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Ausgabe:

1969

Spalte:

857-859

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Diskussion über die "Theologie der Hoffnung" von Jürgen Moltmann 1969

Rezensent:

Schultze, Harald

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ist die Wirklichkeit aller Wirklichkeiten; alles, was wirklich ist, ist
nur durch ihn und aus ihm wirklich und hat einen abgeleiteten
Wirklichkeitscharaktcr.

Im fünften Kapitel (S. 121-157) bespricht Smith „Das Argument
über Gott". Die philosophische Annäherung im Sinn des „ontolo-
gischen Beweises", wonach die Nicht-Wirklichkeit Gottes die Un-
verständlichkcit seiner Erfahrung und aller Existenz bedeuten
würde, kann, wie Smith ausführt, mit der religiösen Begegnung
harmonieren, da der Mensch das einzige Sein ist, in dem die Frage
nach dem und der Bezug auf den Sinn des Seins bzw. dem unbedingten
Existenzgrund zum Bewußtsein kommt. Beim kosmo-
logischen Beweis, der von einer endlichen Realität auf einen notwendig
Existierenden schließt, sei das nicht der Fall. Anschließend
erörtert Smith das Problem: An welchen Punkten der Erfahrung ist
die göttliche Gegenwart zu entdecken? Er nennt hier u. a.: das
Gewahrwerden des kontingenten Charakters des menschlichen Lebens
, seiner Grenze im Tod, sowie der Freiheit und der Verantwortlichkeit
im Handeln. Dies ist als die Voraussetzung für die Erfahrung
Gottes denkbar, kann auch erst ihre Folge sein, wenn Gott
auch an ganz anderen Punkten den Menschen gepackt hat. „Wo die
menschliche Existenz ihren Grund berührt, begegnet sie der Wirklichkeit
des Göttlichen" (S. 157). Der Grund ist also nicht selbst das
Göttliche, sondern ist der Ort der Begegnung! Es muß aber auch
umgekehrt gelten: Wenn der Mensch Gott begegnet ist, dringt er
zu den Grundfesten seiner Existenz vor.

Sechstes Kapitel: „Erfahrung, Gemeinschaft und die Religionen
der Welt" (S. 158-179). Epilog (S. 180-205): Über die säkulare Form
des menschlichen Lebens und deren Zuspitzung zur Gottwidrigkeit.
Zu einer Stellungnahme des Rezensenten fehlt der Raum".

Das bedeutsame, in kristallklarem Stil geschriebene Buch verdient
eine deutsche Übersetzung.

Berlin Wilhelm Knevels

tigen Sprachgebrauch ist „wirklich", das, was tatsächlich besteht, „real" das,
dem ein allgemein gültiger Seinscharakter zugesprochen wird.

6) Vgl. W. Knevels: Gottesglaube in der säkularen Welt. Stuttgart, Calwer
Verlag, 1968 (ThLZ 94, 1969 Sp. 549).

Marsch, Wolf-Dieter: Diskussion über die „Theologie der Hoffnung
" von Jürgen Moltmann, hrsg. u. eingeleitet. München: Kaiser
1967. 240 S. 8°. DM 12,50.

Im Herbst 1964 erschien erstmalig Jürgen Moltmanns „Theologie
der Hoffnung". Drei Jahre später schon konnte Moltmanns Freund
Wolf-Dieter Marsch einen Diskussionsband zu diesem Werk vorlegen
. Ein solcher Erfolg ist nur möglich, wenn ein Problem aufgegriffen
worden ist, das dringlich der Bearbeitung bedarf. Von dem
vielschichtigen, internationalen Echo auf Moltmanns Entwurf legt
der hier anzuzeigende Diskussionsband Zeugnis ab. Die Rezensionen
, die er zusammenfaßt, sind an sich nicht schwer zugänglich.
Aber in dieser handlichen, übersichtlichen Sammlung regen sie zum
gründlicheren, wcitcrgrcifendcn Studium an. In der Vielfalt der
Aspekte weisen sie zurück auf die Weite des groß angelegten Werkes
,- ihre Übereinstimmung in einigen wesentlichen Punkten gibt
Anlaß, die „Theologie der Hoffnung" als eine noch unabgeschlossene
Aufgabe zu betrachten.

Es ist nicht möglich, hier eine Rezension der Rezensionen zu bieten
. Überschreiten die von Marsch ausgewählten doch meist wesentlich
den Rahmen einer üblichen Buchbesprechung und stellen selbst
komprimierte Gesprächsbeiträge dar. Einhellig kommt eine große
Dankbarkeit und Offenheit für die neuen Fragestellungen zum
Ausdruck; Moltmanns Gesprächspartner kommen ihm alle ein Stück
weit, zum Teil beträchtlich entgegen. Relativ schroff und prinzipiell
steht die Kritik von Wilhelm Andersen (S. 189-194) da, die
v°n trinitätstheologischen Überlegungen aus die Theologie der
Hoffnung angreift. - Heinrich Fries (81-105) vermag in großer
Verständnisbereitschaft und Integrationsfähigkeit auf Moltmann
einzugehen, bezeichnet aber ebenso präzise den Gegensatz: der
Glaube ist nicht eine Funktion der Hoffnung, sondern deren
Grund von der Erfüllung im Heute her. Eine ähnliche Frage-
Achtung scheint hinter den Anmerkungen von Josef S m o 1 i k
U95 f) zu stehen. - Die umfassenden „kritisch-assisticrenden Bemerkungen
" von Christoph Hinz (125-161) haben ihr Zentrum
H dem Versuch, von dem alttestamentlichen Theophanievcrständ-

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nis her Moltmanns kontradiktorische Alternative zwischen Verheißungsglaube
und Epiphanicreligion zu überwinden. - Hendrikus
Berkhof (168-183) bemüht sich, die Theologie der Hoffnung
auszugleichen mit dem gegenläufigen Prinzip der Entfaltung der
Zukunft aus den Elementen der Gegenwart, das er in der Apoka-
lyptik vorgebildet findet. Die Zukunft steht also nicht in Diskontinuität
, sondern in eschatologischer Kontinuität zur Gegenwart. -
Das Problem des Kontinuums beherrscht auch, in mehreren Aspekten
, die große Arbeit von Hans-Georg Geyer (40-80). Einerseits
stellt er die Frage, inwieweit die Kategorie der Verheißung, die
vom Alten Testament her gewonnen ist, zureichend die soteriolo-
gische Bedeutung des Christusgeschehens erfassen kann. Andererseits
dringt er auf eine strengere Reflexion über Differenz und Bezug
von Hoffnungsgrund und Hoffnungsziel. - Mehrere Kritiker
betonen das besondere Gewicht der Abschnitte der „Theologie der
Hoffnung", die ihre Relevanz für die Veränderung der Gesellschaft
zu bestimmen sich bemühen. Wolf-Dieter Marsch (7-18, 122-124)
fordert dafür eine stärkere Konkretisierung; Heinz Eduard Tödt
(197-200) kritisiert die Nähe dieses Ansatzes zum Reich-Gottes-
Gedanken des Kulturprotestantismus. Gerhard Sauter (106-121)
findet in diesen Partien den Angelpunkt des Werkes, zugleich aber
den Schlüssel für manche Verkürzungen der theologischen Grundaussagen
. - Dagegen können offensichtlich Johan Marie de J o n g
(19-39), Petr Pokorny (162-167) und Harminus Martinus
Kuitert (184-188) mit Moltmann weitgehend übereinstimmen.

In seiner Antwort geht Moltmann (S. 201-238) z. T. gründlich
auf die Einwürfe der Kritiker ein. Dabei kann er es sich zunutze
machen, daß sich mehrere Vorwürfe gegenseitig in Frage stellen,
so daß er an einigen Stellen die Position seines Werkes nur interpretierend
zu unterstreichen braucht. So bekennt er sich nachdrücklich
zu dem mehrfach beanstandeten Satz: „Der Glaube ist das
Prius, aber die Hoffnung hat den Primat" (229). Wird ihm der Vorwurf
der polemisch bedingten Einseitigkeit gemacht, so repliziert
er mit dem Bekenntnis, daß an einer harmonisierenden Allseitigkeit
der Theologie auch nicht gelegen sein könne (205). Eine theologische
Weiterführung bedeutet aber der Abschnitt über das Verhältnis
von „Kreuz und Reich" (222-229): unter dem Primat der
Hoffnung wird hier die positive, eigene Bedeutung des Kreuzes
herausgestellt. Im Kreuz wird die Zukunft vermittelt, es ist die geschichtliche
Gestalt der Gottesherrschaft. So wird es zum Erkenntnisgrund
und zugleich zum sichtbaren Zeichen der Erlösung, bleibt
aber umfangen von der Zukunft Gottes als dem Realgrund des
Heilswerkes. - Einen großen Teil seiner Antwort (210-222) widmet
Moltmann dem Bemühen, durch eine Unterscheidung in der Struktur
der Zukunft zugleich eine differenzierte Bestimmung von Gegenwart
und Vergangenheit zu gewinnen. Er unterscheidet zwischen
der Zukunft als futurum (Extrapolation von der gegenwärtigen
Welt her) und als adventus (Antizipation des Anderen
, Neuen), um dem futurum die Gegenwart der metaphysischen
Erfüllung und die Vergangenheit als das Nicht-Mehr-Sein zuzuweisen
, während vom adventus her die Gegenwart zur eschatolo-
gischen, von Gottes Kommen her bestimmten Zeit wird und aus
der Vergangenheit das Zuvor-Vcrheißene zum Leuchten kommt.
Mit dieser Präzisierung können nun auch trinitätstheologischc Aspekte
zurückgewonnen werden.

Durch die Zusammenstellung der Kritiken wie durch die Antwort
des Autors ist die Möglichkeit gegeben, die Diskussion über die
„Theologie der Hoffnung" als faire Sachdiskussion, wie sie sich in
dem vorliegenden Band abzeichnet, fortzusetzen. Daß sie dieser
Fortsetzung bedarf, ist offensichtlich. Moltmann ist inzwischen in
der Konkretisierung seiner praktischen Anliegen erheblich weitergegangen
. Trotzdem bleiben eine Reihe noch unerledigter Anfragen
zurück. Damit soll nicht nur auf den Widerspruch von Fries verwiesen
werden, der nun als Gegensatz stehen bleiben muß, sondern
z. B. auch auf die Anfrage von Hinz, ob denn die Bedeutung von
Gericht und Schuld aufgehoben werden könne durch die Hcgelsche
Geschichtsdialektik von dem Elend des Menschen und der Hoffnung
auf Gottes Zukunft. Ebenso bleiben die Bedenken gegenüber der
faktisch ungeschiedenen Kongruenz zwischen der Zukunft Gottes
und der Reich-Cottes-Aktivität der Menschen eher verstärkt zurück.
Das Insistieren auf diesen Fragen bedeutet nicht den Rückfall in
die „Allscitigkeit der Orthodoxie", sondern hängt mit dem Ideologieverdacht
Sauters wesentlich zusammen. Man kann nur wünschen
, daß die Arbeit gerade an dieser Stelle fortgesetzt wird.

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11