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Ausgabe:

1969

Spalte:

925-927

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ganoczy, Alexandre

Titel/Untertitel:

Ecclesia ministrans 1969

Rezensent:

Rogge, Joachim

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sind sie nur dort vorgenommen worden, wo das Psalter-Material
Wenigstens z. T. in Editionen und philologischen Untersuchungen
aufgearbeitet vorliegt (etwa beim Walterschen 19. Zweig). Indessen
gehen auch sie nicht so weit ins Detail, daß sie tatsächlich die
Filitationsverhältnisse klar widerspiegeln. Auch die Übersetzungsproben
, die nicht zahlreich sein konnten (u. nicht immer wissenschaftlich
einwandfreien Editionen entnommen wurden; s. z. T.
Vollmers Tab.), reichen als Belege nicht aus. Dabei ist Sch.s Absicht
, das veraltete Walthersche System zu korrigieren und durch
ein besseres zu ersetzen, durchaus begrüftenswert; doch hätte dieses
Vorhaben u. E. nicht durch größere Gruppenbildungen verwirklicht
werden sollen, sondern ganz im Gegenteil, durch Bildung
von sinnvollen, exakt zu verifizierenden Untergliederungen;
dabei hätte man sich getrost der gebräuchlichen Walterschen
Zweige in modifizierter Form bedienen können. Für spätere Editionen
wäre dann tatsächlich nützliche Vorarbeit geleistet worden.
So gesehen, scheint uns die Neugliederung allzu leichtfertig (z. T.
nachweislich falsch - s. Gruppe 14) und im Blick auf weitere Forschungen
nicht gerade sinnvoll. Es bleibt festzustellen, daß das
Walthersche System weiterhin verwendet werden muß..

Sch.s abschließende Zusammenfassung bringt auch »Hinweise zur
Weiterarbeit". Zweifellos gehören Editionen zu den dringlichsten
Üesiderata. Soweit wir die allernächsten Vorhaben übersehen,
werden sie in stärkerem Umfang auch Einblick in die frömmig-
keits- und theologiegeschichtliche Situation unmittelbar vor Luthers
Auftreten bieten. Die außerordentliche Bedeutung des Psalters für
die Geschichte der mittelalterlichen Frömmigkeit (s. bereits M.
Elze, in: ZThK 62, 1965, S. 381ff.) wird vor allem in den Editionen
Heinrichs von Mügeln (Ratcliffc), der ripuarisch-mittelniederdeut-
schen Tradition (Ising: DTM LIV/4) und der Lübecker handschriftlichen
und Drucküberlieferung (Schwencke) erkennbar sein. Wenn
darüber hinaus die übrigen Psalmen-Editionen von Notker bis zur
Reformationszeit (s. 7. Bericht der Bayr. Akademie der Wissenschaften
, in: Germanistik 10, 1969, S. 219ff.) abgeschlossen sein
werden, sollte Sch. nicht nur eine Überarbeitung seines Buches vornehmen
, sondern es von Grund auf neu fassen. Solange werden
wir uns mit dem angezeigten Werk, das trotz der genannten Mängel
bei kritischer Benutzung hilfreich ist, behelfen müssen.

Pinneberg b. Hamburg Olaf Schwencke

G a n o c z y , Alexandre : Ecclesia Ministrans. Dienende Kirche
und kirchlicher Dienst bei Calvin, übers, v. H. Sayer. Freiburg-
Basel-Wien: Herder (1968). 439 S. gr. 8° = ökumenische Forschungen
, hrsg. v. H. Küng u. J. Ratzinger, I. Ekklesiologische
Abteilung, 3.

. Um es gleich von vornherein zu sagen: Das Buch hat zwei
Schwerpunkte, die aufeinander bezogen sind, nämlich eine ausgedehnte
Calvinintcrpretation (speziell die Lehre von der Kirche)
und Erwägungen zu den Voraussetzungen einer künftigen ökumenischen
Ekklcsiologic. Um für letztere neue gangbare Wege zu
finden, referiert der römisch-katholische Verfasser nicht die traditionelle
Schultheologie seiner Kirche, sondern knüpft an die einschlägigen
Konstitutionen und Dekrete des II. Vaticanums an.
Er kommt zu dem Schluß, daß dort zu findende Öffnungen für
einen ökumenischen Kirchenbegriff auffallende Ähnlichkeiten oder
9ar Identifikationen bei dem Genfer Reformator zeigen. Das ist
der Grundtenor des übersichtlich und interessant angelegten
"uches.

Man wird Ganoczys Arbeit einzureihen haben in die anerkennenswerten
Verständnisbemühungen römisch-katholischer Theologen
um die Hauptanliegen der Reformatoren. Dem vorliegenden
Werk vergleichbar ist in diesem Sinne etwa Pollets Zwinglibuch,
das allerdings den Bogen weit zu einer Biographie spannt (J. V.
Pollet O. P.: Huldrych Zwingli et la Reforme en Suisse . . . Paris
1963, s. dazu ThLZ91. 1966, Sp. 56ff.).

Offensichtlich geht Ganoczy aber noch einen Schritt weiter als
viele Historiker seiner Kirche, die sich um eine gerechte Standortbestimmung
der evangelischen Theologen des 16. Jahrhunderts
n'ühen. Er will ihr Denken einbringen in die gegenwärtige ökumenische
Debatte und gibt als einzig dafür in Frage kommenden
Weg den sorgfältigen Sachvergleich reformatorischer und neuester
konzilarer Texte. Dieses Vorgehen macht die Methode des Buches
aus.

Noch in anderer Hinsicht ist Ganoczys Leistung im besten Sinne
des Wortes typisch: Er befaßt sich ausschiefilich mit der Ekkle-

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siologie und mit allem, was zu deren Verständnis in der Gesamttheologie
des Reformators und der Theologie des II. Vaticanums
erforderlich ist. Auch in dieser Beziehung steht Ganoczys Arbeit
als III. Band der I. - ekklesiologischen! - Abteilung ökumenischer
Forschungen in einem repräsentativen Zusammenhang. In
dieser Reihe hat Hans Küng sein bei evangelischen und katho
lischen Lesern viel diskutiertes Buch über „Die Kirche" (1967)
veröffentlicht. Yves Congar gibt durch seinen Buchtitel die Bedeutsamkeit
der Ekklesiologie für die gegenwärtige interkonfessionelle
Diskussion ebenso klar bekannt: Heilige Kirche. Ekklesiologische
Studien und Annäherungen. Stuttgart 1966.

Diese ergänzungsbedürftigen Andeutungen mögen signalisieren,
daß römisch-katholische Theologen von Rang in der nachkonzi-
liaren Zeit eben das Thema anfassen, das im Grunde die Kirchen
voneinander trennt. In der klaren Einsicht, daß ökumenische Deklamationen
nicht voranhelfen, widmen sie sich der Analyse von
Dokumenten, deren Wichtigkeit auch für evangelische Historiker
außer Frage steht. So ist Ganoczys Unternehmen vorbehaltlos zu
begrüßen.

Vf. entwickelt in einem ersten Hauptteil die Grundzüge der
Theologie Calvins, betont die dialektische Struktur seines Denkens,
beschreibt seine Abhängigkeiten von Luther und Bucer. Es liegt
ihm daran, Calvins Ekklesiologie nicht von seiner Gesamttheologie
zu isolieren. Es wäre verfehlt, .wenn man sie nicht richtig einordnet
, d. h. sie nicht bezieht auf die .Dimensionen' seiner anthropologischen
, seiner christologischen und soteriologischen Aussagen,
und auf die seiner Sakramentenlehre" (S. 26). Bisweilen wird
Ganoczy in seinen Formulierungen etwas unkontrolliert-emotional:
„Calvins Seele war Feuer - und der ungeheuere Wunsch war
darin wach, das Göttliche aus all den gemeinen, menschlichen
Fesseln zu .befreien" (S. 29). Auch was „Bipolarität" und „innerer
Dualismus" bei Calvin besagen sollen (a.a.O.), ist nicht recht
deutlich.

Der zweite Hauptteil wendet sich der Ekklesiologie des Reformators
zu. Hier geht es Ganoczy vornehmlich darum, den christo-
zentrischen Charakter des Kirchenbegriffs herauszustellen. An der
vom Vf. verwendeten Nomenklatur - wie auch sonst - ist zu erkennen
, aus welchen Traditionen heraus er fragt. So prüft er Calvins
Lehre von der Kirche an dem „Priestertum des Mittlers"
(S. 113ff.) durch. Christus ist alleiniger Bischof, Hirte und Lehrer.
Die bei vielen zeitgenössischen Theologen konstatierbare gut einzusehende
Tendenz, die echte Katholizität der Reformatoren hervorzuheben
, fällt auch bei Ganoczy auf: „Subjektiv ist Calvin katholisch
geblieben, selbst wenn er .objektiv' den .Papismus' verwarf
, und damit manche Elemente der traditionellen kirchlichen
Lehre und Verfassung" (S. 104). Vf. kommt zu folgender Grundthese
: „Dienst und Priestertum des einen Mittlers Jesus Christus
bilden die Voraussetzung für Calvins Lehre von der dienenden"
Kirche" (S. 107).

Der zweite Teil des zweiten Hauptteils geht der Ausgangsgestaltung
des Kirchenbegriffs in den Institutio-Ausgaben von 1536,
1539, 1543 und 1559 nach. Ganoczy leitet die Berechtigung solchen
Vorgehens von der Erkenntnis ab, Calvins Ekklesiologie sei „vollständig
in den aufeinander folgenden Ausgaben der Institutio
enthalten" (S. 177).

Der dritte Hauptteil wendet sich speziell dem Wesen des Kirchendienstes
zu. Vf. handelt dazu über „diakonia", „christozen-
trische Kollegialität", das „königliche Priestertum der Gläubigen"
und die Bezeichnung der Diener des Wortes mit „sacerdos". Ganoczy
weist nach, daß Calvin zur Be- und Umschreibung der
Dienste auf die Entwicklung in der alten Kirche rekurriert und
daß man im Sinne des Reformators von der Funktionalität
des Amtes und der Ämter, auch von der Funktionalität des petrinischen
Primats, zu reden habe. Unter diesem Terminus werden alle
Gemeindedienste, die der Episkopen, Presbyter, Diakone erörtert.
(Der deutsche Leser quittiert sicherlich mit großem Dank, daß der
Vf. in diesen Passagen besonders ausführlich die weniger bekannte
französischsprachige Sekundärliteratur heranzieht.)

Die Vielgestalt der Dienste in der reformierten Kirche wird danach
in extenso dargestellt. Es geht um den Dienst der Hirten
(Wort und Sakrament), den der Lehrer (Unterweisung), den der
Altesten (Disziplin) und den der Diakone (caritas). Zum „Erscheinungsbild
der Hirten" faßt Ganoczy Calvin interpretierend zusammen
: Es „gleicht sehr dem der Presbyter-Episkopen der alten
Kirche. In einer .Hierarchie', deren einzige Berechtigung der Dienst

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12