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Ausgabe:

1969

Spalte:

901-905

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jellicoe, Sidney

Titel/Untertitel:

The Septuagint and modern study 1969

Rezensent:

Bertram, Georg

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

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NEU KS TESTAMENT

J e 11 i c o e , Sidney: The Septuagint and Modern Study. Oxford:
At the Clarendon Press 1968. XIX, 424 S. gr. 8°. Lw. 65 s. =
Oxford Books.

Das Werk von Henry B. Swete, An Introduction to the Old
Testament in Greek, ist im Jahr 1900 zuerst und 1902 in 2. Auflage
erschienen und hat seitdem seinen Dienst als Einführung in
das griechische AT bis heute getan und wird ihn nach den Worten
des Verfassers der vorliegenden Darstellung der LXX-For-
schung auch weiterhin tun. Swete hat die Arbeit und die Ergebnisse
der LXX-Forschung bis zum Ende des 19. Jh. umrissen und
das damals bekannte Material gesammelt. Er hat die Geschichte
der Überlieferung und der einzelnen Mss und Drucke geboten,
die Kanongeschichte, die Sprache der LXX, die Methoden der
Übersetzung, die Anordnug und Einteilung der einzelnen Bücher
und schließlich die literarische, geistes- und frömmigkeitsge-
schichtlichc Bedeutung und den Einfluß der LXX im Rahmen der Erforschung
der Bibel und die Situation der kritischen Textforschung
behandelt. Im Schlußkapitel wird noch einmal besonders auf Paul
de Lagarde hingewiesen, der die Wiederherstellung der ursprünglichen
LXX als Forschungsaufgabe herausstellte und sich selbst -
allerdings unter falschen Voraussetzungen und mit unzulänglichen
Mitteln und daher vergeblich - an der lukianischen Textrezension
versuchte.

Das vorliegende Werk behandelt das Studium der LXX im
20. Jh. Auch hier fällt der Name Paul de Lagarde als des Inau-
gurators der modernen LXX Forschung gleich am Anfang und
wieder am Schluß als dessen, der die auch heute noch ungelöste
Aufgabe der Herstellung der LXX propagierte und dessen Theorie
auch künftig in Geltung bleibt, wenn ihre Anwendung auch mit
größerer Anpassungsfähigkeit erfolgen muß. Wir stehen auch
heute noch vor dem Problem der Textgeschichte des griechischen
AT, und die seit Swete und R. R. Ottley, der das Werk von Swete
1914 in einer revidierten Ausgabe wieder zugänglich machte und
1920 ein eigenes Handbook to the Septuagint veröffentlichte, erste
zusammenfassende Darstellung des Studiums der LXX durch Jel-
licoe unternimmt es, die Wege und Ergebnisse der Arbeit an der
LXX in den vergangenen 7 Jahrzehnten zu verfolgen und kritisch
zu beleuchten und dabei die eigene Stellung als sachkundiger
Mitforscher deutlich zu machen.

Am Anfang der modernen Forschung steht nach Jellicoe di3
Grunderkenntnis von Lagarde, daß 1. alle Mss der LXX einen
gemischten Text bieten, so daß ein eklektisches Verfahren bei der
Texthcrstellung vonnöten ist, daß 2. die freiere Übersetzung als
die ursprünglichere einer genaueren Wiedergabe vorzuziehen sei
und daß 3. ein Angleichungsprozeß an den masoretischen Text
(MT) stattgefunden habe, so daß abweichende Lesearten jeweils
als die älteren anzusehen seien. Dabei war die Voraussetzung,
daß ein griechischer Urtext vorlag, auf den die gesamte griechische
Überlieferung zurückgehen mußte und den wiederherzustellen
die eigentliche Aufgabe der LXX-Forschung sei. So versuchte
die Göttinger LXX zuerst eine solche gelehrte Rezension herzustellen
, während die Editoren der Cambridger Ausgabe entscheidendes
Gewicht auf die objektive Darbietung des Mss-Materials
legten. Beide Ausgaben sind etwa bis zur Hälfte gediehen. Beide
Ausgaben ergänzen sich vorteilhaft, da die englische mit den
historischen Büchern, die deutsche mit Propheten und Hagio-
graphen begonnen hat. Für einige Schriften, darunter Prv und Hi
fehlt noch die moderne Rezension. Die englische Ausgabe scheint
seit 1940 zum Stillstand gekommen zu sein.

Die Geschichte der Entstehung der LXX berichtet der Aristeas-
brief, auf den auch die moderne Forschung kritisch immer wieder
zurückgreift. Jellicoe berichtet ausführlich darüber. Unabhängig
v°n aller Kritik bleibt die Entstehung des Glaubens an die LXX
als heilige Schrift, sei es als philologisch vertrauenswürdige Übersetzung
, sei es als Ergebnis wunderbarer Inspiration. Die moderne
Auffassung der Entstehung der LXX rechnet mit langen Zeiträu-
n'en. Zuerst wurde der Pentateuch übersetzt. Diese Übersetzung
entstand nach der Theorie von Paul Kahle aus mündlicher Überlieferung
in der Art der Targume. Unser Verf. lehnt das ab; er
weist auf die i. g. einheitliche Mss-Überlieferung hin, die sich auf
einen Uttyp zurückführen lasse. Es bleibt offen, ob nicht trotzdem
mannigfache Versuche mündlicher Übersetzung im Gottesdienst
der Synagoge vorausgingen, deren schriftliche Niederlegung

ähnlich wie beim aramäischen Targum ursprünglich verboten war.
In Varianten des Textes, Doppelübersetzungen und in den späteren
Übersetzungen könnten sich Spuren davon erhalten haben.
Auch die geographische Herkunft (Alexandria, Palästina?) der
Ubersetzung(-en) und die Einwirkungen liturgischen Gebrauchs
wie der gottesdienstlichen Lesung sind dabei von Bedeutung.

Wie die Targum-These von Paul Kahle so erfährt auch die
Transkriptionstheorie des leider so früh verstorbenen Franz Xaver
Wutz (1882-1938) i. a. Ablehnung, wie sie von ihrem Initiator
selbst in späteren Arbeiten aufgegeben worden ist. Die Annahme,
daß die Übersetzer der LXX als Vorlage den HT nicht in hebräischer
Schrift, sondern in griechischer Transkription vor sich
hatten, läßt sich nicht halten. Von bleibendem Wert aber ist die
Durcharbeitung des gesamten Materials unter dem Gesichtspunkt
innerhebräischer oder auch innergriechischer Verschreibungcn und
Verlesungen und die von Wutz besonders betonte und in vielen
Fällen beantwortete Frage nach dem hebräischen Wortschatz der
Ubersetzer. Denn ihnen waren viele hebräische Stämme und Vokabeln
noch in Bedeutungen bekannt, die später verloren gingen
und sich heute mit Hilfe der semitischen Sprachvergleichung bestätigen
lassen. Zudem bestätigt die 2. Kolumne der Hexapla des
Origenes die Existenz hebräischer Texte in griechischer Umschrift.
Hier ist mehr als in der Forschung und auch bei Jellicoe das
Bedürfnis der liturgischen Lesung durch Vorleser, die des hebä-
ischen Textes und der hebräischen Schrift nicht mächtig waren,
zu berücksichtigen. Daß auch unverstandene hebräische Wörter in
den griechischen Text übernommen werden konnten, zeigt die
LXX selbst.

Weiter behandelt der Verf. die Entstehung der drei hexaplari-
schen Übersetzungen und charakterisiert Werk und Persönlichkeit
ihrer Urheber. Auf die Möglichkeit umfassender Rezensionstätigkeit
und die Annahme etwa eines Ur-Thcodotion wird dabei hingewiesen
. Weiter werden Name, Umfang, Inhalt und Bedeutung
der Hexapla des Origenes behandelt. Origenes erkannte wohl die
vorwiegende Bedeutung des hebräischen Textes, betrachtete aber
im Sinn der christlichen Kirche die LXX als inspiriert und geriet
dadurch in einen gewissen Zwiespalt. Wie weit bei Origenes und
bei den christlichen Theologen überhaupt eine ausreichende selbständige
Kenntnis des Hebräischen vorhanden war, bleibt zweifelhaft
. Die Annahme aber, der Zweck des ganzen gewaltigen Werkes
der Hexapla sei es gewesen, ein Textbuch zur Erlernung der
hebräischen Sprache für Christen zu schaffen, ist dieser gelehrten
Arbeit nicht angemessen. Origenes wollte möglichst vollständiges
Material für den Text des AT sammeln, um dieses so der Kirche
zu erhalten. Auch weiteres fragmentarisches Übersetzungsmaterial
wird diskutiert einschließlich des in Qumran und der Geniza
von Kairo aufgefundenen sowie der syrohexaplarischen Überlieferung
. Auch mit der Aufzählung und Beschreibung der erst
nach dem Tode ihres Finders Mercati 1958 veröffentlichten Mailänder
Psalter-Fragmente wird das hexaplarische Material über
Field hinaus ergänzt. Im letzten Kapitel des ersten Teils wird
die altüberlieferte trifaria varietas der- Rezensionen des Origenes,
des Hesychius und des Lukian und die dazu gehörenden Mss im
Sinne der modernen Textkritik behandelt.

Im zweiten Teil geht es um Text und Sprache der LXX. Die Aufstellung
der Mss geschieht im Anschluß an Swete und unter Hinweis
auf dessen ausführlichere Mitteilung von Einzelheiten. Die
Dreiteilung der Mss in Unzialen, Minuskeln, Papyri und Fragmente
ist die übliche. Zunächst werden die Unzialen in der bekannten
Reihenfolge mit wichtigen Ergänzungen, besonders neueren
Entdeckungen wie dem Codex R mit den Kleinen Propheten
in griechischer Sprache aus der Wüste Juda, besprochen. Unter
den Minuskeln, namentlich unter denen, die aus armen und abgelegenen
Gemeinden stammen, gibt es trotz späterer Entstehung
solche, die einen kürzeren Stammbaum und daher unmittelbaren
Anschluß an die alte Tradition haben. Sie enthalten u. U. wichtige
und ursprüngliche Textformen und Lesarten und verdienen daher
besondere Beachtung. Die Ordnung der Mss nach Familien und
Stammbäumen soll den Weg zurück bis zu den ältesten Rezensionen
zeigen. Das ist der einzig gangbare Weg, auch wenn keine
der feststellbaren Gruppen als einheitlich betrachtet werden kann.
Die Versuche der Gruppierung weichen daher voneinander ab und
schließlich ist man nur einig in der Einsicht der Notwendigkeit
eines ekletischen Verfahrens. Man hat unser Jh. als das Zeitalter
der Papyri bezeichnet. Tatsächlich sind in unserer Zeit wich-