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Ausgabe:

1969

Spalte:

918-920

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Sulpicius Severus, Vie de Saint Martin 1969

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

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entstanden sind; sie sind in der weitgehend parallelen Gestalt
der Homilien und der Recognitionen auf uns gekommen. Wer sich
heute mit dieser Schriftengruppe beschäftigt, findet eine eigenartige
Situation vor. Auf der einen Seite ist das Interesse für sie in
den letzten Jahrzehnten erheblich gewachsen. Man greift auf sie
zurück, um ein differenzierteres Bild vom Judenchristentum zu gewinnen
', man zieht die Linien zurück nach Qumran2, herüber zu
den Mandäern', entdeckt Entsprechungen zum Thomasevangelium'.
Andererseits war man, was die Textgcstalt angeht, für die Recognitionen
noch immer auf die alte Ausgabe von Ernst Gotthelf
Gersdorf (Leipzig 1838) angewiesen, die auch bei Mignc PG 1,
1205-1454 Aufnahme gefunden hat. Im Unterschied zu den griechisch
überlieferten Homilien haben wie die Recognitionen, von
Einzelpartien abgesehen, nur in der lateinischen Übersetzung des
Rufinus, deren Qualität umstritten ist".

Der Gattung nach gehören sie dem in der ausgehenden Antike
sehr beliebten Typus des Wiedererkennungs(Anagnorismcn-)ro~
mans zu, wie W. Heintze (T. U. 40,2,1914) und K. Kerenyi (Die
griechisch-orientalische Romanliteratur, 1927, S. 67-94) gezeigt haben
. Clemens, ein Römer aus vornehmer Familie, reist auf der
Suche nach seinen verlorenen Angehörigen nach Palästina, wird
Zeuge der Wirksamkeit des Petrus, vor allem seines Kampfes mit
Simon Magus, lernt Jakobus und die anderen Apostel kennen und
findet schlicfjlich seine Verwandten wieder. In diesen Rahmen eingespannt
sind philosophische Gespräche über die Vorsehung, Polemik
gegen den Polytheismus, Dispute und Traktate über die
wahren und die falschen Perikopcn im Gesetz, die Syzygienlehre,
Dämonologie und Astrologie. Der romanhafte Charakter des Werkes
hat fraglos zu seiner Beliebtheit beigetragen.

Welche Verbreitung die Recognitionen vor allem im Abendland
gefunden haben, zeigen die zahlreichen Zitate, über die Harnack,
Geschichte der altchristlichen Literatur 11,1 (Neudruck 1958) S. 266f.,
einen Überblick gibt, nicht weniger als die überaus reichhaltige
handschriftliche Überlieferung. Richardson zählt um die Jahrhundertwende
89 Handschriften, die vorliegende Ausgabe kann auf
114 zurückgreifen.

Die Erarbeitung eines zuverlässigen Textes hat sich die Kirchenväterkommission
der Preußischen Akademie seit ihrem Bestehen
angelegen sein lassen. Doch stand dieses Vorhaben unter einem
unglücklichem Stern. Nicht weniger als vier Anläufe wurden unternommen
, die Ausführung jedoch durch den Tod der Mitarbeiter
(darunter so hervorragender wie F. X. Funk, Gerhard Loeschke)
vereitelt.

Dem hingebungsvollen und sachkundigen Wirken des im 2.
Weltkrieg gefallenen Philologen Bernhard Rehm (zur Person die
Würdigung von W. Eltestcr ThLZ 93, 1968. Sp. 19f.) ist es gelungen
, die Arbeit soweit zu fördern, daß schließlich die erste allen
Ansprüchen genügende Ausgabe der Pseudoklementinen vorgelegt
Verden konnte. Seine Edition der Homilien wurde 1953 von Jo-
hanes Irmscher dem Druck zugeführt (vgl. die Rezension von
Ethclbert Stauffcr ThLZ 79, 1954, Sp. 309-312), die vorliegende der
Recognitionen hat F. Paschke umsichtig überarbeitet, durch Heranziehung
zahlreicher weiterer Handschriften ergänzt und schliefi-
lich herausgegeben.

Der Editor stand vor der reizvollen, aber komplizierten Aufgabe
, die Fülle des handschriftlichen Materials zu ordnen, um den
Archetyp zu rekonstruieren. Einen Einblick in seine Arbeit hat
Rehm schon in seinem großen Aufsatz ZNW 37, 1938, S. 79-184'
gegeben. Der dieser Ausgabe vorangestellte musterhafte, durch
Stemmata anschaulich gemachte Editionsbericht stellt die fünf
Gruppen der handschriftlichen Überlieferung (italienische, nord-
französischc, südfranzösische, deutsche und englische) vor und
kommt zu dem Ergebnis: „Obwohl die Existenz verschiedener
Überliefcrungszweige bereits um 500 nachweisbar ist, gehen alle
crhaltenen Handschriften auf einen Archetypus zurück" (S. LXX).

') H. J. Sdiocpt, C. Strecker zuletzt im Nachtrag zu W. Bauer. Rechtgläubigkei1
"nd Ketzerei im ältesten Chriltcntum '1965. S. 243-87.
1 Cullmann BZNW 21. 1954. S. 35-51.
:) K Rudolph, Die Mandier I, 19*0, S. 139-147.

'') Quinpcl, Vi» Chrilt 12. 1958, S. 181-96. dagegen Klijn Nov Te»t. :i, 195«.
s 167«.

') Vgl. H. Hoppe. Ruhn als Üben etzer in i Studi dedirati alla memoria di

Ubalds, Milano 1937. S. 133-50.
*) Vgl.

aber auch die kritische Replik von H. WaiU, Lötmng des pscudoklcracn-
"niKthen Probien»? ZKG 59. 1940. S. 304-334.

Da dieser in die Zeit vor 500 gehört, sind wir nahe an die Ru-
finsche Übersetzung herangerückt.

Was den ursprünglichen Umfang angeht, so hält der Herausgeber
den Schluß Ree. X,65a-72 (die sog. transformatio Simonis)
für äußerst unsicher; der wegen seiner eunomianischen Trinitäts-
lehrc anstößige, für uns aber besonders aufschlußreiche Abschnitt
111,2-11 (de ingenito deo genitoque disserta) hat nach seiner
Uberzeugung nicht zu Rufins Übersetzung gehört und wurde später
nachgetragen.

Rehms Sicht der Textgeschichte hängt hier eng mit seiner Lösung
der literarischen Fragen zusammen. Während die Mehrzahl
der Forscher auch heute noch auf der Basis der Waitzschen Quellentheorie
steht, die die den Recognitionen und Homiüen zugrundeliegende
Grundschrift quellenkritisch zerlegt (Kerygmata
Petrou, Praxeis Petrou, den romanhaften Rahmen), folgt Rehm
seinem Lehrer Eduard Schwartz, der jeder Analyse der Grundschrift
skeptisch gegenüberstand, so daß die faßbaren literarischen
Vorgänge für ihn erst mit deren Verarbeitung zu Homilien und
Recognitionen beginnen. In diesem Falle würden sie für die Rekonstruktion
des frühen Judenchristentums weithin ausfallen.

Die weitere Diskussion wird zeigen, ob wir den Recognitionen
gerecht werden, wenn wir sie ein unter Benutzung der Homilien
entstandenes Werk ausgleichender nachnizänischer Rechtgläubigkeit
ansehen. Sie kann sich nun auf eine Textausgabe stützen, die
den Namen des Herausgebers unvergessen bleiben läßt.

Halle/Saale Wolfgang Wiefel

Sulpice Severe: Viede Saint Martin. 11 Introduction, texte
et traduetion par J. Fontaine. II: Commentaire (jusqüä Vita
19) par J. Fontaine. III i Commentaire (fin) et index par
J. Fontaine. Paris: Les Editions du Cerf 1967/68/69. 1426 S„
1 Kte., 1 Faltkte. 8° = Sources Chretiennes, ed. par C. Monde-
sert, 133/34/35. Serie des textes monastiques d'oerident Nr. XXII/
XXIII/XXIV. ffr. 25,50, 42,- u. 49,-.

Philologische Grundlage des Werkes ist eine Textausgabe der
Vita Martini des Sulpicius Severus mit den dazugehörigen 3 Briefen
(Bd. I, S. 248-345). Neben dem lateinischen Text steht im Paralleldruck
eine französische Übersetzung; sie unterscheidet sich
bewußt von derjenigen, die P. Monceaux 1927 vorgelegt hat (S. 241).
Band II und III bieten einen sehr gründlichen Kommentar, der fast
1000 Seiten umfaßt, also rund 20mal so lang ist als der Text. Als
Vorbild für die Exegese nennt Fontaine mit einem Zitat R. Bult-
mann (1,241). Die entscheidenden Probleme der Vita Martini werden
in der Einleitung behandelt, die 6 Kapitel umfaßt. Direkt auf
die Text-Edition bezieht sich das 6. Kapitel (S. 211ff.). Die Edition
von Halm im CSEL von 1866 wird positiv anerkannt. Zur Zeit
wird im Corpus Christianorum eine gründliche Neu-Edition der
Vita Martini erwartet, an welcher der Schwede Hylten und der
Amerikaner Peebles arbeiten. Hylten hat in seinen „Studien zu
Sulpicius Severus" (Diss.Lund 1940) wesentliche Vorarbeiten bereits
veröffentlicht. Darüber hinaus haben Hylten und Peebles
auch für die hier zu besprechende Edition Hinweise gegeben. Dennoch
will der neue Text nur eine verbesserte Ausgabe des Textes
von Halm sein; eine grundlegende Neufassung soll erst im CC
erfolgen. Die einzelnen Texte und Textfamilien werden in der üblichen
Weise beschrieben (S. 214ff.). Für die Benutzung des Textes
sind ausführliche Indices erarbeitet worden (Bd. III, S. 1353-1426).

Kapitel 1 setzt ein mit der Beziehung zwischen Sulpicius und
Paulin von Nola, die auch später häufig eine Rolle spielt (S. 17ff.
und 38ff ). Der Ort Primuliacum, an dem Sulpicius sein Werk
schrieb, wird zwischen Toulouse und Narbonne lokalisiert (S. 30ff.
sowie Karte in Bd. II, S. 895). Kapitel 2 behandelt die Komposition
der Vita Martini. Traditionen der antiken Biographie wirken
ebenso ein wie solche aus dem jüdisch-christlichen Bereich (S. 63ff.).
Auch Meditationen über die Nichtigkeit des menschlichen Ruhms
im Angesicht der göttlichen Unsterblichkeit haben eine antike
Wurzel und sind nicht nur aus dem Christentum herzuleiten (S. 72).
Tm Anschluß an antike Heroengeschichten hat Sulpicius etwas
Neues angestrebt, doch hatte er auch mit Lesern aus dem gebildeten
Heidentum zu rechnen. Primär waren freilich die Empfänger
seiner Vita die asketisch begeisterten Freunde des Sulpicius.
Er war von der Bedeutung seines Werkes überzeugt, dachte aber
niemals daran, es als ein 5. Evangelium zu werten (9.80). Ka.
pitel 3 erörtert den literarischen Wert der Vita. Klassische Vor-