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Ausgabe:

1969

Spalte:

895-897

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Loretz, Oswald

Titel/Untertitel:

Schöpfung und Mythos 1969

Rezensent:

Westermann, Claus

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nommen. Die vergleichbaren heidnischen Aussagen geben ständig
neuen Anlaß, den in ganz andere Richtung weisenden Sinn der
israelitischen Aussagen über den Namen und die Alleinverehrung
seines Gottes samt ihren Folgen für das gesamte religiöse und
soziale Leben des Volkes deutlich zu machen. Nach der Einfügung
einer eher früher zu erwartenden geschichtlichen Erörterung über
Jahwe als Gott der Midianiter und über die Gestalt des Mose, dessen
Werk auch bei Annahme seiner geschichtlichen Existenz nach
heute verbreiteter Anschauung als historisch unerkennbar bezeichnet
wird, macht in gleicher Weise das erste und zweite Gebot und
das Sabbatgebot den Grundcharakter der israelitischen Gottesvorstellung
sichtbar, wie er sich in der Exklusivität der Verehrung
des einen Gottes und ihrer Auswirkung auf die Ablehnung
jeder geschlechtlichen Differenzierung, in der Unverfügbarkeit der
Gottheit und in der strengen Einhaltung der Arbeitsruhe an jedem
siebenten Tag kund gibt.

Die folgende Behandlung der Frühzeit nach der Landnahme
(S. 88ff.) setzt das alles für die sog. Richterzeit voraus. Für das
Gottesverständnis einflußreiche Neuerscheinungen sind der heilige
Krieg und die Jahweverehrung bei Zelt, Lade und Ortsheiligtümern
, während ein Stämmebund nur als begrenzte Wirklichkeit
und ein Gottesbund als fraglich angesehen wird. Die gewaltige
geistige Umwälzung, die Israel in dieser Epoche offenbar erlebte,
will sich nicht recht fassen lassen. Der Kampf gegen Baal erscheint
noch nicht.

Konkretere Aussagen über den israelitischen Jahweglauben vermittelt
der dritte Hauptabschnitt über die Königszeit (S. 111-200),
den man wohl als Höhepunkt des Buches bezeichnen kann. Hier
werden den kanaanäischen Göttern die neuen Gottesaussagen, zu
denen sich der Jahweglaube gezwungen sah, gegenübergestellt, die
„einen vollkommenen Bruch mit dem Herkömmlichen und eine
einzigartige Neuerung" (S. 118) bedeuten. In ihrer Beweiskraft
für die Assimilierung und Umwandlung fremder Gottesaussagen
bilden die Zeugnisse über Gottes Königtum, seine Heiligkeit, seine
einzigartige Lebendigkeit, der ein Durchgang durch Tod und Auferstehung
wie bei Baal u. a. fremd ist, seine Theophanie, sein
Kampf gegen die Chaosmächte, seine Schöpfermacht außerordentlich
wertvolle Bestandteile der alttestamentlichen Überlieferung,
wobei neben dem Volk auch der einzelne in neuer Weise berücksichtigt
wird. Ebenso finden in den beiden folgenden Abschnitten
über das irdische Königtum und die Prophetie (der Inhalt ihrer
Verkündigung ist in den vorausgehenden Paragraphen schon vielfach
einbezogen) die Umformung und Neubildung der Umweltsvorstellungen
eine fesselnde Darstellung. Sehr bemerkenswert ist
die Zurückhaltung in der Frage des Ursprungs, der Prophetie und
die Neigung, das prophetische Element bereits in der nomadischen
Vorgeschichte Israels beheimatet zu sehen.

Der vierte Hauptabschnitt über die Spätzeit geht nur sehr knapp
auf den Glauben in Exil (Hesekiel ist fast ganz übergangen) und
Diaspora ein, während der Apokalyptik, in der die Einflüsse der
Umwelt besonders deutlich zutage treten, größerer Raum gewährt
wird. Dabei ist der Vorbehalt gegenüber persischen Einflüssen auf
ihre Eschatologie beachtlich, ebenso die Anerkennung des gelegentlichen
Bekenntnisses zur todüberwindenden Gottesgemeinschaft
im Psalter trotz der späten Entstehung des eigentlichen Auferstehungsglaubens
. Auch die Unterordnung des mythischen Materials
unter die prophetische Tradition bei aller Mannigfaltigkeit im einzelnen
ist treffend herausgestellt. Ein kurzer Überblick über das
„alttestamentliche Erbe" und ein Register der Sachen und Begriffe
sowie ausgewählter Bibelstellen schließen das Ganze ab. Bei allen
bleibenden Desiderien ein ausgezeichnetes und sehr anregendes
Werk!

Münchenstein W. Eichrodt

[ oretz, Oswald; Schöpfung und Mythos. Mensch und Welt nach
den Anfangskapiteln der Genesis. Stuttgart: Verlag Katholisches
Bibelwerk [1968). 149 S. 8° = Stuttgarter Bibelstudien, hrsg.
von H. Haag, R. Kilian und W. Pesch, 32. Kart. DM 8,80.
In einem I. Kapitel werden grundsätzliche Probleme der Auslegung
von Gen 1-3 erwogen; es wird nach der neuen Situation der
Auslegung dieser Kapitel im Zeitalter der Naturwissenschaft gefragt
und diese dem traditionellen Schöpfungsverständnis gegenübergestellt
.

Als Paradigma wird Gen 6,1-4 vorangestellt als „besonders klarer
Fall AT-licher Mythendeutung". Ein Mythos, der die Entste-

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hung der Nephiliter erklärte, wird israelitisch umgedeutet, von
einem Standpunkt aus, der nicht mehr mythisch, sondern geschichtlich
ist.

In Kap. III wird Gen l,l-2,4a, in Kap. IV Gen 2,4b-3,2 in großen
Linien ausgelegt. Danach werden die wichtigsten Probleme der
beiden Schöpfungsberichte behandelt: zu Kap 1 Die Schöpfung aus
dem Nichts, Die Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau, Der
Mensch als Beherrscher der Welt, Die Ruhe Gottes. Zu Kap. 2-3:
Der Mythos in Gen 2-3, Die Deutung des Mythos, Gott und
Mensch, Der Tod des Menschen. Abschließend wird in beiden Kapiteln
nach der Wahrheit von Gen 1 bzw. 2-3 gefragt. Am Schluß
ein Exkurs zur Frage des Protoevangeliums.

Der Vf. geht davon aus, „daß das Aufkommen und der Sieg des
evolutiven Verständnisses der Schöpfung . . . das traditionelle kirchliche
und theologische Verständnis von Gen 1-3. . . tief erschüttert
hat" (S. 14). Er besteht darauf, „daß die Bibel nicht gegen sichere
und begründete Erkenntnisse der Naturwissenschaft ausgelegt werden
darf" (S. 20). Dieser Gesichtspunkt, der immer wieder herangezogen
wird, ist wertvoll und notwendig.

Die Auslegung ist von der These bestimmt, daß die Schöpfungsberichte
in der Weise des Mythos über den Ursprung der Welt und
des Menschengeschlechtes berichten. „Sie können deshalb weder
naturwissenschaftliche noch historische Wahrheit beanspruchen"
(S. 103). Einen Wahrheitsanspruch können nicht die Geschichten
selbst, sondern nur die Deutung beanspruchen, die interpretatic
israelitica, wie der Vf. sagt. Die alttestamentliche Beurteilung des
heidnischen Mythos wird von einem Standpunkt aus gegeben, der
nicht mehr mythisch, sondern geschichtlich ist, „von der Geschichte
des Bundesvolkes her" (S. 48).

Von dieser Grundthese her geht die Auslegung so vor, daß sie
die mythische Grundlage der Texte aufweist und dann zeigt, wie
diese von P und J umgedeutet wurde. Nun geht aber erstaunlicherweise
die Erklärung von Gen 1 nicht von der Vorgeschichte,
sondern von einer ausführlichen literarischen Analyse aus. Man
erwartet von der Grundthese des Vf. her ein Eingehen auf das
Verhältnis von Gen 1 zu der Schöpfungsdarstellung in Enuma
elish und vielen anderen; darauf aber wird mit keinem Wort eingegangen
. Wenn die literarische Analyse zu dem erstaunlichen
Schluß kommt, daß eine literarische Vorlage sieben Schöpfungswerke
umfaßt, daß aber das Werk des 4. Schöpfungstages, die Erschaffung
der Gestirne, nachträglich eingeschoben wurde, so ist
eine solche Hypothese angesichts des Tatbestandes in Enuma elish
(einen ausführlichen Vergleich in meinem Kommentar z. St.)
schwer zu fassen. Hier macht sich ein methodischer Mangel der
Arbeit bemerkbar; der Vf. meint, Gen 1 in seinem jetzigen Bestand
rein literarkritisch erklären zu können, als literarische Bearbeitung
einer literarischen Vorlage. Das ist aber ohne eine Stellungnahme
zu den vielerlei traditionsgeschichtlichen Arbeiten zur Urgeschichte
(es genügt, auf W. H. Schmidt zu Gen 1 zu verweisen,
der vom Vf. oft genannt wird) nicht möglich. Mit diesem methodischen
Mangel hängt nun auch die Problematik des Mythosbegriffes
des Vf. zusammen. Alles, was dem Vf. an Gen 1 und
Gen 2-3 vorgegeben war, ist Mythos oder mythisch. Dabei wird
nicht unterschieden zwischen wirklichen Mythen und mythischen
Motiven; es heißt z. B. in einer Überschrift: „Der Mythos von der
Gottebenbildlichkeit des Menschen". Es gibt einen solchen Mythos
nicht. Man könnte von einem mythischen Motiv sprechen, aber
auch das ist nicht so sicher. „Mythos" ist für den Vf. ein durchaus
ungeschichtlicher Begriff, er ist mehr eine sachliche Qualifizierung.
Daß die den Verfassern der biblischen Urgeschichte vorgegebenen
Schöpfungserzählungen eine Geschichte haben und daß in dieser
Vorgeschichte das mythische Stadium nur eines unter anderen
ist, davon sagt der Vf. nichts. Es gibt für ihn nur zwei Ebenen:
die des mythischen Redens von der Schöpfung und die der geschichtlichen
Deutung dieses mythischen Redens bei J und P. Von
da aus ist es zu erklären, daß er gar nichts sagt von der so wichtigen
sumerischen Vorgeschichte der babylonischen Schöpfungs
darstellungen, gar nichts von der Sonderstellung der Menschenschöpfung
in Gen l,26ff., gar nichts von den ursprünglich gesonderten
Traditionslinien der Weltschöpfung und der Menschen-
schöpfung. Die Erschaffung durch das Wort, d: 1 doch in Gen 1
eine das Ganze bestimmende Bedeutung hat, wird überhaupt nicht
erwähnt. Ist mit diesem Schweigen gemeint, daß für die theologische
Deutung von Gen 1 die Erschaffung durch das Wort keine
Bedeutung habe? Da das Schaffen Gottes durch den Schöpfungs-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12