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Ausgabe:

1969

Spalte:

944-946

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Praktikum des seelsorgerlichen Gesprächs 1969

Rezensent:

Uhsadel, Walter

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Israels herabläßt" (177), an Christus, der durch sein Opfer .die
Brüderschar von der Erbsünde erlöste" (178) oder „die Tatsache,
daß Christus zu den einzelnen der gläubigen Masse im Verhältnis
des gütigen älteren Bruders steht" (ebd.)- Nur Freud selbst brachte
es nicht fertig, solche Daten als Belege für einen Religionstyp
fundamentaler Befreiung zur Realität zu verwerten. - Der harte
Kern der Freudschen Herausforderung erscheint hiernach als überraschend
harmlos.

Sch. will in diesem Buch noch nicht die theologischen Konsequenzen
ziehen, die sich aus einer Beschäftigung mit Freud ergeben
(7); aber in seiner Darstellung der Herausforderung Freuds
markiert er doch deutlich, wo er die Grenze zwischen Wahrheit
und Illusion sieht. Als entscheidend für Freud wie für Sch. kann
der Gegensatz zwischen Regression und Progression genannt werden
(178). Der Standpunkt, von dem aus Sch. die Freudschen
Religionskritik analysiert und die gültige Herausforderung herauspräpariert
, ist seine Überzeugung, daß Freud .mit dem Unterschied
zwischen ungeschichtlichem Wiederholungszwang und ge-
schichtsstiftendem Freiwerden von der Vergangenheit für die Zukunft
eines der, wenn nicht gar das entscheidende Kennzeichen
der jüdisch-christlichen Überlieferung biblischen Denkens bezeichnet
hatte" (178): Das Wesentliche am Christentum ist gerade die
Freiheit. Sch. meint, „Freud war sich selbst" hierüber „wohl nicht
im klaren" (ebd.). Aber es handelt sich bei dieser Kennzeichnung
der christlichen Tradition doch nicht um die Klarheit geistesgeschichtlicher
Tatsachen, sondern um die Entschiedenheit für
einen interpretierenden Anspruch auf die historischen Phänomene.
Und Freud hätte den hier an seine Religionskritik angelegten Maßstab
der von Sch. artikulierten Selbstinterpretation des christlichen
Glaubens wohl zurückgewiesen und mit einer analytischen
Interpretation beantwortet (wobei es, nun umgekehrt, darauf ankäme
, was davon der Christ verifizieren kann - 122f.). Die Behauptung
der Freiheit aus Glauben ist ja doch auch im Sinne der
Theologie eine Glaubensaussage, die, ungeachtet ihres gebrochenen
Verhältnisses zur Wirklichkeit, Wirklichkeit allererst stiften
soll und (nach Ebeling) ihren Ort .im Streit um die Wirklichkeit"
hat. Hier ginge es um eine Frage, die, auf der Linie Freuds, über
die historischen und persönlichen Grenzen Freuds hinausführt.
Hier aber sitzt meines Erachtens auch eher eine heute noch stimulierende
„Herausforderung für den christlichen Glauben".

Diese grundsätzlichen Bedenken, die dem grundsätzlichen An
sprach des Buches gerecht werden möchten, können nicht seinen
vielfältigen Wert schmälern. Es ist ein flüssig lesbar geschriebenes
Buch. Die Übersicht über die Geschichte der theologischen
Stellungnahmen zu Freud (cp. 1) ist ein dankenswertes Stück,
wie überhaupt eine breite Literatur- und Quellenbenutzung dieses
Buch (mit seiner Bibliographie von gut 200 Titeln) auszeichnet.
Die Methode der Halbzitate wird reichlich geübt (wobei leider
immer wieder unnötige Sinnverschiebungen gegenüber den Originaltexten
passieren). Der Werdegang Freuds (cp. 2 und 3) ist originell
und sympathisch dargestellt. Die hermeneutisehe Zirkel-
slruktur im Widerspiel der Übertragungsphänomene ist in cp. 1
clare et distinete herausgearbeitet. Und das Buch im ganzen leistet,
was einmal geleistet werden mußte: daß - vor aller Bemühung
um Frontbildung - das Gesamtphänomen Freud in seiner Menschlichkeit
dem Theologen nahegebracht wird.

Zürich Thomas Bonhoeffer

Meier, C. A.: Ancient Incubation and Modern Psychotherapy.
Transl. by M. C u r t i s. Evanston: Northwestern University
Press 1967. XX, 152 S., 1 Taf. 8° = Studies from the C. G. Jung
Institute, Zürich. Lw. $ 5,25.

Das Buch ist die englische Übersetzung des im Jahre 1949 im
Rascher-Verlag erschienenen Werkes „Antike Inkubation und moderne
Psychotherapie". Der Verfasser ist ärztlicher Psychotherapeut
und war viele Jahre hindurch Leiter des C. G. Jung-Instituts.

Schon Freud war in seiner Schrift „Totem und Tabu" (1913) auf
Übereinstimmungen zwischen dem Seelenleben der Primitiven und
dem der modernen Neurotiker aufmerksam geworden. C. G. Jung
harte das kollektive Unbewußte als Reservoir des Ahnenerbes entdeckt
. So fand denn der Vf. in seiner psychotherapeutischen Praxis,
wie lebendig die antiken Motive in der Seele des modernen Menschen
noch sind, was er u. a. mit mehreren Träumen, die einen
Gang durch die Unterwelt enthalten, zu belegen weiß. Er unternimmt
es deshalb, das antike Material zum Fragekomplex der

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Inkubation unter psychologischen Aspekten darzustellen, da dieses
Ritual das Wichtignehmen des Traumes als Heilfaktor mit der
heutigen Seelenheilkunde gemeinsam hat. Dabei wird in beiden
Fällen der Traum als tatsächlicher Vorgang und nicht etwa nur
als vermeintliches Erleben angesehen. Der Vf. fußt auf den im
ersten Drittel unseres Jahrhunderts gewonnenen Forschungsergebnissen
von R. Herzog, O. Weinreich, R. Rcitzenstcin, L. Deubner,
E. Rohde, K. Kerenyi und anderen mehr. - Den Schlüssel zum
Verständnis des Asklepioskultus findet er in der antiken Auf
fassung, daß die Krankheit die Wirkung eines Göttlichen ist und
daher nur durch ein Göttliches oder einen Gott geheilt werden
kann, entsprechend dem Apollonorakel: „der verwundet hat, heilt
auch". Der göttliche Arzt ist die Krankheit und das Heilmittel
zugleich; da er selber verwundet und krank ist, kann er Krankheit
heilen. Mit ihm zusammen muß der Kranke eine Katabasis
zum Hades und seine nachfolgende Anabasis und Apotheose nach
dem Mythologem der Nachtmeerfahrt der Sonne (L. Frobenius •
Das Zeitalter des Sonnengottes) vollziehen. Dem entspricht das
Ritual an den Asklepiosheiligtümern (Trikka in Thessalien, Epi-
dauros. Kos, Pergamon. Athen, Rom und an vielen anderen Orten
) : nach Reinigungsriten und Voropfern wurde im Abaton oder
Adyton, das vielfach wie eine Grotte gestaltet war, auf einer
„kline", dem Vorbild der analytischen Couch, geschlafen, wobei
es ausschlaggebend war, ob der Kranke den richtigen Traum, eine
Asklepios-Epiphanie oder eine Vision von ihm bzw. seiner Schlange
oder seinem Hund hatte. Wurde dabei der kranke Körperteil berührt
, so war der Patient geheilt - anderenfalls galt er als unheilbar
. Die Träume wurden nicht gedeutet, aber jeder Geheilte
war verpflichtet, seinen Traum aufzuschreiben bzw. aufschreiben
zu lassen. - Der Vf. geht ausführlich auf die mannigfaltigen As-
klepios-Mylhen ein und verfolgt seine Metamorphose vom sterblichen
Arzt bei Homer zum chthonischen Orakelheros und dann
zum apollinischen Gott, dessen Statue wie die des Zeus gestaltet
wurde. Dabei hat sich die chthonische Natur des Asklepios 5 Jahrhunderte
hindurch erhalten, weshalb seine Kultortc immer an
Quellen und Haine gebunden waren und seine theriomorphen
Erscheinungen vornehmlich die der Schlange und des Hundes
blieben. - Ein besonderes Kapitel beschäftigt sich mit der ägyptischen
Version des Asklepios, mit dem von dem ersten Ptolemäer
dorthin verpflanzten Heilgott Sarapis. - Ein weiteres Kapitel behandelt
die Inkubationsriten des Trophonios, die älter und primitiver
als die des Asklepioskultes waren. Sie betonten ganz besonders
die Katabasis ins Abaton und waren dementsprechend
.schreckenerregend, während bei Asklepios die „Milde" als hervor
stechendste Eigenschaft gerühmt wurde. - Der Asklepioskult war
der stärkste Konkurrent für die Verehrung des Heilandes Jesus
Christus, so daß es schließlich dahin kam, daß das Christentum
seine Mission übernahm. So erklärt sich die fast wörtliche Identität
zwischen Heilungsberichten aus Epidaurus und den Wundererzählungen
christlicher Gnadenorte und Heiligenlegenden. - Für
die englische Ausgabe hat der Vf. einen „Epilog" geschrieben, in
dem er die Inkubation, dieses Vorbild der modernen Psychotherapie
, zur religiösen Heilung und zu der aus der Tiefenseele
in Beziehung gesetzt hat.

Das Buch bietet Forschungsergebnisse, die sowohl für das Verständnis
der antiken Religion wie für die Erhellung der Psychotherapie
C. G. Jungs von besonderer Bedeutung sind.

Frankfurt/Main Adolf A 1 1 w o h n

C o 1 e , William Graham i Sexualität im Christentum und Psychoanalyse
. Vergleich und Orientierung, übers, v. W. Kelbcr. München
: Claudius [1969]. 348 S. 8°. Kart. DM12,80.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

F a b e r , H., u. E. van der S c h o o t s Praktikum des seelsorgerlichen
Gesprächs, übers, v. C.-H. Piper. Görtingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht [1968]. 232 S. gr. 8°. Lw. DM19,80.
Dieses Buch ist ein Zeichen dafür, daß sich allmählich die Einsicht
durchsetzt, daß eine soziologische Erforschung der Kirche die
Hilfe der Psychologie nicht entbehren kann. Es rückt zahlreiche
soziologische Fehlurteile, die auf mangelnder psychologischer Einsicht
beruhen, zurecht. Die beiden niederländischen Verfasser haben
reiche Erfahrung in der Anwendung des amerikanischen pa-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12