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1969

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

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dabei das Problem des Weltbildes, das für Klopstock besonders
brennend sein mußte, weil er als Epiker darauf angewiesen war,
über eine anschauliche kosmische Topographie zu verfügen, aber
als Dichter des 18. Jahrhunderts sich nicht mehr (wie Milton)
„gegen die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft seiner
Zeit" abschirmen (S. 51) konnte und wollte. So „ist das Weltall
kopernikanisch geschildert" (S. 52). An die Stelle einer rein anthropologisch
orientierten Theologie und Kosmologie tritt eine „Art
Astrotheologie" (S. 53). Zeigen sich hier bereits Berührungen mit
Aufklärungsphilosophie und Neologie, so sind erst recht von den
Aussagen Klopstocks über das Verhältnis von Gott und Mensch
interessante Aufschlüsse zu erwarten. Die „Erfahrung des Tremen-
dum und Fascinosum Gottes" hat Klopstock eindrucksvoll bezeugt
(S. 77 zu der Ode „Die Frühlingsfeicr"); dabei aber erlebt Klopstock
: „Der Allmächtige ist der Allgütige" (S. 78); „Heil geht Klopstocks
Welt aus flüchtiger Verschattung hervor" (ebda.). Wenn so
das Erlebnis eines zornigen, verborgenen Gottes nur scheinbar in
die Nähe Luthers führt (S. 75), so bedeutet auch die Erkenntnis
und Darstellung der Sündenverfallenheit bei Klopstock etwas anderes
als in der reformatorischen Theologie: Das „Sündenerlebnis"
hat sich für ihn „entscheidend verdünnt" (S. 79): „Der Mensch ist
schwach, er ist endlich"; Klopstock steht „auf dem Boden der Leib-
nizisch-neologischcn Auffassung der Sünde" (S. 81) j und ihr entspricht
auch sein Verständnis der Erlösung. Vf. formuliert prägnant
: „Bei Luther wird der Sünder gerecht, bei Klopstock der
Endliche weniger endlich" (S. 82). Damit aber, so urteilt Kaiser,
„vollzieht sich für Klopstock die Wandlung des Christentums zum
Siegel des menschlichen Selbstgefühls" (S. 83), ein Vorgang, der
für den Charakter seiner Religiosität und seines Dichtertums entscheidende
Bedeutung gewinnt (und, so könnte man geneigt sein,
anzunehmen, die spezifisch neuzeitlich Form eines sehr selbst-
und sendungsbewußten religiösen Dichtertums erst ermöglicht):
Klopstock wird „kein Mystiker. . , weil er im Gotteserlebnis auch
das Erlebnis der Bewegtheit der eigenen Seele sucht, statt seine
Seele in Gott aufgehen und untergehen zu lassen. Ruhe in Gott
wäre Selbstverlust, Klopstock aber will Selbstbestätigung" (a.a.O.).
- Auch im Blick auf das Verhältnis zu Christus macht es sich Vf.
zur Aufgabe, die scheinbare Nähe zu Luther dem tatsächlichen
Abstand gegenüberzustellen: „Einerseits ist die Christozentrik
seine engste Berührung mit Luther" (S. 120) j andererseits gilt für
Klopstock: „Der Mensch wird in Christus zu Gott erhöht; das
überwiegt im ganzen die gegenläufige Bctrachtungsrichtung, die
in Christus Gott zum Menschen erniedrigt sieht" (S. 121)). Immerhin
führt diese Betonung des Mittlertums Christi zu einer eigenen
Position; sie läf)t „Klopstocks Verhältnis zu Leibniz und der Neo-
'ogie als dialektisch" bestimmen (S. 122).

Mit ähnlicher Gründlichkeit und eindringender Verständnisbereitschaft
wird Klopstocks Verhältnis zum Pietismus dargestellt.
Auch hier zeigt sich in Nähe und Distanz das charakteristische
Suchen des Dichters nach einer eigenen, seinem spezifischen Sendungsbewußtsein
gemäßen inneren Lebensgestalt. Klopstock war.
im engeren biographischen Sinn, nicht Pietist, aber er war offen
für eine dem Pietismus verwandte Gemütshaltung: „Pietismus
wird aus der geschlossenen Frömmigkeitsform zum Hilfsmittel der
Selbstdeutung und der religiösen Selbstfindung im dichterischen
Wirken und Werk" (S. 133). Das Selbstverständnis und Selbstbewußtsein
des Dichters, orientiert am Vorbild des antiken vates,
bekommt unter dem Einfluß des neuen Irrationalismus religiöse
Verbindlichkeit: „Der Dichter ist Prophet, von Gott berufen, visionär
erleuchtet und Träger einer Offenbarung, die er nur in seiner
Eigenschaft als Poet aussprechen kann" (S. 151). Interessant ist,
w'e diese Auffassung, die ja geistcsgeschichtlich von weittragender
Bedeutung gewesen ist und letztlich gerade auf eine Säkularisierung
der „Begriffe der Prophetie und der Inspiration"
(S. 151) hinauslief, bei Klopstock doch nun wieder auf das konkrete
Verhältnis des Dichters zur christlichen Gemeinde zurückwirkte
: Er fühlte sich als berufener Dichter verantwortlich für
*e Gestalt des kirchlichen Gottesdienstes; er plante die Herausgabe
eines Gesangbuchs und hat eine Reihe von Kirchenliedern
gedichtet oder bearbeitet. Es ist besonders dankenswert, daß Vf.
auch dieser meist wenig beachteten Seite im Wirken und allgemeiner
der liturgischen Dimension in der Vorstellungswelt des
Dichters seine Aufmerksamkeit zuwendet (S. 190ff).

Auch die nun folgende Betrachtung der drei Werkkomplexe
bringt wesentliche, z. T. sehr aktuelle Gesichtspunkte zur Celtung

So stellt sich angesichts der epischen Dichtung „Messias" die
Frage nach dem Element des Mythischen in Klopstocks christlichem
Weltbild. Vf. urteilt: „Der christliche Mythos Miltons ist Bildungsund
Kunstprodukt. Klopstock dagegen nimmt das in der Wurzel
unmythische Denken des Christentums in seiner Dichtung ernst"
(S. 207). Unter den Dramen Klopstocks interessieren natürlich
in erster Linie die Verarbeitungen biblischer Stoffe. Vf. zeigt hier
einleuchtend, wie die strenge theologische Orientierung der Entfaltung
dramatischer Situationen merkwürdig entgegenläuft: Es
fehlt „bei der Alleinwirksamkeit Gottes in den Bibel-Schauspielen
Klopstocks jedes menschliche Gegenspiel zur Hauptfigur" (S. 264).
Dennoch wird durch die expressive Sprachbehandlung Klopstock
„zum wichtigsten Vorläufer der dramatischen Sprache des Sturm
und Drang" (S. 270). Erst recht kommt in der Lyrik natürlich
der Sprachbehandlung besondere Bedeutung zu: Klopstock sucht das
„Machtwort" (S. 291), in dem sich die Empfindungen und Stimmungen
sammeln und das alle mögliche Anschauung übersteigt, und in
dieser sprachlichen „Transzendenz" äußert sich zugleich der Drang
zur Grenzüberschreitung im thematischen, auch im religiösen Sinn.
So kann Vf. feststellen: „Noch und gerade wo er von sich spricht,
steht Klopstock als ,Liturg' vor einer Gemeinde, und deshalb ist es
nicht verwunderlich, wenn sich auch Klopstocks Lyrik von seiner
cschatologischen Chor-Idee überformt zeigt" (S. 317).

In sehr abgewogener Weise versucht der Vf. im Schlußkapitel,
der Bedeutung und den Grenzen Klopstocks gerecht zu werden.
Beide sind in der Verbindung begründet, die die Dichtung in
seinem Werk mit der Religion eingeht: „Religion und Dichtung
werden ineinander verschränkt, so daß wir Klopstock in seiner
Dichtung als Religiösen, in seiner Religion als Dichter treffen"
(S. 343). Daher gilt einerseits: „Der Dichter, der Erschütterung ins
Wort bannen, der in höchster Erregung heilige Wahrheit gewinnen
und Wahrheit verkünden will, ist über alle nüchterne Regelpoetik
weit erhaben . . . Damit läßt Klopstock die gesamte Aufklärungspoetik
weit hinter sich" (S. 344). Andererseits aber bleibt Klopstock
auch „ebenso weit von der Einsicht in die weltstiftende Kraft des
poetischen Wortes entfernt. Er interpretiert die Welt, aber er
schöpft keine neue imaginäre Welt der Dichtung" (a.a.O.). „Das
Gedicht ist nicht primär als Gestalt, sondern primär als Wahrheit
gemeint, eine Wahrheit allerdings, die erst in der Dichtung zur
vollen Erscheinung kommen kann" (S. 345).

Gerade in dem zuletzt zitierten Satz wird noch einmal deutlich,
wie der Vf. es versteht, die literatur- und geistesgeschichtliche
Analyse immer wieder bis zu dem Punkt vorzutreiben, wo die
unmittelbare Aktualität der Beschäftigung mit diesem Dichter einzuleuchten
beginnt, ohne daß er doch jemals die seiner Arbeit
gesetzten Grenzen überschreitet. Die Bedeutung dieses wichtigen
Buches liegt gerade darin, nicht nur kritisch und vollständig über
bestimmte historische Tatbestände zu informieren, sondern in
wissenschaftlich legitimer Weise über die Grenze der Einzeldisziplin
hinauszuweisen und dadurch nicht zuletzt auch dem Theologen
wesentliche Erkenntnisse und darüber hinaus konstruktive
Anregungen für die eigene Weiterarbeit sowohl bei mehr historischer
wie auch bei zeitanalytischer und -kritischer Orientierung zu
vermitteln.

Leipzig Norbert Müller

Kurz, Paul Konrad: Der Christ und die Literatur. Blickrichtungen
christlicher Literaturbetrachtung und Kritik (StZ 181, 93,
1968 S. 259-269).

T h o m e, Alfons: Moderne Literatur in der Glaubensverkündigung

(TThZ 78, 1969 S. 161-176).
U r n e r , Hans: Lebensbewältigung in der Emigration - Peter

Weiß (ZdZ 22, 1968 S. 297-302).

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Huonder, Quirin: Die Gottesbeweise. Geschichte und Schicksal
. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer [1968]. 185 S.
ki 8° = Urban Bücher, 106. Kart. DM 4,80.

In jüngster Zeit ist das Problem der Gottesbeweise erneut Gegenstand
mehrerer Untersuchungen gewesen, die z. T. auch in dieser
Zeitschrift besprochen worden sind. Das ist an sich ein erfreu
liches Zeichen der Zeit. Allzu lange sind die Gottesbeweise in der