Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Spalte:

115-117

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Colin, Jean

Titel/Untertitel:

Les villes libres de l'Orient gréco-romain et l'envoi au supplice par acclamations populaires 1969

Rezensent:

Strobel, August

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

115

Trau im israelitischen Kultgesetz gewidmet ist. Diesem Teil kommt
eine zentrale Stellung innerhalb der gesamten Arbeit zu. Der
Verf. untersucht Opfervorschriften, die nur die Frau betreffen
(Levl2; 15,25-30; 14,1-32) und andere kultische Bestimmungen,
wobei er zwischen solchen, die sich nur auf die Frau und solchen,
die sich auf Mann und Frau beziehen, unterscheidet. Außerdem
werden auch Gesetze berücksichtigt, die nur dem Mann gelten,
aber Licht auf die Lage der Frau werfen. Dabei kommt er zu dem
Ergebnis, daß, obwohl die Kultgesctze die soziale Struktur, in der
das Mannliche dominiert, voraussetzen, die Frau trotzdem als vollberechtigtes
und nicht untergeordnetes Glied der Kultgemeinschaft
betrachtet wird. Ihre Rolle war freilich von der des Mannes unterschieden
, da sie auf Grund des androzentrischen Charakters der
israelitischen Gesellschaft keine leitende Stellung als Amtierende
oder Repräsentantin für andere einnehmen konnte.

Das so gewonnene Ergebnis sucht der Verf. durch die Ausführungen
im vierten Kapitel über die Teilnahme der Frau an religiösen
Handlungen, die freilich auf einer recht schmalen Basis ruhen, zu
erhärten. Hier wird am Beispiel der Hanna (1 Sam 1) gezeigt, daß
der Frau bei freiwilligen Akten der Gottesverehrung große Freiheit
und Unabhängigkeit eingeräumt werden konnte. An dieses
Kapitel schließt sich der dritte Exkurs über die Teilnahme der
Frau an illegitimen Kulten an.

Im letzten Kapitel werden die im AT erwähnten Prophetinnen
in ihrer Bedeutung gewürdigt und die Gründe für den Ausschluß
der israelitischen Frau vom Priesteramt aufgezeigt.

Eine Zusammenfassung und Schlußfolgerungen, auch für unsere
Zeit, bilden den Abschluß des Buches. Dankenswerterweise sind
ein Abkürzungsverzeichnis und eine Bibliographie in Auswahl
beigefügt.

Die vorliegende sorgfältige Untersuchung ist ohne Zweifel sehr
begrüßenswert, schon deshalb, weil die bisher zu diesem Thema
veröffentlichten Arbeiten meist bereits Jahrzehnte zurückliegen.
Das Problem wird allseitig durchdacht, und es werden keine vorschnellen
Urteile gefällt. Es ist besonders zu beachten, daß versucht
wird, die Intentionen der kultischen Vorschriften zu erfassen
(vgl. z. B. die Ausführungen zu den Bestimmungen über die
von Frauen abgelegten Gelübde in Num 30,4ff auf S. 91ff). Trotzdem
muß man fragen, ob die atl. Texte nicht manchmal etwas zu
positiv zugunsten der Frau interpretiert werden. Auch das Problem,
warum gerade die israelitischen Frauen für Fremdkulte anfällig
waren, hat keine befriedigende Lösung gefunden.

Jena Eva Oswald

NEUES TESTAMENT

Colin, Jean: Les villes libres de l'Orient greco-romain et l'cnvoi
au supplice par acclamations populaires. Bruxclles-Bcrchcm:
Latomus, Revue d'Etudcs Latines 1965. 176 S., 4 Ktn., 1 Taf.
gr. 8° = Collection Latomus, LXXXII. bfr. 280,-.
Die mühevolle Arbeit des Sammeins und Sichtens schwer zugänglicher
Quellen und Spezialbeiträgc wurde nicht gescheut, um
für die Fragestellung des Prozesses Je;u gewisse historisch-positive
Folgerungen ziehen zu können. Dem Rez. ist aus dem Räume
des deutschen Sprachgebietes keine ähnlich umfassende Darstellung
bekannt, die mit gleicher Intensität das Anliegen von Ludwig
Mitteis (Rcichsrecht und Volksrecht. 1891) in neuerer Zeit für eine
speziell neutestamentliche Sachfrage aufgegriffen, geschweige denn
fruchtbar gemacht hätte. Eine Einführung (S. 9-37) beschäftigt
sich mit verschiedenen anstehenden Problemen des Zeugnisses der
Passionsgeschichte. Dabei erhebt Colin den gravierenden Vorwurf,
daß die zahlreichen Arbeiten zum Prozeß Jesu weithin die clemen
taren Rechtsfragen vernachlässigten. Dem technischen Vokabular
der Zeugen müsse größere Beachtung geschenkt werden: 'Aucun
n'insistc suffisammet sur l'intcrvcntion de la populacc (S. 10). Im
folgenden stellt sich der Vf. auf den Standpunkt, daß das Syn-
bedrium ein Todesurteil gefällt habe. Er macht weiter darauf
aufmerksam, daß die Variante Mk 15,8 wai dvaßonoac 6 Sx*°C (so
C. Koinc, Cod. Korid, syr. Übers, u. a.) doch wohl gegenüber
xal Avaßäc 6 öx^o? (so die Codd. B, D, Sin. und die lat. Über!.)
als ursprünglich gelten müsse. Der Verweis auf den juristisch-technischen
Begriff der iuißöriotG bzw. das dvccßofioai; als erkannter

116

1.1. rechtfertigten den Entscheid (S. 14). Auch sei das ävaitinneiv
(Lk 23,6f) ein Beweis dafür, daß die römische Behörde in den Provinzen
gewisse anderweitige juristische Kompetenzen respektierte
(S. 17). Zur Erklärung des Verhaltens des Pilatus, der Jesus dem
Herodes Antipas vorgeführt habe, wird auf eine einschlägige
Rechtsbestimmung verwiesen (Dig. I, 18,3; XLVIII, 3,11). Die Zusammenarbeit
zwischen Pilatus und Herodes Antipas sei um so
wahrscheinlicher, als auch letzterer an Jesus ein elementares straf
rechtliches Interesse gehabt habe. Noch viel weniger dürfe die Frage
der Sonderrechte der einzelnen Gebiete im jüdisch-palästinischen
Raum übersehen werden und ebenso wenig deren Verflechtung
untereinander. Jesu Wirken werfe uns mit Nachdruck auf diese Zusammenhänge
zurück: .Dans les territoires ruraux de ces villes
libres (in der Nachbarschaft Galiläas), Jesus entrera plus d'unc
fois pour y trouver un refuge contre Herode Antipas ou les
Pharisiens' (S. 20). Colin stellt schließlich die im Blick auf sein Anliegen
entscheidende Frage: ,N'est pas d'un usage des villes paien-
ncs qu'est venu ce recours de Pilate aux decisions de la populace'{'
Das Recht der Frage wird dadurch näher erhärtet, daß im Anschluß
daran eingehend über die Rechtsverhältnisse der hellenistischen
Städte gehandelt wird. Von den ohne Zweifel autonomen Städten
der Dekapolis heißt es aber freilich, daß wir nicht wüßten, ob sie
für Kapitalprozesse das Recht der Volksakklamation besaßen
(3. 29). Indessen geht die Intention dahin, einen solchen Sachverhalt
wahrscheinlich zu machen. Colin neigt sogar der Annahme zu,
daß die Herodesdynastie ihre Stadtgründungen mit einem Recht
ausstattete, das hellenistische Anregungen dieser und ähnlicher
Art in starkem Maße aufgegriffen habe. Andererseits deute sein
Vorgehen in Städten wie Cäsarea und Jericho darauf hin, daß
er - nach hellenistischer Manier - eine .collaboration avec la populace
' nicht gescheut habe. Ebensowenig seien seine Nachfolger
von dieser Linie abgewichen. Die Schlußfolgerungen lauten daher
.Est-ce Pilate qui, connaissant un usage anciens de sa residence de
Cesaree du Littoral, a pris, en desespoir de cause, l'initiativc
de s'en remettre ä la populace? C'est bien plutöt le tetrarque de
Galilee et Peree, lc fils d'Herode le Grand, Herode Antipas, qui,
en renvoyant Jesus, a suggere ä Pilate de reunir la foule
(auvT)Yu£vwv) pour decider du sort du Galilecn' (S. 36). Der Vf. ist
um einige Belege über Behörden- und Volksversammlungen mit
Akklamationen nicht verlegen, wobei aber freilich offenbleibt,
ob sie die nötige Beweiskraft haben (s. Jos. Ant. 16,11,7; 17,6;
Bei. lud. l,33,2ff. u. a.). Die viel erörterte Frage, ob das Synhedrium
oder Pilatus Jesus zum Tode verurteilt habe, wird schließlich dahingehend
beantwortet (S. 37); ,En fait, selon un usage g r c c ,
c'est la populacc, rcunic spccialmente par Pilate et qui sc prononce
d'une facon contraignante ä l'egard du gouverneur romain dans
un v o t c par acclamations'.

Kp. I (S. 39-75) handelt im folgenden mit reicher Sachkenntnis
über die verschiedenen Typen der .freien Städte', wobei die Frage
zu beantworten versucht wird, ob und wieweit deren Strafrecht
(ähnlich wie das Privatrecht) selbständig geprägt gewesen sei. Die
These des Vf.s lautet: .Selon nous -- et c'est la theoric que nous
allons developper gräce ä quelques trop rares cxemplcs -, les
villes libres font exception et conservent lc plus souvent leur auto-
nomic judiciaire criminelle' (S. 49). Mit dieser Ansicht wendet
er sich gegen Th. Mommsen, wobei vor allem die genuin-griechische
(S. 52ff) und die kleinasintische Situation (Provinz Asia)
bis, hinein in das 2. Jahrhundert n.Chr. behandelt wird (S. 58ff):
.Pris dans son sens large, la p o 1 i s hellcnistiquc a commc roua-
ges habituels.- assemblee du peuple ä pouvoir judiciaire, lcgislati*
et executif, corps restreint emanant de cettc assemblee (boule.
gerousia etc.), magistrats elus au tircs au sort' (S. 62). Die meisten
der .freien Städte' könnten ihre jurisdiktioncllcn Privilegien im
griechisch-römischen Orient bis hinein in die Zeit Caracallas bewahrt
haben. Die Minderung der Rechte (auch, des Kriminalreeh
tes) lasse sich bis hinein in die Kaiserzeit verfolgen (S. 64ff), was
aber freilich wieder als Beweis für deren anfängliche Geltung zu
verstehen sei. Kp. 2 (S. 77-93) verhandelt die Kriminaljurisdiktion
der einzelnen Städte, wobei vor allem Cyrcnc und das römische
Ägypten, hier wieder Alexandrien, im Mittelpunkt der Untersuchung
stehen (S. 77ff, 79ff). Das Ergebnis lautet schließlich: .En
fait, nous sommes convaineus que ce Systeme de vote populaire
a continuc ä l'epoquc imperiale dans les accusations capitales'
(S. 93).

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 2