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Ausgabe:

1969

Spalte:

912-914

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brandon, Samuel G.

Titel/Untertitel:

Jesus and the Zealots 1969

Rezensent:

Weiß, Konrad

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Bericht des Galaterbriefes mit der Apostelgeschichte in Überein
Stimmung bringen läßt, wird nicht genauer geprüft, weil in keinem
Fall Veranlassung besteht, „die Richtigkeit der von Paulus
gegebenen Schilderung zu bezweifeln" (S. 62). Ob in Jerusalem
das Aposteldekret beschlossen wurde oder nicht, kann offenbleiben
. Denn .wenn Paulus das Dekret kennen sollte, muß er eingesehen
haben, dafj diese Bestimmungen nichts mit dem Evangelium
selbst zu tun haben, da sie ja keine Bedingungen des Heils
darstellen" (S. 70). Eine Abgrenzung zwischen Proto- und Deuterc-
paulinen wird nicht vorgenommen. Wohl aber wird der Versuch
gewagt, eine petrinische Theologie nach Acta 2-4 zu konstruieren
(S. 75f.). Mit Hirsch und Munck vertritt der Verfasser die Auffassung
, die Judaisten seien Heidenchristen gewesen, „die im Begriff
stehen, sich beschneiden zu lassen oder es schon haben geschehen
lassen" (S. 248).

Die Zurückhaltung gegenüber historischen und philologischen
Fragen grenzt gelegentlich an Gleichgültigkeit, insbesondere im
Blick auf die Textkritik. In der deutschen Fassung ist überdies
aus der westlichen Textform von Gal. 2,5 die „wesentliche Textform
" geworden (S. 66), so dafj der unkundige Leser ratlos bleiben
mufj.

Die Auslegung hebt vor allem den lehrhaften Charakter des
Briefes hervor. Paulus verkündet in seiner Predigt „die wahre
Göttlichkeit der Schrift und des Gesetzes" (S. 44). Das Evangelium
ist des Gesetzes Erfüllung (S. 51 u. ö.), es stellt „die höchste Autorität
" dar „und nicht irgendwelche hochangeschene Persönlichkeiten,
die die Kirche leiten" (S. 86). „Erst Christus ist die Erfüllung des
Gesetzes; er ist das wirkliche Gesetz, denn er vertritt in seinem
Werk, im Leben, Sterben und Auferstehen die Gerechtigkeit Gottes"
(S. 88). Der Glaube, den Paulus so nachdrücklich betont, „darf
jedoch nicht als ein Werk oder eine Leistung aufgefaßt werden,
womit die Leistungen der Gesetzeswerke ersetzt werden sollen"
(S. 90). „Wem der Inhalt des Evangeliums unklar ist, dem kann
die Verkündigung des Paulus leicht moralisch schlaff erscheinen.
Ein strenges Moralprogramm und eine Lebensführung nach bestimmten
Gesetzesvorschriften werden häufig als hohes ethisches
Ziel angesehen" (S. 38). Gegenüber diesem zu allen Zeiten erhobenen
Einwand aber gilt ebenso als ständige Wahrheit: „Das
Evangelium verkündet also nicht in erster Linie eine neue Moral
und fromme Lehre für das Menschenleben, sondern es sieht die
Wurzel dieses Lebens in der Gerechtigkeit, zu der der Mensch
erschaffen ist" (S. 253).

Aus dem Galaterbrief wird also gediegene lutherische Theologie
erhoben. Dieser entspricht auch die Ansicht, Paulus meine, „daß
die Gebote niemals aus eigenem Vermögen und dem freien Willen
des Menschen erfüllt werden können" (S. 115). Freilich ist der
Verfasser sich darüber im klaren, daß Luther und Paulus in der
von ihnen entwickelten Lehre vom Gesetz sich nicht völlig gleichen
. Denn Paulus ist nicht durch „die Erfahrung, dafj sich die
Gesetzesvorschriften doch nicht einhalten lassen", auf einen anderen
Weg gebracht werden. „Sein Leben unter dem Gesetz ist, soweit
wir wissen, nicht von Verzweiflung und Angst geprägt gewesen
, die psychologisch seine Annahme des Evangeliums vorbereitet
haben könnten" (S. 95).

Wie die Auslegung als ganze von systematisch-theologischer Reflexion
geleitet ist, so auch jeweils die Erklärung im einzelnen.
So wird zu Gal. 4,4 geäußert: „Hinter den Worten ,von einer Frau
geboren' liegt eine ähnliche Vorstellung, wie sie Matthäus und
Lukas in den Berichten über die Jungfrauengeburt vertreten"
(S. 173). Und zu der viel umrätselten Stelle Gal. 3,20 trägt der
Verfasser auf Grund systematischer Überlegungen einen neuen
Lcsungsversuch vor. Wenn Paulus sage, der Mittler diene nicht
einem, Gott aber sei doch einer, so sei mit der ersten Satzhälfte
auf Israel gezielt. Paulus „will sagen, daß der Mittler nicht nur
im Dienste Israels steht, dem das Gesetz ursprünglich gegeben
wurde, sondern im Dienste der vielen d. h. auch der Heiden, also
im Dienste aller Welt steht" (S. 149).

Da der Kommentar bereits vor einem reichlichen Jahrzehnt geschrieben
wurde, kann er zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion
nichts beitragen. Die wenigen Literaturhinweise, di« hier oder
dort geboten werden, beschränken sich überdies auf sehr allgemein
gehaltene Angaben, bisweilen nur auf die Namen von
Exegeten, ohne ihre Kommentare oder Monographien näher zu
bezeichnen (so z. B. S. 40). Aber es ist auch nicht die Absicht des
Verfassers, in Wettstreit mit den Fachexegeten zu treten. Er möchte

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den Gedankengang des Apostels nachvollziehen. Da er von der
historischen Situation in so starkem Maße absieht, wird jedoch aus
der leidenschaftlichen Argumentation des Paulus eine ausgewogene
Lehre von Gesetz und Evangelium. Zweifellos sind wesentliche
Punkte der paulinischen Theologie dabei richtig bestimmt und
weitergedacht. Der historische Abstand aber wird bisweilen zu
schnell übersprungen, so daß das Gesetz Israels mit allgemeiner
Moral verglichen werden kann und die harte Auseinandersetzung
des Paulus mit den Judaisten sich in einen dozierenden Vortrag
wandelt.

Göttingen Eduard Lohic

Brandon, S. G. F., Prof., M. A., D. D.: Jesus and the Zealots.
A Study of the political Factor in primitive Christianity. Manchester
: Manchester University Press 1967. XVI, 413 S., 1 Taf. 8°.
Lw. 55 s.

Br.s Buch stellt einen Versuch dar, die hinter dem Jesusbild der
Evangelien verborgene historische, vor allem politische Wirklichkeit
der Person und Geschichte Jesu sowie der ältesten palästinensischen
Judenchristenheit zu enthüllen. Es nimmt seinen Ausgangspunkt
bei dem anerkannt festesten historischen Datum, der Exekution
Jesu durch Kreuzigung auf Grund eines römischen Schuldurteils
, das im Kreuzestitulus „König der Juden" ausgedrückt ist.
Die Darstellung der Evangelien, wonach dieses Urteil auf verleumderischen
jüdischen Anschuldigungen beruhe, verwirft Br. als
apologetische Verdunkelung. Vielmehr sei Jesus wirklich für die
von ihm vertretenen messianischen Ziele und die im Zusammenhang
damit begangenen Taten gestorben und gehöre somit in die
Reihe der zelotischen Märtyrer für die Freiheit Israels vom Joch
der Fremdherrschaft.

Die immer wiederholt vorgetragene Reihe von Argumenten für
diese Auffassung ist etwa die folgende (vgl. z. B. S. 350f.): 1. Die
Botschaft Jesu vom kommenden Gottesreich schließt in ihrem original
jüdischen Verständnis die Verherrlichung des Gottesvolkes
und den Untergang der römischen Fremdherrschaft, also das zelotische
Ziel, in sich. - 2. Der Einzug Jesu in Jerusalem ist in jedem
Fall eine messianische Selbstdemonstration Jesu. - 3. Die
unmittelbar folgende Tempelreinigung ist ein Angriff gegen die
Prärogative der mit den Römern zur Erhaltung des Status quo
kollaborierenden Priesteraristokratie, dem möglicherweise weitere
Aggressionen folgen sollten. - 4. Diese Vorgänge fielen mit einem
zelotisch-(inspieriert)en, von den Römern unterdrückten Aufstand
in der Stadt zusammen (Barrabas, die beiden mit Jesus gekreuzigten
„Räuber"). - 5. Jesus traf Vorkehrungen gegen einen Angriff
seitens der jüdischen Behörden durch seinen allnächtlichen
Rückzug aus der Stadt und die Bewaffnung seiner Jünger
(Lk. 22,36.38); zu seiner Verhaftung bedurfte es eines Verräters
. - 5. Die jüdische Führerschicht handelt gemäß ihrer respon-
sibility gegenüber dem römischen government völlig normal, wenn
sie Jesus - vielleicht mit römischer Hilfe - verhaften ließ und sich
durch eine sofortige nächtliche Vernehmung die erforderlichen Informationen
über seine Ziele und Person und Zahl seiner Anhänger
verschaffte, um ihn dem Prokurator als aufrührerischen Prätendenten
zu übergeben. - 7. Die Kreuzigung zusammen mit den
Aufständischen (s. zu 3) ist der logische Abschluß dieser Ereignisfolge
.

Hierbei erscheint Jesus im wesentlichen mit der jüdischen Führerschicht
konfrontiert, da sie die nach Jesu Meinung vornehmste
Aufgabe, das Volk auf das eschatologische Gottesheil vorzubereiten
, durch die Kollaboration mit den Römern verletzt habe. Für
Jesu Haltung gegenüber der römischen Fremdherrschaft beschränkt
sich Br.s Argumentation im wesentlichen auf das immer
wiederholte Postulat, dafj die Reich-Gottes-Verkündigung die Vernichtung
dieser Herrschaft in sich geschlossen haben müsse, und
auf die hypothetische Interpretation zweier Texte: des Wortes von
der Kreuzesnachfolge Mk. 8,34 par. als einer original zelotischen
Forderung, in der Jesus auch seinen Tod als Rebell durch römische
Exekution voraussah, und der Antwort Jesu auf die Frage
nach der Kaisersteuer, deren verborgener originaler Sinn die zelotische
Ablehnung dieser Steuer gewesen sei.

Damit ist nun auch die Titelfrage des Buches nach dem Verhältnis
Jesu und seiner Anhänger zu den Zeloten berührt. Br.s Antwort
ist vorsichtig: Weitgehende Gleichheit der Anschauungen und Ziele,
gegenseitige Sympathie, aber keine Identität. Da die Existenz eines

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12