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Ausgabe:

1969

Spalte:

147-149

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jüngel, Eberhard

Titel/Untertitel:

Die Praktische Theologie zwischen Wissenschaft und Praxis 1969

Rezensent:

Krause, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2

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zur Epistclpredigt in monographischer Form wünschen. Daß die in
der Zweiten Auflage von „Furcht ist nicht in der Liebe" angestellten
„homiletischen Überlegungen und .. . Textbesprechungen für
die . . . neueren Fest- und Feiertage" (10) nicht wieder aufgenommen
worden sind, ist schade. Die statt dessen vorgebrachten Äußerungen
zum Gedenktag der Entschlafenen und zum Buf}- und Bettag
(254ff.) sind wichtig, weil sie Tabus der liturgischen Diskussion
angreifen. Die versuchte theologische Aufwertung des Burgund
Bettages dürfte allerdings angesichts seiner weithin geringen
Bedeutung im Gcmcindeleben und angesichts der staatlichen Fcicr-
tagsrcgclung (in der DDR) kaum etwas an seiner langsamen Ab
Schaffung ändern. Daß man seine legitimen theologischen Inten-
(ionen in andere Zusammenhänge des Kirchenjahres einarbeitet,
dürfte sich als wirksamer erweisen. - Nicht zu übersehen sind die
vielen Hinweise auf Lutherpredigten, die zu einem verstärkten
Lutherstudium anregen wollen. Dafür kann man um so dankbarer
sein, als davon heute zwar noch viel gesprochen wird; aber wo
geschieht es wirklich? M. W. erstmalig findet sich eine genauere
Begründung für die seit Jahrzehnten in Predigthilfen übliche
Zitation der Reformatoren (8f.).

Die Auslegungen sind auch praktisch gesehen noch hilfreicher
geworden - wenn auch nicht im Sinne einer vordergründigen
Direkthilfe. Dem Prediger wird die Suche nach letzten Konkretionen
für seine Gemeindesituation nicht erlassen. Doch wird er nicht
nur in eine theologische Auseinandersetzung hineingezogen, die
sich viele Prediger auf Grund einer einseitigen Direktkoppelung
von exegetischer Arbeit und situationsnaher Umsetzung meinen
ersparen zu können: zugleich wird der Leser in einen Dialog verwickelt
, dessen Anspruch er sich bei genauerem Lesen nicht entziehen
kann. Das durchgehende Bemühen, das Evangelium der
Texte herauszuheben, wird beispielhaft durch den Beginn der
ersten und den Schluß der letzten Auslegung klar.
Es ist gut, daß diese Prcdigtübcrlegungen neu und noch einmal
im Laufe von zwei Jahrzehnten erschienen sind. Sic wurden langsam
geschrieben. Die geschliffene Art der Darlegungen hat mehr
Vor- als Nachteile bei sich. Mögen die zahlreichen heutigen Angebote
zur Predigterarbeitung je exegetisch umfassender, Zeitströmungen
in Kirche und Welt ergebener, schlichter und bildhafter
, modell- und musternäher, durch viele Mitarbeiter farbenreicher
gestaltet sein: die gebildete und abgewogene Vielseitigkeit
dieser Arbeit sucht ihresgleichen (nicht umsonst wird schon
die Zweite Auflage von „Furcht ist nicht in der Liebe" neuerdings
gern in anderen Predigtmeditationen zitiert). In die Geschichte
der „homiletischen Auslegung", die ihr besonderes Genus seit etwa
einem Jahrhundert ausgeprägt hat, wird dieses Buch als vorzügliche
Leistung eingehen.

Rüdersdorf bei Berlin Friedrich Winter

J ü n g e 1, Eberhard, Rahncr, Karl, u. Manfred S e i t z : Die
Praktische Theologie zwischen Wissenschaft und Praxis. München
: Kaiser 1968. 80 S. 8° = Studien zur Praktischen Theologie
, hrsg. v. R. Bohren, K. Fror u. M. Seitz, 5. DM 8,50.

Die hier mit einem Vorwort von R. Bohren veröffentlichten Vorträge
wurden im April 1967 auf einer vom Verlag zur Begegnung
Praktischer und Systematischer Theologie beider Konfessionen in
Arnoldshain veranstalteten Arbeitstagung gehalten. Jüngcl thematisiert
„das Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander
" (11-45) und sucht den Grund der nach seiner Meinung wohl
selbstverständlichen, tatsächlich oft bedrohten Einheit der Theologie
in ihrem Axiom, „daß es dasselbe Ereignis des Wortes
Gottes ist, das in seinem Geschehen-Sein historisch erklärt und als
erneut geschehendes geschichtlich verantwortet werden will" (35).
In glänzender Interpretation einiger Hauptsätze der „Kurzen Darstellung
. . ." Schleiermachers zeigt er, wie dieser Kants und Fichtcs
Angriffe auf die Theologie dadurch überwand, daft er die in der
beiderseits notwendigen Dialektik von Glauben und Vernunft bestehende
Grundlagenproblematik der Theologie selbst zur Grundlage
der Theologie als Wissenschaft erklärte. Heutige methodisch?
und theologische Probleme der Praktischen Theologie werden nicht
behandelt. - Ihnen gilt Rahners Vortrag „die Praktische Theologie
im Ganzen der theologischen Disziplinen" (46-64), der schon
im „Handbuch für Pastoraltheologie" (seit 1964 bei Herder) Aus
geführtes teils wiederholt, teils bedeutsam modifiziert. Wieder

wird das Verlangen der Praktischen Theologie, die weder Sammelsurium
praktischer Konsequenzen der csscntialcn und historischen
Fächer der Theologie noch von Klughcitsrcgeln der Scelsorgpraxis
sei, auf „Anerkennung ihrer Ursprünglichkeit und Bedeutung als
eigener theologischen Disziplin" begründet. Differenzierter wird
das allen Fächern der Theologie eigene praktische Moment betont;
in „kirchlicher Wissenschaft" haben alle Disziplinen dem „Sclbst-
vollzug der Kirche" zu dienen, was ihnen auch die Praktische
Theologie nicht abnehmen kann. Neu und anregend ist u. a. der
Vorschlag, daft die Praktische Theologie künftig nicht nur »universitär
", sondern auch in unmittelbarem Kontakt mit dem kirchlichen
(wohl: bischöflichen) Amt wissenschaftlich beratend, kritisch
und vorwärtstreibend arbeiten möge. - Seitz referiert mitten
aus der Krisis seines Faches, die er als unvermeidbare, aber verheißungsvolle
Spannung zwischen Wissenschaft und Kirche definiert
, über „die Aufgabe der Praktischen Theologie" (65-80). Diese
erscheint dabei als verwirrende Vielzahl von Aufgaben, denen als
„neue" und „geradezu neue Form der Praktischen Theologie" eine
zeitgemäß« Asketik hinzugefügt wird (76ff.), leider ohne die dazu
erforderliche Didaktik einer praxis pictatis.

Die Behandlung weiterer und engerer Probleme der Praktischen
Theologie durch Systematiker eröffnet ein seit hundert Jahren verlassenes
, aber unerläßliches Stadium der Diskussion über die durch
ihren Praxis-Bezug weder dogmatisch noch methodisch systemati
sierbarc und gerade so „modernste" theologische Disziplin. Ist
diese Praxis mit der änigmatisch-gefährlichcn Kategorie „Ereignis
" schon erfaßt, so daß Praktische Theologie - charakteristisch
verschieden - bei Jüngcl „die theologische Wissenschaft vom
Worte Gottes als Ereignis" (42). bei Rahncr die vom „ je hier und
jetzt sich ereignenden Sclbstvollzug der Kirche" (47) wäre? Kann
sie mit Seitz „Wissenschaft von der Aktualisierung des Christus-
geschehens in der Welt" (79) sein, oder gilt Rahners "Warnung:
„nicht daß sie selbst inhaltlich diese Aktualisierung des Sclbst-
vollzugcs der Kirche in theoretischer Reflexion durchzuführen hafte
oder es könne" (55)? Darf ihr „kritisches Geleit" zum Handeln der
Kirche, fürchtend, „daß sie in der Sorge um ihren wissenschaftlichen
Ruf sich von exemplarischen Anweisungen zum konkreten Handeln
distanziert", gar „episkopale Funktion" beanspruchen (71).
oder nennt Rahncr das Kind beim Namen: „das ist Sache der ganzen
Kirche" (49)?

Solche, der leider nicht nachgedruckten Tagungsdiskussion nach
denkende Fragen verdächtigen die nach Aktivismus szs. nur riechenden
Begriffe und das Verlangen nach konkreten Weisungen der
Verkennung dessen, was „Reflexion auf Entscheidung hin" (Rahncr
) überhaupt in kritischer Begrenzung und theologischem Wissen
um das „Werk" aus Glauben sein kann. Nur Rahncr analysiert das
Verhältnis der hier gefragten Theorie und Praxis: Da die Entscheidung
zur je aufgegebenen Vollzugsgestalt der Kirche weder
dogmatisch aus dem Wesen der Kirche oder des Wortes Göll es
noch empirisch aus der (problematisch bleibenden) theologischen
Gegenwartsanalyse deduziert werden kann, fordert das „unableit
bare Plus, das in jeder Entscheidung liegt", eine Reflexion sui
generis, ein prophetisch-politisches Element aktuellen Anrufs, eine
„Theoria, die als inneres Moment der Praxis selbst innewohnt",
aber „eigenständige und ursprüngliche Wissenschaft" sein soll
(49ff.); aber die damit sich aufdrängende Diskussion mit heutiger
Zukunftsforschung bleibt leider aus. Ist Praktische Theologie also
doch „nicht nur Wissenschaft, sondern auch Weisheit" (Seitz, 72),
oder hat Jüngcl mit Recht die Hollaz-Formel „sapientia eminens
practica" abgewandelt in „scientia" (19)? Dies Problem der Leistungsfähigkeit
der Theorie für die Praxis und nicht „szs. ein
Mangel an akademischem Etablishmcnt" (Bohren) scheint mir den
Krisenherd der Praktischen Theologie zu bilden. Man pendelt nach
Belieben zwischen Kants kritischer Diastasc und hegelisch uto
pischen „Übergängen", ohne den alles Handeln regierenden Glauben
und seine wissenschaftliche Unmachbarkeit ausreichend zu reflektieren
; dann soll Reform-Asketik mit wissenschaftlichen Mil
fein seelsorgerische Wirkungen erzielen, wovor die - von Seit/
als „vorbildlich" bezeichnete - asketische Theologie der Katholiken
in ihrer erst 1931 eingeführten, heute als Fehlentwicklung
verurteilten Reduktion auf ein Lehrfach energisch warnen müßte.
Dann wird die theoriekritische Funktion aller Praxis usurpiert in
eine Kritik aller theologischen Fächer durch die Praktische Theo-