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Ausgabe:

1969

Spalte:

905-907

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Texte zum neutestamentlichen Zeitalter 1969

Rezensent:

Hengel, Martin

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12 906

905

leicht zu erreichende Übersicht über die internationale Zusammenarbeit
auf dem Gebiet der LXX bietet. Wir stehen mit der Arbeit
an der LXX immer noch am Anfang all der Aufgaben und Fragen,
die dieses erste große Werk der Übersetzung aus einer orientalischen
in eine abendländische Sprache stellt. Das Werk ist nicht
nur philologische Leistung, sondern es vermittelt der Sprache,
in die es übertragen wurde, neue Inhalte. Und das sind Inhalte,
die eben durch dieses Werk das ganze Abendland ergriffen haben
und immer wieder ergreifen. So kann auch die wissenschaftliche
Arbeit, die sich mit diesem Werk befafjt, nicht zu einem Abschluß
kommen. Der Jellicoe' aber bietet mit der Darstellung des modernen
LXX-Studiums in umfassender Rückschau den festen Standort
und die sichere Orientierung. Er dient damit unserer Generation
und vermittelt ihr die Grundlagen für die eigene sachgemäße
Weiterarbeit an der griechischen Bibel in ihrer ökumenischen
, universalen Bedeutung.

Giefjen Georg Bertram

L e i p o 1 d t, Johannes f, u. Walter Grundmann [Hrsg.] in
Verb, mit G. Hansen, G. Haufe, H. Hegermann, K.
Matthiae, H. Ristow, H.-M. Schenke: Umwelt des
Urchristentums. II: Texte zum neutestamentlichen Zeitalter.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1967]. 426 S., 1 Faltkarte, gr. 8°.
Lw. M23.-.

Relativ rasch nach Bd. I und III (s. ThLZ 92 [1967], 801-814)
erschien auch Bd. II, der eine vielseitige Auswahl von Texten in
Übersetzung enthält, die die historische Darstellung von Bd. I
ergänzen sollen. Die Auswahl erfolgte durch die Verfasser des
ersten Bandes, wobei jeder für seinen eigenen Bereich verantwortlich
ist. Sie entspricht daher in ihrem Aufbau weitgehend der Gliederung
des Textbandes. Die Schwierigkeit einer derartigen Textauswahl
war den Herausgebern wohl bewufjt. W. Grundmann weist
darauf bereits im Vorwort hin: „Eine solche Auswahl. . . vermag
nicht alles zu erfassen und wird immer Wünsche offenlassen". Das
Ziel ist, »ein Bild des (neutestamentlichen) Zeitalters aus unmittelbaren
Zeugnissen zu vermitteln". Dieses Ziel wurde in dankenswerter
Weise bei einem großen Teil der Beiträge erreicht. S. 11-67
9ibt H. R i s t o w eine bunt gemischte Palette von antiken Zeugnissen
über die „politische(n) und soziale(n) Verhältnisse im Römischen
Reich im ersten vor und im ersten nachchristlichen Jahrhundert
". Dies führt zu einer für den Leser wenig sinnvollen Zersplitterung
, da nicht nur politische Zeugnisse von den Gracchen
bis Trajan geboten werden, sondern auch Hinweise auf politische
Rechtsformen, Wirtschaft, Militärwesen, Wissenschaft und Theater,
Medizin und Privatleben, bis hin zur Liebeslyrik und Totenklage.
Hier wäre man versucht, als Wunsch ein „non multa sed multum"
vorzubringen. Der Treueid der Bürger von Assos als einziges
Zeugnis über Caligula (30) trägt zur Beurteilung dieses für die
jüdische und urchristliche Geschichte besonders bedeutsamen Kaisers
wenig bei, hier sind die Zeugnisse Philos aus der „Gesandtschaft
an Gaius", die H. Hegermann S. 300-307 vorträgt, ungleich
wertvoller. In diesem Zusammenhang stößt man auf einen grundsätzlichen
Mangel des Werkes: es besitzt weder einen Sach- und
Personenindex noch Seitenverweise über den Bereich des jeweiligen
Verfassers hinaus auf Parallelen in den anderen Sachgruppen.
°as Zeugnis Philos ist z. B. ein hochinteressanter Beleg für den
Herrscherkult, der von G. Hansen S. 102-113 durch Texte illustriert
wird, in denen Caligula überhaupt nicht erwähnt wird. Da
das Werk ja doch auch als Nachschlagewerk für den Studenten
dienen soll, hätten derartige Zwischenverweise bzw. ein Register
seinen Wert wesentlich gesteigert. S. 68-101 bringt G. Haufe
Texte zur „ hellenistischen (n) Volksfrömmigkeit" und zu den Mysterien
. Hier zeigt sich, daß diejenigen Textzusammenstellungen
für den Leser besonders wertvoll sind, die einen wirklichen Überblick
geben, wie die Zeugnisse zum Dionysoskult S. 82-88 und zu
den Mysterien, überhaupt. Auch bei einer Anthologie dürfte aufs
Ganze gesehen die Konzentration auf das ausgewählte Wesentliche
wichtiger sein als eine zusammenhanglose Vielfalt.

Mit Recht stehen die jüdischen Texte im Mittelpunkt der Samm-
,ung (S. 114-314). S. 114-130 bringt der Hrsg. W. Grundmann in Zusammenarbeit
mit K. Steiner eine instruktive Auswahl aus Jo-
sephus zur jüdischen Geschichte von Hyrkan I. bis zur Zerstörung
•Jerusalems Die Rechtszeugnisse S. 131-134 (Urkunden aus wadi
murnbba'at) hätten dagegen unbedingt durch rabbinische Zeugnisse
ergänzt werden müssen. Oberhaupt wird das Rabbinaf

S. 218-233 mit Auszügen aus Pirqe 'Abot, 4 Zitaten aus Berakhot
und dem Achtzehn-Gebet etwas stiefmütterlich behandelt. Die
Psalmen Salomos sind S. 180-186 dagegen ausführlich dargestellt,
freilich hätte bei der Überschrift „Pharisäisches Schrifttum" wenigstens
in einer Anmerkung darauf verwiesen werden sollen, daß
ihre pharisäische Herkunft heute sehr angefochten ist. Die großzügige
Aufnahme der - durchweg vorchristlichen - „Texte aus
Ctumran" S. 135-180 mit ausführlicher Bibliographie gibt diesen
neuerschlossenen Quellen den Rang, den sie innerhalb der „Umwelt
des N. T." verdienen. Es wäre wünschenswert, daß ihre überragende
Bedeutung für die Erschließung der antiken jüdischen
Religionsgeschichte und damit zugleich für den Hintergrund des
Neuen Testaments auch in der deutschen neutestamentlichen Wissenschaft
ohne Einschränkung anerkannt würde, zumal ja noch
laufend neue Texte veröffentlicht werden. Vgl. dagegen R. Bult:
mann im Vorwort seiner Theologie des Neuen Testaments, 3.A.
1958: „Ihre Bedeutung für die Interpretation des NT wird m. E.
vielfach überschätzt". Unter der Überschrift „Apokalyptik" werden
S. 187-218 Texte aus den Jubiläen, dem äth. und slaw. Henoch,
4. Esra und den Test. XII dargeboten.

Die Datierung von Jub. unter Antiochos IV. Epiphanes (175-164
v. Chr.) ist fraglich, s. M. Testuz, Les idees religieuses du livre
des Jubilees, Paris 1960, die Zeit Hyrkans um 110 v. Chr. ist vorzuziehen
, denn die makkabäische Erhebung liegt offensichtlich
längere Zeit zurück. Da es CD 16,3f. genannt wird und in Qum-
ran bisher durch 9 Fragmente vertreten ist, dürfte es direkt essenischen
Ursprungs sein. So erklären sich auch die sachlichen Berührungen
mit Ctumran am besten (188). Sehr fraglich ist auch,
ob man die Apokalyptik einseitig aus dem „Weisheitsdenken
Israels" ableiten kann (187). Die Wurzeln liegen in der Verschmelzung
von weisheitlicher und prophetischer Tradition, ein Phänomen
, das uns selbst bei dem ganz anders gearteten Ben-Sira begegnet
, der sich prophetischer Formen bedient und ein fast „prophetisches
Selbstbewußtsein" besitzt. Irreführend ist auch S. 141
Anm. 84 die Bemerkung, die Lehre von den beiden Geistern 1 QS
3.13ff. sei „auf früheste gnostischc Einflüsse zurückzuführen". Dieser
Text - entstanden gegen Ende des 2. Jh. v. Chr. - ist über
200 Jahre älter als die frühesten „gnostischen" Zeugnisse und
unterscheidet sich grundsätzlich von ihnen. Hier sind die Begriffe
unklar. Ansätze zu einer „dualistischen" Weltbetrachtung müssen
noch nicht eo ipso „gnostisch" sein, mit gleichem Recht könnte man
auch den platonischen, iranischen oder auch jüdisch-apokalyptischen
„Dualismus" als „gnostisch" bezeichnen. Ein derartig unscharfer
Sprachgebrauch muß notwendigerweise zu einem - zwar
heute beliebten, aber gerade deswegen unqualfizierten - „Pangno-
stizismus" führen (Zur Sache vgl. K.G.Kuhn in: Neotestamentica
et Patristica, Festschrift O. Cullmann, 1962, 111-122).

Besonders wertvoll sind die Zeugnisse über „das hellenistische
Judentum" von H. Hegermann S. 234-314, da hier in informativer
Weise größere Texteinheiten dargeboten werden. Neben den jüdischen
Quellen kommen nichtjüdische Zeugen, wie Manetho
(255f ), Juvenal (247f.), Tacitus (25Sff.) und der Brief des Claudius
an die Alexandriner (250ff.) zu Wort. Auch die jüdisch-hellenistische
Literatur, nicht zuletzt die philonische Exegese (281-314),
wird im Rahmen des Möglichen gebührend berücksichtigt. Hier
erhält der Studierende eine solide Einführung.

Wünschenwert wäre eine stärkere Heranziehung der jüdischen
Inschriften (241f). etwa der Regina-Inschrift aus Rom oder - zum
Vergleich - der Inschriften von Leontopolis (Teil el-Yehoudieh).
Auch die Synagogeninschriften der Diaspora und Palästinas bleiben
unberücksichtigt (s. jetzt B. Lifshitz, Donateurs et fondateurs
dans les synagogues juives, 1967). Die einzige ausführliche jüJ
dische Inschrift bringt G. Haufe (72) auf Grund eines Versehens
als angebliche „Rheinische Fluchtafel" aus dem 2. Jh. n. Chr. (!) In
Wirklichkeit handelt es sich um die wichtige 2-fach erhaltene Fluchstele
von Rheneia, der Grabinsel von Delos, aus der Zeit um 100
v. Chr., das früheste epigraphische Zeugnis für die LXX (CIJ1,
725; Deißmann, LvO* 351-362).

Instruktiv ist auch der Ausschnitt aus philosophischen Texten
von G. Hansen S. 315-349. Schade ist freilich, daß die ältere und
mittlere Stoa vor Seneca aus Raumgründen nicht mehr zu Worte
kam. Hätte man vielleicht zu ihren Gunsten auf Plotin (340-349),
der erst für die spätere Kirchengeschichte Bedeutung gewinnt, verzichten
sollen? Erfreulicherweise wird die pseudoaristotelische
Schrift „Über die Welt" (333-336) herangezogen, die einen Höhe-