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Ausgabe:

1969

Spalte:

97-112

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Apostolizität und Katholizität der Kirche 1969

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Theologische Litcraturzeitung 94. Jahrgang 1959 Nr. 2

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bcrfcldcr vor, die in den Anfang des 11. Jahrhunderts datiert
werden. Es ist reichhaltiges Grabinventar gefunden worden, die
Ausrichtung der Gräber liegt in ost-westlicher Richtung. Unter
Berufung auf andere Forscher hält auch Frau Professor Kivikoski
diese Funde für beweiskräftig in dem Sinne, daß es um die Zeit
kurz nach der Jahrtausendwende bereits Christen in Finnland
gegeben hat. Natürlich war nicht bereits die ganze finnische Bevölkerung
christlich, weil die Bestattungsweise die west-östliche
war. Aber ohne christliche Einflüsse ist diese Ausrichtung der
Gräber kaum zu erklären. Dafj der christliche Einflufj noch nicht
allzustark gewesen sein kann, ergibt sich aus einem anderen
archäologischen Befund: Die Friedhöfe waren offensichtlich ohne
ein kirchliches Gebäude; Reste eines Bauwerkes sind nur in 2 Fällen
angetroffen worden, die in das 12. Jahrhundert gehören. Die
Gräberfelder aus dem 11. Jahrhundert waren dörfliche, es wurdin
dort alle Dorfbewohner begraben ohne Unterschied der Religion,
aber nach christlicher Ordnung. In einigen Männergräbern sind
Kruzifixe und Kreuzanhänger gefunden worden; die Vortragende
schließt daraus, daß die dort Begrabenen Christen gewesen sind.
Es dürfte sich um Kaufleutc gehandelt haben oder um Seeleute,
die außerhalb Finnlands der Kirche begegnet waren und sich hatten
taufen lassen. Für Frauen gab es solche Möglichkeit nicht; da
her könnte es begründet sein, dafi in Frauengräbern keine derartigen
Funde gemacht worden sind. Die Gräberfelder in Kardien
sind etwas später zu datieren. Auch hier gibt es Symptome für
christlichen Einfluß, den die Vortragende einer ostkirch1icb/-n
Strömung zuschreibt. Auf den Älandsinseln sind Gräber mit Invcn
tar gefunden worden, doch sollen sie in das 10. Jahrhundc t gehören
; das Fehlen von Grabfunden in späteren Gräbern so*vie
deren Ost-West-Ausrichtung kann ein Zeichen sein für die frühe
Christianisierung der Älandsinseln

IV. Schlußfragen

Fassen wir zusammen: Im sächsisch-thüringischen Raum sind
archäologische Zeugnisse für Anfänge des Christentums kurz nach
SOO gesichert. In Niedersachsen werden Gräber um 400 als Zeugnisse
frühesten christlichen Einflusses angesehen, wenn auch die
eigentliche Christianisierung erst im 8. Jahrhundert erfolgte. Einige
Archäologen hielten es für möglich, dafj vor dem Eingreifen Karls
d. Gr. von Fulda her Spuren der Mission noch nachweisbar sein
könnten. Als Illustration zu den Missionsreisen Ansgars im
" Jahrhundert gab es archäologische Funde, die auf christliche

Einflüsse Jahrhunderte vor Ansgar relativ sicher schließen lassen.
In Finnland liegen die Anfänge des Christentums sicher nicht erst
bei dem Kreuzzug von 1155, sondern sie sind wesentlich früher anzusetzen
auf Grund der archäologischen Ergebnisse. Diese Ergebnisse
werden dem speziellen Kenner der Mecklenburgischen Kir
chengeschichte G. Holtz nicht ohne Grund vorgelegt: Südlich, westlich
und nördlich von Mecklenburg war es möglich, die Anfänge
des Christentums in jenen Landschaften unter Zuhilfenahme der
Archäologie zu präzisieren. Für Mecklenburg fehlt es nicht an
Funden und Vermutungen. Da ist das bei Blumenhagen (Krs. Ncu-
strelitz) gefundene Kreuz, das zu einem größeren Silberschmuck
gehört. Das Kreuz läßt die Umrisse Christi erahnen, die strenge
Linienführung zeigt nur Kopf und Hände genauer Dieser Schmuck
soll einer wendischen Häuptlingsfrau gehört haben. Kann man
dieses Kreuz als ein Zeichen für eine christliche Unterströmung
bei den Wenden deuten, die vor der offiziellen Christianisierung
nach Mecklenburg gekommen wäre? Könnte hier ein Parallelfall
iener Unterströmung vorliegen, die das Mälargebiet und Finn
land erreicht hatte? Weitere Fragen betreffen die ältesten Kirchbauten
in Mecklenburg. Was hat es mit der Clemenskirche in der
Rostocker Petri-Vorstadt auf sich? Hat Wossidlo7 recht, daß das
Patrocinium aus Böhmen stammte und hier einen wendischen Gott
ähnlichen Namens verdrängt habe? Können die Nikolai-Kirchen
auf einen Zusammenhang mit dem wendischen Namen Niklot deuten
; könnte man dann daraus auch wieder eine wendische Chri
stianisierung unabhängig von deutscher Einwanderung folgern?
Steht die heutige Kirche in Wokern auf einem alten heidnischen
Kultplatz? Gibt es eine Kontinuität von heidnischem Kultnlatz zu
einer christlichen Kirche in Schwerin (Dom) und in Kessin? Welche
Bedeutung haben die gefundenen Gräber unter den Fundamenten
der Brudersdorfcr Kirche? Die Fragen sind gestellt, die spezielle
ren Untersuchungen liegen Jahrzehnte zurück, ihre Ergebnisse
waren meist unsicher. Es soll mit ein Ziel dieser Zeilen sein, zum
erneuten Durchdenken dieser Fragen anzuregen. Gerade im Hin
blick auf die gesteigerte Bedeutung archäologischer Zeugnisse für
die Anfänge des Christentums in den uns benachbarten Landschaften
sollte Mecklenburg nicht zurückstehen. In dieser Ziel
Setzung weiß ich mich in Übereinstimmung mit dem Jubilar, dem
diese Zeilen gewidmet sind.

>) Zur mecklenburgischen Sagenforschung (Jahresbericht der mecklenburgischen
Landcs-Univcrsitäts-Gcscllschaft. Rostock, 1928. Heft 4, S. 11).

Aposfolizitäl und Kalholi/ilä* der Kirche

in der Perspektive der Eschatologic

Von Wolfhart Pannenberg, München

Die Kennzeichnung der Kirche als „apostolisch" bringt nach
üblichem Verständnis zum Ausdruck, daß sie mit den Aposteln
Jesu Christi in Verbindung steht, und zwar in einer Verbindung
d'c ihr Dasein begründet ebenso wie ihr Wesen. In allen Konfessionen
wird der apostolische Ursprung der Kirche als normativ
für ihre Lehre und Gestalt angeschen. Dennoch bestehen tief
Behende Differenzen im genaueren Verständnis der normierenden
Funktion des apostolischen Ursprungs und damit in den Antworten
auf die Frage, wie und wodurch die gegenwärtige Kirche sich
a's ihrem apostolischen Ursprung gemäß und so selbst als apostolisch
erweist. Wie können diese Differenzen vom gemeinsamen
Glauben an den apostolischen Charakter der Kirche her überwunden
werden? Genügt es dafür, auf die Ursprungszeit der Kirche
Zurückzugehen und die normative Bedeutung dieses apostolischen
Zeitalters für alle spätere Geschichte der Kirche gewissenhafter
zu erfassen, als das bisher geschah? Oder enthält dieses Programm
selbst die Schwierigkeiten schon in sich, die zur Ausbildung jener

') Referat für die mit Apostolizität und Kalholizität der Kirche bcfafltc theologische
r'terkommission des Joint Committee des ökumenischen Rates der Kirchen und
cr Römisch-Katholischcn Kirche, November 1967.

Differenzen trieben? Ich versuche zu zeigen, daß die Gegensätze-
da ausweglos werden, wo die apostolische Vergangenheit als
solche zur Norm der späteren Kirchengeschichte erklärt wird, daß
jedoch andererseits im Gedanken des Apostolates ein eschato-
logisches Motiv steckt, das in Lehre und Wirken der Apostel
zugleich über ihre eigene Zeit hinausdrängt und gerade dadurch
- das Zeitbedingte des apostolischen Zeitalters hinter sich
lassend - wegweisende Bedeutung für spätere Generationen haben
kann, für Generationen, die gar nicht im Blickfeld des Urchristentums
waren und sich doch auf dem Wege zu jener Zukunft befinden
, an der das Wirken der Apostel orientiert war.

Gemeinschaft mit den Aposteln nahm die Kirche in erster Linie
in Anspruch für ihre Lehre, für die Überlieferung, die sie weitergab
. Die Ansätze dazu begegnen schon in den Pastoralbricfcn
Aber auch für die Legitimierung ihres Hirtenamtes und überhaupt
ihrer Ordnung berief sich die Kirche bald auf die Apostel. Auf
die Apostel führte sie später auch ihre Liturgie zurück, und bei
ihnen suchte sie das Vorbild eines wahrhaft christlichen Lebens,
einer vita apostolica, die ihrerseits wieder im Verlaufe der Kirchen-
geschichtc vielfältige Deutungen erfuhr.

Schon in den antignostischen Streitigkeiten des zweiten Jahr