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Ausgabe:

1969

Spalte:

893-895

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Werner H.

Titel/Untertitel:

Alttestamentlicher Glaube und seine Umwelt 1969

Rezensent:

Eichrodt, Walther

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

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Gottheit als das eigentliche Heil empfohlen und vor der Vernach
lässigung der Götter gewarnt. Bemerkenswert erscheint: „1. daß
die Gottesoffenbarungen bis zur absoluten Unheilsverkündigung
vorstoßen. Das bedeutet, daß die Götter auch in der Unheilsankündigung
Gott bleiben konnten". 2. Die Aufforderung zum Schutz
des Schwachen (in ARM X,100). Hierin will E. die besondere theologische
Bedeutung der Mari-Briefe sehen (S. 163).

In all diesen Einzelheiten bietet die Arbeit eine sorgfältige, systematisch
übersichtliche Analyse des vorliegenden Materials, die
als Grundlage für alle weitere Beschäftigung mit den „prophetischen
" Mari-Briefen dienen muß. Den Vf. bewegt bei seiner Untersuchung
jedoch ein starker theologischer Impetus. Dieser kommt
im zweiten Teil der Arbeit zum Ausdruck, wo das Verhältnis zur
alttestamentlichen Prophetie untersucht wird. Der Strukturvergleich
zwischen Mari-Prophetie und alttestamentlicher Prophetie
ergibt manche Übereinstimmungen. Im nomadischen Sehertum auf
der einen, dem Prophetentum der kultisch gebundenen Person
auf der anderen Seite sieht E. die beiden Wurzeln der Mari-Prophetie
wie der Prophetie Israels - eine These, die mir in den
Briefen kaum genügend begründet erscheint. Richtig und wichtig
erscheint mir jedoch die Abwehr mancher eingewurzelter Vorurteile
in der alttestamentlichen Prophetenforschung, so des Begriffs
: „Kultpropheten" (S. 170), der Unterscheidung zwischen Unheils
- und Heilsprophetie (S. 172) - hierzu werden sehr wesentliche
Aussagen auf S. 216-217 gemacht. Ein besonderes Schwergewicht
legt E. jedoch auf die Frage nach den prophetischen Gattungen
. Dieses Thema wird in einer ausführlichen polemischen Auseinandersetzung
mit zwei Arbeiten von C. Westermann (Die Mari-
Briefe und die Prophetie in Israel, in: Forschung am Alten Testament
1964, S. 171-188; ders., Grundformen prophetischer Rede,
1964') geführt. Die Hauptthesen Westermanns: 1. Die Grundform
der prophetischen Rede ist der Botenspruch, 2. sein ursprünglicher
Inhalt ist das Gerichtswort, werden von E. m. E. zu recht kritisiert
(vgl. meine Arbeit: Liturgie und prophetisches Ich bei Jere-
mia, 1963, bes. S. llff. - von E. wurde dieses Buch übersehen).
In der Tat beruht diese unzulässige Einengung der prophetischen
Gattungen auf nicht sachgerechten theologischen Prämissen, die
von E. klar gesehen werden. Allerdings ist zu befürchten, dafj dieses
richtige Anliegen des Vf.s nicht so aufgenommen werden wird,
wie es nötig wäre, vor allem, weil der Vf. sich vielfach selbst im
Wege steht. In der Kritik an der bisherigen Gartungsforschung ist
die Neigung fatal, das Kind mit dem Bade auszuschütten, und
abgesehen von gelegentlich allzu trivialer Argumentation (vgl.
S. 206f.!) wird man dem Vf. vorwerfen müssen, dafj er selbst der
Eigenart alttestamentlicher Gattungen nicht gerecht wird. Vor allem
zu den Formen des Rechtslebens: zur Identität von Ankläger
und Richter (S. 204), vgl. Köhler, Die israelitische Rechtsgemeinde
(1930); desgleichen zu Urteilsverkündigung und Vollstreckung
(S. 213); zum „Kontrastmotiv" (S. 214). Auch die Diskussion um
den Covenant-Lawsuit der Propheten scheint unbekannt (S. 213ff.).

Das Buch schliefet mit einer Überlegung über die theologische
Relevanz alttestamentlicher Texte, die E. in der Botschaft zur
Nächstenliebe sieht (S. 220). Man wird fragen müssen, ob hier
nicht eine ganz entsprechende Engführung vorliegt, wie sie E.
seinem Kontrahenten Westermann und dessen Worttheologie vorwirft
. Die biblische Botschaft hat sich mit ihrem ganzen Reichtum
einer derartigen Verengung immer wieder entzogen.

Die Arbeit bringt am Schlufj reiche Register und umfangreiche
Literaturverzeichnisse. Bei jedem einzelnen Paragraphen, besonders
im zweiten Teil, werden dabei die gleichen Titel oft seitenlang
wiederholt. Die Arbeit wäre differenzierter ausgefallen
bei gleichem Umfang, wenn statt dessen eine wirkliche Auseinandersetzung
mit der Literatur in Anmerkungen stattgefunden
hätte.

Möchten diese Mängel der günstigen Aufnahme des Buches
nicht im Wege stehen!

Bochum Henning Graf Rcvcntlow

Schmidt, Werner H.: Alttestamentlicher Glaube und seine Umwelt
. Zur Geschichte des alttestamentlichen Gottesverständnisses.
Neukirchen-Vluyn: Ncukirchener Verlag des Erziehungsvereins
1968. 252 S. gr. 8° = Neukirchener Studienbücher, Ergänzungsbände
zu den Biblischen Studien, 6. Kart. DM 14,80.

Das von dem Verfasser vorgelegte Werk hat in seinen Arbeiten
über »die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift" 1964 und „Königtum
Gottes in Ugarit und Israel" 1966 bereits hervorragende
Vorstudien zu dem jetzt ausführlich behandelten Thema gefunden.
Wer jene Untersuchungen kennt, wird mit großen Erwartungen an
die umfassende Abhandlung über den alttestamentlichen Glauben
im Verhältnis zur religiösen Umwelt Israels herantreten. Und mit
Recht, denn dem Versuch, gerade aus der genauen Kenntnis der
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, aber auch der Gegensätze
und Wandlungen, die sich bei der Begegnung Israels mit seiner
altorientalischen Umwelt ergeben, ein Bild der Eigenart seines
Glaubens zu gewinnen, gelingt es in oft überra sehen der Weise,
seine Besonderheit als des Fremdkörpers unter den antiken Religionen
in gedanklicher Schärfe zu umreißen und zu begründen.
So ist dieser Beitrag „zur Geschichte des alttestamentlichen Gottesverständnisses
", den der Untertitel hervorhebt, auch von großem
Wert für die Religionsgeschichte Israels.

Bei der Bedeutung, die das geschichtliche Ereignis für die Entfaltung
und Wandlung dieses Glaubens besitzt, ist es naheliegend,
seine Beschreibung in die geschichtliche Zeitfolge hineinzustellen
und in den vier großen Abschnitten der nomadischen Vorzeit Israels
, der Frühzeil nach der Landnahme, der Königszeit und der
Spätzeit die besonderen Probleme, die sich aus dem Durchwandern
dieser Zeiträume ergaben, aufzuzeigen. Doch ergänzt eine
systematische Anordnung der Hauptfragen jeder Epoche die Anlehnung
an den geschichtlichen Hergang. Die dankenswerte Voranstellung
einer ausgewählten Literatur bei jedem Abschnitt bietet
dem Leser leichten Zugang zu den wissenschaftlichen Untersuchungen
der behandelten Fragen.

Die Prüfung der Väterzeit auf die Möglichkeit geschichtlich haltbarer
religiöser Uberlieferungen ergänzt die klassisch gewordenen
Untersuchungen von A. Alt über den „Gott der Väter" durch die
viel weitergreifende Annahme der frühen Ansässigkeit der mit
den Namen Abraham, Isaak und Jakob bezeichneten Erzvätergruppen
in der Nähe kanaanäischer Ortsheiligtümcr, was die Verschmelzung
der Vätergötter der Einwanderer mit den Ortsgottheiten
und ihren heiligen Überlieferungen zur Folge hatte. Damit
rückt die Möglichkeit der Übertragung kanaanäischer Gottesnamen
ins Gesichtsfeld, während die Übernahme alter kultischer Ätiologien
auch ihre Ablösung von den lokalen Haftpunkten und ihre
Einbeziehung in die Zukunft des Volkes bedeutet. Gewisse Schwierigkeiten
sind dabei freilich nicht zu leugnen.

Diese mit Hilfe der alttestamentlichen Tradition durchgeführte
Deutung der nomadischen Vorgeschichte läßt sich für die wich
tige Epoche des Eintritts der Jahweverehrung in die Geschichte
nicht wiederholen. Durch die scharfsinnige Herausarbeitung der
Unstimmigkeiten und Gegensätze der Überlieferungen über die
Mosezeit und ihre Ausspielung gegeneinander wird die Schwierigkeit
, hier festen Boden unter die Füße zu bekommen oder wenig-
slens begründete Vermutungen über die Kernpunkte der Ereignisse
zu gewinnen, so gut wie unüberwindlich gemacht. Es bleibt
nur die Feststellung zweier sich ausschließender Möglichkeiten des
geschichtlichen Verständnisses übrig, zwischen denen ein Ausgleich
nicht gelingen will, nämlich der Erkenntnis Jahwes durch die Rettung
aus Ägypten oder durch die Sinaioffenbarung. Man mag diese
Ausschließung eines geschichtlichen Weges zum Durchbruch der
Jahweverehrung für unvermeidlich halten, obgleich sie von vielen
Kritikern nicht geteilt wird (vgl. zuletzt G. Fohrer, Geschichte der
israelitischen Religion, Berlin 1969, § 5f.). Doch bleibt dann die
Herkunft der Jahweverchrung ungewiß und der Ursprung der
grundlegenden Forderungen des Jahweglaubens unaufhellbar.
Wenn trotzdem das Israel des Alten Testaments ohne den Jahweglauben
und das erste und zweite Gebot des Dekalogs nicht denkbar
ist (vgl. S. 53), so erscheint es fraglich, ob man sich bei der
Feststellung beruhigen kann, daß jene Grundlagen des israelitischen
Glaubens Israel „vorgegeben" sein müssen. Wo kein geschichtlicher
Weg zu einer solchen „Vorgabe" zu entdecken ist,
hört im Grunde die Möglichkeit einer religions g e s c h i c h t-
liehen Darstellung auf. Es bleibt nur der Weg einer kritischsystematischen
Aufarbeitung der in ihrer geschichtlichen Herkunft
unzugänglichen Wesenszüge, die dem israelitischen Glauben der
späteren Zeit auf Grund einer wirklich faßbaren alttestamentlichen
Tradition seinen Charakter gaben.

Diese Aufgabe wird denn auch in § 6 „Der Jahwename und die
Ausschließlichkeitsfordcrung" in packender Weise in Angriff ge-