Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

141-143

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Knevels, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Wirklichkeit Gottes 1969

Rezensent:

Müller, Norbert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

111

Theologische Litcraturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2

142

'ogicgcschichtlichen Verständnis der Barockdogmatik beitragen
möge.

MarWqtahn Wlnfritd Zelltr

K n c v e 1 s , Wilhelm : Die Wirklichkeit Gottes. Hin Weg zur Überwinduno
der Orthodoxie und des Existentialismus. Stuttgart:
Calwer Verlag (19641. 285 S. 8°. Kart. DM 9.-; Lw. DM 13.50.
- Die Wirklichkeit Gottes. F.ine Besinnung auf die Grundlaoen des
christlichen Glauben«. 2 neugefafife Auflage. Hamburg: Furche-
Verlag [1966]. 205 S. kl. 8° = Stundenbuch 68 (SonderbandV
DM 3.80.

Das anzuzeigende Werk - Rez. bedauert sehr, dafi er durch
zwingende äufioro Umstände Gehindert war. diese Besnrer-hung
eher fertigzustellen - lieat in zwei Fassungen vor: Der Erstausgabe
von 1964 folgte 1966 o'ne etwas gekürzte, zugleich aber an vielen
Stellen neuaefafito und ergänzte Taschenbuch-Ausgabe. Aufgabenstellung
und Methode des Autors um derentwillen das Buch alle
Aufmerksamkeit verdient, sind aber in beiden Ausoaben nleich.
so dafi Rez. sich im Folgenden i. W auf die erste Ausoabe be
ziehen kann (der. wo nicht anders vermerkt, auch die Zitate entnommen
sind).

Die Absicht ist im Untertitel der Erstausgabe nrogram-
matisch formuliert: sip wird nräzisiert besonders in einer ausführlichen
Auseinandersetzung mit dem Beariff des Mvthos. die
das zweite Kanitel des Werkes bildet- Der Inhalt der MvrVi"-!
darf nicht als Beschreibuno der ienseitioen Wirklichkeit oc-
nommen werden. Die orthodoxe Auffassung ist falsch.
Aber die Mvthen müssen als Hinweis auf die transzendente
w i r k 1 i c h k e i t. auf die Wirklichkeit Gottes oenommen werden
. Die existcntialistische Auffassuna. die sie in blofie
Bedeutsamkeit verflüchHaf. ist ebenso falsch. Die Wahrheit lieat
über diesen beiden Auffassunaen als ein drittes" (S. 55). Die
Methode der Darstellung ist dieser Absicht, einen dritten Weg"
«U ..weisen" (2. Aufl., VorwortV untergeordnet, macht das Buch
•■■ber auch abgesehen davon zu einer instruktiven Lektüre, da sie
>n einer übersichtlichen F.'-örteruno der Gesamten hermeneutischen
Problematik und der mit ihr verbundenen theologischen Grund
fragen besteht, die die zeitgenössische Diskussion ia weitgehend
bestimmen. So wird dieses Buch zu einem nützlichen Hilfsmittel
für das Verständnis der theologischen Situation in der Gegenwarf
■Tuch für den, der schließlich nicht bereit ist. sich alle seine Folgerungen
zu eigen zu machen.

Die Darstell u na ''ollzieht sich nach einer .Grundleaenden
Besinnung" (1. Kapitel) in drei Themenkreisen: Auf eine umsichtige
phänomenologische Behandlung des Mvthos-Problems (2.-4.
Kapitel) folgt die Auseinandersetzung mit den eigentlichen hermeneutischen
Fragestellungen: Kristallisationskerne bilden die
Frage nach der Auferstehung Tesu. das Programm der Entmvtho
'ogisicrung. die „existentialc Interpretation" und das Verhältnis
von Offenbarung und Heilsgeschehen fS.-lO. Kapitell - Begriffe
l'nd Fragenkomplexe also, die alle ihre Bedeutung bereits durch
R"ltmanns grundlegenden Aufsatz von 1941 gewonnen haben.
°ie Radikalisierung dieser Problemstellungen, wie sie sich im
ätzten Tahrzehnt bemerkbar gemacht hat. ist dann Gegenstand
des dritten Fragenkreises: Die Wirklichkeit Gottes" (11. Kapitel).

Kennzeichnend für die Haltung des Autors, von der aus das
Werk verstanden und seine Leistung gewürdigt werden mufi
scheint dem Rez. einmal die Bemühung um eine unbefangene Klärung
der verwendeten Begriffe So wird der Terminus .Mvthos"
nicht einfach als ein sprachliches Klischee übernommen, sondern
o.) erneut auf seine hermeneutische und theologische Relevanz
n'n überprüft mit dem F.vgebnis. das der Mvthos nicht nur als
■•kristallisiertes Tranzendenzorlebnis" (S. 44) seine bestimmte und
notwendige Funktion in der Beziehung des Menschen zur Wirk-
''chkeit und ihrer sprachlichen Artikulation hat, sondern dafi in
'hm ein „Fingerzeig auf die Ganzheit der Welt" liegt (S. 63) und
rr durch diese kosmolooische Orientierung ein wichtiges Korrektiv
für ein individualistisch vo'-enotes philosophisches und theologisches
Denken bildet Ebenso werden Begriffe wie ..Existenz"
oder „Offenbarung" einer (z. T allerdings stark polemischen)
Analyse unterzogen: „Die christliche Existenz ist die einzige evi-
'fentielle Möglichkeit, die bei Heidegqer unmöglich ist" (S. 192):
Und: „Nur für den Glauben ist Offenbarung Offenbarung. Aber

der Glaube beruht darauf, daß die Offenbarung eine wirkliche
Offenbarung ist" (S. 244).

Sodann ist die ständige Orientierung an den praktisch-theologischen
Konseguenzen beachtenswert, die der Gesprächslage und
der brennenden auch kirchlichen Aktualität der Themenstellung
entspricht: Es kommt nicht nur darauf an, was von der Wirklichkeit
Gottes erkannt, sondern was von ihr gesagt werden kann, wie
es auch nicht genügt, die Inhalte der biblischen Oberlieferung zu
verstehen, sondern der Theologie immer die Aufgabe gestellt
bleibt, verständlich zu machen. So ist in dem Buch eine
im weitesten und besten Sinn pädagogische Tendenz spürbar; der

dritte Weg", den der Verf. aufzeigt, ist nicht als abstrakte Lösung
in einem Dilemma des Intellekts gedacht, sondern möchte, mit
allen konkreten Konseauenzen (etwa in Predigt oder Unterricht),
tatsächlich gegangen sein. Freilich wird, angesichts der hochdifferenzierten
Begrifflichkeit, wie sie in anderen Beiträgen zum Thema
(etwa in den Arbeiten von Ernst Fuchs und E, Tüngel) entwickelt
worden ist. gefragt werden müssen, ob nicht bei Knevels die Gefahr
besteht, dafi es bei dem dankenswerten Bemühen um praktikable
Formeln zu einer gewissen Vereinfachung der komplexen
Problemlage kommt. Rez. möchte ausdrücklich betonen, dafj er im
Widerspruch zu dem allgemeinen Tabu, mit dem heute an Meta-
nhvsik und Ontolooie erinnernde Formulierungen in der Theoin.
oie belegt sind, es für legitim, ia für notwendig hält, auch idealistische
Denkformen neu auf ihre Brauchbarkeit hin zu erproben.
Gefragt werden mufi aber, ob der von Kn. gebrauchte Beariff der

transzendenten Wirklichkeit" tragfähig genug ist, um als Unterbau
für seinen dritten Weg zu dienen. Dabei ist allerdings zu betonen
dafi Verf. weder von „Transzendenz" noch von „Wirklichkeit
" in einem naiv unreflektierten Sinn spricht: er weifi etwas
davon, dafi ..der .tranzendente' Gott .immanent' erscheint", erwägt
: Vielleicht wäre statt .transzendenter Gott' .der ganz
A n d e r e ' ein besserer Ausdruck" und: „Statt .immanent' können
wir saoen: der universale Gott" (S. 282; zum Wirklichkeitsbegriff
vgl. S. 279ff ).

Als d r i 11 e s Charakteristikum des Buches möchten wir schlief;
Uch die in ihm dokumentierte vielseitige Diskussionsbereitschaft
hervorheben. Wenn auch, wie oben bemerkt, die Auseinandersetzung
ihre Stichworte i. W. durch Bultmanns Entmvthologisierungs-
nrogramm empfängt, was ia ohnehin nur die Bedeutung des letzteren
, nicht mangelnde Umsicht des Verf. beweist, bezieht sich die
Darstellung im einzelnen vielfach auf neuere und neueste Publikationen
• während schon in der Erstausgabe nicht nur auf F.
Fuchs. H. Braun, H. Gollwitzer u. a.. sondern bereits auch auf W.
Pannenberg Bezug genommen war, sind in der 2. Auflage darüber
hinaus inzwischen erschienene Publikationen verarbeitet, so u. a.
Arbeiten von P. van Buren. M. Mezger. T. Moltmann. H.-R. Müller
Schwefe und D. Solle - eine Aufzählung, die sich noch bedeutend
erweitern liefie.

Allerdings mufi. nun gerade im Hinblick auf diese Vielfalt der
Beziehungen ein kritischer Vorbehalt angemeldet werden. Kn.
möchte einen „dritten Weg" zwischen „Orthodoxie" und „Existentialismus
" zeigen. Ist dieses auf den ersten Blick gewifi sehr
plausible Programm (auf dessen Herausstellunq im Untertitel die
2. Aufl. wohl doch nicht zufällig verzichtet, das aber auch dort
unverändert die Thematik bestimmt) nicht doch unter Umständen
dazu angetan, letztlich zu einem der Sache abträglichen Parteidenken
zu verleiten? Was zunächst die eine Seite, den theologischen
„Existentialismus" (auch als „Existentialtheologie" bezeich
net) betrifft, so mufi hervorgehoben werden, dafi die Verfechter
der damit gekennzeichneten theologischen Richtung es entschieden
ablehnen, sich in dieser Weise etikettieren zu lassen (vgl. dazu
G. Ebeling. Theologie und Verkündigung, 1962, S. 131 f.V Ist es
der Verständigung dienlich, dem Diskussionspartner mit einer Benennung
zu begegnen, die seinem Selbstverständnis widerspricht?
Außerdem mufi gefragt werden, ob die E x i s t c n z bezogenheit
als das eigentlich unterscheidende Merkmal in der von Kn. durchgeführten
Auseinandersetzung betrachtet werden darf: könnte
nicht im Gegenteil gerade hier ein verbindendes Moment gefunden
werden?

Noch mißlicher steht es aber mit der anderen Seite des Gegensatzes
, der „Orthodoxie". Ist hier an die orthodoxe Dogmatik des
Protestantismus und den Versuch ihrer Restauration im 19. Jahrhundert
zu denken oder an bestimmte Formen von Bibliz.ismus,