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Ausgabe:

1969

Spalte:

890-891

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gamper, Arnold

Titel/Untertitel:

Gott als Richter in Mesopotamien und im Alten Testament 1969

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

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sein müssen (204). Aus dem Prozeßcharakter „ergibt sich als geradezu
selbstverständliche Konsequenz die Form der mündlichen
und schriftlichen Jesusübcrlieferung" (205).

Mitten hinein in das Denken des Jubilars führt R. E. Brown S. S„
Baltimore (The Problems of the Sensus Plenior, 72-81). Nächst
A. Fernändez und J. Coppcns ist Brown der Spezialist für dieses
Thema, das auf evang. Seite bisher nur durch J. M. Robinson aufgegriffen
wurde'. In der Spannung zwischen dem sprachlichen
Sinngehalt eines .Textes' und dem von den biblischen Autoren
bewußt intendierten sensus litteralis stecken Probleme, denen die
evang. Hermeneutik unbedingt mehr Aufmerksamkeit schenken
sollte. Schliefjlich haben Sprach- und Literaturwissenschaft inzwischen
auf ihre Weise das Problem der littera selbst entdeckt:
littera als Objektivation des sinngebenden Aktes und insofern ein
transmentales, transintcntionales Phänomen. Ein weites Feld!3

L. Ramlot O. P., Toulouse handelt in dem umfangreichsten Artikel
des Bandes (Histoire et mentalite symbolique, 82-190) mit
dem gelehrten Arsenal des Altorientalisten über die Spannung
zwischen der symbolischen Mentalität der Antike (z. B. in den
Mythen) und dem heilsgeschichtlichen Geschichtsverständnis der
Bibel, und zwar in vier Abschnitten (I. Prealables hermeneutique,
87-125; II. Du discours historique dans l'antiquite, 125-178; III.
Histoire critique et histoire qualitative, 179f.; 3V. Biblc et histoire
qualitative, 181-189) mit zahlreichen Unterabschnitten. Die bedeutsamen
Ausführungen sollte nicht nur der Alttestamentler, sondern
auch der Religionswissenschaftler gründlich zur Kenntnis nehmen
, der sich für die moderne Revision der wissenschaftlichen
Dogmen über die „Mentalität der Primitiven" (L. Levy-Bruhl)
einen theologischen Gesprächspartner wünscht1.

G. van Riet, Louvain (Exegese et reflexion philosophique, 1-16),
P. Asveld, Graz (Exegese critique et exegese dogmatique, 17-31),
P. Grelot, Paris (Que penscr de l'interpretation existentiale? 32-55),
J. Cahill S. J„ North Aurora Iii. (Death of God Theology as Biblical
Hermeneutie, 56-71) erörtern je einen besonderen Aspekt der heutigen
hermeneutischen Diskussion, wobei Cahills Beitrag besonders
aktuell ist.

Alles in allem eine beachtliche Leistung katholischer Hermeneutik
, die zwar mit spezifischer Thematik, aber insgesamt mit
freimütiger Behandlung der strittigen hermeneutischen Komplexe
dem so reich beschenkten Jubilar alle Ehre macht.

Bonn Erhardt Güttgcmanns

J) A. Fcrnändcz. S. J.. Hcrmcncutica (1925) -1927, 306; J. Coppcns, te Probleme
•tan sens biblique plcnicr; in: Problemes et methode d'exegcse theologique, ed.
W Ccrfaux, J. Coppcns, J. Gribomont. 1950 (Analecta Lovaniensia 16), 11-19:
E. Brown S. S., The History and Development of the Theory of a Sensus
Plenior. CBQ 15. 1953, 141-162: ders., The Sensus Plenior af Sacrcd Scripturc.
1B55 -'i960; ders., The Sensus Plenior in the Last Ten Years. CBQ 25. 1963. 262-285;
J- M. Robinson. Scripturc and Thcological Method. A Protestant Study in Sensus
Plenior CBQ 27. 1965. 6-27.

1 W. K Wimsatt Jr., The Verbal Icon i Studies in the Meaning of Poetry. 1954.

') Vgl. A. E. Jensen, Mythos und Kult bei Naturvölkern. 1951. fStudien zu'
Kulturkundc 10); (Lcvi-Strauss, Das Ende des Totemismus. 1965).

(Barth, Karl:) Karl Barth 1886-1968. Gedenkfeier im Basler
Münster. Zürich: EVZ-Verlag (1969). 55 S., 1 Porträt 8° = Theo-
logische Studien, 100. Kart. DM 5,60.

B 1 a u r o c k , Gerhard, u. Hans-Ulrich K i r c h h o f f : Rechenschaft
über Geschichte, Geheimnis und Autorität der Bibel. Ein
Handbuch der holländischen Kirche, im Auftrag der Evang. Jugend
Deutschlands übers, u. hrsg. München: Kaiser 1968. 248 S.
8°. DM12,-.

CO81e, Rene: Violence et revolution dans lc monde contemporain

(NRTh 101, 1969 S. 65-84).
Dillenberger, Johni Integration theologischer Fakultäten

(Concilium 5, 1969 S. 273-279).
Hanselmann, Johannes: Kleines Lexikon kirchlicher Begriffe.

München: Claudius Verlag [1969). 211 S. 8°. Kart. DM7,80.
Land, Philip: What is Development? Questions raised for Thec-

logical Reflection (Cregorianum 50, 1969 S. 33-62).
Locher, Benjamin: Christsein in unserer Zeit (ÖR 18, 1969
. S. 117-123).

I R a h n e r. Karl s] Bibliographie Karl Rahner 1924-1969, hrsg.
v- R. B 1 e i s t e i n u. E. K 1 i n g c r. Mit einer Einführung v.
H. Vorgrimler,. Frciburg-Basel-Wien: Herder [1969). 112 S„
1 Porträt 8°.

v a 1 y i - N a g y, Erwin i Theologie als Bestätigung und als Öffnung
(DtPfrBl 68. 1968 S. 625-628).

ALTES TESTAMENT

G a m p e r , Arnold: Gott als Richter in Mesopotamien und im
Alten Testament. Zum Verständnis einer Gebetsbitte. Innsbruck :
Wagner 1966. VIII, 256 S. gr. 8°. ö.S. 180,-, DM 29,-.
A. Gamper behandelt in seiner Erstlingsarbeit1 ein Thema, das
eine gründliche Bearbeitung vollauf verdient. Allerdings leidet
G.s Studie von vornherein darunter, daß es ihm letztlich nur um
die Klärung einer sehr beschränkten Teilfrage geht, für welche
die Vorstellung vom Richtertum Gottes nur den Hintergrund abgibt
. Die Fragestellung, die den Vf. bewegt, ist folgende: Hat die
im Alten Testament anzutreffende Formel „Richte mich" eine
positive Bedeutung im Sinne von „Schaffe mir Recht" oder „Hilf
mir"? Ein besonderes Problem erblickt G. dabei darin, dafj eine
solche Bitte auch von einem Bittsteller geäußert werden kann,
der offensichtlich nicht schuldlos ist (S. 4).

An sich ist dieses Problem aus den einschlägigen alttestament-
lichen Texten selbst ohne besonders großen Arbeitsaufwand zufriedenstellend
zu lösen. So kommt auch der Vf. zu dem Ergebnis,
daß sich „der Sinn" dieser Bitte „unmittelbar aus dem Kontext"
ergibt (S. 236). Das spezielle Anliegen G.s im Hinblick auf den
schuldigen Bittsteller erklärt sich dadurch, daß Jahwe „trotz
Schuld und Sünde zum Recht verhelfen" kann. „Einzige Voraussetzung
dafür ist die Umkehr und die Geneigtheit zu restlosem
Vertrauen" (S. 236). Auch dieses Ergebnis dürfte keine wesentlich
neue Erkenntnis vermitteln. Daß es sich um ein für die alttesta-
mentliche Forschung nicht allzu bedeutendes Problem handelt,
wird auch aus der geringen Zahl der Belege ersichtlich, die der
Vf. für die Gebetsbitte „Schaffe mit Recht" eines Schuldigen ('äsäh
bzw. safat mispät) zu erbringen vermag: Genannt werden können
in dieser „Gruppe von Texten, die für unsere Untersuchung
von größter Bedeutung ist" lediglich Thr. 3, 58f.; I. Reg. 8,46ff.,
59f. (S. 231f.). Eigentümlicherweise macht G. den Leser erst am
Ende seiner Darstellung nach mannigfachen Umwegen mit diesen
für seine Fragestellung so wichtigen Texten (ziemlich flüchtig)
bekannt.

Die erwähnten Umwege führen nun freilich z. T. durch recht
interessante Gebiete, da der Vf. sich bemüht, in der akkadischen
Formel ,dini din purussa purus' („Richte mein Gericht, entscheide
meine Entscheidung" im Sinne von „Verhilf mir zum Recht! Steh
mir bei", S. 91) eine Parallele zum alttestamentlichen Sprachgebrauch
nachzuweisen und überhaupt die Gelegenheit zu einer umfassenden
Darstellung des mesopotamischen wie des israelitischen
Rechtslebens zu nutzen. Vor allem geht es dabei um die
Herausarbeitung der Funktion des akkadischen dajanu als „Rechtshelfer
" (S. 55ff ). Diese Funktion wird besonders deutlich im Handeln
des Herrschers zur Wahrung der misaru („Gerechtigkeit"
im Sinne einer Ordnung, die des Menschen Leben und Wohlfahrt
schützt, S. 45ff.). Entsprechend sind auch die Götter „Helfer zum
Recht" im Sinne der Erhaltung der misaru, sofern sie nur etwas
mit dem Recht zu tun haben. Die Gottheit vermag dabei im
Unterschied zum irdischen dajanu „trotz vorhandener Schuld" zum
Recht zu verhelfen (S. 96). In Israel liegen nun die Verhältnisse
ganz ähnlich. Wie der dajanu, so hat hier der söfet die Aufgabe
des „Rechtshelfers" (S. 194ff.), dem die Wahrung der s^dakäh,
die der akkad. misaru entspricht, zukommt (S. 201). Von Jahwe,
als dem Geber der Rechtsordnung (S. 202ff.) gilt dies in noch
tieferem Sinne, indem er eben sogar dem Schuldigen zum Recht
verhelfen kann2.

Den relativ größten Raum des Buches beanspruchen allgemeine
Darstellungen der irdischen und göttlichen Richtertätigkeit nach
mesopotamischer und israelitischer Anschauung. Beachtung verdient
die kurze Skizzierung der Ältesten und ihrer Aufgabe in
Israel (S. 177ff.) sowie die tabellarische Aufschlüsselung der Ge-
richtsterminologic (S. 185ff ). Die Darstellung der mesopotami-

') Die vorliegende Publikation enthält in ihrem ersten Teil (.Irdische Gerichtsbarkeit
und Richten der Gottheit im Zweistromland") die theologische Dissertation
des Vf.s vom Jahre 1961, an die sich als zweiter Teil unter dem Titel
.Rechtsstreit unnd Gottesgericht im Alten Testament" seine Habilitationsschrift anschlicht
.

2) Eine kritische Beurteilung dieser Hypothese kann hier selbstverständlich nicht
geboten werden. Tatsächlich liegen hier Parallelen vor. Jedoch vereinfacht G. den
Sachverhalt durch starke Überhöhung der verwandten Züge.