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Ausgabe:

1969

Spalte:

887-889

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Exégèse et théologie 1969

Rezensent:

Güttgemanns, Erhardt

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887

Theologische Litefaturzeitürig 94. Jahrgang 1969 Nr. 12

^ 888

VI. Orthodoxie und Häresie.

Die trotz W. Bauer*7 noch weithin herrschende Objektivierung ist
unzulänglich: da5 man nämlich „Rechtgläubigkeit" und „Ketzerei"
als sicher zu erteilende Zensuren handhabt, weil man der Maßstäbe
gewiß ist. Erstens sind die Maßstäbe selbst geschichtlich; und
zweitens kann Orthodoxie aus sich selbst häretisch werden28.

Andererseits wird Bauers historischer Relativismus den Dingen
nicht gerecht. Ihm ist es ein Zufall, daß sich die „rechtgläubige"
Form des Christentums durchsetzte und nicht die gnostische (die
durch einen Sieg eben zur Rechtgläubigkeit geworden wäre). Es
ist eben doch nach theologischen Sachkriterien zu fragen". Man
mag ein solches im Phänomen des Synkretismus finden, im Umfang
fremder Einflüsse, die rezipiert werden. Aber: Wie und wieso
können solche wirksam werden? Welchen Anhalt finden sie im
Glauben selbst? Dieser kann ja gar nicht chemisch rein dargestellt
werden. Insofern betrifft die Frage nach „Einflüssen" jede Form
des Christentums. Man wird dem Problem erst gerecht, wenn man
sieht, daß die Möglichkeit der Häresie mit dem Glauben und dem
Geist selbst gesetzt ist.

Damit, daß das Heil nicht erzwungen, sondern dem Glauben dargeboten
wird, setzt sich Gottes Angebot nicht nur der Ablehnung,
sondern auch der Brechung in der Rezeption durch den Menschen
aus - bis zur Verzerrung. Wo also ist von solcher zu sprechen?
Und der Geist kann in die Selbstbeobachtung und religiöse
Selbstentfaltung führen, also dazu, dafj der geistliche Mensch sich
selbst zum Gegenstand des Glaubens wird. Dann wird der Glaube
in eine spirituale Aufwärtsbewegung verkehrt: der Fall Korinth.
Der Treffpunkt zwischen Gott und „mir" liegt dann nicht mehr in
der Welt, sondern in einem irrealen, „überweltlichen" Raum, in
den sich ein ideales Ich aufschwingt, um sich in allgemeinen Geist
aufzulösen. Die Welt als Herrschaftsraum Gottes ist preisgegeben;
der erste Artikel des Credo ist - ob bewufjt oder nur faktisch -
verloren30.

Nun wird das Problem der Häresie dadurch kompliziert, dafj
nicht nur der Geist, sondern auch das objektive Credo verführerisch
wirken kann. Wieder bietet Korinth das Paradigma. Das

27) W. Bauer, Reditgläubigkeit und Ketzerei im älteren Christentum, 2. Aufl. mit
Nachtrag von G. Strecker. 1964.

**) Paradigma: Die orthodox paulinischen Gegner des 2. Thess.

H. Köster, Häretiker im Urchristentum als Theologisches Problem, in: Zeit
und Geschichte (Festschr. R. Bultmann). 1964, 61ff.

Jedes habituelle Verständnis des Erlöstseins verstellt den Glaubensinhalt
und spaltet den Glauben auf. Wird die gläubige Existenz ontologisch bestimmt,
dann wird das pneuma zum ontologisch bestimmbaren Faktor und konsequenterweise
auch die sarx. Dann mufj aber der Pneumatiker seine Weltüberlegenheit nachweisen
. D. h. er liefert sich notwendig den Kriterien aus, über die er sich erhaben
wähnt - denen der Welt.

Credo ist nicht angefochten (1. Kor. 15,lff.). Aber es wird offenbar
im Sinn einer enthusiastischen Erhöhungschristologie aufgefaßt:
Christus ist gestorben und erhöht —► Wir sind mit (oder in) ihm
gestorben und erhöht (1. Kor. 4,8). D. h. das Bekenntnis wird
faktisch zum Medium der Selbstdarstellung des Erlösten, Christus
wird zur Chiffre, die in Wirklichkeit das Selbstbewußtsein des
Enthusiasten ausdrückt. Jetzt ist also der „Glaube" selbst zweideutig
geworden. Damit braucht man ein Regulativ für ihn selbst.
Paulus gewinnt dieses nun durchaus konsequent doch wieder aus
dem Credo, indem er es als „Wort vom Kreuz" interpretiert". In
dieser Welt, in der Zeit des Glaubens, Nicht-Schauens ist uns der
Erhöhte zugänglich nur als der Gekreuzigte. In der Zeitvorstellung
ausgedrückt: Unsere eigene Auferstehung haben wir noch vor
uns. Ich als Begnadeter bin mir selbst nicht anschaulich. Meine
Begnadung höre ich im Wort.

Das oft angeführte Kriterium des eschatologischen Vorbehalts
gewinnt Paulus also nicht aus einem apokalyptischen Weltaspekt,
sondern aus der Christologie. Die anthropologische Pointe ist deutlich
. Dann seine Theologie des Kreuzes ist sachlich dasselbe wie
seine Rechtfertigungslehre.

VII. Ausblick

Wir haben uns i. w. auf Paulus beschränkt. Ein Blick auf das
sonstige neutestamentliche Schrifttum würde uns zu denselben
Kriterien führen. Auch dort erweist sich die „Richtigkeit" jeweils
in der anthropologischen Aktualisierung. Die Synoptiker leiten z. R.
von den Leidensweissagungen weiter zur Einweisung in die Leidensnachfolge
. Das Passionskerygma ist richtig erklärt und aufgenommen
, wenn es als Bestimmung des Lebens in der Welt auf
genommen ist.

Man kann die Christologie des Johannesevangeliums als doke-
tisch und seine Eschatologie als gnostisch erklären: Aber wo beides
in Einweisung in das Leben umgesetzt wird, in den Abschiedsreden
, da werden Christologie und Eschatologie eben nicht in
spirituale Entweltlichung umgesetzt. Von der anthropologischen
Probe her wird man das Urteil über Christus- und Weltbild rechtfertigen
müssen.

Welche Großzügigkeit im Bereich der Vorstellungen möglich ist,
wenn man sich des Kriteriums sicher ist, zeigen der Kolosser- und
der Epheserbrief. Sie geben ja formal den eschatologischen Vorbehalt
auf, wenn sie von unserer Auferstehung im Präteritum
reden (Kol. 2,21; Eph. 2,5). Sie holen ihn aber in der Paränese
wieder herein, der Kolosserbrief dazuhin in seiner Polemik gegen
die direkte Entweltlichung durch ritualistische Observanz. Die
Beispiele mögen genügen.

U. Wilckens. Weisheit und Torheit, 1959.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Thils, G., et R. E. Brown .- Exegese et Theologie. Les Saintes
Ecritures et leur interpretation theologique. Gembloux: Duculot;
Paris: Lethielleux [1968]. XI, 327 S. gr. 8° = Bibliotheca Ephe-
meridum Theologicarum Lovaniensium, XXVI. Donum Natali-
cium Iosepho Coppens Septuagesimum Annum Complenti D D D
Collegae et Amici, III. bfr. 550,-.

Mit diesem dritten Band der Festschrift zum 70. Geb. von Joseph
Coppens setzen befreundete kath. Theologen dem Löwener Gelehrten
ein Denkmal seiner Wirksamkeit nicht nur in der Exegese
von AT (I. Bd.) und NT (II. Bd.), sondern vor allem in der kath.
Hermeneutik.

Einen ersten Eindruck von dieser Wirksamkeit vermittelt die
reichhaltige Bibliographie zur biblischen Hermeneutik (SubsidH
bibliographica, 282-327), die neben Nennung älterer Literatur vor
allern ab 1952 Vollständigkeit erstrebt. Ihr chronologischer Aufbau
hat Vor- und Nachteile; als internationale Fundgrube wird sie jedoch
von jedem Interessenten begrüßt werden. Von Coppens führt
sie zwischen 1935 und 1967 15 Titel an. Im übrigen vereinigt dieser
Band 10 Beiträge.

Coppens selbst faßt in einem reichhaltig bibliographierten Artikel
seine seit 1926 betriebenen Forschungen (12 Titel I) zur
Eucharistie zusammen (L'eucharistie neotestamentaire, 262-281),

speziell unter traditionsgeschichtlichem Aspekt, der den stärker
systematisch orientierten Aufsatz von S. Trooster S. J., Maastricht
(L'eucharistie, approche theologique, 247-261) sinnvoll ergänzt.

In engerem Zusammenhang mit der hermeneutischen Diskussion
steht L. Malevez S. J. Louvain (Le Christ et la foi, 209-246)
Thema ist die Rede E. Fuchs' und G. Ebelings vom .Glauben
Jesu". In neun Abschnitten (I. La question de la ,foi' de Jesus,
209-211; II. La foi dans l'ecriture, 212-217; III. La ,fides Christi',
217-220 IV. La confiance de Jesus, 220f.; V. Confiance et .vision',
221-231; VI. Abandon ontologique et abandon existentiel, 232-236;

VII. Les deux formes, terrestre et glorieuse, de l'abandon, 236-241 ;

VIII. Le Christ, l'eglise et la foi, 241-243; IX. Jesus terme de
notre foi, 243-246) wird die an die kath. Dogmatik gebundene
Sicht dargeboten.

Ahnlich dogmatisch gebunden ist A. Vögtle, Freiburg i. Br. (Die
hermeneutische Relevanz des geschichtlichen Charakters der Christusoffenbarung
, 191-208): Das gesamte Offenbarungsgeschehen
ist als ein geschichtlich fortschreitender Prozeß zu begreifen (197).
so daß nicht alle Momente der nachösterlichen Heilsbotschaft explizit
oder implizit durch den irdischen Jesus vorweggenommen

') E. Fuchs, Jesus und der Glaube, in i der«.. Zur Frage nach dem historischen
Jesus. 1960 (ges. Aufs. II). 238-257; G. Ebellng. Jesus und Glaube; in: der«.,
Wort und Glaube. 1960, 203-254.