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Ausgabe:

1969

Spalte:

937-939

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Latourelle, René

Titel/Untertitel:

Théologie science du salut 1969

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

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Nach der Diskussion des Gewißheitsproblems bei Luther und
Descartes endet der geschichtliche Überblick beim 1. Vaticanum.
Das Auseinandertreten von Willen und Erkennen, von fides qua
und fides quae, von subjektiver vertrauender Anheimgäbe und
objektiver Zustimmung zur Wahrheit des Geoffenbarten durchzieht
die ganze Erörterung.

Die zweite Hälfte des Buches bringt zunächst eine ausführliche
Erörterung der biblischen Glaubensbegriffe. Die kurze Skizze des
alttestamentlichen Glaubensverständnisses und die Analyse der
synoptischen, paulinischen und johanneischen Glaubensbegriffc
zeigen, eine wie große Nähe bereits zwischen der katholischen und
der protestantischen Exegese besteht. Muschalek bezieht sich auch
häufig auf von Rad, Baumgärtel, Michel, Lohmeyer, Bultmann,
Ebeling und andere protestantischen Forscher.

Nach dieser Diskussion des Problems „Schrift und Glaubensgewißheit
" folgt eine knappe systematische Darlegung. Glaube geschieht
nur in Entscheidung. In dieser Entscheidung ist aber das
Wissen eingeschlossen; Glaube und Erkenntnis werden nicht als
verschiedene Elemente festgehalten. Glaube als Entscheidung setzt
aber Freiheit voraus. So kommt Muschalek zu der These: „Freiheit
ist also auf der Spitze ihres Vollzugs dasselbe wie Wissen" (S. 77).
Die Entscheidung scheint eine Entscheidung zu sein, die nur auf
den Menschen bezogen ist. Aber der Mensch entscheidet sich nur
dann wahrhaft zu sich, wenn er sein Geschaffensein anerkennt.

Die Entscheidung ist keine vom Menschen beliebig zu treffende,
vielmehr gilt: Die Entscheidung „ist eine Entscheidung von Gott
her, der sich in Jesus mitteilt" (S. 81). Dieser Satz impliziert für
den Verfasser sogleich den anderen, wonach Jesus Christus „in
seiner Kirche gefunden" wird (S. 84). Hier müßten wir fragen:
Was heiljt „seine Kirche"? Ist es die visibilis Romana? („In der
Realität wird wegen der ungeheuren Schwierigkeit eines umfas
senden und allseits überzeugenden Beweises von der Wahrheit
der katholischen Kirche ein Konvergenzbeweis das allein erreichbare
Ziel sein", S. 89). Muschalek weiß um das Problem „Die Kirche
und die Kirchen", aber seine Aussagen werden hier sehr ungreifbar
. Man darf in diesem schwierigen Punkt freilich auch nicht
überfordern. Näher kommt der Verfasser wieder mit den Sätzen,
daß die Gewißheil des Glaubens „hell und dunkel" ist und daß die
Liebe ein inneres Moment der Glaubensgewißheit ist.

Es wären im einzelnen mancherlei kritische Fragen an den
Glaubensbegriff Muschaleks zu stellen. Wir wollen aber statt
dessen in erster Linie hervorheben, daß der Verfasser mit dieser
Schrift in aller Offenheit eine disputatio in libertate über das zentrale
Thema des Glaubens eröffnet, die ein fruchtbares Gespräch
über die Grenzen hinweg in ökumenischer Gesinnung ermöglicht.

Bern Ulrich Neucnschwander

latoureile, Rene, S. J.: Theologie Science du Salut. Bruges-
Paris: Desclee de Brouwcr; Montreal: Editions Bellarmin 1968.
286 S. 8° = Essais pour notre temps, Collcction dirigee par les
Facultes S. J. de Montreal avec la Collaboration de l'Universite
de Sudbury. Section de Theologie, 5. Kart. bfr. 210,-.
..... die gegenwärtige Theologie gleicht einer riesigen Baustelle
", doch die Umrisse des zukünftigen Gebäudes sind noch
kaum zu erkennen Dieses Bild am Anfang des Buches ist bezeichnend
für seine Situation und Intention. Denn dem Vf., Professor
für Fundamentaltheologie an der Grcgoriana, geht es um
die Bestimmung von Aufgabe und Ort der Theologie in der römisch
-katholischen Kirche nach dem Vaticanum II.

Gedacht ist das Buch als eine theologische Enzyklopädie, die
dann auch ganz bewußt an den Fragen ausgerichtet ist, die sich
dem heutigen Theologiestudenlen stellen und die von ihm gestellt
werden. Dazu werden aus den Konstitutionen und Dekreten
des Konzils, besonders aus dem Dekret über die Ausbildung der
Priester (Optatam totius), die Konsequenzen für eine theologische
Neuorientierung gezogen. Der Stoff ist in fünf Abschnitte gegliedert
: 1. das Wesen der Theologie, 2. die Methode der Theologie,
* die theologischen Fachrichtungap, 4. Theologie und christliches
'-eben, 5. Neuansätze in der Theol^ iie heute.

Bereits der Titel, „Theologie als Wissenschaft vom Heil", ist programmatisch
, wenn auch nicht neu. Er verweist auf das ständig
wiederkehrende Stichwort der Heilsrjcschichte bzw. des .mysterium
salutis', wobei der Akzent vor allem auf die Geschichtlichkeit des
Heils fällt. So wird bei der Bestimmung von Wesen und Methode
der Theologie die Vorherrschaft einer spekulativen Theologie durch

eine wohlbedachte, aber durchaus konsequente Aufnahme einer
positiven Theologie korrigiert. Spekulative und positive Theologie
erscheinen als zwei einander ergänzende Funktionen der Theologie
, die sich zueinander verhalten wie Deduktion und Induktion
bzw. wie intellectus und auditus fidei. Gegenüber einer kerygma-
tischen wie auch einer existentialistischen Reduktion wird jedoch
festgehalten, daß das Datum der positiven Theologie nicht allein
im Glaubensvollzug liegt, sondern im Hören des Glaubens auf das
Wort. Positive Theologie ist also Schrifttheologie in der Geschichtlichkeit
der Verkündigung.

Insofern aber die Theologie zwar nicht nur, sondern auch positive
Wissenschaft ist, wird sie anderen Wissenschaften gleichgestellt
. Wenn sie Wissenschaft vom Heilsratschluß Gottes ist, heißt
dies also nicht, daß ihr das Geheimnis der Materie vor anderen
Wissenschaften erschlossen sei (54).

Konkretisiert werden diese Prinzipien in den einzelnen Fachrichtungen
. Die Fundamentaltheologie wird ausdrücklich zur
„Theologie des Wortes Gottes". Die mit ihr verbundene Apologetik
wird ihres aggressiven Charakters entkleidet, der, nach einer beiläufigen
Bemerkung (107), auch bei den Studenten im Zeitalter der
Ökumene nicht mehr ankommt. Apologetik ist nunmehr die permanente
Auseinandersetzung mit der Zeit im Ringen um die Vergewisserung
des Glaubens. Vor allem fällt sie keine definitiven,
absoluten Urteile, sondern hat immer nur eine .certitudo moralis'
(112), woran man beim Vaticanum I wie auch im Antimodernisten-
streit schwerlich gedacht haben wird.

Eine biblische Neuorientierung erfährt im Anschluß an .Optatam
totius' Nr. 16 auch die Dogmatik: „Die scholastische Theologie war
mehr eine Theologie des Mysteriums an sich als eine Theologie
der Geschichte. Die Systematik der Summen stützt sich mehr auf
die Logik als auf die Heilsgeschichte. Hingegen ist die Theologie
des 20. Jahrhunderts durch die biblische und patristische Erneuerung
an der Heilsgeschichte ausgerichtet. Was sie beschäftigt, ist
nicht allein das Verständnis der Mysterien an sich, sondern das
Heil in der Geschichte der Menschheit und im Leben eines jeden
Menschen" (124f.). In diesem Zusammenhang werden die biblische
, die patristische und die liturgische Theologie in den Vordergrund
des Interesses gerückt in ihrer fundamentalen Bedeutung
als Niederschlag der Heilsgeschichte in der Geschichte des
Glaubens.

Die Moraltheologie hat einzusetzen bei der Berufung, und „dieses
Thema der Berufung ist das erste und von grundsätzlicherer
Bedeutung als das des Gesetzes" (143). Damit wird ausdrücklich
der Primat des Indikativs vor dem Imperativ betont.

In dem Abschnitt über die Praktische Theologie werden Pastoral,
Mission und Ökumene zusammengefaßt unter Aufnahme aller
konstruktiven Hinweise, die vom Konzil für das Verhältnis der
Kirche zur Welt und zu den .getrennten Brüdern' gegeben worden
sind. Ob freilich mit dieser Randstellung der Ökumene ihrer
grundlegenden Bedeutung für alle Fachrichtungen Rechnung getragen
wird, ist fraglich.

Auf ein sehr umfassendes .aggiornamento' drängt das Kapitel
über das Kirchenrecht, vor allem im Blick auf eine Revision des
CIC. Aus den zehn Vorschlägen (183ff.) seien vor allem die folgenden
Forderungen hervorgehoben: Verbesserung der Verteidigung
bei kirchlichen Prozessen, Berücksichtigung der Unterscheidung
von universalem und partikularem Recht gegenüber
dem bisherigen Universalismus und Zentralismus in der Legislative
und Jurisdiktion, Berücksichtigung des Dekrets über die
Religionsfreiheit für die Bestimmung des Verhältnisses von Staat
und Kirche.

Die Kirchengeschichte erscheint erst am Ende der Disziplinen,
und zweifellos ist der Historismus für Latourelle nicht die Alternative
zur spekulativen Theologie. Kirchengeschichte ist vielmehr
eindeutig eine theologische und mithin theologisch bedingte Wissenschaft
, die „ob man will oder nicht, sich auf eine Theologie
von der Kirche stützen muß" (189). Doch die Geschichtlichkeit
der Inkarnation und der Kirche schließt ein, daß es „auch
in der Kirche, in der Hierarchie wie im Leben der Glaubenden
Platz gibt für Irrtum und Sünde" (190).

In dem Abschnitt über Theologie und christliches Leben wird
vor allem auf die organische Integration der Theologie in der
Totalität der Kirche eingegangen, ein aktuelles Problem, das vor
allem auf dem Hintergrund von ,Lumen Gentium' und .Gaudium
et Spes' in seiner ekklesiologischen und praktischen Relevanz be-