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Ausgabe:

1969

Spalte:

927-928

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schnell, Uwe

Titel/Untertitel:

Die homiletische Theorie Philipp Melanchthons 1969

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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Gottes ist, nehmen sie die erste Stufe ein, und zwar nicht kraft
einer Weihe, durch die sie ontologisch umgestaltet würden, nicht
kraft einer Eigenschaft, die ihre Person verändert, sondern kraft
einer pneumatischen Dynamik und einer in Diensten sich erfüllenden
Funktionalität von hohem Rang" (S. 329).

Die Seiten 343-430 sind schließlich dem Vergleich Calvins und
des II. Vaticanums gewidmet. In Petitdruck bringt Ganoczy ausführliche
Zitate aus Konzilstexten, besonders aus den dogmatischen
Konstitutionen De Ecclesia und De Divina Revelatione.
Hinsichtlich der Vierzahl der Ämter, der Verständnisse von Apo-
stolizität und Kollegialität, überhaupt der Wesensbestimmung der
Kirche bzw. des ekklesiologischen Grundprinzips erkennt Ganoczy
viele Gemeinsamkeiten zwischen den genannten Konzilsverlautbarungen
und Calvin, dessen „Aktualität" für das gegenwärtige
Gespräch dadurch erwiesen werden soll. Man wird dem Vf. schwerlich
anlasten dürfen, zugunsten billiger Zweckargumentationen
Gräben übersehen bzw. Gegensätze künstlich harmonisieren zu
wollen.

Ein Schlußkapitel verhandelt direkt kontroverse Fragen, die der
Verfasser auch als solche meint: Der ordo als Sakrament? Amts-
priestertum? Episkopat und Primat? In der Antwortsuche distanziert
sich Ganoczy bisweilen ebenso deutlich von Teilen der tri-
dentinischen Tradition und gewisser anderer - etwa thomisti-
scher - Überlieferung, wie er vordergründig katholisierende Begrifflichkeit
bei Calvin besonders unterstreicht (Ecclesia mater,
S. 357 u. ö.). Hier schliefjt sich der Kreis: Die Kirche als Mutter
= die dienende Kirche (S. 361) ist aus Calvintexten ebenso
erhebbar wie aus solchen des Konzils. Daraus resultieren ganz
von selbst kollegiale Strukturen. „Man täuscht sich kaum, wenn
man ihn (Calvin) auch hier als den Vorläufer der vom Vaticanum II
erhobenen Thesen betrachtet" (S. 363). Die Christusherrschaft
als ekklesiologisches Grundprinzip erscheint nach den
Ergebnissen Ganoczys genauso beim Genfer Reformator wie in De
Ecclesia. Bei der Primatsfrage des römischen Bischofs allerdings
gäbe es keine Berührungspunkte.

Von gegenwärtig zu lehrender biblischer Ekklesiologie her kritisiert
Vf. schließlich sowohl Calvin als auch die neuesten Konzilstexte
. Hinsichtlich des Kultus- und Amtspriestertums gäbe das
II. Vaticanum keine befriedigende Antwort, ebenso rede es noch
gedankenlos vom Opfercharakter der Messe.

Die beiden geprüften Ekklesiologien sind keine abgeschlossenen
Systeme. Insofern sind sie Grundlagen für weitertragendes öku-
menisch-ekklesiologisches Denken.

Wer Ganoczy widersprechen will, mufj es an Hand besserer
Calvin- und Konzilstextauslegung tun. Es ist sein Verdienst, viele
interessante Parallelen aufgezeigt und damit einen Streckenabschnitt
auf dem Wege zu wirklicher Katholizität anvisiert zu
haben.

Berlin Joachim R o g g e

Schnell, Uwe: Die homiletische Theorie Philipp Melanchthons.
Berlin und Hamburg: Lutherisches Verlagshaus 1968. II, 180 S.
gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums
, hrsg. v. W. Maurer, K. H. Rengstorf, E. Sommerlath u.
W.Zimmermann, XX. Kart. DM25,-.

Diese Rostocker Dissertation (Referent G. Holtz) bietet erstmalig
eine gründliche, alle verfügbaren Quellen sorgfältig verwertende
Darstellung der homiletischen Anschauungen Melanchthons. Frü
here Würdigungen der Bedeutung Melanchthons für die Geschichte
der Homiletik litten darunter, daß die 1929 von P. Drews und
F. Cohrs edierten homiletischen Äußerungen des großen Magisters
entweder noch nicht bekannt waren oder unbeachtet blieben. So
kam die Entwicklung seiner homiletischen Gedanken nicht in den
Blick und die Predigtlehre Melanchthons wurde einseitig von
seinen primär rhetorischen Schriften aus beurteilt. Schnell modifiziert
dieses Urteil, indem er nachweist, daß Melanchthon die Einordnung
der Homiletik in die Rhetorik mehr und mehr löste und
sich um eine eigenständige, dem Wesen der Predigt gemäße Homiletik
bemühte, ohne die positive Bedeutung der Rhetorik zu leugnen
. Letztere liegt vor allem in ihrer hermeneutischen und pädagogischen
Funktion.

Der Vf. beweist seine Thesen, indem er im ersten Teil Melanchthons
Rhetorik im Rahmen der Geschichte der Rhetorik darstellt
.

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Im zweiten Teil (S. 54-144) analysiert Schnell die Quellen in
chronologischer Ordnung, indem er zunächst den Ansatz der Homiletik
Melanchthons und dann die homiletische Methodenlehre
entfaltet. In der „Rhetorik" von 1519 wird die Homiletik als Anwendung
rhetorischer Gesetze auf die Predigt verstanden. Das
Fragment „De offieiis concionatoris" (1529) entlehnt zwar der
Rhetorik noch wichtige Elemente wie die Generalchre, doch wird
der Offenbarungscharakter der biblischen Botschaft zum Kriterium
für die Anwendbarkeit rhetorischer Gesetze für die Homiletik erhoben
. Die „Elementa" von 1531 sind primär als rhetorisches,
nicht als homiletisches Lehrbuch zu verstehen. Das zwischen 1532
und 1536 gehaltene Kolleg „Quomodo concionator novitius con
cionem suam informare debeat" löst die Homiletik weiter von der
Rhetorik, doch konzentriert sich Melanchthon hier vorwiegend
auf die Lehre von der Inventio. 1537/39 entstand das Kapitel „De
modo et arte concionandi", ein Exkurs über 1. Tim. 4,13. Aus
dieser Schriftstelle wird eine spezifische homiletische Generalehre
abgeleitet, die sich auf das genus doctrina und das genus adhor-
tatio beschränkt. Mit diesen Genera sucht Melanchthon seiner
Lehre von Gesetz und Evangelium, speziell vom tertius usus legis,
homiletisch gerecht zu werden. Die Entwicklung der homiletischen
Gedanken Melanchthons findet ihren Abschluß in den Kommentaren
zum 1. Korinther- und 1. Timotheusbrief (1550/51). Außer
der genannten Stelle wird jetzt 1. Kor. 14,3 herangezogen, um lec-
tio, doctrina und consolatio als die drei konstitutiven Elemente
der göttlichen Offenbarung zu bestimmen, welche die einzelnen
Teile der Predigt und die Aufgaben des Predigers determinieren.
„Jede Predigt verlangt als Grundlage einen biblischen Text, seine
Lehraussage muß den Hörern vorgelegt und sodann appliziert
werden. Das eigentliche Ziel jeder Predigt ist die Verwirklichung
der göttlichen Heilsabsicht, die consolatio. Das Proprium der
Predigt gegenüber jeder anderen Rede ist methodisch eindeutig
ausgedrückt" (S. 171).

Der Weg von der rhetorisch bestimmten zur eigenständigen
Homiletik brachte in der Methodenlehre als wichtigstes Ergebnis,
daß nicht mehr die Erhebung der Genera, sondern die der im
Text enthaltenen loci communes an die erste Stelle des hermeneutischen
Bemühens rückte. Dadurch wurde trotz aller Arbeit am
Literalsinn das Monopol der Themapredigt in der lutherischen
Orthodoxie begründet. An diesem Punkte möchte der Rez. die
Entwicklung zur Lokalmethode hin kritischer beurteilen als der
Vf. Hat nicht gerade diese Methode zur Scholastisierung der
Orthodoxie beigetragen? Dieses Problem ist allerdings zu umfassend
, als daß es in der vorliegenden Arbeit hätte verfolgt
werden können.

Leider hat Melanchthon nie gepredigt und damit die Forschung
der Möglichkeit beraubt, seine Homiletik von der Praxis her zu
beleuchten. Die von Pezelius bearbeitete Postilla Melanchthonia
sowie drei für andere Prediger verfaßte Entwürfe lassen nur undeutlich
erkennen, wie man sich die Praktizierung der homiletischen
Anschauungen Melanchthons vorzustellen hat. Das Mißverständnis
der Elementa als eines homiletischen Lehrbuchs ist daher
verständlich.

Die Arbeit beschränkt sich mit Recht auf eine sorgfältige Interpretation
der Quellen, die reichlich im Urtext zitiert werden. Ein
lange vernachlässigtes Feld der Geschichte der Homiletik wurde
sauber durchpflügt und ein Saatfeld geschaffen, auf dem auch für
die moderne Homiletik noch Früchte wachsen können. Die Bedeutung
der Rhetorik für die Homiletik ist in der gegenwärtigen Predigtlehre
trotz mancher Ansätze noch keineswegs genügend durch
dacht. Schnells Arbeit wird dabei nicht übersehen werden dürfen.

Halle/Saale Eberhard Winkls

B e u m e r , Johannes: Erasmus von Rotterdam und seine Freunde
aus dem Franziskanerorden (FS 51, 1969 S. 117-129).

Hegel, Erwin: Reformation, Resignation, Revolution. Göttingen i
Vandenhoeck & Ruprecht (1969). 20 S. 8° = Bensheimer Hefte,
hrsg. vom Evang. Bund, 39. Kart. DM 1,50.

Kohls, Ernst-Wilhelm: Die theologische Lebensaufgabe des
Erasmus und die oberrheinischen Reformatoren. Zur Durchdringung
von Humanismus und Reformation. Stuttgart: Calwer Verlag
1969. 45 S. gr. 8° = Arbeiten zur Theologie, hrsg. m. A.
Jepsen u. O. Michel v. T. Schlatter, 1. Reihe, Heft 39. DM4,80.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12