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Ausgabe:

1969

Spalte:

838-839

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Metzger, Bruce Manning

Titel/Untertitel:

Historical and literary studies 1969

Rezensent:

Schneider, Carl

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Theologische Literaturzeitung 94. Jahrgang 1969 Nr. 11

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lebenden Menschen der christlichen Antike ein vertrauter Begleiter
durch das Leben, und ihrem Einwirken auf Leben und Denken
nachzugehen, bleibt aufschlußreich. Man muß nur historisch vorgehen
und darf sich nicht mit einer Stellensammlung unter bestimmten
Gesichtspunkten begnügen, wie es hier geschieht.

Tübingen Hans-Dietrich A I t e n d o r f

Schneider, Andre: Le premier livre ad nationes de Tertullien.

Introduction, texte, traduetion et commentaire. Rom: Institut
Suisse; Bern: Francke Verlag in Komm. 1968. 333 S. gr. 8° = Institute
Svizzero di Roma. Schweizerisches Institut in Rom. Biblio-
theca Helvetia Romana, IX.

Tertullians zwei Bücher Ad nationes entstanden in der ersten
Hälfte des Jahres 197; sie setzen die Schlacht bei Lyon (am 19. Februar
197) voraus. In der zweiten Jahreshälfte 197 verfaßte Ter-
tullian sein Apologeticum. Im Apologeticum erscheint ein Teil des
in Ad nationes Dargelegten noch einmal; die Übereinstimmungen
erstrecken sich bis in die Formulierungen hinein. Der Tatbestand
muß wohl so interpretiert werden, daß man Ad nationes „für
durch und durch unfertig, für eine bloße Vorarbeit erklärt": „Ohne
festen Plan schreibt Tertullian die Gedanken erst einmal in einer
vorläufigen Ordnung herunter; er geht von Justin aus, übernimmt
auch aus anderen Quellen Material und fügt eigene Beobachtungen
und Reflexionen hinzu; nach und nach entdeckt er dabei Möglichkeiten
, wie sich dies alles zusammenordnen und auf welche Gesichtspunkte
es sich beziehen läßt. Tertullian will also noch gar
kein literarisches Werk schreiben, sondern formuliert erst einmal
für sich selbst provisorisch die Gedanken; auch steht ihm noch nicht
klar vor Augen, wie das Werk im ganzen aussehen soll"'. Die Betrachtung
von Tertullians erstem apologetischen Versuch, „bei dem
er sich von dem Einfluß der griechischen Vorgänger (und dem Einfluß
Varros) noch nicht frei gemacht hat"-, gestattet mithin einen
lehrreichen „Blick in seine .Werkstatt' und zeigt, welch hartem Ringen
die so bewunderte Vollkommenheit tcrtullianischcr Werke abgewonnen
ist":'. „Das Apologeticum bringt nicht nur Ergänzungen
und Erweiterungen, sondern Ad nationes ist darin eingearbeitet
und erneuert"1; die beiden Bücher Ad nationes werden „durch dieses
Werk ersetzt, sie sollten nie ein eigenes Leben neben ihm führen"5;
erst mit dem Apologeticum gelang Tertullian „ein literarisch gültiges
Werk"".

Beckers Deutung ist evident. Vf. des vorliegenden Buches läßt
sich dennoch nicht von ihr überzeugen. Nach seiner Meinung unterscheiden
sich Ad nationes und Apologeticum in der Weise voneinander
, daß in Ad nationes „la retorsion est le but cssentiel et
immediat", während im Apologeticum Angriff und Verteidigung
miteinander verbunden sind (S. 30). Daher verweist nach Sch.s Ansicht
Tertullian in Ad nationes wiederholt auf ein anderes Werk,
nämlich das Apologeticum, in welchem er die Themen behandeln
wird, die er nicht in Ad nationes erörtern kann, denn „rien d'autre
que la critique du monde paien nc doit figurer dans cet ouvragc";
dabei tastet Tertullian zunächst, aber nach Kap. 10 des ersten Buches
„nat. a sa physionomic propre" (ebd.): Tertullian hat sich da
entschlossen, das Apologeticum im angegebenen Sinn zu verfassen
(S. 31). Beide Werke haben also ihren eigenen Charakter, und Ad
nationes ist nicht nur eine Vorarbeit für das Apologeticum.

Eine Widerlegung dieser Theorie erübrigt sich. Die Frage, weshalb
im Apologeticum Passagen aus Ad nationes wiederkehren und
in welcher Form, wird von ihr nicht beantwortet. Vor allem trifft
«ie Kennzeichnung der beiden Werke mit Hilfe der Begriffe
•Bttaque* und „defense" nicht ins Zentrum. Beckers gründliche und
eindringende Untersuchungen werden von den an der Oberfläche
bleibenden Einwänden des Vf.s nicht berührt.

Ad nationes ist in einer einzigen Handschrift, dem bekannten
Agobardinus, überliefert. Borlcffs hat den Text zuletzt 1954 im
Corpus Christianorum ediert. Sch. folgt Borleffs Text, „sauf en unc

') C. Becker, Tertullians Apologeticum. Werden und Leistung. München
195*. S. 71 u. 93.

7) Becker, Der .Octavius' des Minucius Felix. Sitzungsber. d. Bayer. Akad.
d- Wissensch., phil.-hist. Kl., Jahrgg. 1967, H. 2, S. 86.
3) Becker, Apolog., S. 71.
') Ebd., S. 41.
s) Ebd., S. 98 f.
') Becker, .Octavius', S. 97.

trentaine de passages" (S. 53). Die Abweichungen erklären sich
einmal durch die Korrektur einiger minimaler Versehen in Borleffs'
Ausgabe, zum andern durch eine Anzahl von Konjekturen, die auf
Sch. und andere zurückgehen. Keine der Konjekturen erscheint als
zwingend, keine als unmöglich: da nur die eine Handschrift vorhanden
ist, fehlt die Kontrollinstanz der Überlieferung, und das
Feld der Möglichkeiten ist auch dann weit, wenn man Tertullians
Sprachgebrauch beachtet.

Der Kommentar ist wesentlich eine Materialsammlung, die als
solche gewiß nützlich ist, wenn sie auch kaum Neues bringt. Man
muß doch immer wieder zum Apologeticum hinüber blicken, um
Ad nationes zutreffend einschätzen zu können; beide Schriften
müssen zusammen betrachtet und studiert werden.

Unbegreiflich ist, daß nur das erste Buch Ad nationes vorgelegt
wurde; man hätte sonst wenigstens eine Handausgabe von Tertullians
Niederschrift gehabt.

Tübingen Hans-Dietrich Altendorf

Metzger, Bruce M.: Historical and Literary Studies. Pagan,
Jewish, and Christian. Leiden: Brill 1968. X, 170 S., 20 Taf. gr.
8° = New Testament Tools and Studies, ed. by B. M. Metzger,
VIII. Lw. hfl. 28.-.

Unter den vierzehn aus den Jahren 1947 bis 1967 stammenden
Aufsätzen des Princetoner Theologen steht ein vorsichtig abwägender
und zurückhaltender methodischer über das Verhältnis von
Frühchristentum und Mysterienreligionen an der Spitze; er ist jedoch
mehr ein sorgfältiges Referat und eine Zusammenfassung aller
bisherigen Arbeit zu diesem Thema als das Aufzeigen neuer Wege.
Nützlich ist die fleißige Zusammenstellung alles Materials zu dem
rätselhaften „cryfios" oder „nymphus" der mithrischen Texte - ausgeschlossen
scheint mir nur jede Beziehung auf einen hieros gamos,
der bei Mithras in der Tat völlig undenkbar ist, als auch auf eine
Enthüllungszeremonic; am nächsten liegt m. E. nach den neuen
Forschungen von Kommagene eine Deutung auf die verborgene
Felsengeburt, Nymphos mag mit der Felsengrotte der Nymphe zusammenhängen
. Denn alle anderen Weihegrade sind auch unmittelbar
aus dem Mithrasmythos abgeleitet. Sehr wertvoll sind Edition
und Kommentar zu der griechisch-aramäischen bilinguen Grabinschrift
der Serapitis aus Georgien, zugleich ein Beitrag zur syn-
kretistischen Entstehung eines barbarischen Provinzialismus. Nach
einer kurzen Notiz über Esra in der englischen Bibel, die erneut die
Bedeutung der Lutherbibel in England unterstreicht, und einem
Vergleich von Zitationsformeln im NT und in der Mischna, die
ihrem Wesen nach außerordentlich verschieden sind, sammelt eine
kleine Miscelle die Überlieferung über 70 oder 72 in der Jüngerzahl
und vergleicht sie mit verwandten Motiven; die isopsephen
Möglichkeiten müßten einmal genauer untersucht werden. Völlig
abwegig ist die mißglückte Entmythologisierung der Himmelfahrt;
glücklicherweise war der Vf. der Apostelgeschichte kein Bultmannschüler
! Dann ist man froh, in den folgenden Textherstellungs-Ver-
suchen M. wieder in seinem eigentlichen Element anzutreffen:
Neue Wege weist die Untersuchung über die textkritische Arbeit
des Origenes; der Respekt vor der hervorragenden alexandrinisch-
philologischen Bildung des Origenes wächst, wenn man die zahlreichen
Stellen, die der Vf. sammelt, weiter verfolgt. Während ein
Princetoner Amulett nichts Besonderes bietet, weist die Studie über
die nubische Übersetzung des NT im sechsten Jahrhundert Wege in
Neuland. Auf diesem Gebiet erwarten wir von M. noch viel weitere
Arbeit. Wohltuend kritisch ist ein Aufsatz gegen die nach einem
mittelalterlichen Klostersaal gemachte Fehlrekonstruktion des
.Schieibsaals' von Qumran, die leider immer mehr biblische Bilderbücher
bevölkert. Den Abschluß bilden zwei ausgezeichnete textgeschichtliche
und textkritische Arbeiten. Die erste untersucht das
Verhältnis des Cod. D zur englischen Bibel „Shakespeares, Bunyans
und Cromwells". Dabei fällt neues Licht auf die Vorgeschichte des
Codex vor seiner Erwerbung durch Th. Beza, wobei bemerkenswert
ist, daß Whittingham bereits vor dieser Zeit Kenntnis von dem Codex
und seinen Varianten hatte. Der letzte Aufsatz verdient trotz
seiner Kürze eine Sonderpublikation, vielleicht als Beilage zum
Nestle. Er registriert alle Entdeckungen neuer neutestamentlicher
Manuskripte, alle Neueditionen und die wichtigsten Ergebnisse
textkritischer Arbeiten zwischen 1937 und 1967, und wird hoffentlich
in dieser prägnanten Form auch in Zukunft weitergeführt. Der