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Ausgabe:

1969

Spalte:

859-860

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bailer, Albert

Titel/Untertitel:

Das systematische Prinzip in der Theologie Adolf Schlatters 1969

Rezensent:

Beintker, Horst

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Das Verzeichnis weiterer Stellungnahmen zur Theologie der
Hoffnung, S. 239 f, ist leider unvollständig; Moltmann selbst bezieht
sich auf Äußerungen von K. Barth, H. Gollwitzer, H. J. Kraus
und D. Solle, die nicht nachgewiesen werden. - Im Inhaltsverzeichnis
muß es bei der Arbeit Geyers heißen: Theologische Literaturzeitung
92, Heft 7 und 8, 1967. - S. 146, Anm. 45, letzte Zeile muß
es heißen: zit. bei Miskotte, 303 f.

Naumburg/Saale Harald Sch u I tze

B a i 1 e r, Albert: Das systematische Prinzip in der Theologie Adolf
Schlatters. Stuttgart: Calwer Verlag (1968]. 206 S. gr. 8° = Arbeiten
zur Theologie hrsg. v. T. Schlatter mit A. Jepsen und
O. Michel, II. Reihe Bd. 12. Lw. DM 24,-.

Eine Nachwirkung oder vielmehr die eigentliche Wirkung von
Schlattcr als systematisch denkendem Theologen steht noch aus.
Nach P. Althaus, F. Blanke, A. Köberle, U. Luck und mir weist nun
Bailer mit Nachdruck darauf hin, wie wertvoll sein Denken für die
gegenwärtige dogmatische und hermeneutische Arbeit werden
könnte. Er unternimmt es, „das geheime Zentrum seiner Theologie
ans Licht zu rücken" und sein „systematisches Prinzip" darzustellen
und zu entfalten. Dafür fehlt es „weitgehend an Vorarbeiten". Schlatter
wurde „als Dogmatiker - selten genug - nur dann zitiert, wenn
er die eigene Auffassung des betreffenden Theologen bestätigte,
dagegen dort stillschweigend übergangen, wo er von ihr abwich".
Das liegt nicht etwa an Inaktualität der theologischen Einsichten
Schlatters; „eine am Begriff und an der Wirklichkeit des Lebens
orientierte Theologie" ist heute vonnöten. Aber Schlatters Dogma-
tik unterscheide sich „in ihrer systematischen Logik derart stark
vom Herkömmlichen, daß man zwar einzelne Loci zu verstehen,
nicht aber die Mitte dieser Theologie zu erfassen vermochte". Die
„Mauer des Schweigens" haben erst U. Luck (1955) und H. Beint-
ker (1957) „durchbrochen und Schlatters Position angesichts zweier
Spezialprobleme aufgezeigt und zur Diskussion gestellt". Als Dogmatiker
und mit dem „seinem Denken zu Grunde liegenden und
es bestimmenden Prinzip" hat Schlatter noch keinen eigentlichen
Systematiker zum geistigen Schüler gehabt. Vielleicht kann ,Die
christliche Wahrheit' von P. Althaus als eine sachgemäße Fortsetzung
Schlatter'scher Absichten" gelten; „pauschal dürfte dies jedoch
nicht zu bejahen sein" (9 f.).

Diese Lage veranlaßt B„ einen (ersten) Hauptteil der „Darstellung
und Kritik des traditionellen Schlatterbildes" zu widmen (11-45).
Er hält die zeitgenössischen Meinungen zu Schwierigkeiten „auf
dem Wege zu einem theologischen Gesamtverständnis" Schlatters
(§ 1) und Lösungsversuche (§ 2) dieser Schwierigkeiten für „unzulänglich
" und fordert eine theologisch-systematische „Erfassung der
Schlatterschen Theologie (§ 3). Die seitherige Antwort auf die Frage
nach Schlatters Prinzip lautete im Anschluß an Schlattcr selber: die
Formel „Wahrnehmung" kennzeichne seine Methode oder „der Sehakt
" sei für seine Theologie konstitutiv (39). B. gibt sich mit der
Benennung der Methode nicht zufrieden; damit werde „das systematische
Prinzip Schlatters zu eng" gefaßt, „ein eigentlich systematischer
Grundgedanke" aber nicht bezeichnet. Diesen findet er
im Zusammennehmen von Wahrnehmung und Urteil und spricht
ihn in der Formel „Lebensakt", „Leben" aus.

Im zweiten Hauptteil „Aufweis der den Schlatter'schen Lebensbegriff
bestimmenden Prinzipien" (46-161) wird der Begriff „Leben
" als das durch Christus geschenkte neue Leben präzisiert. In
ihm gehe es um eine bestimmte Willenshaltung. „Dieser Wille, in
dem Gehorsam und Freiheit eine lebendige Einheit verkörpern -
in dem Gehorsam wesensmäßig Freiheit und Freiheit wesensmäßig
Gehorsam ist -, ist der durch Christus mit Gott versöhnte Wille -
die Liebe". Ein derart neu gemachter „Wille" ist eine Liebe, die „der
Erfahrungswirklichkeit gegenüber deshalb offen und zum Empfangen
bereit ist, weil für sie auch hier Gottes Gnade offenbar und
wirksam ist". Das ist vom „christologisch-pneumatologischen Wissen
um das menschliche Leben" her möglich. Die „Liebe" ist der
Erfahrungswirklichkeit „gegenüber aber zugleich frei, weil sie an
Gottes in der Schrift geoffenbarten, in Vernunft und Gewissen sich
widerspiegelnden Willen gebunden ist". Die Liebe verknüpft beides
, Erfahrung und Schrifterkenntnis, so „daß die naturhaften Impulse
als Hilfe für die Realisierung des Christseins verstanden und
deshalb in den Lebensakt aufgenommen werden" (74). Schlattcr
habe mit dieser „Mittelstellung zwischen Biblizismus und Bewußt-
scinstheologie" (75) das Personverständnis Schleiermachcrs „kor-

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rigiert und verchristlicht" (74). Die drei Prinzipien „Christliche Erfahrung
, Schrift und Geschöpflichkeit" gestalten Schlatters systematisches
Denken als „die drei Kräfte, die das von ihm beschriebene
Leben ontisch und noetisch gesehen bewegen und bestimmen",
aber so, daß - wie der dritte Hauptteil (162-199) ausführt - keines
dominiert. „Schlatter bekämpft nachdrücklich die jedem dieser drei
Prinzipien immanente Tendenz zu Verabsolutierung. Weder das
Bewußtsein, wiedergeboren zu sein, noch das geschriebene Wort
der Bibel, noch das Wissen, Geschöpf zu sein, sind für sich genommen
und isoliert voneinander imstande und legitimiert, christliches
Leben und theologisches Erkennen zu fundieren und zu normieren
". Das ist der Grund, weshalb B. „das Leben als systematisches
Prinzip" bei Schlatter postuliert und im „Zusammenspiel der" -
drei, diesen Lebensbegriff bestimmenden - „Prinzipien" ein Nein
Schlatters gegen ihre jeweilige Isolierung spricht, also gegen Bewußtseinstheologie
(Frank und Hofmann), gegen formalen Biblizismus
in Orthodoxie, gegen Verselbständigung des Schöpfungsgedankens
. Dennoch gibt Schlatter der Bibel sachlich den Vorrang -
bei „funktionaler Gleichrangigkeit der drei Teilprinzipien". „Die
Klammer, die diese einander scheinbar widersprechenden Aussagen
zusammenschließt", sei der „biblisch-christliche Lebensakt"
(194).

Dieser interessante Deutungsversuch bedarf m. E. einer weiterführenden
Diskussion. Es muß über Schlatters Teilprinzipien in
ihrem Bezug zum Urakt der Wiedergeburt und der von dort geltenden
Vorrangstellung der Bibel noch einiges geklärt und damit die
Grundvoraussetzung B.s mit dem formelhaften Begriff „Leben"
überprüft bzw. das fatale Mißverstehen Schlatters vermieden werden
, wie es sich bei „Leben als systematisches Prinzip" einstellen
muß. Eine ,lebensphilosophische' Umklammerung des Denkens
Schlatters läßt sich m. E. nicht feststellen. Das will B. auch nicht
vertreten. Deshalb aber taugt der Begriff .Leben' nicht als Zcntral-
begriff für die Schiatterdeutung. Er kommt z. B. in diesem Verständnis
des Vf.s in der Ethik gar nicht und in der Dogmatik relativ
selten vor, etwa zur religionsphilosophischen Erhellung von
Sein und Werden. Deren einseitige Verwendung will Schlatter vermeiden
und verknüpft sie deshalb durch .Leben' als „Merkmal der
Person". Dabei setzt er keine Wiedergeburt voraus. An anderer
Stelle geht es um das in der Theologie heute allgemein angewendete
.neue Leben', jedoch ohne die Zentralstellung der Begriffe
„Liebe", „Glaube", „Gnade", „Kreuz und Auferstehung Jesu" (des
„Christus"), „Gemeinschaft" oder „Sozietät" dabei zu verdrängen.
Wie schon meine Arbeit gezeigt hat, gehören auch das soziale Interesse
, die soziologische und religionssoziologische Sicht Schlattcrs
mit zur wesentlichen Struktur seines systematisch-theologischen
Denkens, und zwar so, daß der dialogische Sachzusammenhang von
„innerem Leben" des Einzelnen und „natürlicher" sowie „religiöser
Gemeinschaft" stets betont wird. Die Formulierung eines systematischen
Grundgedankens muß das noch mehr als geschehen zu berücksichtigen
suchen.

Jena Horst B e i n t k e r

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11