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Ausgabe:

1969

Spalte:

848

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Werner, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Kirchenbegriff bei Jan Hus, Jakoubek von Mies, Jan Želivský und den linken Taboriten 1969

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Seite 1

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zügen der Ekklesiologie besteht Einigkeit. Die Schwierigkeiten beginnen
in der Frage nach der konkreten Existenzform der Kirche.
Kontrovers ist hier vor allem der Fragenkreis der kirchlichen
Dienste und Ämter. Allerdings empfindet die CE die kontroversen
Behauptungen der BS nicht als Problem, geht daher nicht auf sie
ein und bringt so auch keine wahren Alternativen. Ja, teilweise reden
CE und BS aneinander vorbei! Einen Ausweg gibt es nur durch
gemeinsame Rückbesinnung auf die Botschaft des Neuen Testaments
. Dieses kennt keine Nachfolger der Apostel im strikten Sinne
und auch nicht nur eine Form kirchlicher Verfassung. So fragt G.,
ob das Konzil nicht, wie im Blick auf die Ortskirchen, so auch im
Blick auf die reformierten Kirchen feststellen müsse, dafj keine
Kirche auf Grund ihres Ritus (der Liturgie, des Rechtes und des
geistigen Erbgutes) einen Vorrang vor der anderen hat. In der
Frage der Wesensdefinition des kirchlichen Amtes als Dienst bleiben
die Einwände der BS gegenüber der CE bestehen, während in
der Frage der Wesenszugehörigkeit der Sendung zur Kirche die CE
das Neue Testament auf seiner Seite hat; die BS bekommen die
Kirchen als Hcilsinstrumcnt nicht voll in den Blick.

Man wird für die besonnenen Untersuchungen, Vergleiche und
Aussagen des Buches an dieser Stelle dankbar sein dürfen. Mehr
noch: die Art und Weise, BS und CE miteinander ins Gespräch zu
bringen, mufi als vorbildlich bezeichnet werden. Dennoch bleibt
ein letztes Unbehagen bestehen, das in der Sache selbst begründet
ist. Es klingt im Buch selbst auch hin und wieder an. Wenn es
S. 416 heifjt: „Kritik an den BSen kann . . . nichts anderes heifjen
als die ernsthafte Frage an die Nachfahren der BSen, ob sie bereit
sind, die Einseitigkeit ihrer Väter zuzugeben, zu kritisieren und
zu korrigieren", so steht man damit noch nicht an der Quelle des
Unbehagens. Sic tritt erst dort in Erscheinung, wo gesagt ist, da5
für die reformierten Kirchen in ihrer heutigen Gestalt die BS kaum
mehr unmittelbar repräsentativ sind (S. 16). Max Geiger, dessen
Vorwort zu dem vorliegenden Buch kennzeichnend für die augenblickliche
interkonfessionelle Situation ist, drückt denselben Sachverhalt
noch bedrängender aus: „. . . wo ist die protestantische Theologie
der Gegenwart, die sich so ernsthaft, wie der katholische Gesprächspartner
das erwartet und von seinen Überlegungen her erwarten
mufj, bei den Bekenntnisschriften des 16. und 17. Jahrhunderts
behaften läfit? Wird das Engagement, mit dem er uns behaftet
, bei uns Freude erwecken - oder nur Verlegenheit?" (S. 10).
M. a. W.: Wird etwa in dem vorliegenden Werk Inkommensurables
vorschnell miteinander in Beziehung gesetzt? Dies aber ist eine
Frage, die sich jedesmal erhebt, wenn man anfängt, reformierte
Bekenntnisschriften verbindlich zu befragen. Vielleicht kann man
ihr, wie es auch die vorliegende Untersuchung tut, begegnen, indem
man darauf hinweist, darj es sich bei der Theologie reformierter
BS um typische Theologie handelt, die bis heute ihre Antitypen hat.

Es lohnt sich wohl, noch ein wenig bei dem Vorwort Max Geigers
zu verweilen, das so etwas wie einen ersten kritischen Kommentar
zu G.s Buch darstellt. Geiger fordert u. a. dazu auf, gewisse Tendenzen
und Umrisse, die G. anzeigt, stärker auszuziehen und zu
verfolgen, aber auch dazu, G.s Untersuchungen - gerade in gewissen
negativen Ergebnissen - kritisch von anderen Seiten her zu
ergänzen, auch auf die Gefahr hin, dabei vielleicht zu entgegengesetzten
Ergebnissen zu gelangen. Interessant ist seine Überlegung
, ob nicht Calvin der katholischen Kirche theologisch und
vor allem ekklesiologisch näher steht als Luther.

Geiger sagt von dem 45 Seiten umfassenden Literaturverzeichnis
, hier sei ein unbezahlbarer Schatz an guten Werken zusammengetragen
. Wenn dieser Schatz hier und da noch ergänzungsfähig
(wie sollte das bei der Spannweite der Untersuchung anders sein!)
oder -bedürftig erscheint, so wird das seinen Wert in keiner
Weise mindern. So vermiftt man etwa H. Jahr: Studien zur Übcr-
lieferungsgeschichte der Confession de foi von 1559, Neukirchen
1964, ferner W. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 und
seine Bedeutung für die Entstehung der Reformierten Kirche und
ihres Bekenntnisses, Neukirchen 1964, und Hans Leube: Kalvinismus
und Luthertum, Bd. I, Leipzig 1928. - Eine Reihe von Un-
genauigkeiten bzw. Versehen in bibliographischen Angaben wiegen
nicht sehr schwer. Unklar bleiben bisweilen die Grundsätze für die
Benutzung der Literatur. Es entsteht hin und wieder der Eindruck,
dafj mancher Titel, der im Text zitiert wird, nur deshalb zitiert
wird, damit seine Nennung im Literaturverzeichnis auch legtimiert
ist. Wäre es nicht vorteilhafter gewesen, manche Tatbestände und

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Vorgänge aus neuerer Literatur zu belegen und ältere Titel lediglich
im Literaturverzeichnis anzuführen?

Diese Kritik jedoch betrifft Peripheres. Das Buch von G. ist nach
Anlage, Durchführung und Ergebnis höchst bemerkenswert und
bedeutend und dürfte seinen Platz in der Forschung und im interkonfessionellen
Gespräch behaupten.

Körner/Thür. Ernst Koch

Werner, Ernst: Der Kirchenbegriff bei Jan Hus, Jakoubek von
Mies, Jan Zelivsky und den linken Taboriten. Berlin: Akademie-
Verlag 1967. 73 S. 8° = Sitzungsberichte der Deutschen Akademie
d. Wissenschaften zu Berlin. Klasse f. Philosophie, Geschichte,
Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Jg. 1967, 10. Kart.
M 6,50.

Werners Studie bietet eine sehr nützliche Erläuterung der mit der
hussitischen Ekklesiologie verbundenen Probleme, die die neuere
Forschung oft in Verlegenheit bringen. Die Entwicklung des Hus-
sitentums schätzt Vf. als Weg von der Reformation zur Revolution
ein, warnt jedoch mit Recht vor voreiligen Einzelschlüssen. So
scheint ihm der hussitische Begriff vom Gesetz Gottes theologisch
und moralisch zwar relevant, aber ohne jede juristische Qualität.
Von einer Volksreformation könne bei Hus noch keine Rede sein,
da er als Wyclifschüler die Beseitigung der Mißstände von der
Obrigkeit erwartete. Doch stellte er die Grundlagen des mittelalterlichen
Kirchengebäudes durch seine Prädestinationsichre in Frage
und entwickelte ein echtes Reformationsprogramm, das bald in
den Vier Prager Artikeln seinen Niederschlag fand. Eine viel radikalere
Reformation erstrebte Jakobellus von Mies, mitbestimmt
von seiner Lektüre der biblischen Theologie des Matthias von
Janov. Aber auch Jakobellus vermochte sich eine Reformation nur
mit Hilfe des Bürgertums und des Adels vorzustellen. Zelivsky dagegen
radikalisicrte den reformatorischen Kirchenbegriff, indem
er Volksreformation propagierte, die sich bereits auf halbem Wege
zur Revolution befand. Erst in Tabor „gelang zum ersten Mal in
der europäischen Geschichte der Sprung von radikaler Häresie zur
revolutionären Ideologie, der nur aus der gesamtnationalen Krise,
in der sich Böhmen 1420 befand, erklärbar ist". Der Kirchenbegriff
wurde hier radikal dem Prinzip der sola Scriptura unterstellt. Ein
letztes Kapitel ist dem „böhmischen Papalismus" gewidmet, der
gegenreformatorischen Kirchentheorie der antihussitischen Theologen
Böhmens. Vf. sieht im Hussitcntum einen integrierenden Bestandteil
der europäischen Reformation, die nicht erst im 16. Jh.
begann. Seine Bemerkungen sind scharfsinnig und belegt, wenn
auch nicht immer erschöpfend. Bei Hus wäre z. B., was das ius rc-
formandi der Obrigkeit betrifft, mit einem anbrechenden Mifj-
trauen zu rechnen, in das der Reformator von seiner Enttäuschung
mit Kaiser und König hineingetrieben wurde. Von direktem Einfluß
des Janov auf Hus bin ich weniger überzeugt als der Vf. (S. 32).
Dieser Einflufj ist dagegen wohl zu konstatieren in der Bewegung
einer Reformation „von unten her" bei den Taboriten, die aus Ja-
novs Texten wortwörtlich noch in ihrer Konfession von 1431 schöpfen
, und über sie hinaus bei den ersten Böhmischen Brüdern. Über
den böhmischen antihussitischen Papalismus, den Paul de Vooght
eindrücklich hervorgehoben hat, wäre auch noch die umsichtige
Arbeit Matthew Spinkas „John Hus' Conccpt of the Church" (Princc-
ton 1966; besonders die Kapitel 5 bis 6: Ecclcsiology of Hus Oppo-
nents) zu berücksichtigen.

Prag Amedeo Molnör

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Jorgensen, K. E. Jordt: Stanislaw Lubieniecki. Zum Weg des

Unitarismus von Ost nach West im 17. Jahrhundert, übers, von
S. Diderichsen. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht (1968).
188 S. gr. 8°. Kart. DM 22,-.

Nach dem Buch von J. Tazbir, Stanislaw Lubieniecki . . Warszawa
1961, ist eine neue Arbeit über St. Lubieniecki den Jüngeren von
dem dänischen Pastor und Kirchenhistoriker K. J. Jordt-Jorgensen
erschienen.

Da die Arbeit Tazbirs rein historisch ist, so machte es sich der
Verfasser zur besonderen Aufgabe, Lubieniecki als Theologen dar-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11