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Ausgabe:

1969

Spalte:

842

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Thouzellier, Christine

Titel/Untertitel:

Catharisme et Valdéisme en Languedoc, à la fin du douzième et au début du troisième siècle 1969

Rezensent:

Selge, Kurt-Victor

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Verfälschung der in der scriptura saneta entfalteten Heilsökonomie"
vorliege (S. 74). Vier Seiten behandeln ein - freilich für den Zusammenhang
wichtiges - Zitat Gregors d. Gr. (S. 76-80). Die Beispiele
mögen zeigen, wie intensiv Th. den Einzelheiten des Textes
nachgegangen ist.

Der 2. Teil „Intcrprctatio systematis" (S. 153-233) untersucht in
Teil A, wie weit Abälard in den drei Gestalten seiner Schrift seine
eigenen Auffassungen zum Ausdruck bringt. Sicher identifiziert
sich Abälard mit dem Judex; er will nur hören, „er horcht hinein
in das der ratio humana innewohnende Wissen, und er hört das
verbum fidei christianae. Unter der Übermacht der letzteren wird
die Verfügungsgewalt Abälards verstummen" (S. 165). Im Philo-
sophus sieht Th. „einen Verfechter der natürlichen Religion und
Ethik, dessen Herkunft oder Aufenthalt im arabischen Raum liegt"
(S. 173). Das Verhältnis Abälards zu der von ihm gestalteten Figur
des Philosophus hat grundlegende Bedeutung: „Im natürlichen
Denkbereich finden wir Abälard insofern wieder, als er die so beschriebene
Tugend in der Argumentation des Philosophus gelten
läßt und darüber hinaus hoch bewertet. Im Philosophus finden wir
Abälards scharfe formale Begrifflichkeit. In der Bezogcnheit auf
den christlichen Offenbarungsglauben besteht eine unverschiebbare
Grenze zwischen Wissen und Glauben; ihre Substanzen sind voneinander
klar zu unterscheiden. Das Wissen erhält nicht den Rang
von Offenbarungserkenntnis. Erstcrcs wertet Abälard als Herkunftszeichen
des göttlichen Ursprungs und als Anknüpfungsmittel
für die Hinführung zum intellectus fidei. Natürliches Wissen und
christlicher Glaube tragen beide das Verlangen nach dem summum
bonum in sich, wobei der Mensch von sich aus dieses summum
bonum als bonum suum ansieht, während in der Schau christlichen
Glaubens es sich als die visio gloriac Dei darstellt" (S. 183). Auch
mit der Gestalt des Judaeus besteht eine Identifizierung: „Abälard
hat mit dem Judaeus gemeinsam das nach vorne drängende heilsgeschichtliche
Element, das dort seine Enderfüllung findet, wo der
Imperativ des Gesetzes untergeht im Indikativ des Handelns Gottes
. . ." (S. 187). Gerade das Leiden der Juden „läfit ein tiefgreifendes
Berührtsein Abälards erkennen" (S. 188). Für den Christianus
behauptet Th. sicher mit vollem Recht „die volle Identität Abälards
" (S. 194). Teil C bietet Vergleiche zu Boethius (S. 204-12), zu
Anselm von Canterbury (S. 213-20) sowie zu Thomas von Aquino
(S. 220-27). Für Abälard kommt Th. zu dem Schluß: „Wenn auch
in seiner frühesten Entwicklung der Glaube immer causa finalis
seiner Dcnkbcwcgungcn bildete, so hatte er bekanntlich doch in
die Aufhellungskraft des natürlichen Erkenntnisvermögens ein
größeres Maß an Vertrauen gesetzt ... Im ,Dialogus' erfahren dann
zuletzt natürliches Denken und Offenbarungswahrheit als wesens-
verschicdcnc Bereiche eine klare Abgrenzung" (S. 227/28).

Eine kritische Frage betrifft die Tcxtgrundlage. Th. sagt S. 26,
Anm. 19: „Wir zitieren in der vorliegenden Untersuchung den Dia-
logus-Text wohl nach Migne, bringen jedoch Verbesserungen und
als echt anzusehende Ergänzungen der Handschriften aus Oxford
und Cambridge". In der Arbeit fand ich keine Hinweise zum Text,
Vergleiche mit dem Migne-Text erbrachten keine Abweichungen.
Wozu dann die Anmerkung 19? Eine 2. Frage betrifft eine Zwischenbemerkung
auf S. 64, an deren Schluß es heißt: „Wenn wir uns
auch nicht von dem Bemühen um Akribie im Aufsuchen der hinter
dem Abälardschen Wort liegenden Wirklichkeit dispensieren dürfen
, so möchten doch die Interpretationen keineswegs den Anspruch
auf Endgültigkeit erheben". Man bekommt erneut das Gefühl, auf
etwas schwankendem Grund zu stehen. Auf S. 159 will Th. die
■absolute Rücksichtslosigkeit" des Bernhard von Clairvaux zeigen,
die er mit zwei Sätzen aus einer Kreuzzugspredigt belegt. Als Bc-
le9 nennt die Anm. 69 W. v. Walters Geschichte des Christentums,
die durchgehend Quellen zitiert, ohne die Fundorte zu nennen. Tatsachlich
ist jenes Bernhard-Zitat eine wörtliche Übernahme aus
einem Brief des Hieronymus an Hcliodor (CSEL 54, Ep. 14,2).

Die Hauptfragen des Verfassers kommen besonders in Teil II B
7-ur Sprache: „Der Glaube und das Wissen" (S. 200-204). Auf Abä-
iardzitatc wird verzichtet, jetzt formuliert nur noch Th., der in
gleicher Weise auch den abschließenden Teil E gestaltet: „Der ,Dia-
'ogus' als religionsgcschichtlichcs Dokument im Aspekt moderner
Religionswissenschaft" (S. 230-33). Über die hier formulierten Theten
zur Methodologie (S. 230-32) und zur Phänomenologie
l»< 232/33) muß der Religionswisscnschaftler sein Wort sprechen.

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Der Kirchenhistoriker hat dem Autor zu danken dafür, daß er
einen interessanten Text so gründlich untersucht und in vielfältige
Zusammenhänge hineingestellt hat.

Rostock Gert Haendler

Thouzellier, Christine: Catharisme et Valdeisme en Langue-
doc ä la fin du XIIe et au debut du XIIIe siecle. Politique ponti-
ficale-Controverses. 2e Edition revue et augmentee. Louvain:
Editions Nauwelaerts u. Paris: Beatrice-Nauwelaerts 1969. 525 S.
gr. 8°. bfr. 630.-.

Das 1966 in den Presses universitaires de France erschienene
Buch, das hier bereits besprochen wurde (ThLZ 93, 1968, 116 ff.),
ist für die schnell notwendig gewordene Neuauflage vom Verlag
Nauwelaerts übernommen worden. Dabei ist der noch stehende
Satz der Erstauflage übernommen worden; Text und Paginierung
sind identisch geblieben. Die Vf.in hat sich darauf beschränkt,
einige kleine Druckfehler und Irrtümer auszumerzen und an
einigen Stellen einen Literaturnachtrag einzufügen. Nur an zwei
Stellen hat sie sich ausführlicher mit inzwischen geäußerten Meinungen
auseinandergesetzt; S. 243 f. vertritt sie gegen Y. Dossat
weiterhin die Auffassung, der Stifter der Pauperes catholici, Durandus
, stamme aus Huesca in Aragon, nicht aus Losque im
Rouergue, und S. 267 setzt sie sich gegen die Kritik M. H. Vicaires
zur Wehr, der in einem Artikel „Saint Dominique et les inquisi-
teurs" (Annales du Midi 79, 1967, S. 173-194) zu zeigen versucht
hat, daß Dominikus nicht als Inquisitor oder Vorläufer der Inquisitoren
seines Ordens angeschen werden kann. Sic erklärt sich hier
für mißverstanden, verweist im übrigen auf einen Aufsatz, der inzwischen
in Annales du Midi 80, 1968, 121-138 erschienen ist. Zur
Frage der Herkunft des Durandus bringt sie kein neues, beweiskräftiges
Material bei. Daß Durandus aus Huesca stammen kann,
ist unbestritten; fraglich bleibt, ob das nach Dossats Argumenten
noch als wahrscheinlich gelten kann.

Es fragt sich, ob das inzwischen mehrfach ausführlich rezensierte
Buch so schnell in so gut wie unveränderter Form hätte nachgedruckt
werden sollen. Nicht einmal eine neue gründliche Korrektur
ist gelesen worden, zu schweigen von dem vielleicht doch nicht unberechtigten
Wunsch, sachliche Fehler richtiggestellt zu sehen, an
denen es nicht mangelt. Um dem Nachdruck zu verleihen, weise ich
als auf ein einziges Beispiel auf die völlig aus der Luft gegriffene
Identifikation des Ketzcrpolemikers Salvus Burcc aus dem 13. Jh.
mit dem Musiker Nicolas Burzio hin, der drei Jahrhundertc später
gelebt hat (S. 43, Anm. 115 und Register, vgl. das angegebene Buch
von A. Frugoni). Das ist ein besonders krasser, aber nicht alleinstehender
Fall.

Die erste Auflage bleibt also voll verwendbar,- ihr Druckbild ist
auch wesentlich besser. Im übrigen bleibt gültig, was über die
immense Arbeitsleistung der Vf.in anerkennend gesagt worden ist.

Heidelberg Kurt-Victor S e I g e

Falco, Pierre de: Questions disputees ordinaires, cd. par

A.-J. Gondras. I (Quaestiones I-VIII): La matiere. La naturc
de la theologie. La connaissance et les idees divines. II (Quaestiones
IX-XVII): La charitc. La gräce chez le Christ. Les attributs de
Dieu. La volonte. Le bonheur du Ciel. III (Quaestiones XVIII-
XXV): La duree et ses mesures. L'etre du corps du Christ. Les
anges. La bonte naturelle. Louvain-Paris: Nauwelaerts-Beatrice-
Nauwelaerts. 1968. VIII, 900 S. gr. 8° = Analecta Mediaevalia
Namurcensia, 22-24. bfr. 490.-, 490.-, 590.-.
Der Name des Franziskanertheologen Petrus de Falco tritt mit
dieser editio prineeps in ein helleres Licht, obwohl die Kunde über
Petrus spärlich genug bleibt. Man wird mit Glorieux für die Pariser
Lehrtätigkeit die Jahre 1279/1281 nennen dürfen (S. 9). Der von
Petrus Reginaldetus erwähnte Sentenzenkommentar ist verschollen
; die beiden erhaltenen Quodlibets sind noch nicht ediert (vgl.
den Hinweis auf eine weitere Handschrift, S. 10, Anm. 14). Die
fünfundzwanzig Quaestiones disputatae liegen in sieben Handschriften
des 13. und 14. Jahrhunderts vor, in wechselnder Anordnung
und in keiner Handschrift vollständig. Offensichtlich bewahrt
keine Handschrift die ursprüngliche Anordnung der Quästionen,
falls eine solche vom Autor je getroffen worden sein sollte. Gewisse
chronologische Indizien für die Entstehungsreihenfolge der einzel-

Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11