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Ausgabe:

1969

Spalte:

119-120

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Monselewski, Werner

Titel/Untertitel:

Der barmherzige Samariter 1969

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Nichts gegen das Eingeständnis „redaktioneller Kniffe" bei Markus
(S. 299), wenigstens nichts Grundsätzliches (im einzelnen kann
man freilich vielfach anders urteilen als L.J: ihre Anwendung erschlicht
sich von den theologischen Absichten des Markus
her oder gar nicht. Hier also würde man sich das Buch stärKer
engagiert wünschen. Da es dies nicht ist, bezweifeln wir den dennoch
erhobenen Anspruch, „nirgends vor Unverständlichem oder
Widerspruch" zu stehen und „durch diese Untersuchung den Inhalt
mühelos zu verstehen" (S. 299). Solche Mühelosigkeit ist freilich
nur zu haben als das Ei des Kolumbus: „Was dunkel blieb (z.B.
V. 14-20), erwies sich bei näherem Zusehen als gewollt mysteriös
und unbestimmt" (ebd.). 2. Die Strukturanalyse scheint mehr an
literarischen Ambitionen in den Autor Markus hineinzulesen, als
ihm wirklich eigen waren. Wie kann man einerseits im Blick auf
Mk 13 von „einem festen, ausgeglichenen, harmonisch aufgebauten
, ja sogar kunstvollen Plan" sprechen, andererseits aber revo-
zieren: „Nicht alles ist von Markus bewußt beabsichtigt" (S. 299)?
Hier ist eine an sich gute (redaktionsgeschichtliche) Methode einfach
überzogen - und das gilt leider für weite Partien des Buches.
3. In allzu großer Bescheidenheit spricht L. selber von einer „langen
und trockenen Untersuchung" (S. 67). Es leidet aber keinen
Zweifel, daß diese Studie nicht nur wegen ihres enormen Fleißes
beeindruckt, sondern auch wegen ihrer subtilen Wort- und Sprachuntersuchungen
, ihrer vorsichtig-abwägenden Argumentation, nicht
zuletzt auch wegen ihrer dogmatischen Unvoreingenommenheit.
Dennoch: Durch die Untersuchung von R. Pesch (Naherwartungen.
Tradition u. Redaktion in Mk 13, 1968) ist sie bereits wieder
überholt.

Herbede/Ruhr Erich G r t 6 e r

Monselewski, Werner: Der barmherzige Samariter. Eine
auslegungsgeschichtliche Untersuchung zu Lukas 10,25-37. Tübingen
: Mohr 1967. VII, 205 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte
der biblischen Exegese, hrsg. v. O. Cullmann, E. Käsemann,
H.-J. Kraus, H. Riesenfeld, K. H. Schelkle, P. Schubert, E. Wolf, 5.
DM32,-; Lw. DM36,50.

Der Verf., der seine Untersuchung 1965 der Ev. Theol. Fakultät
in Münster als Dissertation vorgelegt hat, geht von der christo-
logischen Auslegung aus, wie sie zum Gleichnis vom barmherzigen
Samariter neuerdings wieder von B. Gerhardsson, J. Danielou und
H. Binder vertreten wird. Da diese Exegeten sich u. a. auch auf die
altkirchliche Auslegungstradition berufen, ist es notwendig, die
Geschichte der Erklärung dieses Gleichnisses einer kritischen Überprüfung
zu unterziehen. Dabei ergibt sich, „daß die ältesten uns
erreichbaren Spuren einer Auslegung unseres Textes auf ihren
gnostischen Ursprung hinweisen" (S. 28). Ist aber die christolo-
gische Deutung zuerst in gnostischen Kreisen nachweisbar, so muß
es als denkbar unwahrscheinlich gelten, daß diese Linie bis in die
Anfänge der christlichen Gemeinde zurückverfolgt werden könnte
- es sei denn, man wollte Jesus selbst eine allegorische Sinngebung
des Gleichnisses zuschreiben. Die christologische Auslegung
ist zwar auch bei den Kirchenvätern vielfach bezeugt, aber im
Unterschied zur Gnosis wird die Abwendung vom Gott des Alten
Testaments nicht vollzogen und die ethische Komponente keineswegs
gänzlich übersehen. „Wo die größere .exegetische Nüchternheit
' das Übergewicht bekommt, wie das in der Antiochenischen
Schule der Fall ist, da findet sich auch in der Kirchenväterzeit eine
nichtchristologische Interpretation unserer Erzählung" (S. 60). Auch
im Mittelalter und in der Reformationszeit gehen christologische
und ethische Erklärung nebeneinander her. Erst mit dem Aufkom
men historisch-kritischer Arbeit an den biblischen Texten beginnt
sich die ethische Auffasung und die Ansicht durchzusetzen, „daß der
Grund für eine christologische Auslegung unseres Textes nur homiletischer
Art sein kann" (S. 118). Im 18. und 19. Jahrhundert zeichnet
sich der Bruch mit der allegorischen Auslegungsmethode ab,
den dann Jülicher endgültig vollzieht. Damit aber ist der Weg frei
zu einer textgemäßen Interpretation, über die in einem abschließenden
Kapitel gehandelt wird (S. 158-181). Mit Recht weist der
Verf. die christologische Auslegung als allegorisierende Erklärung
zurück und hebt hervor, „daß der Gesamtduktus von Lk 10,30-35
am ehesten mit dem von Mt 5,43-48 bzw. Lk 6,27-36 verglichen
werden kann, weil es hier eindeutig . . . um das Gebot der Feindesliebe
geht" (S. 161). Der kritische Aufweis der Geschichte der Aus-

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legung führt somit nicht nur zu einer sorgfältig erhobenen Bestandsaufnahme
, sondern erbringt auch wichtige Gesichtspunkte,
die das Urteil des Exegeten schärfen.

Göttingen Eduard L o h s e

Füller, Reginald H.: Die Wunder Jesu in Exegese und Verkündigung
, übers, v. F. J. S c h i e r s e. Düsseldorf: Patmos Verlag
U967J. 144 S. 8° = Theologische Perspektiven. Kart. DM8,80.
Der Autor, Professor für Neues Testament am Union Theological
Seminary in New York, informiert in dieser ausgezeichneten Studie
souverän und hilfreich über die historischen, literarischen und
theologischen Fragen, die sich für die moderne Bibelwissenschalt
aus den biblischen Wundergeschichten ergeben. Die Nähe zur deutschen
Fachliteratur ist unverkennbar, aber ebenso das Bemühen,
die Ergebnisse besonnener Forschung einem weiteren Leserkreis
zugänglich zu machen.

Füller setzt ein mit grundsätzlichen Überlegungen zum biblischen
Wunderbegriff (15-24). Als „außergewöhnliche Eingriffe
Gottes in die menschliche Geschichte" sind die biblischen Wunder
nicht an der Vorstellung der Durchbrechung von Naturgesetzen
orientiert, wollen aber auch weder als Beweise der Göttlichkeit
Jesu noch als rein humanitäre Aktionen verstanden sein. Sie sind
vielmehr „Anrufe, Aufforderungen zum Glauben", die vor ein Entweder
-Oder stellen: Gotteswerk oder Teufelswerk (Mk. 3,22). Terminologisch
ist wichtig, daß es keine genuin biblische Vokabel
für Wunder gibt.

Das 2. Kapitel wendet sich der Frage nach den „Machttaten Jesu"
zu (25-52). Gegenüber konservativer Apologetik wie unwissenschaftlichem
Apriorismus betont F., daß es sich hierbei um eine
historische Frage handelt, „die nur mit den Methoden historischer
Kritik geprüft werden kann". Urchristliche, jüdische und hellenistische
Texte zeigen, daß Jesu Wunder nicht isoliert im Räume
der Überlieferung stehen. Kritische Rückfrage ist nur so möglich,
daß die Ergebnisse der traditions- und formgeschichtlichen Forschung
berücksichtigt werden. Dabei ergibt sich, daß auf Grund
einiger im Kern unbestreitbar echter Herrenworte (Mt 12,27f. par. ;
ll,5ff. par.; 13,16f. par.; Lk. 13,32) die Tatsache, daß Jesus aufsehenerregende
Heilungen und Exorzismen vollbracht hat, nicht
geleugnet werden kann. Freilich sind die einzelnen Wundererzählungen
nicht als singulare historische Protokolle zu verstehen,
sondern als Widerspiegelungen des „allgemeinen Eindruckes", den
das Wirken Jesu hinterlassen hatte. So urteilen kann allerdings
nur, wer mit F. annimmt, daß die meisten synoptischen Wundergeschichten
bereits in palästinischen Gemeinden entstanden sind.
Den sog. Naturwundern steht auch F. kritisch gegenüber. Ihre
theologische Symbol trächtigkeit sowie das Fehlen jeder Anspielung
auf sie in Q und in den Summarien lassen es geraten erscheinen,
sie vorerst auf ein historisches „Sperrkonto" zu setzen. Wichtiger
aber als diese Frage ist die andere nach Jesu eigener Interpretation
seiner Wunder, denn erst darin und nicht in der puren Tatsächlichkeit
von Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen
liegt das theologisch Wesentliche. Wieder lassen einige ursprüngliche
Herrenworte (Mt. 12,28 par.; Mk. 3,23-27; Mt. ll,5f. par.) keinen
Zweifel daran, daß Jesus seine Wunder als Anfang vom Ende
der Satansherrschaft und damit als Anfang vom Anbruch der Gol
tesherrschaft verstanden hat. Weil dies so war, verlangten sie
Glauben, Glauben als aktives Warten auf Gottes Heilshandeln
in der Person Jesu.

Im 3. Kapitel geht F. der Deutung der Wunder in der Urkirchc
nach (53-76), genauer in den einzelnen Schichten der mündlichen
Tradition, die hinter Q , dem vormarkinischen Material und dem
lukanischen Sondergut stehen. Hatte Jesus seine Wunder als Zeichen
der hereinbrechenden Gottesherrschaft verstanden, so interpretiert
sie die Urkirche als Zeichen dafür, daß der Messias gekommen
ist und noch ständig sein Werk in seiner Gemeinde treibt.

Das 4. Kapitel - in seiner Überschrift ist ein grober Druckfehler
zu korrigieren! - fragt nach der Deutung der Wunder in den synoptischen
Evangelien (77-97). Für Markus charakteristisch ist
die Theorie vom Messiasgeheimnis. F. sieht in ihr „eine an die
Adresse des Lesers gerichtete Seitenbemerkung des Evangelisten",
die besagt, daß die Wunder Jesu im Grunde Offenbarungen des
auferstandenen Christus und als solche für den Leser bestimmt
sind. Matthäus kürzt die konventionellen Motive der volkstüm-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2