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Ausgabe:

1969

Spalte:

855-857

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Smith, John E.

Titel/Untertitel:

Experience and god 1969

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11

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gesagt: eine vom erdrückenden Gewicht einer großen Tradition
und deren Denkrüstung weniger belastete, vor allem eine weniger
gedanklich komplizierte und (wie scholastisch) konstruierende und
gerade dadurch wirklich, und im besten Sinne, intellektuell eindrucksvolle
Theologie.

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Smith, John E.: Experience and God. New York: Oxford Uni-

versity Press 1968. IX, 209 S. 8°. Lw. $ 4.75.

Aus USA kam die „Gott-ist-tot"-„Theologie" und das „Evangelium
" vom radikalen profanen Christentum. Gleichzeitig hörten wir
von einem versteiften Fundamentalismus und einer „aristotelischen
und calvinistischen Substanz-Metaphysik" in der dortigen Theologie
. Wenig Beachtung aber fanden bei uns die Systeme einiger
namhafter amerikanischer Theologen, die den beiden Extremen
dadurch entgehen, daß sie empiristische Denkweisen und Methoden
anwenden.

Durch den konsequenten Rekurs auf die Gotteserfahrung gewinnt
John E. Smith eine Position zwischen oder vielmehr über dem fundamentalistischen
Mißverständnis und der existentialistischen Verflüchtigung
des Glaubens und geht weithin mit dem „Dritten Weg"
des Rez. konform1. Smith arbeitet insofern theologisch und religionswissenschaftlich
, als er allen Religionen den Charakter der
Erfahrung, d. h. der (geglaubten) Begegnung mit einer -
wenn auch noch so verschieden vorgestellten - göttlichen Macht
zuerkennt. Damit ist er genötigt, die Projektionstheorie als Mißverständnis
der Religion abzulehnen (s. u.). Eine pauschale Diskreditierung
der Religionen als naive oder hybride Schöpfungen des
Menschen kann konsequenterweise vor dem biblisch-christlichen
Glauben, den sie als andersartig herausheben will, nicht Halt
machen.

Das Standardwerk von W. James- war psychologisch ausgerichtet
, was der Herausgeber G. Wobbermin s. Z. durch seine
„religionspsychologische" Methode zu modifizieren suchte. Theologen
wie F. Ferre und P. Thevanaz erfassen die Erfahrung Gottes
mit philosophischen Kategorien und gliedern sie in ein
System der Erfahrung überhaupt ein. Smith untersucht - dem heutigen
Wissenschaftsbegriff entsprechend - die Gotteserfahrung aus
eigenem Beteiligtsein heraus phänomenologisch und ergründet
ihre Bedeutung im Rahmen der Religion und des christlichen
Glaubens. Zugleich erforscht er ihren Zusammenhang mit der
Erfahrung überhaupt. Dabei erweckt er den Anschein, als wolle er
die religiöse Erfahrung in eine allgemeine Theorie der Erfahrung
einordnen und von der Philosophie her über ihr Wesen und ihre
Kapazität urteilen (Reihenfolge der ersten drei Kapitelüberschriften
: 1. Die Wiedereroberung der Erfahrung, 2. Die religiöse Dimension
der Erfahrung und die Gottesidee, 3. Die Enthüllung Gottes
und die positive Religion!). Dem ist jedoch nicht so. Alles, was
Smith über die Erfahrung Gottes ausführt, hat genuin religiösen
Charakter. Was er allgemein über die Erfahrung sagt, ist durch
seine Anschauung von der religiösen Erfahrung mitgeprägt.

Im ersten Kapitel (S. 21-45) stellt er vom Standpunkt des radikalen
Empirismus das folgende fest: Die Erfahrung ist nicht ein
inneres Erzeugnis (mental) oder ein subjektiver Bewußtseinsniederschlag
(deposit), sondern ein Produkt des Schnittpunktes eines
Komplexes begegnender Wirklichkeit und eines Seins, das fähig ist,
die Begegnung zu haben, zu erfassen, zu interpretieren und zu beantworten
. In der Erfahrung treffen wir auf etwas, was wir nicht
geschaffen haben; aber unser Empfangen ist von dem uns Begegnenden
nicht abzulösen. Die lichtvolle Herausstellung des Primates
der Erfahrung zeigt, daß für den Glauben die Wirklichkeit (und
Wirksamkeit) Gottes ebenso konstitutiv ist wie ihre Erreichbarkeit
allein auf dem Glaubensweg, und erläutert das Wort Luthers
(Gr. Katech., zum 1. Gebot): „Die zwei gehören zu Haufe, Glaube
und Gott". Gegen diesen lapidaren Grund-Satz verstoßen die Fundamentalisten
, die Gott vom Glauben des Menschen trennen, und
die Existentialisten, die eine in sich selbst schwingende „Religion"
(Simmel), einen Hoffnungsglauben unter Subtraktion Gottes, eine
atheistische „Theologie" (Dorothec Solle), ein radikal profanes

') W. Knevels: Die Wirklichkeit Gottes. 2. Aufl., Hamburg, Furche-Verlag,
1966 (ThLZ 1969, Sp. 141 ff).

J) W. James: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, 1907.

„Evangelium" (Altizcr) und ein Christentum ohne Beziehung zu
dem in Christus offenbaren und durch Christus an uns handelnden
Gott proklamieren. Das Wechselverhältnis zwischen Gott und
Glauben wird von Smith, besonders im 2. Kapitel (S. 46-67), am
Offenbarungsbegriff dargelegt: Offenbarung besteht aus einer Erschließung
(disclosure) von der transzendenten Seite und einer Begegnung
von der Seite des Menschen. „Nur für den Glauben ist die
Offenbarung Offenbarung. Aber der Glaube beruht darauf, daß die
Offenbarung eine wirkliche Offenbarung ist" (Knevels a. a. O.).

Die empiristischen Ausführungen Smiths klären das Wesen von
Religion und Glauben. Aber daß der Empirismus zur Bestätigung
des Glaubens als Begegnung mit einer nicht von uns geschaffenen
Wirklichkeit dienen könne, wie Smith will, - davon kann keine
Rede sein. Der radikale philosophische Empirismus wird die Religion
gar nicht in die „Erfahrung" einbeziehen. Von ihm müßte aber
eigentlich erwartet werden, daß er sich der ontologischen Entscheidung
überhaupt enthielte, die religiöse Erfahrung sei Illusion,
und den Glauben in einer Dimension beließe, zu der er keinen Zugang
hat.

Wollte Smith mit seiner obigen Analyse die religiöse Erfahrung
vor dem Angriff retten, sie sei ein subjektiver Bewußtseinsniederschlag
, so schützt er sie mit einer weiteren Analyse vor der Bedrängnis
durch eine, wie behauptet wird, mit ihr untrennbar zusammenhängende
bzw. ihr vorhergehende Sprache. Smith stellt
fest: Die Begegnung ist erst der Anfang der Erfahrung; es folgt
das Eindringen in die Tiefe des Erlebten, das verschiedene Zwischenaktionen
zwischen uns und dem, dem wir begegnen, erfordert.
Daß dies auf die religiöse Erfahrung angewendet werden
kann, bestreitet Rez.; denn hier trägt das Begegnende das Gewand
des Symbols, dessen Tiefe sich unmittelbar mitteilt. Für alle Weisen
der Erfahrung trifft jedoch die Feststellung Smiths zu: Es geschieht
von der Begegnung zum Ausdruck eine Bewegung, die Zeit
braucht. Nicht alles, was erfahren wird, findet tatsächlich Ausdruck.
Nicht alles, was ausgedrückt wird, ist adäquat ausgedrückt. Und:
Man muß immer wieder zur aktuellen Begegnung zurückkehren,
um den Ausdruck im Wort zu überprüfen. Smith führt damit die
linguistischen und sprachanalytischen Überspitzungen ad absurdum
, wonach die Sprache als Medium des Ausdrucks nötig sei, um
überhaupt Erfahrung zu haben. Er weist nach, daß die Statuierung
einer Mustersprache entweder eine Verzerrung der Begegnung
bewirkt oder zwischen dem Erfahrenden und dem, was ihm begegnet
, eine Barriere errichtet, indem antizipiert wird, was erfahren
werden darf.

Um die Religion der Philosophie anzunähern, unterscheidet
Smith einen „religiösen" und einen „philosophischen" Aspekt der
Gottesfrage (so im 3. Kapitel, S. 65-98). Z. B.: Jesus als Messias
(Heiland) und als Logos. Rez. meint, daß es sich stets um religiöse
Aspekte handelt (Rom. ist ebenso religiös wie Kol.). Aber aus der
persönlichen Gotteserfahrung ergeben sich Glaubensvorstellungcn,
die ins Allgemein-Menschliche, in die Ganzheit der Welt, ins Universale
reichen, also in Gebiete, für die auch Philosophie kompetent
ist. Der lapidare Satz Luthers: „Ich glaube, daß mich Gott
geschaffen hat samt allen Kreaturen" besagt: Weil ich glaube,
daß Gott mein Schöpfer und Herr ist, glaube ich das auch von
der Welt. Auf der Basis des Gottcsglaubens gilt, was Smith sagt:
Gott ist der endgültige Zweck des Lebens in seiner Bewegung auf
Selbstverwirklichung und die finale Lösung des philosophischen
Triebes der Menschen zum Verständnis der Totalität der Dinge.

Smith meint, die religiöse Erfahrung bedürfe einer Stütze (sup-
port) in einer rationalen Dialektik. Dies zwar nicht, aber sie will
und soll auch der ratio verständlich werden; die grundsätzliche
Ausschaltung des Verstandes und der Rückzug auf das Paradox ist
vom Übel. Im vierten Kapitel („Zweifel und lebendige Vernunft",
S. 99-120) legt er, Peirce folgend', dar, wie verfehlt es ist, Argumente
für die Existenz Gottes zu suchen, statt auf Gottes
Wirklichkeit (reality) Bezug zu nehmen, und schließt sich
zugleich Tillich an, der Wirklichkeit mit Gültigkeit (validity) und
mit Wahrheit der Gottesidee (truth of the idea of God) gleichsetzt'.
Es darf aber nicht übersehen werden, daß im G 1 a u b e n das Gültigkeitsurteil
, daß etwas wirklich sei, zum Seinsurteil"' wird: Gott

3) Charles Sanders Peirce: Collected Papers (Cambridge. 1931-35).
') Paul Tillich: Systematic Theology, Chicago 1951, Vol. I, 205.
!) Der Intention Smiths folgend wird hier reality mit „Wirklichkeit" übersetzt-
Die Übersetzung „Realität" würde einen anderen Akzent setzen. Nach dem heu-