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Ausgabe:

1969

Spalte:

854-855

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hübner, Eberhard

Titel/Untertitel:

Evangelische Theologie in unserer Zeit 1969

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11

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geführt haben (vgl. Karl Rahner: Schriften zur Theol., Bd. VIII,
S. 83).

Ein erstes Kapitel bietet einen gerafften Überblick über die
„Eucharistie in der Dogmen- und Theologiegeschichtc" (S. 11-51).
Plastisch schildert der Vf. dabei den Wandel vom strengen antiken
Kultzcremoniell zur affektiv-cmotionalen Frömmigkeit des Mittelalters
. Die Sicht der Reformatoren streift er nur flüchtig bei der
Interpretation des Tridentinums; hierbei sind leider nahezu alle
Urteile schief (S. 34 ff.). So soll etwa Luther „jegliche objektive
Mittlcrfunktion der Sakramente" geleugnet haben und alles allein
auf den Glauben der Empfänger gestellt; hiergegen sei an das Dik-
tum aus dem Großen Katechismus erinnert: „Mein Glaube machet
nicht die Taufe, sondern empfähet die Taufe" (IV, 53). Diese und
ähnliche Verzeichnungen sollten im Zeitalter eines ökumenischen
Dialoges nicht mehr vorkommen.

Das zweite Kapitel: „Der biblische Glaube" (S. 52-83) entwickelt
das Abendmahl aus dem Pascha und Mazzot-Fest; neben das Mahl
tritt so das Opfer. Jesus stellt seine Hingabe an den Vater im Himmel
sowie an die Menschenbrüder hinein in jenes Opfermahl und
stiftet nicht so sehr dessen äußeren Ritus als dessen inneren Sinn
um. „Verwandelt werden Bedeutung und Wirkkraft der ungesäuerten
Brote in ihrem Wesen als Opfergabc. Beim Essen dieses Brotes
wird nun nicht mehr das Opfer des Paschalammes begangen, wie
es sich in der Einheit von Tisch und Altar im Tempel vollzog, sondern
das in der Person Jesu zeitlos gegenwärtige Opfer" (S. 62).

Das dritte Kapitel über „Das Sakrament der Eucharistie" (S. 84 bis
119) zeichnet in die augustinisch-scholastische Definition: „Sinnen-
fälliges Zeichen einer heiligen Sache und sichtbare Gestalt der unsichtbaren
Gnade" (DS 1639) das moderne Symbolverständnis ein,
wie es im Anschluß an eine idcalistisch-existcntialc Phänomenologie
vor allem Rahner und Schillcbecckx entwickelt haben. Wie
die Seele sich im Leibe ausprägt und manifestiert, so symbolisiert
sich Gott in Jesu Menschsein, so der erhöhte Herr im Ursakrament
der Kirche und jene wiederum in ihrem öffentlichen Gottesdienst,
welcher seinerseits als die Eucharistie „viele Sakramente" in sich
schließt, „das Sakrament des Wortes, der realen Gegenwart Christi
unter den Gestalten von Brot und Wein, das Sakrament der Vereinigung
mit Christus und das Sakrament der betenden Gemeinde"
(S. 98).'

Das vierte Kapitel zur Transsignifikation (S. 120-197) zeigt, wie
sehr jener cxistential-phänomcnologischc Denkansatz die ungute
Fixierung auf eine physikalisch-chemisch mißdeutete Transsubstantiation
auflockert. Das skizzierte Gespräch ist vor allem befruchtet
durch P. Schooncnbcrg und E. Schillcbecckx. Schoonenbcrg hat vor
allem die personale Ebene intersubjektiver Kommunikation durch
Sprache, Zeichen und Gebärde abgehoben von einem bloßen Zusammensein
im Raum. Schillcbecckx interpretierte die tridentini-
schen Formeln in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext und übertrug
die gewonnenen Einsichten in die heutige Gesprächslage. Seine Ausführungen
sind in deutscher Sprache jetzt zugänglich in: „Die eucha-
ristische Gegenwart. Zur Diskussion über die Realpräsenz" (Patmos
»968*), Schillcbecckx zeigt: Die Aussagen des Tricnter Konzils bewegen
sich auf drei Ebenen; das geistliche Zentrum bildet das Bekenntnis
zur wahrhaftigen Gegenwart Christi; diese meinte man
nach den altkirchlichcn Eucharistiegebeten theologisch allein durch
eine Verwandlung des Brotes in den Herrenleib festhalten zu können
", die Transsubstantiation ihrerseits wurde unreflekticrt in
scholastischen Kategorien aristotelischer Naturphilosophie gefaßt
(Schillcbecckx, S. 28 ff.; Powers, S. 154 ff.). Diese Incinsschau dreier
Ebenen, derjenigen des Glaubens an die spezielle eucharistische
Präsenz Christi, derjenigen einer ontologischen Aussage von der
-trans-entatio" bzw. einer „conversio totius entis" und derjenigen
einer naturphilosophischen Entfaltung als „trans-substantiatio", dies
findet sich schon bei Thomas von Aquin (Schillebecckx, S. 41; Powers
, S. 158). Historisch unzutreffend ist freilich die Behauptung
v°n Schillebecckx (S. 34) und Powers (S. 157), die Menschen des
Jahrhunderts hätten „nur die scholastischen Denkkategorien"
Schabt, einen „anderen Denkansatz" habe es „nun einmal nicht"
f egeben und „keiner dieser Theologen konnte seiner Zeit vorauseilen
".Fraglos gab es den neuen Denkansatz der Reformatoren wie

T. auch der Humanisten. Freilich gelang es damals nicht, wozu
y"* erst heute tastende Schritte tun, die unterschiedlichen Ansätze
ln ein fruchtbares Gespräch zu bringen.

Dies versuchen Schillcbecckx und Powers in folgenden Kern-
Sa'zen: „In der Eucharistie hängen Transsubstantiation (.conversio

entis'; was ist die vorhandene Wirklichkeit? Christi Leib) und
Transsignifikation (neue Sinn-Stiftung oder Zeichen-Wert) unlöslich
zusammen, aber man kann sie nicht schlechthin identifizieren
" (Schillebecckx, S. 101). ,„Transsignifikation' setzt .Transsubstantiation
' voraus ... Der Tatsache der Transsubstantiation gebührt
ein metaphysischer Vorrang; sie vollzieht sich jedoch im
Rahmen einer .Transsignifikation', in der Christus sich den Gläubigen
der Gemeinde unter den .Zeichen' von Brot und Wein manifestiert
. Die Transsignifikation wird durch das schöpferische Handeln
des Geistes Gottes im Akt der Eucharistie bewirkt" (Powers,
S. 169; vgl. S. 187 ff.). Nicht wir Menschen setzen aus eigener Vollmacht
heraus neue intersubjektive Realität; wir bergen uns vielmehr
in glaubend-bekennendem Nachvollzug hinein in Christi Stiftung
; allein kraft dieser seiner Transsignifikation erfolgt die
Transsubstantiation.

Ohne den für uns Evangelische belastenden Begriff der Transsubstantiation
preisgeben zu wollen und zu können, möchte die
gegenwärtige katholische Theologie dasjenige neu fassen, was die
Reformatoren unter der Applicatio der Institutio Christi entwickelten
. Einem reformatorischen Theologen sei die Frage erlaubt: Ließe
sich diese komplizierte Darstellung nicht einfacher fassen in die
Worte: „Es ist der wahre Leib und Blut des Herrn Christi, in und
unter dem Brot und Wein durch Christus' Wort uns Christen
befohlen zu essen und zu trinken" (GK V, 8)?

Heidelberg Albrecht Peters

H ü b n e r, Eberhard i Evangelische Theologie in unserer Zeit.

3., neu durchgesehene u. wesentlich erweiterte Aufl. Bremen:

Schünemann [1969]. 556 S. 8°. Lw. DM 22,-.

Hübners „Leitfaden" (s. S. 11 und 15) durch die (deutschsprachige)
evangelische Theologie in unserer Zeit erscheint in der dritten Auflage
mit einigen Ergänzungen und Erweiterungen - gekürzt nur
um den Zusatz „Leitfaden" auf dem Titelblatt. Die Ergänzungen
sind einerseits ein Niederschlag des bekannten Nachdenkens
und Weiterdenkens nach Erscheinen eines Buches, das
viel, auch kritische, Resonanz fand, andererseits bei Thema und
Anspruch des Buches vom Weiterschreiten der Zeit gefordert. Im
ersteren Sinne haben u. a. die Partien über Gogarten und Tillich
eine Erweiterung erfahren. Tillich wird (freilich immer noch) „im
Zusammenhang der Theologie nach dem Ersten Weltkrieg", S. 86,
behandelt, aber jetzt hier nur „behandelt" und nicht mehr in diesen
„eingeordnet" (wie es in der ersten Auflage, S. 82, hieß; vgl. zu
dieser meine Besprechung in ThLZ 92, 1967, Sp. 861 f.). Er wird
allerdings an Barths Theologie (seinen Kategorien und Verdikten)
mehr gemessen als mit dieser (als echte andere Möglichkeit)
verglichen, wenn die zusammenfassende Formulierung von
einem System spricht, das „von einem allgemeinen Offenbarungsverständnis
auf das biblische hin, von einer metaphysisch-formalen
Dialektik auf die biblische hin, von der philosophischen Transzendenz
als dem eigentlich .Gemeinten' auf das .uncigentliche' biblische
Gotteszeugnis hin, vom Menschen in seiner .Situation' auf
die biblische Botschaft hin denkt" (S. 96).

Von den Erweiterungen auf Grund neuer .Ereignisse' sei die
Partie über Dor. Solle genannt (S. 245-252). Sie weist gewiß weiterhin
das Buch von Hübner als wertvolle Informationsquelle (freilich
kaum für Anfänger in der Theologie) aus, bestätigt andererseits
einen gewissen Mangel des Buches, sofern man in ihm mehr
sehen oder aus ihm mehr machen möchte als ein sehr instruktives
gegcnwartsgeschichtliches Referat, nämlich: daß es zu wenig jenes
Zäsurbewußtsein zu begrifflicher Klarheit erhebt oder gar bejaht,
welches heute weite Kreise der jüngeren Theologenschaft bestimmt.
Wohl zu rasch wird Dor. Sölles Aufbegehren auf „im Grunde nur"
dieses und jenes altbekannte Anliegen, wie Vorordnung der
Anthropologie über die Theologie, zurückgeführt und damit entschärft
- formal gesehen sogar völlig zu Recht. Überhaupt scheint
uns von Kategorien aus wie „theologische Grundlagenkrise" oder
(im Rückblick, S. 276) „verwirrende Vielfalt", die „Reichtum" sein
kann, vielleicht noch das zur Stunde literarisch Vorliegende bzw.
hinreichend Bekanntgewordene zu bezeichnen zu sein; viel heute
noch unartikuliertes Drängen will etwas, was Hübners Präsentieren
.zünftiger' Theologie seit Barth und Bultmann indirekt verständlich
und erklärbar machen kann: ein Theologisieren in jener .Gleichzeitigkeit
' zum Ursprung, als habe man „nichts zu schaffen mit
dem Christen der Generation vorher" (Kierkegaard), geschützter