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Ausgabe:

1969

Spalte:

67-69

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Denkender Glaube 1969

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 1

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Hirschberger, Johannes, u. Johannes G. Deninger
[Hrsg.]: Denkender Glaube. Philosophische und theologische Beiträge
zu der Frage unserer Zeit nach Mensch, Gott und Offenbarung
. Frankfurt/M.: Knecht [1966]. 363 S. 8°, Lw. DM28,-.

.Elf Autoren, die ihre gegenwärtige oder einstige Mitarbeit am
Seminar für Katholische Religionsphilosophie der Johann-Wolfgang
-Goethe-Universität in Frankfurt am Main und am Seminar
für Katholische Theologie und Didaktik der Glaubenslehre der Hochschule
für Erziehung an dieser Universität miteinander verbindet,
bezeugen mit dieser Festschrift dem Limburger Bischof Dr. Wilhelm
Kempf zu seinem 60. Geburtstag ihren Dank für dessen Bemühungen
um eine Professur für katholische Religionsphilosophie
innerhalb der philosophischen Fakultät, die dann später zur Errichtung
dieser beiden Ausbildungsstätten führte. Die nach Themenstellung
sehr unterschiedlichen, aber durchweg interessanten Beiträge
sind einmal geleitet von der Intention, den inneren Zusammenhang
von Glauben und Denken sichtbar zu machen, sie wollen
zum anderen die Probleme des christlichen Glaubens im Bezug auf
die gegenwärtige Wirklichkeitssituation neu durchdenken, ohne
dem Heute zu verfallen. Diese doppelte Zielsetzung findet im Titel
und Untertitel des Sammelbandes ihren klaren Ausdruck.

Ein I. Teil ist unter der Oberschrift „Der Mensch: Sein Geist -
Seine Wahrheit - Seine Werte" anthropologischen Fragen gewidmet
. Im Zentrum der Ausführungen von Kurt Flasch steht „Der
Mensch als geistiges Wesen", Johannes G. Deninger untersucht die
„Metamorphosen der Wahrheit", und Gertrude Polzer skizziert
„Wege zur Werterfahrung". Der II. Teil, „Gott: Seine Existenz -
Seine Schöpfung" betitelt, umfaßt zwei Abhandlunaen zur Theologie
im enqeren Sinne. Johannes Hirschberger stellt erneut die
„Gottesbeweise" (Verfängliches - Unvergängliches) zur Diskussion
, während Klaus Kremer über den ,.Schöt>funqsgedanke(n) und
seine D'skussion in der Geqenwart" informiert. Der III. Teil schließlich
weist keine innere Einheit auf, darüber kann der Obertitel
„Offenbarung: Christliches Wertbewußtsein - Reliaiöse Freiheit -
Kirche und La!en" nicht hinweqtäuschen. Es handelt sich vielmehr
um Aufsätze über recht verschiedene Themen. Sie seien hier genannt
: Paulus als Erzieher zum christlichen Wertbewufitsein (To-
ser>h Dey), Das religiöse Gewissen und sein Recht (Franz Scholz),
Kirche aus Priestern und Laien (Joseph Loosen), Zeuge und Diener
der Wahrheit. Notizen zum Selbstverständnis christlicher Seelsorger
und Erzieher (Wolfgang Offele), Freiheit als Prinzip religiöser
Bildung und Erziehung (Hermann Schrödter), Fritz Schlosser und
die Frankfurter Verfassung (Hans Wolter). Es kann in dieser Anzeige
n'cht darum qehen, die Abhandlungen im einzelnen kritisch
zu würdigen. Ledigl'ch einiqe besonders gewichtige Beiträge sollen
hier in ihren wesentlichen Thesen vorgestellt und näher beleuchtet
werden.

Unter dem Aspekt der Freiheit und des Denkens bietet Kurt
Flasch in seinem Aufsatz eine Reihe von Phänomenen auf, um die
Geistbestimmtheit des Menschen zu verdeutlichen. Allerdings bewegt
er sich mit seinen Erwägungen mehr auf der Ebene der Andeutung
, ohne zum Bereich tiefdringender Analysen wirklich vorzustoßen
. Das war wohl auch nicht beabsichtigt. Dennoch entsteht -
bei gelegentlicher Bezuqnahme auf Kant und neuere Arbeiten zur
philosophisch oder biologisch orientierten Anthropologie (Max
Scheler, Adolf Portmann) - ein recht eindrucksvolles Bild. Die
Doopel-These, die gleich zu Beginn formuliert und dann im weiteren
Gang der Untersuchung erhärtet wird, lautet: „Der Mensch
ist n'cht ein Lebewesen mit dem zusätzlichen Merkmal abnormer
Intelligenz, sondern er ist wesentlich Geist, und Geist bedeutet
etwas Quasi-Absolutes." Damit läßt er sich, das folgt daraus,
als ein „außerweltliches Wesen" bezeichnen (S. 15). Es kann vom
Menschen dann auch heißen, er sei ein „überweltliches" Wesen
(S. 17), sei „jenseitig" (S. 42). Das aber ist ein unglücklicher Begriff
für eine sachgemäße Erkenntnis. Denn die Tatsache, daß der
Mensch sich kraft seiner Freiheit und seines Geistes selbst zu
transzendieren vermag, rechtfertigt nicht den Begriff der „Außer-
weltlichkeit", und man kann sich für solche Formulierung auch nicht
auf Kants Freiheitslehre berufen (S. 20). Die Unterscheidung des
mundus intelligibilis vom mundus sensibilis bietet keinen hinreichenden
Grund für solche Terminologie, und sie findet sich denn
auch nicht bei Kant, m. W. übrigens auch nicht in Schelers Anthropologie
, dessen grundlegende These vom Menschen als dem „Neinsagenkönner
" der Verf. übernimmt. Die gemeinte Sache ist deutlich

und einsichtig, aber die Begrifflichkeit verwirrt, zumal die Bedeutung
des „Außer" keinerlei Klärung erfährt. Und man bedauert es
ein wenig, daß in der philosophiegeschichtlichen Skizze nur die
ältere Tradition von der Antike bis zu Augustin zur Darstellung
kommt. Natürlich liegen hier „die Ursprünge und Paradigmen"
der Geistphilosophie (S. 43), aber wenn es sich doch um Erwägungen
zur „Frage unserer Zeit" nach dem Menschen handelt, dann
läge der positive oder auch kritische Bezug zu anthropologischen
Modellen der neuzeitlichen Philosophie näher. In gleicher Weise ist
am Beitrag von Klaus Kremer zu bedauern, daß er bei seinen Ausführungen
über den Schöpfungsgedanken die heute besonders
interessierenden Fragen „Schöpfung - Naturwissenschaft" und
„Schöpfung - Evolution" ausklammert (S. 165) und statt dessen nach
einer betont an den Anfang gestellten dogmatischen Grundlegung
lediglich über das Schöpfungsverständnis in einem bestimmten
Zweig der katholischen und evangelischen Theologie referiert.

Sind die Gottesbeweise einer Erneuerung fähig oder sind sie nie
ernsthaft erschüttert worden? Johannes Hirschberger äußert sich
zum Thema wie folgt: „Der ganze Charakter des christlichen Glaubens
würde sich ändern, wenn man auf jene Sicherheit verzichten
wollte, die ihm die Gottesbeweise geben-" Und: „Die Gottesb^weise
grundsätzlich ausschalten, hieße nämlich, dem Glauben ein Fundament
entziehen, auf das man doch immer wieder zurückkommen
wird, wenn man plötzlich gezwungen ist, nicht vordergründig zu
bleiben; denn unter den verschiedenen Gründen des Glaubens
bieten die Gottesbeweise einen Weg an, zu einem letztlich sinnvollen
Glauben zu kommen, der durch nichts anderes mehr übertreffen
werden kann" (S. 101f.). Das sind immerhin starke Sätze,
offensichtlich auch für den Katholiken (vql. S. 101). In den Einwänden
gegen d;e Gottesbeweise, so heißt es lakonisch, kämen Fragen
zur Sprache, die längst beantwortet seien. Die Legitimität der
Kantischen Kritik an den Gottesbeweisen (S. 115-121) wird bestritten
mit dem Hinweis auf die innere Widersprüchlichkeit seines
Ansatzes bei der sinnlichen Erfahrungswelt (S. 120). Man dürfe
sich nicht an einzelne Aspekte klammern, müsse sich vielmehr den
Gesamtrahmen der Gottesbeweise vergegenwärtigen. Vereinfacht
und vergröbert: den einzelnen Gottesbeweisen fehlt die überzeugende
Kraft, aber der „Gesamtkonzeption" (S. 140) kommt sie zu
„Alles in der Welt führt, nach seinen Voraussetzungen befragt, zu
einem Absoluten, ob es sich um Naturdinge handelt oder um das
Denken oder das Wollen oder Fühlen" (S. 141). Das ist natürlich
kein Beweis, und Hirschberger scheint das selbst anzudeuten, wenn
er auf die methodische Voraussetzung der Gottesbeweise aufmerksam
macht: „Die Gottesbeweise waren ursprünglich gar keine
Gottesbeweise. Sie waren einfach Ontolcgie, Metaphysik, philosophische
Analyse der Welt, der Natur und des Geistes, in Hinsicht
auf ihren letzten Grund" (S. 141f.). Das ist richtig; aber wir fragen
bei Gottesbeweisen nach der ßew;is fähigkeit, und die ist
ihnen abzusprechen. Das Nötige zu dieser Einsicht findet sich bereits
in der Scholastik: wenn es in Gott keinen Unterschied zwischen
Essenz und Existenz gibt, dann ist die Rede von Gottes
Existenz ein Selbstwiderspruch und der Versuch, Gottes Existenz
mit logischen Mitteln zu beweisen, unsinnig. Jeder Gottesbeweis
ist als Beweis unzulänglich; das Unvergängliche dieser Denkbemühungen
besteht darin, daß die philosophische Analyse der
menschlichen Endlichkeit stets zur Frage nach Gott führt. „Die
Beweise für die Existenz Gottes sind weder Beweise noch führn
sie zur Existenz Gottes. Sie sind Ausdruck der Frage nach Gott,
die in der menschlichen Endlichkeit beschlossen liegt" (Tillich, Syst.
Theol. 1,240). Mehr und anderes kann mit der Unvergänglichkeit
der Gottesbeweise nicht gemeint sein.

Es sei abschließend noch verwiesen auf die Untersuchung von
Franz Scholz über die religiöse Gewissensfreiheit (S. 228-269). Der
weitaus umfangreichste Abschnitt ist dabei der Geschichte des Begriffs
in der christlichen Kirche bis hin zur Erklärung des 2. Vatikanischen
Konzils über die Religionsfreiheit vom 7. Dezember 1965
gewidmet, und dies unter dem doppelten Gesichtspunkt des „Innenanspruchs
" und des „Außenanspruchs" (S. 228f.). Innenanspruch
bezeichnet den Gehorsam gegenüber der existentiell lauteren Gewissensüberzeugung
, auch wenn sie der objektiven Norm widerspricht
, Außenanspruch die ungehinderte Auswirkung der Gewissensweisung
im äußeren Raum, also „Freiheit von gesellschaftlichem
Zwang". Ergebnis: bis zu Thomas von Aquin wird der
Innen- und damit auch der Außenanspruch des Gewissens mit