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Ausgabe:

1969

Spalte:

143-145

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kuitert, Harry M.

Titel/Untertitel:

Gott in Menschengestalt 1969

Rezensent:

Schultze, Harald

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Theologische Litcraturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2

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Supranaturalismus, Fundamentalismus? Oder ist eher jener „Offenbarungspositivismus
" gemeint, den Bonhoeffer in der Theologie
Barths fand und kritisierte? Was Kn. hier konkret im Auge hat,
wird nicht deutlich, weil - bei aller Vielseitigkeit im einzelnen -
das Gespräch hier nur nach der anderen Seite orientiert ist, „Orthodoxie
" als diskutable und diskutierte theologische Position aber
gar nicht wirklich ins Auge gefaßt wird - objektiv nicht ohne
Grund, denn eine derartige Richtung ist noch weniger vorhanden
als eine „Existentialtheologie". Ernsthaft zu fragen wäre aber auch
hier, ob nicht das Suchen nach rechter Lehre gemeinsame
Aufgabe aller theologischen Richtungen und Schulen und damit
wie die Existenzbezogcnheit etwas Verbindendes sein könnte.
Dann wäre es allerdings in der Tat eher irreführend, von zwei
Irrwegen zu sprechen und von einem „dritten Weg", der zur Wahrheit
führt, sondern es gäbe dann nur die nie - etwa durch das Bekenntnis
zu einer theologischen Schule - endgültig vollzogene,
vielmehr immer erneut aufgegebene, Hörbcrcitschaft und Selbstkritik
voraussetzende Entscheidung zwischen Wahrheit und Irrtum.
Das Feld dieser Entscheidung offenzuhalten, dazu dient jedes
freie theologische Gespräch.

Was hier kritisch zu Kn.s Buch anzumerken war, soll nicht das
Verdienst des Verf. schmälern, zu solchem Gespräch hilfreich und
anregend beigetragen zu haben.

Leipzig Norbert M u I I e r

Kuitert, Harminus Martinus: Gott in Menschengestalt. Eine
dogmatisch-hermcnoutischc Studie über die Anthropomorphis-
men der Bibel. Übevs. v. E.-W. Pollmann. München : Kaiser 1967.
252 S. gr, 8° = Beiträge zur evang. Theologie. Theol. Abhandlgn.,
hrsg. v. E.Wolf, 45. Kart. DM24,-.

Die Diskussion um die Wirklichkeit Gottes ist noch nicht zur
Ruhe gekommen. In besonders starkem Maße beschäftigt sie die
Theologie über die Länder- und Schulgrcnzcn hinweg. Darum ist
es besonders zu begrüßen, daß uns nun, nach dem großangelegten
Entwurf Miskottcs, wiederum ein Werk der holländischen Theologie
durch eine Übersetzung zugänglich gemacht worden ist. Es
handelt sich um eine Arbeit, die 1962 der Theologischen Fakultät
der Freien Universität Amsterdam als Dissertation vorgelegen
hat.

Kuitert sieht seine Aufgabe darin, die Verarbeitung der anthro-
pomorphen Gottesaussagen der Bibel in der theologischen Tradition
darzustellen. Dabei faßt er das Problem in seiner ganzen
Breite ins Auge: Anthropomorphismus versteht er im umfassenden
Sinn, der nicht nur Aussagen über die Gestalt, sondern auch über
die Emotionen und Handlungen Gottes einschließt. In der ganzen
Heiligen Schrift begegnen solche anthropomorphen Gottcsaussa-
gen, die von der Theologie seither fast stets relativiert oder uminterpretiert
wurden. Daraus resultiert ein dreifacher Arbeitsgang
: die Interpretation der biblischen Texte, die Analyse der
Tradition und die positive systematische Darstellung.

Es liegt in der Natur des Problems, daß sich Kuitert weitgehend
auf alttestamentlichc Texte bezieht. Eine entwicklungsgcschichl-
liche Interpretation, die die eigentlichen Anthropomorphismen nur
in den ältesten Schichten des AT zu finden meint, lehnt er ab. „Das
AT kennt keine antianthropomorphistischen Tendenzen"(37). Die
Menschengestaltigkeit Gottes gehört also wesentlich zur Offenbarung
des AT. Tranzcndenzbewußtscin und Distanzgefühl sind
als bewußte Erscheinungen erst in der LXX, bei Philo und bei den
Rabbinen des 2. Jh. n. Chr. Geb. nachweisbar. Das NT hält an der
Aussagestruktur des AT prinzipiell fest; allerdings muß eingeräumt
werden, daß die Schriftsteller des NT „durch eine größere
Befangenheit im Reden von Gott" gekennzeichnet sind (54). Aber
diese Befangenheit beeinflußt nicht ihre eigentliche Verkündigung.

Die Entwicklung der Theologiegeschichte sieht Kuitert bestimmt
durch die Vorherrschaft außerbiblischer Voraussetzungen, die das
biblische Zeugnis überfremden. Aus der griechischen Philosophie
dringt die Frage nach der natura dei ein (Piaton, Cicero), die
einen prädikativen Gottesbegriff voraussetzt: durch die alexandri-
mschc Tradition (der Theologie des Origenes sind breite Partien
gewidmet) ist er in die kirchliche Verkündigung eingeführt worden
. Übernommen wird damit der prinzipielle, philosophisch bestimmte
Dualismus zwischen der Sphäre Gottes und des Menschen,
zwischen dem Intelligiblen und dem Materiellen. Die Probleme

der Theologiegeschichte resultieren wesentlich aus der Voraussetzung
dieses nichtbiblischen Dualismus: einerseits muß sich Gott
dem Menschen anpassen, seine Offenbarung wird zu einem pädagogischen
Akt - der dann auf einer bestimmten Stufe für den
Christen entbehrlich wird; andererseits entsteht die diffizile Problematik
der Kapazität der menschlichen ratio für die Erfassung
von Gottes Wirklichkeit. Die Auswirkungen dieser falschen Frage
Stellungen sieht Kuitert in der modernen Theologie. Barth geht
in seiner Begründung der Inkarnation nicht von Gottes Handeln
aus, sondern von dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Golt
und Mensch. Tillichs Kategorie des Symbolischen ist aber auch,
nur mit anderem Resultat, von diesem „überspannten Dualismus"
(151) abhängig: das Ausweichen von der Menschengestaltigkeit
Gottes führt bei ihm zur Anthropologisierung des Glaubens (146ff)
Eine legitime Antwort läßt sich nach Meinung Kuiterts nur in
der entschlossenen Rückkehr zu der Gotteswirklichkeit der biblischen
Offenbarung gewinnen. Gottes Sein ist „sein Partncrson
in Wort und Tat", daher kann das biblisch anthroDomorphc
Reden ohne Bedenken rezipiert werden. „Der sich selbst offenbarende
Gott ist der mcnschengcstaltige Gott, und umgekehrt:
seine menschliche Gestalt wird uns a's seine eigentliche Gestalt
bezeugt" (215). Auf diesem Partnersein liegt der Akzent; vor dem
(modern belasteten) Personbegriff verdient daher der Begriff
„Bundespartner Israels" (182) den Vorzug, denn dies Partnerscin
Gottes ermöglicht die Menschengestaltigkeit seiner Offenbarung.
Zwischen Gott und dem Menschen besteht keine Spannung (211) -
die Distanz zwischen Gott und Mensch ist nicht in der Struktur des
Mcnschscins, sondern in des Menschen Schuld begründet. Gotlos
Unsichtbarkcit ist die Sclbstverbcrgung Jahwes als dessen eigene
Tat zum Heile des Menschen. Aber diese Verborgenheit Gottes
darf nicht mit einer prinzipiellen Nichterkcnnbarkcit verwechselt
werden. „Zu dem Gottscin Gottes... gehört... sein Erkannt-
scin" (231).

Es ist offensichtlich, wie viel Kuitert der alttestamentlichen For
schung verdankt. Seine Arbeit bekommt ihren besonderen Wert
dadurch, daß er diese Sonderstellung der Aussagestruktur des AT
noch prinzipieller herausstellt, sie gegen unsachgemäße Dcnkvnr-
aussetzungen sogar der Alttcstamentlcr selbst verteidigt und mil
einer beträchtlichen Mafcnalkenntnis die außcrbiblischcn Quellen
des Antianthropomorphismus und deren theologiegesdiichttichc
Virulenz zeigt. Daraus ergeben sich für die Auseinandersetzung
in der gegenwärtigen Diskussion interessante Fragemöglichkeiten.

Trotzdem erhebt sich die Frage, ob der Verfasser die biblischen
Voraussetzungen seiner These wirklich zureichend interpretiert
habe. Es fehlt z. B. eine eingehende Analyse der metaphorischen
Aussageformen in der Bibel. Das AT wird merkwürdig flächen
haft-harmonistisch verstanden. Unter der Voraussetzung, daß es
weder die n a t u r a - d e i - Frage noch den davon abgeleiteten
spiritualisicrten Gottesbegriff kenne, wird die Möglichkeit anti
anthropomorpher Kritik bestritten. Dann lägen also die Gottes-
aussagen der nachexilischen Theologie auf einer Ebene mit denen
im Qucllengut der Genesis? - Die Erwartung, den menschengr
staltigen Gott im gleichen Sinne wie im AT auch im NT wiederzufinden
, wird hier zu einem Vorurteil. Daß im NT Dcnkstrukturrii
aus der hellenistischen Umwelt gerade für die Gottesaussagen
wirksam geworden sind, deutet Kuitert an, ohne die Bedeutunq
dieses Phänomens zuzugeben; die dafür bedeutsamen Texte aus
dem paulinischen und deuteropaulinischen Schrifttum werden nicht
analysiert. - Die anthropomorphen Gottesaussagen des AT haben
für den Verfasser absolute, direkte Offenbarungsautorität - von
da aus erklärt sich sein Versuch, Kritik und Aufhebung des Anthrc
pomorphen in der Bibel selbst zu bagatellisieren und in der theologischen
Tradition aus Überfremdungen zu deuten. Jedes Benin
hcn. bestimmte Anthropomorphismen der ältesten Schichten des AT
interpretierend zu sublimieren, ist für Kuitert schon identisch mit
der Aufhebung des Kcrygmas (14.93). Das „Abstreifen des typisch
Biblisch-Israelitischen" kommt „dem Verlust des Kcrygmas gleich"
(240); die eigentliche Sprache der Offenbarung von Gottes Parl-
nersein ist das Hebräische - jede Wiedergabe in einer anderen
Sprache ist ein Versuch, der unzulänglich bleiben muß, bevor nicht
das Zeitalter der Vollendung erreicht ist (243). Gott ist, in dieser
Sicht, eben eigentlich ein „hebräomorpher Gott" (224,234).

Damit wird der Versuch, die Botschaft Gottes auch in die Denk-
möglich.kciten einer anderen Welt zu übersetzen, der mit Paulus,