Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1969

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

947

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

948

er verfremdet sie durch die Fragen aus dem Bereich der dezidier-
ten Nicht-Theologie. Da findet eine heilsame und wirksame Ernüchterung
statt. Was bisher „Verkündigung" oder „Wortgeschehen
" hieß, wird informationstheoretisch abgemessen, die „Bedeutsamkeit
" mit Mitteln der Semantik überprüft und entzaubert, die
Gemeinschaft unter dem Wort kommunikationswissenschaftlich als
Verständigungsgemeinschaft mit bestimmten Antwort-Systemen,
die Vermittlung des Heils als Lehr- und Lernprozefj mit bestimmten
sozio-kulturellen Voraussetzungen ernüchternd vorgeführt. An
den besten Stellen dieses Buches, das voll ist von theologischer
Polemik, erlebt man eine Befreiung wie am Ende des Andersen-
Märchens von „des Kaisers neuen Kleidern", wo das Kind ausspricht
, was alle denken: Warum staunen alle? Der hat doch gar
nichts an.

Um dies zu erreichen, muß Bastian seinen Lesern freilich ein
großes Quantum an Information aus anderen Wissenschaften zumuten
, und wenn man ihm darin recht gibt, dies sei für die heutigen
und künftigen Theologen unerläßlich, dann eröffnet sich vor
uns die beklemmende Notwendigkeit, in den nächsten Jahren das
Denken zunächst einmal durch Lesen zu ersetzen: denn der Nachholbedarf
an Information ist unabsehbar groß. In den betreffenden
Kapiteln seines Buches erteilt Bastian selber die ersten Lektionen
dieses Kursus. Es erweist sich: indem er der Funktion der Frage
in den einzelnen Wissenschaften nachgeht, kann er entscheidende
Aussagen über das Wesen und die Funktion dieser Wissenschaften
selber erheben. Fragen ist offenbar ein Schlüsselbegriff für alle
Wissenschaften, die sich mit Kommunikation beschäftigen. Auf
diese Weise bekommt das Buch etwas Enzyklopädisches. Gleichzeitig
freilich weifj der Vf., daß er immer nur Brocken und „Ideen
zur Grundlegung" geben kann, und so dominiert in den Kapitelüberschriften
die Einschränkung „Zur": „Zur Psychologie der
Frage", „Zur Hermeneutik der Frage", „Zur Soziologie der Frage".
Ja, zuweilen beschleicht den Leser die skeptische Überlegung, ob
es denn überhaupt möglich sein kann, dafj ein einzelner Mann
von all diesen hochspezialisierten Sachgebieten eine kompetente
Darstellung geben kann: Philosophie, Psychologie, Problem von
Zeit und Geschichte, Hermeneutik, Soziologie, Anthropologie, Politologie
, Kybernetik, Linguistik, (dies die Einzelthemen der Kapitel
II-X), dazu Marktmechanismen, Tierverhalten, Zeitgeschichte,
Brecht, Frisch und vieles andere. Eine ganze Spezialistenversammlung
wäre notwendig, eine ins einzelne gehende kritische Rezension
dieses Buches zu verfassen. Und wenn es gut geht, werden
sich in Zukunft Spezialistengruppen unter den Theologen - und
am besten mit Nicht-Theologen - bilden, diesen Anregungen nachzugehen
. Es ist denkbar, dafj man einmal sagen wird: Darauf hat
seinerzeit schon Hans-Dieter Bastian hingewiesen, die weitere
Entwicklung vorahnend, damals freilich noch ganz unbefangen
und mit dem unmittelbaren Optimismus des ersten Entdeckers.

Was ist nach all dem der theologische Ertrag dieser „Theologie
der Frage"? In den Kapiteln XI-XIV wird er anvisiert, in denen
die Funktion der Frage im Bereich der theologischen Systematik,
in den biblischen Texten (einschließlich der jüdischen Oberlieferung
), in Religionspädagogik und Homiletik untersucht wird. Bastian
will zeigen, daß auch für die Theologie, die sich ja in spezifischer
Weise mit Kommunikation beschäftigt, das Fragen ein
Schlüsselbegriff ist. Er betont freilich gerade hier, daß er lediglich
„trigonometrische Punkte" und „paradigmatische Darstellung" geben
könne. Andererseits sind gerade in diesen Kapiteln eine Reihe
konkreter und unmittelbar praxis-bezogener Hinweise enthalten
bis hin zur Mitteilung einer ganzen Predigt, die den Forderungen
des Autors gerecht wird. Für Bastian ergibt sich: daß die Funktion
des Glaubens gerade nicht in Fraglosigkeit besteht, sondern in
der Frage. Hierin ist er für unsre Welt nützlich, ja, unentbehrlich.
Nicht die „Antwort-Wut" der Bekenntnisbewegung, sondern die
Bereitstellung guter „Vor-Frager" entspricht dem Auftrag der
Kirche. Die Predigt sollte nicht „Antwort-Institut" sein, sondern
sie müßte fragend Löcher schlagen in die Wände der Selbstverständlichkeiten
. Nicht der Katechismus als Antwort-Pensum soll
gelehrt werden, sondern ein Fragevermögen, mit dessen Hilfe
der Mensch von der Frage nach den Gegenständen zur Frage nach
sich selbst findet. Denn die Wirklichkeit offen zu halten, in Bewegung
, im „Fließ-Gleichgewicht", das ist Möglichkeit und Aufgabe
des fides quaerens intcllectum, und der Christus praesens
für den „homo quaerens cur" ist der ihm begegnende „Christus
quaerens". Deshalb muß die Theologie „grundsätzlich aporetisch"

sein, dem Glaubenden muß zugemutet werden, daß jede Antwort
eine neue Frage ist, offen freilich nicht für das Nichts, sondern für
die Ankunft Gottes, der uns - wie dem Hiob - fragend entgegenkommt
.

Zuletzt ist Hans-Dieter Bastian bei all dem übrigens nicht so
radikal, wie man denken könnte. Dazu hat er seinen Goethe zu
genau gelesen. Dazu weiß er als Pädagoge zu gut, daß die Frage
im Unterricht wie auch anderswo „mittlere Temperaturen" liebt.
Eine gut kalkulierte „Mischung aus Wiederholung und Überraschung
" bedeutet erst echte Information, so daß die Gewöhnung,
die Redundanz, die Stabilisierung jeweils auch ihre Funktion
haben. Nicht das Happening im Gottesdienst, sondern die gezielte
Verfremdung, nicht der totale Umbruch anstelle des Verharrens,
sondern die subtile Analyse, nicht die Verwerfung aller vorgegebenen
Antwort-Systeme, sondern ihre Durchlässigkeit für immer
neue Fragestellungen scheinen ihm geboten. Darum schließt er sein
Buch mit einem Kapitel „Letzte Fragen" ab, in dem er nicht verschweigt
, daß die Grenze zwischen hermeneutischen Such-Fragen
und inquisitorischen Tortur-Fragen fließt und daß ein System, das
den Menschen total in Frage Seilt, unentschuldbar inhuman ist.
So steht am Ende dieses Buches eine Frage, die sich schon durch
all seine Kapitel hindurchbewegt: die Frage, wie weit eine Frage
eigentlich gehen darf, eine Frage an die Theologie der Frage, die
vielleicht ihre fruchtbarste ist.

Jena Klaus-Peter Kertzsch

Andren, Ake: Das Studium der Praktischen Theologie in Skandinavien
(Theologia Practica 3, 1968 S. 1-8).

Bargheer, Friedrich G.: Religiöse Familienerziehung. Ein
pädogogisches, soziologisches, und theologisches Problem (Pastoraltheologie
58, 1969 S. 453-465).

Bouttier, Michel: De la predicabon au texte! (EThR 44, 1969
S. 161-169).

Hanselmann, Johannes: Friedhof - Zeugnis oder Totenplatz?

(Kirche im Dorf 18, 1967 S. 256-267).
Hansen, Ernst: Singen in der Dorfgemeinde (Kirche im Dorf 18

1967 S, 154-157).

Herrmann, Wolfgang: Thologiestudium heute (Theologia Practica
3, 1968 S. 51-66).

N i e b e r g a 11, Alfred: Homiletik heute. Bericht über die homiletische
Literatur seit 1945 (II. Teil) (ThR 34, 1969 S. 89-120).

Otto, Gert: Der Mensch in seiner Welt. Grundfragen der Predigt
und des Religionsunterrichts (Theologia Practica 2, 1967 S. 289
bis 306).

P a 1 m e r, B. W. M.: The Social Sciences and the Work of the

Churches. I. Work and Fellowship in Groups and Organizations

(ET 81, 1969 S. 4-9).
Scharfenberg, Joachim: Verstehen und Verdrängung. Ein

Beitrag zum Gespräch zwischen Psychoanalyse und Theologie

(Theologia Practica 3, 1968 S. 130-139).
Seim, Jürgen: Über die Sehnsucht. Ein Kapitel Seelsorge nach

D. Bonhoeffers Widerstand und Ergebung (Pastoraltheologie 58,

1969 S. 433-441).

Steiger, Lothar: Gottesdienst in der Logik oder Matthäus 4,1-11

(Pastoraltheologie 58, 1969 S. 429-433).
T s c h i r C h, Reinmar: Tiefenpsychologische Erwägungen zum

Charakter christlichen Lebensgefühls und kirchlicher Predigt

(Wege zum Menschen 21, 1969 S. 257-272).
Z e i m , Martin: Das Magische im Raum der Kirche (Kirche im

Dorf 18, 1967 S. 149-153).

KATECHETIK UNI) KKUGIONSPÄDAGOGIK

Stachel, Günter: Der Bibelunterricht. Grundlagen und Beispiele
. Exegetische und hermeneutische Grundlagen, Didaktischmethodische
Struktur, Konkrete Belege zeitgemäßer Verwirklichung
. Einsiedeln-Zürich-Köln: Benziger-Verlag 1967. 245 S.
mit Abb., 2 färb. Taf. 8°.

Die katholische Bibclkatechetik, seit kurzem in stürmischer Bewegung
, repräsentiert sich mit diesem Buch auf so lebendige un-l
nachhaltig beeindruckende Weise, daß der Dank dafür schon mit
diesem ersten Satz ausgesprochen sein soll! Der Konsens mit den
Arbeiten maßgeblicher evangelischer Autoren ist denkbar groß.
Aber nicht so sehr die Genugtuung, den katholischen Gesprächspartner
„nachziehen ' zu sehen, bestimmt den Dank, als vielmehr
die aus dem wahrgenommenen Konsens erwachsene selbstkritische
Vergewisserung. Daß der Weg nunmehr gemeinsam begangen
wird, läßt die Verantwortung nur noch spürbarer werden.