Lösungsversuche in bezug auf dieses
Problem, die im wesentlichen zur Annahme eines „Vor-Theodo-
tion" oder „Ur-Theodotion" geführt haben1, bis hin zu der
neuerdings von D.Barthelemy vorgetragenen These2, Theodotion
sei mit Jonathan ben 'Uzziel, dem Schüler des Hillel,
identisch. Allerdings geht es dem Vf. nun nicht darum, die Person
des Übersetzers jenes ,,vor-thcodotianischen" Danieltextes
zu identifizieren; ihm ist lediglich daran gelegen, die Frage zu
beantworten, ob der „Theodotion-Text" (=„d'"-Text) des
Buches Daniel wirklich dem Theodotion zuzusprechen ist (S. 14;