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Ausgabe:

1969

Spalte:

852-854

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Powers, Joseph M.

Titel/Untertitel:

Eucharistie in neuer Sicht 1969

Rezensent:

Peters, Albrecht

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11

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ratung übergebenen Vorlagen im Laufe der Entwicklung gefunden
haben, in einem umfangreichen Anhang beigefügt. Dadurch ist man
in der Lage, einen interessanten Blick in die Arbeit des Konzils zu
werfen und das Werden des Dekrets in seinen einzelnen Phasen zu
verfolgen.

Die eigentliche Absicht des Vf.s ist aus dem Titel seines Werkes
ersichtlich. Er vertritt die These, daß das Konzil sich mit der Konstitution
„Dei Filius" den Geistesmächten seiner Zeit gestellt und
ihnen gegenüber in Bejahung und Kritik eine klare Grenzziehung
vollzogen habe. „Indem das Konzil des 19. Jahrhunderts so den
Weg beschreitet, den die katholischen Apologeten seit der Aufklärung
und in Auseinandersetzung mit dieser gegangen waren, stellt
es sich dem Anspruch der kritischen Vernunft bzw. der Wissenschaft
und macht sich diesen in den gebotenen Grenzen zu eigen"
(S. 277). P. zeigt das, indem er in vier Kapiteln seines Buches die
einzelnen Abschnitte der Konstitution (1. Schöpfung, 2. Offenbarung
, 3. Glaube und 4. Glaube und Wissen) sorgfältig und eingehend
analysiert.

Dabei fällt auf, daß die beiden letzten Paragraphen des 2. Abschnitts
über die Offenbarung bei ihm vollkommen wegfallen,
ohne dafj ein Grund dafür angegeben wird. In ihnen werden nämlich
die tridentinischen Grundsätze der Schriftauslegung erneuert.
Es dürfte gerade für die Gesamtbeurteilung des Glaubensdekretes
nicht ganz bedeutungslos sein, da5 man im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts in einer so entscheidenden Frage in wörtlicher
Zitierung die gegenreformatorischen exegetischen Prinzipien wiederholt
.

Vorangestellt sind dem Ganzen drei einleitende Kapitel, in denen
zunächst eine Einordnung des Konzils in den allgemeinen geistesgeschichtlichen
Zusammenhang erfolgt, sodann die spezielle
theologische Aufgabe, vor die das Konzil sich gestellt sieht, umrissen
wird, und schließlich die theologischen Voraussetzungen der
Konstitution erörtert werden.

P. zeigt, daß die Abgrenzung des Konzils nach zwei Seiten hin
erfolgt: Einmal werden die religionskritischen und antikirchlichen
Zeitströmungen, wie sie im modernen Pantheismus und Rationalismus
zum Ausdruck kommen, zurückgewiesen und ihnen die neuformulierten
dogmatischen Aussagen des Konzils über Schöpfung,
Offenbarung, Glauben und Vernunft entgegenstellt. Andererseits
müssen sich die Väter mit den katholischen Versuchen eines Ausgleichs
zwischen katholischem Dogma und moderner Weltanschauung
, wie sie in der ersten Jahrhunderthälfte unternommen
waren, auseinandersetzen. Da derartige Versuche, vor allem mit
den Namen der deutschen katholischen Theologen Hermes und
Günther verbunden, kirchlicherseits bereits vor dem Konzil verworfen
worden waren, kann es sich hier lediglich um eine Rechtfertigung
und nachträgliche Bestätigung dieser Maßnahme handeln.

Sachlich geht es bei dem Ganzen um eine neue Variation des alten
Themas „Glaube und Wissen" oder „Vernunft und Autorität",
deren Verhältnis zueinander in einer gewandelten Welt neu bestimmt
werden muß. Während sich das Tridentinische Konzil ganz
auf die Auseinandersetzung mit den Protestanten beschränken
konnte, ist dieser Komplex jetzt drei Jahrhunderte später völlig in
den Hintergrund getreten und durch eine gänzlich andersartige
Problematik ersetzt, in der es sich nicht mehr um den Kampf der
Konfessionskirchen gegeneinander handelt, sondern um die Stellung
des Christentums in der modernen Welt und die Rolle der Religion
im Geistesleben überhaupt.

Es ist nun die Meinung P.s, daß das Konzil diese Aufgabe bewußt
in Angriff genommen und im wesentlichen gelöst habe. Allerdings
kann er diese These nicht uneingeschränkt durchführen. Daher
schwankt sein Urteil eigenartig zwischen betonter Anerkennung
und offener Kritik. So heißt es in der Schlußbetrachtung S. 460: „Die
Konstitution vollzieht in Wirklichkeit nichts Geringeres als die
feierliche Anerkennung der Wahrheitsmomente im Anliegen der
Aufklärung - ein Schritt, dessen revolutionierende Konsequenzen
für die kirchliche Lehre und Praxis allerdings noch verstellt blieben
, da sie in dem vorherrschenden restaurativen Klima wohl auch
kaum sichtbar werden konnten." „Ein Gespräch hat das Konzil mit
seiner Zeit nicht geführt" (S. 132).

Darin wird man Vf. zustimmen. Allerdings wird man als protestantischer
Theologe seinem mühsam konstruierten Kompromiß in
der Beschreibung des Glaubens als eines aus freier Einsicht erwachsenen
Aktes persönlicher Selbstentscheidung und einer aus der Ge-
schöpflichkeit angeblich zwangsläufig resultierenden Unterwerfungspflicht
schwerlich übernehmen können. Glaube im Sinne des
Evangeliums läßt sich nicht befehlen, wie das Vaticanum im Kanon
1 des 3. Kapitels behauptet.

Grundsätzlich wäre zu dem mit umfassender Sachkenntnis, staunenswerter
Beherrschung der Quellen sowohl wie der Sekundärliteratur
(einschließlich der protestantischen) - nur die kritische
Literatur ist fast völlig ignoriert - und in flüssiger Sprache geschriebenen
Werk von evangelischer Seite wohl noch folgendes zu
bemerken: Es ist die Frage, ob man Geschichte - und das muß
auch für die Kirchengeschichte gelten - zunächst nur aus ihren
eigenen Voraussetzungen verstehen soll oder ob man sie von gegenwärtigen
Standpunkten und Ideen her interpretieren darf. Die
Kunst, etwas angeblich keimhaft angelegt zu sehen, was sich wesentlich
später erst entfaltet, läßt sich leicht handhaben. Es fragt
sich nur, ob sich geschichtliches Leben mit solchen Methoden erschließt
.

Im vorliegenden Fall scheint das Vaticanum I allzu stark durch
die Brille des Vaticanum II gesehen und jenes, der geschichtlichen
Wirklichkeit widersprechend, als Vorläufer für dieses verstanden.
Das eigentliche Problem, das P. sehr wohl kennt und nur (oder
deshalb?) mit einem kurzen Satz streift, ist die Entstehung des
Modernismus nach einem angeblich so fortschrittlich eingestellten
Konzil: „Die Krise des Modernismus war deshalb unvermeidlich"
(S. 456), weil nämlich nach des Vf.s Meinung die im Konzil verwendeten
ncuscholastischen Begriffe nicht die notwendige Präzision
und Klarheit besessen hätten. Näher kommt man wohl der geschichtlichen
Wahrheit, wenn man in der schroff antimodernistischen
Enzyklika „Pasccndi" Pius X. 1907 und den von ihm geforderten
Antimodernisteneid von 1910 die richtige Interpretation der
vatikanischen Glaubensdekretc von 1870 sieht. Ihre Deutung als
Marksteine des Fortschritts dürfte schon durch die gleichzeitig
proklamierte päpstliche Unfehlbarkeit in Frage gestellt sein, während
sie für den Dogmenhistoriker nur die Prinzipien des Thomas
von Aquin wiederholen und im sog. Syllabus mit seiner Verurteilung
aller modernen Ideen ihren unmittelbaren Vorläufer und ihre
geistige Voraussetzung besitzen. Für den evangelischen Theologen
wirkt daher die von P. durchgeführte Deutung wenig überzeugend.

Kiel Walter Bodenstein

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Powers, Joseph M.: Eucharistie in neuer Sicht, übers, von
G. Woeste. Freiburg-Bascl-Wien: Herder (1968). 203 S. 8°.
Dieses ursprünglich in englischer Sprache abgefaßte („Eucharistie
Thcology", New York 1967) und von Gertrud Woeste ins Deutsche
übersetzte Buch möchte einen weiteren Leserkreis einführen in die
Diskussionen vor allem holländischer und flämischer Theologen um
ein personales Verständnis der überlieferten Transsubstantiations-
lehre. Jene Kontroverse, welche um die Schlagworte: Transsignifikation
und Transfinalisation kreist, erwuchs aus einer internationalen
Konferenz über die Eucharistie, welche im September 1958
in der Benediktinerabtei von Saint-Croix d'Amay in Chevctognc abgehalten
wurde; die päpstliche Enzyklika „Mysterium fidei" vom
September 1965 wollte die hochgehenden Wogen dämpfen; das ist
ihr jedoch nur teilweise gelungen. Powers möchte ebenfalls diese
Diskussion in gute Bahnen lenken; dazu argumentiert er nach zwei
Richtungen hin. Einerseits fordert auch er mit der Enzyklika »die
volle Anerkennung der grundlegenden Tatsache des kirchlichen
Glaubens an die Gegenwart Christi, an die Verwandlung von Brot
und Wein in den realen Christus, an den Opfercharakter der Eucharistie
und die ekklesialc Bedeutung jeder Eucharistiefeier" (S. 9);
andrerseits erscheint ihm der Dialog mit dem modernen Wahrhcits-
bewußtscin und Wirklichkeitsverständnis als unumgänglich. Hierzu
stellt er im zentralen vierten Kapitel: „Realpräsenz und Transsignifikation
" (S. 120-197) das erwähnte Gespräch in seiner zeitlichen
Entwicklung dar und trägt die wichtigste Literatur von 1955 bis
1966 (68) zusammen (S. 201 ff ). Sicher nicht ohne die heimliche
Hoffnung zu hegen, hierdurch ließen sich auch den römischen
Theologen „die ontologischen und existentialontologischen Voraussetzungen
" wenigstens andeuten, welche zu jener Übersetzung von
Transsubstantiation in Transsignifikation oder Transfinalisation