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Ausgabe:

1969

Spalte:

117-119

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lambrecht, Jan

Titel/Untertitel:

Die Redaktion der Markus-Apokalypse 1969

Rezensent:

Gräßer, Erich

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2

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Kp. 3 (S. 95-108) bemüht sich um Neuland auf Grund der Auswertung
der Metamorphosen des Apuläus von Madaura (2. Jh.
n. Chr.). Der Vf. ist überzeugt, daß dessen Darlegungen einiges
Vertrauen verdienen, weil sie der Wirklichkeit des Kriminalprozeß-
verfahrens der freien Städte Thessaliens in der Kaiserzeit genau
Rechnung trügen. Daß dabei auch das Urteil des Volkes von ausschlaggebender
Bedeutung war, wolle gesehen sein.

Ein 4. Kapitel (S. 109-152) untersucht endlich eingehend die Verbreitung
der acclamatio populi in Rom und im griechisch-römischen
Osten vom 1. Jh. n. Chr. bis hinauf in das 5. Jh. n. Chr.,
also bis in die christliche Zeit. Es scheint dabei, als habe das lat.
succlamare das griech. Vb. £nt ßootui (bzw. dcvaßoäw und £nt,<i>u)veii>)
zur Voraussetzung, wie übrigens auch Apuläus gelegentlich den
latinisierten Begriff ,boatus' (Metam. 111,3,2) verwenden kann (eine
Liste des Sprachgebrauchs S. 113-116). Die Belege fließen jedenfalls
im griechisch-römischen Osten reichlich (S. 117ff). Man dürfe
zwar vermuten, daß die obersten römischen Behörden im großen
und ganzen gegenüber dem Volksentscheid kritisch eingestellt gewesen
seien (S. 134). Wieweit aber nicht selten aus persönlicher
Schwäche oder aus Ohnmacht dem Volksbegehren stattgegeben
wurde, sei durchaus zu fragen. Mit solchen Überlegungen lenkt
Colin zum Ausgangspunkt seiner Studie zurück: ,Pris entre leur
conscience et les ambitions de leur carriere ... les gouverneurs de
Rome dans l'Orient grec etaient tous plus ou moins des Ponce
Pilate' (S. 152).

Die Fülle des gesammelten Stoffes verdient ohne Zweifel Beachtung
. Man wird nicht bestreiten, daß das Vorgehen, gewisse
Kriminalfälle durch eine Volksbefragung zum Abschluß zu bringen
, gängig war. Aber läßt sich dieser Tatbestand auf die spezifische
Situation in Jerusalem unter Pilatus übertragen? Ist es nicht
unwahrscheinlich, daß hier die Umwelt Einfluß gewann? Hinzu
kommt, daß das eigentliche Problem außerhalb des Gesichtskreises
bleibt. P. Winter hat es zuletzt dahingehend formuliert (The Trial
°f Jesus p. 94), daß das Angebot, zwischen nur zwei Strafgefangenen
zu wählen, doch eigentlich der Ausübung eines besonderen
Privilegs des Volkswillens widersprochen habe. War überhaupt
die Passaamnestie eines Verurteilten ein Vorrecht? War es nicht
eher der Rückgriff auf eine eigenständige Rechtssitte (s. Ch. B.
Chavel, JBL 60, 1941 S. 273ff)? Indessen sind die hierfür bemerkenswerten
Zeugnisse (M. Pes VIII,6a; bPes 91a) nicht ganz zweifelsfrei
. Von größerem Gewicht dürfte auch die Frage sein, ob die
Konzeption der acclamatio populi in Mk 15 überhaupt ausreicht,
die Komplexität des Berichteten zu erfassen? Mit gutem Grund
argumentierte z. B. (der unerwähnt gebliebene) J. Merkel (ZNW 1
1905 S. 293ff) von einer breiteren juristischen Sachbasis her (Amnestie
; abolito publica u.a.).

Was endlich den Textentscheid zu Mk 15,8 betrifft, so hat der
Vf. doch wohl übersehen, daß seine Textzeugen minderen Ranges
sind. Sie haben die Vorstellung der im. Pöring sekundär zur Verdeutlichung
der Überlieferung eingetragen. Wie die Dinge liegen,
untersteht heute - u. E. mit Recht - jede Einzelbeweisführung
nicht unerheblichen Zweifeln. Daß indessen auf sie ebensowenig
verzichtet werden sollte, hat J. Colin eindrucksvoll dokumentiert.

Neuendettelsau August Strobel

Lambrecht, Jan, S. J.: Die Redaktion der Markus-Apokalypse.

Literarische Analyse und Strukturuntersuchung. Rom: Päpstliches
Bibelinstitut 1967. XXIX, 321 S., 1 Falttabelle gr. 8° = Ana-
lecta Biblica, 28. Lire 5.700 ($ 9,50).

Titel und Untertitel der Untersuchung sind wohlbedacht: Es geht
darum, „den letzten Redaktionsprozeß" (also nicht die Redaktionsgeschichte
) des ältesten Evangeliums an einem ausgewählten Ka-
P'tel aufzuzeigen (S. 6). Die Arbeit gehört dennoch in den Bereich
der redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen: Der Autor „Marcus
", seine Formulierung, Strukturierung und Komposition des
1 extes, kurz: seine Redaktionstätigkeit und die sich
darin ausdrückenden theologischen Absichten und Deutungen sind
Gegenstand der Erörterung. L. exemplifiziert am 13. Kap. des Mk-
Evangeliums, und dies aus naheliegenden Gründen. Die unbestrit
tene Selbständigkeit dieses Kapitels im Ganzen des Evangeliums
w'e auch eine gewisse literarische Unfertigkeit und gedankliche
sPrunghaftigkeit sind dem Bilde eines profilierten Autors besonders
abträglich. Ist Markus also doch nur der gedankenlose

„Sammler" von Traditionsgut? L. verneint diese Frage entschieden:
„Mk 13 ist kein »vorliterarisches«, amorphes und strukturloses
Stück Tradition, irgendwie zufällig ein- oder hinzugefügt. An der
Entstehung dieser Rede arbeitete ein Redaktor: er komponierte
zugleich den Rahmen und die Rede; er tat dies mit Meisterhand;
er stellte jegliche Struktur in den Dienst des Gedankens" (300).

In dieser Formulierung des Ergebnisses spiegelt sich der Gang
der Untersuchung. Ein I.Kap, analysiert den „Kontext: Mk 10,32
bis 14,17" (S. 13-63), und zwar ausdrücklich und ausschließlich
unter dem Gesichtspunkt: „Was ist hier markinisch?" (S. 5). Antwort
: einzelne, von Markus selbst geschaffene kleinere Einheiten
(10,32-34; 11,23-25); der durch topographische und chronologische
Notizen gekennzeichnete Rahmen; die Anordnung
der Perikopen (bevorzugtes Schema: a-b-a', genannt
„Schwalbenschwanz-Struktur", S. 61); die Interpretation
des Traditionsgutes (z. B. „schrieb Markus das Feigenbaumgleichnis
und die Reinigung in Unterordnung unter eine Gebetsunterweisung
", ebenso 12,38-40; S. 61). Ist auf diese Weise die Redaktionstätigkeit
des Mk erwiesen, so erhebt sich die Frage nach dem
gedanklichen Mot>v der Konstruktionsweise. L. findet es in drei
Themen: „Leidensbewußtsein, Bruch mit der Obrigkeit und Offenbarung
über Jesu Person" (S. 63). Was den „Kontext 10,32-14,7"
zusammenhält, ist „das Ziel in Jerusalem" (S. 61). In ihm ist die
apk. Rede deutlich als Schluß geformt, „als Abschiedsrede, als
Testament" (S. 63).

Das II. Kap. wendet sich der Analyse von Mk 13 selbst zu (S. 67
bis 260). Und zwar soll nun geprüft werden, „inwieweit die genannten
Themen ... in Geltung bleiben und ob Markus im 13. Kapitel
ebenfalls so stark, so unerwartet radikal redigierte" (S. 63).
Wort für Wort nimmt L. das lange Kapitel auseinander, prüft jedes
nai und &6 , vergleicht das übrige markinische Vokabular, zählt
grammatische Formen aus, um schließlich sein Ergebnis zu formulieren
: „Der redaktionelle Gehalt von Mk 13 ist sehr groß!"
(S. 256). Fast kaum ein Vers erweist sich als unbearbeitete, unveränderte
Tradition. Jedwedes „Postulat einer größeren vormarki
nischen literarischen Einheit (nämlich des berühmten .Flugblatts') '
sinkt danach ebenso in sich zusammen wie die Möglichkeit der
Rekonstruktion eines vormarkinischen Gleichnisses in V. 281'.
(S. 202). Von „authentischer Jesusrede" kann nicht die Rede sein.
„Nicht einmal Verse wie 30 oder 32 besitzen die Eigenschaft treu
überlieferter Jesuslogien" (S. 259). Überall nimmt Markus „das
gute Recht literarischer Freiheit" für sich in Anspruch (S. 112,
Anm. 1). „Er bearbeitete seine Quellen schöpferisch und deutete
sie mehrfach um gemäß dem Gang und den Erfordernissen der
Rede, die er nach seinem eigenen Entwurf aufbauen wollte!"
(S. 256). Als diese Erfordernisse bestimmend werden dabei durchaus
auch die „Zeitumstände" angesetzt, in denen Markus lebte
(S. 144). Seine „Quellen" hat er nach Meinung L.s in der Mehrzahl
aus Q (vgl. die Zusammenstellung S. 257f). Der III. Teil untersucht
dann noch die „Struktur" von Mk 13 (S. 263-300). Eine von
A. Vanhoye bereits auf den Hebräerbrief angewandte Methode hat
L. inspiriert, nun auch Mk 13 als ein mit Hilfe von Inklusionen,
Thema-, Parallel- und Gliederungsworten streng strukturiertes
literarisches Gebilde auszugeben, dem angeblich folgender „Plan"
zugrunde liegt: Einleitung (V. 1-4); Rede (V. 5-37) nach „Schwalbenschwanz
-Struktur": „A Drangsal: Unterweisung und Warnung
(V. 5b-23); B Ankunft: Ankündigung (V. 24-27); A' Zeit: Unterweisung
und Warnung (V. 28-37)" (S. 286).

Bibelstellen-, Autoren-, Wortregister und ein „Anhang", der den
strukturierten griechischen Text von Mk 13 noch einmal abdruckt,
beschließen das Buch, dem ein 13V2 Seiten langes Literaturverzeich
nis vorangestellt ist.

Mit einem Autor, der fast jedes einzelne Wort eines langen Kapitels
aus dem Mk-Evangelium untersucht, ist an dieser Stelle
keine Einzeldiskussion möglich. So mögen einige grundsätzliche
Erwägungen genügen. 1, Mehrfach (S. 4; 8; 67; 300) wird der Verzicht
auf die „Exegese" und den synoptischen Vergleich betont. Im
Vordergrund des Interesses steht Mk 13 als ein geprägtes
„sprachliches Gebilde" (von mir gesperrt). Das Kapitel soll
„soweit wie möglich durch Markus selbst erklärt werden" (S 67)
Dadurch hofft L. jedes falsche „Vorverständnis" auszuschalten
(S. 3f.). Nun. faktisch (und zum Glück!) kommt er mit diesem Verzichtprogramm
dann doch nicht durch, was nur zeigt, daß Markus
der Redaktor nicht ohne Markus den Theologen zu haben ist