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Ausgabe:

1969

Spalte:

121-123

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Deichgräber, Reinhard

Titel/Untertitel:

Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit 1969

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2

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liehen Wundergeschichten, um das lehrhafte Element im Interesse
des Gedankens der Jüngerschaft um so stärker zu betonen. Lukas
sieht die Wunder Jesu in ihrem historischen Abstand, die ihm aber
gerade so zu tröstlichen, leichtverständlichen Bildern göttlichen
Heilshandelns, gleichsam zu einer Biblia pauperum geworden
sind.

Das 5. Kapitel (98-117) behandelt „die johanneischen Zeichen",
wobei F. sachgemäß zwischen dem vom Evangelisten verwendeten
• Buch der Zeichen' und seiner eigenen Interpretation unterscheidet
. Wenn die Wunder hier eindeutig als Offenbarungen des Gottessohnes
verstanden werden, die freilich - so der Evangelist -
alle auf das Osterwunder vorausweisen, so wird damit nur eine
Linie ausgezogen, die bereits in Jesu eigener Interpretation angelegt
war.

Im 6. Kapitel geht F. wenigstens ansatzweise auf die Fragen um
die „Verkündigung der Wunder heute" ein (118-130). Aufgabe des
Predigers ist es, jenen Prozeß der Entfaltung und Aktualisierung
der Wundertradition, den schon die Evangelien erkennen lassen,
weiterzutreiben bzw. - was dem vielleicht gleichkommt - ihn
wieder an seinen Ausgangspunkt, das Wunderverständnis Jesu,
zurückzuführen. Man wird Letzteres noch stärker als F. betonen
müssen, da nur so eine kritische Neuinterpretation möglich ist.
An vier Texten (Mt. 11,2-10; Joh. 2,1-11; Lk. 11,14-28; Lk. 5,1-11)
exemplifiziert F., wie er sich Verkündigung der Wunder Jesu
heute vorstellt. Die fundamentalistische Position wird ausdrücklich
abgelehnt. Sie führt zu intellektueller Unaufrichtigkeit und
mißversteht, was der Glaube wirklich ist. Ebenso unakzeptabel
aber wäre es, nur den historisch gesicherten Wundern Jesu Raum
in der Verkündigung zu gewähren, denn schon für die Evangelisten
erschöpfte sich der Sinn nicht in dem brutum factum.

Die Studie des anglikanischen Gelehrten erscheint mit kirchlicher
Druckerlaubnis in der Reihe „Theologische Perspektiven",
die mitten in die Problemarbcit heutigen theologischen Denkens
einführen will. Zweifellos hat der Verlag damit einen guten Griff
getan. Der katholische Neutestamentier F. J. Schierse hat das Buch
mit einem Vorwort und Nachwort versehen, die deutlich machen,
wie offen katholische Theologie heute für moderne kritische Exegese
ist. Seine Unterscheidung zwischen historischer und literarischer
Wirklichkeit darf programmatischen Rang beanspruchen.

Leipzig Günter Haufe

Deichgräber, Reinhard: Gotteshymnus und Christushymnus
in der frühen Christenheit. Untersuchungen zu Form, Sprache
und Stil der frühchristlichen Hymnen. Göttingen: Vandenhoeck ü
Ruprecht [1967]. 251 S. gr. 8° = Studien zur Umwelt des Neuen
Testaments, hrsg. v. K. G. Kuhn, 5. DM 22,50.
D. legt seine 1965 unter K. G. Kuhn gefertigte Heidelberger Dissertation
(urspr. Der Lobpreis der frühen Christenheit) vor. Die
gegenwärtige Hymnenforschung am NT (S. 11-21 „Skizzen" zur
Forschungsgeschichte) soll (bis knapp Mitte 2. Jh.) aufgearbeitet
Werden, wobei insbesondere die jüdische Tradition und Qumran
berücksichtigt werden („Spätjudentum" sagt D., als gäbe es heute
kein Judentum mehr). Wohl der neueste Teil ist die Bestandsaufnahme
der kurzen Lobsprüche (S. 24-59 Kap. 1), darin wieder Absatz
1 Doxologien (S. 25-40), gemeinsam mit der Zusammenstellung
der Gottesprädikationen S. 87-105 wohl die am besten gelungenen
Partien des Buches.

Die übliche, dreiteilige Doxologie begegnet, von Vorformen ab-
9esehen, weder im AT noch im derzeitigen Judentum, S. 38: „Es
scheint also so, als habe sich die Doxologie als feste Formel erst im
hellenistischen Judentum herausgebildet." D. zerstört sein Resultat
jedoch sofort wieder: Die „Ausnahmen" (Doxologie „als völlig
selbständiges Stück" S. 34f.) Luk. 2,14; 19,38b und in der Apc liefern
ihm wegen ihres jüdischen Charakters bzw. bei Luk. 2,14 (nach
J- Jeremias, ZNW 1929) wegen ihrer Rückübersetzbarkeit ins
Hebräische „den Beweis" dafür, „daß die Form der Doxologie auch
ir> Palästina bekannt war" (S. 38f.). Wieso? 1) Diese Doxologien
begegnen sämtlich in jungen (Apc, Lukasversion), hellenistischen
(Luk. 2,14 neben v. 11!) Stoffen. 2) Eine Hypothese ist metho
disch kein „Beweis". 3) Der abweichende Gebrauch einer Formel
darf, wenn der normale Gebrauch ausreichend abgeleitet werden
kann, nie als Wurzel für diesen gelten; er ist umgekehrt als Ab
Weichung zu deuten. Die Definition „akklamatorische Doxologie"

weist auf eine feste Verankerung im Kontext (Luk. 2 Akklamation
der Engel, 19 des Volks usw.). Ähnliche kontext-gebundene Doxologien
enthalten z. B. die Mahlgebete Did. 9f. Man darf die Doxologien
nicht aus diesem Kontext herausoperieren, aber man kann
fragen, ob die Abweichung einer besonderen gottesdienstlichen
Beziehung zu verdanken sei.

Des weiteren untergliedert D. ziemlich formal in Gotteshymnen
(S. 60ff. Kap. 2) und Christushymnen (S. 106ff. Kap. 3), um mit
theologischen Erwägungen zum Lobpreis (S. 197-214 Kap. 4; danach
Register) zu schließen. Das Gotteslob umfaßt nach ihm mit Rom.
11,33-36; Eph. 1,3-14; 1. Petr. 1,3-5; Kol. 1,12-14; 2. Kor. l,3f. u.a.
ausschließlich Prosahymnen (intuitive Bildungen). Bei den von den
„Bekenntnissen" und Formeln scharf abgehobenen Christushymnen
gibt es nach D. auch einige fast vollzählig erhaltene Lieder
(v. a. Phil. 2,6-11; 1. Tim. 3,16; 1. Petr. 2,21 ff.; Kol. 1,15-20; Ign.
Eph. 7,2; 19,2f.; vgl. Hebr. 1,3; Eph. l,20ff.). Die Urchristenheit
ist nicht erst, wie noch W. Bousset annahm, spät vom Lob Gottes
zu dem Christi übergegangen, sondern eher umgekehrt vom Christushymnus
zum Gotteslob. D. bemüht sich nicht um den Nachweis
neuer Hymnen. Er bespricht ästhetisch-formal als solche bezeichnete
Texte, wobei er an vielen Stellen im Gegensatz zu anderen
„reine Prosa" erkennt. Wer Zurückhaltung als Stärke ansieht, wird
das begrüßen.

Der Wert der Arbeit wird jedoch durch deren methodische Besonderheiten
beträchtlich gemindert. Ich nenne nur folgendes: 1.
Wer im neutestamentlichen Schrifttum Hymnen sucht, aufgearbeitete
Traditionen, muß literarkritisch arbeiten. Das fordert D. auch
ab und zu (z. B. S. 67 Anm. 4 der Hinweis auf sprachliche und sachliche
Divergenzen). Aber er verzichtet schlankweg auf theologische
und literarische Analysen. Ergebnis: S. 159 „Dieser Hymnus
ist vorignatianisch" und weiter unten zum gleichen Text, es handle
sich „vielleicht um rein literarische Poesie" (Sperrung
D.s). Was nun eigentlich?

2. D.s Maßstäbe sind der Begriff Poesie und Hymnen wie Phil.
2,6-11 und 1. Tim. 3,16. Könnten nicht auch prosaische Texte gottesdienstliche
Funktionen erfüllt haben (etwa als hierös lögos = Kult-
ätiologie, also als Perikope?), und wieso ist Phil. 2,6-11 „Poesie"?
Wir sollten uns methodisch vorläufig darauf beschränken, zwischen
Intuition (die auch poetisch-rhetorisch sein kann) und Tradition
zu unterscheiden, solange wir über diesen Punkt nichts Genaueres
wissen.

3. D.s metrische Aufstellungen sind daher ganz willkürlich. „Von
einem sich wiederholenden Ebenmaß des Metrums oder der Zeilenzahl
kann gerade keine Rede sein", sagt er S. 71, weil ich bei
Eph. l,3-12a einmal elf und das andere Mal drei Worte im Kolon
annahm (=16/6 Silben), S. 70. Auf S. 150 aber nimmt er für
Kol. 1,15-20 einmal drei und das andere Mal zehn Worte an
(Höchstfall 5 gegen 18 Silben!). Merkwürdig!

4. Nach D. wird die Gemeinde im Hymnus grundsätzlich nie
genannt. Wirstil ist hier nie (bzw. erst seit 1. Petr. 2,21 ff.: S. 111
Anm. 4) möglich. Wer singt eigentlich? An wen richtet sich die
Aufforderung „gelobt sei"? Meine Analysen sind von daher -
höchst begreiflicherweise! - sämtlich „falsch".

5. Die gleiche Begriffsdiktatur verbietet es D., Plerophorie als
hymnisch zu erkennen, weil sie unpoetisch ist. „Die Plerophorie
des Ausdrucks, die Schwerfälligkeit und Kompliziertheit des Satzbaus
, das Übermaß an adverbialen Bestimmungen, das alles sind
Kennzeichen erbaulicher Redeweise" (S. 72) und damit der reinen,
lehrhaften (!) Prosa. Ein Blick in die Hodajot oder überhaupt in
unsere Gesangbücher müßte D. anders urteilen lassen.

6. So sauber eingangs zwischen Doxologie und Eulogic differenziert
wird, und so apodiktisch der Begriff „Hymnus" eingangs nur
für die Gunkelsche Gattung der alttestamentlichen Preislieder gefordert
wird, so sehr verwischt D. bei der Durchführung Gebet
und Hymnus und benutzt „Hymnus" für sämtliche besprochenen
Lieder (vgl. die Kapitelüberschriften). Er benutzt Kategorien fast
wie Gattungsbegriffe (aber ist „Siegesruf" eine Gattung wie die
Gerichtsdoxologie?), kennt aber nur Hymnen. G. Morawes (und
meine) Bemühungen um Gattungsbegriffe für Qumran bzw. das
Urchristentum hätten hier vielleicht hilfreich sein können. Wenn
unsere Aufgabe in der Erforschung der urchristlichen Hymnodik
besteht, so genügt es nicht, alttestamentliche Kategorien auf andere
Bereiche (Qumran, NT) anzuwenden, statt deren Besonderheiten
zu erheben.